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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (16):
Das Abenteuer Gottes mit den Menschen geht weiter.

Juni 2010

Besonders die katholische Kirche ist gegenwärtig in aller Munde. Ebenso Priester und kirchliche Einrichtungen. Wegen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen an vielen Orten weltweit. In Deutschland und in anderen Ländern mussten sogar Bischöfe zurücktreten. Was hat z.B. Bischof Mixa getan? "Watschen" ausgeteilt, die früher zum "normalen Erziehungsstil" gehörten. In den Medien wird oft so getan, als wären Ohrfeigen bereits "sexuelle Gewalt". Klare Unterscheidungen sind oft nicht geeignet für sensationelle Nachrichten. Dennoch: bei ihm hat es auch finanzielle Unregelmäßigkeiten gegeben. Ebenso hat die Wahrheit gelitten. Was auch immer gewesen sein mag: Beschönigungen sind unangebracht. Schuldiges muss lückenlos aufgeklärt und geahndet werden!

Dennoch ist die Frage berechtigt: warum der Generalangriff auf die Kirche? Gewiss: es sind Macken und Mängel bei deren Vertretern in Erscheinung getreten, die man so nicht gewohnt war. Was Jahrhunderte lang keiner gegenüber Autoritäten mit hohem moralischem Anspruch zu denken und zu sagen wagte, ist nun wie ein Sturm der Entrüstung losgebrochen. Man kann diesen "Sturm" wie eine gewaltige Enttäuschung deuten, weil es nun niemanden und nichts mehr gibt, auf das man sich verlassen kann.

Allerdings: die Enttäuschung an der Kirche ist nicht erst von gestern. Vieles hatte sich seit der Aufklärung oder spätestens seit dem Konzil angestaut. Ein Problembewusstsein hat sich gebildet, welches in der Bibel schon vorhanden ist. Es geht um die große Versuchung bei religiösen Autoritäten, Gott für alle Zeiten fest zu schreiben und für menschliche (kirchliche) Ambitionen in Anspruch zu nehmen. Die "ewig Gestrigen", Kämpfer für ihre Religion, werden zu deren Totengräbern.


1. Der Konflikt zwischen dem "Gestern" und dem "Heute" einer Religion.

In der Apostelgeschichte (13.14.43-52) ist von Paulus und Barnabas die Rede. Auf ihrer Missionsreise im Mittelmeerraum kommen sie nach Antiochia. Am Sabbat gehen sie in die Synagoge, wie es sich für gläubige Juden gehört. Dort haben sie offensichtlich von Jesus erzählt. Denn "fromme Proselyten" folgen ihnen – überzeugt und überzeugend genug, dass sich am nächsten Sabbat "die ganze Stadt" einfindet, "um das Wort Gottes zu hören". In diesem Augenblick geschieht etwas Sonderbares. Gläubige Juden werden "eifersüchtig"; sie stoßen "Lästerungen" gegen Paulus und Barnabas aus. Sie sehen ihren Glauben in Gefahr: den Glauben an den Schöpfergott, an den Gott des Bundes mit seinem Volk, an die Propheten und Schriftgelehrten…

Paulus und Barnabas muten ihnen noch einen anderen "großen Propheten" zu. Dieser war zwar nicht gekommen, Gesetz und Propheten aufzuheben; aber er hat neue Akzente gesetzt im Blick auf das "Reich Gottes", welches "schon jetzt" – durch die Glaubwürdigkeit und Lebensweise von Christen – seinen Anfang nehmen soll. Den Juden wurde zugemutet, an einen "Messias" und eine Botschaft zu glauben, der sogar elendig am Kreuz gestorben war…

Das Anstößige für die gläubigen Juden war, dass der von ihnen gelebte Glaube sich noch auf das Neue in Christus besinnen sollte. Dabei herrschte die Meinung vor, dass ihr Glaube keiner Erneuerung bzw. Neuorientierung bedurfte. Gläubige Menschen neigen immer wieder zu der Annahme, dass ihr "Glaube" keine "Bekehrung" nötig hat… Sie wissen Gott auf ihrer Seite, wenn bestimmte Gesetze und religiöse Vorschriften eingehalten werden. Deshalb wird ihr Gott leicht ein Gott der Buchstaben, der festen Regeln, der Theologen und Gesetzesausleger.

Für Paulus und Barnabas war das offensichtlich immer weniger der Fall. Auf ihrer Reise haben sie die Erfahrung gemacht, dass Gott ein Gott aller Menschen ist. Deshalb wissen sie sich ermächtigt, zu den Heiden zu gehen – zu Menschen mit einem dumpfen Ahnen und Hoffen auf einen "unbekannten Gott". Diese nehmen die Botschaft vom lebendigen Gott mit Freude auf. Die "im guten Glauben" festgefahrenen "gläubigen Juden" nehmen dagegen die Verfolgung auf. Sie vertreiben Paulus und Barnabas nicht nur aus ihrem Gebiet, sondern auch aus ihren Köpfen.

2. Gottes "Adressaten" sind zuerst die Menschen.

Bisweilen scheint es, dass die bekannt gewordenen "Missbrauchsfälle" das Fass nur zum Übergelaufen gebracht haben. Der eigentliche Konflikt liegt viel tiefer. Er ist schon lange vorhanden. Man könnte ihn als einem Konflikt zwischen zwei Gottesvorstellungen bezeichnen: für die einen wirkt Gott am meisten und nachhaltigsten in der Kirche, bes. in der katholischen, in ihrer Predigt und Katechese, in den Sakramenten… Diese darf sich im "eigentlichen Sinne" auch nur "Kirche" nennen. Für viele außerhalb und in ihr ist dieser "Glaube" am Zerbrechen. Für die Pius-Bruderschaft und deren geistige Verwandte hat Gott bereits 1870, beim I. Vaticanum, aufgehört zu wirken. Bei anderen wirkt er nur, wenn festgelegte dogmatische Sätze – als "wahrer Glaube" und als das "Ganze des Glaubens" missverstanden – auswendig gelernt und mit "Rechtgläubigkeit" vertreten werden.

Die Wut der Öffentlichkeit gegen die Kirche richtet sich gegen jede Form von "Rechthaberei" und "religiöser Arroganz". Das umso mehr, je deutlicher die Spuren menschlicher Macken und Gebrechlichkeiten auch bei denen festgestellt werden, bei denen man sie herkömmlich nicht vermutete. Dabei ist man durchaus bereit, jedem Menschen Fehler und Schwächen zuzugestehen – wie das Beispiel Frau Käßmann zeigt. Aber man ist nicht mehr dazu bereit, wenn Fehler und Versäumnisse mit viel Monstranz, Weihrauch und äußerem Gepränge überspielt werden. Der Aufstand der "modernen Heiden", deren Tun und Lebensweise bisweilen "christlicher" sind als vermutet, kann durchaus als Enttäuschung an denen verstanden werden, die Gott für sich gepachtet haben; die behaupten, das Wirken Gottes gehe über sie. Die Institution, nicht die Menschen, sei die erste Adressatin des Wirkens Gottes. In ihren eigenen Reihen und theologischen Selbstsicherheiten haben sie verdrängt, dass sich Gottes Wirken in Geschichte und Schöpfung zuerst an die Menschen wendet.

Weil das so ist, vermögen sich viele immer noch als "religiös" zu bezeichnen, ohne kirchlich zu sein. Vielleicht sind sie auch auf der Suche nach dem "unbekannten Gott", der größer ist als alle menschlichen Autoritäten und religiös "Festgelegten". Als "Kinder unserer Zeit" werden sie immer mehr konfrontiert mit Fragen, die über alles Herkömmliche hinausweisen: Gott im Kosmos, im Universum? Gott in der Evolution, vor und nach dem "Urknall"? Gott in einer Welt, die durch Gier und ausbeuterische Machenschaften aus dem Lot gerät? Gott in einer Welt, in der viele Menschen die Maßstäbe für ein sozial verträgliches Leben verloren haben?

Angesichts globaler Herausforderungen erwecken die Kirchen mit ihren theologisch interkonfessionellen Spitzfindigkeiten den Eindruck von Kindergärten, in denen mit Begriffen und Definitionen gespielt, aber nicht ernsthaft auf die wirklichen Anliegen von Menschen eingegangen wird. Bei Paulus und Barnabas freuten sich die Heiden über die erlösenden und heilsamen Worte und Taten Jesu. So könnten sich die "modernen Heiden" auch wieder freuen, wenn sie weniger die Stimme von Dogmatikern und Rechtsgelehrten hörten, sondern die Stimme des "guten Hirten", der alles Verlorene retten will; der aber auch die "Verlorenen" beauftragt zum Dienst an der Rettung der Welt.

3. Selbstorganisation in "freier Religiosität".

Wenn die Geschichte Gottes mit der Menschheit weitergeht, stellt sich die Frage, wie denn dieses "Weitergehen" gelingen; wie das Rätsel des Zukünftigen gelöst werden kann? Denn das Zukünftige kann immer nur im Voranschreiten erkannt und entschleiert werden, sozusagen von Schritt zu Schritt. Die Schritte können von Anfang an in die falsche Richtung gehen, einer falschen Spur folgen. Man kann sie nur tun im Ahnen, Vermuten, in Ungewissheit und Wagnis. Und im Vertrauen auf den heiligen Geist.

Der große Theologe Albertus Magnus hat im 13. Jh. schon einmal eine für uns interessante "Vermutung" angestellt. Er spricht einmal von einer Kirche aus Stein, die sich von einer Kirche aus Natur und aus Leben unterscheidet. Im Leben werde den Menschen eine "größere Offenbarung" zuteil als in den prächtigsten von Menschen erbauten Kirchen. Eine Kathedrale sei, verglichen mit einem Tannenwald, nicht mehr als ein "wüster Steinhaufen". Deshalb sei es von größter Bedeutung, die Spuren Gottes in der Natur und im Leben zu entdecken.

Ganz abgesehen davon, dass auch Jesus von einer "Offenbarung" an die "Kleinen und Unmündigen" spricht, die den "Großen" verborgen bleibt (Mt 11.25; auch 21.16), so ist religionsgeschichtlich bekannt, dass Menschen schon lange vor dem Christentum und den großen Weltreligionen ihr Leben selbstverantwortlich in die Hand genommen haben. In den "Naturreligionen" finden sich ein intensives Denken und Gestalten des Lebens nach sozialen und religiösen Maßstäben. Das Leben wurde nicht nur vor den Göttern verantwortlich gestaltet. Es gab auch viele humane und moralische Werte, die das Leben aller bestimmten und an denen sich alle zu orientieren hatten.

Naturreligiöse Vorstellungen wurden im Laufe der Missionsgeschichte allzu leichtfertig als "primitiv" angesehen. Vielleicht waren sie es auch. Dennoch haben sie die Menschen mit ihren Eigenschaften und Fähigkeiten aktiv miteinbezogen. Auch Jesus hat sich daran gehalten. Nicht umsonst waren die einfachen Leute: Fischer, Handwerker, Männer und Frauen… als erste in seiner Nachfolge.

Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass die theologisch und philosophisch Klugen und Gescheiten im Laufe der Jahrhunderte die Botschaft Jesu vom Reich Gottes für sich vereinnahmt haben und eine Kirche nach eigenen Maßstäben daraus bastelten. Sie haben eine Offenbarung Gottes "von oben nach unten" daraus gemacht. In Lehre und Schrift haben sie sich nicht nur zu den "eigentlichen Erben" der Botschaft Jesu gemacht, sondern auch das "gläubige Volk" zu gehorsamen Empfängern ihrer Interpretation des Christlichen degradiert. Sie haben die Botschaft Jesu nicht nur für sich vereinnahmt, sondern auch mundtot gemacht, was Gott den Menschen in ihren Lebenserfahrungen zu verstehen gibt. Papst Johannes Paul I. hat diesen verheerenden Vorgang auf die Formal gebracht: Die Menschen verlassen die Kirche, weil die Kirche sie zuerst verlassen hat.

Gottes Taten gehen weiter? Sie können nur weitergehen, wenn das gläubige Volk bei allen wichtigen Entscheidungen – bei Bischofsernennungen, in der Frage des Zölibats und der Ämter für Frauen – aktiv miteinbezogen wird. Geschieht dies nicht, weil der Gaube an die liebgewordene und unaufgebbare "Tradition" es nicht zulässt, gestaltet sich das Wirken Gottes unter den Menschen in Neben- und Gegenkirchen, die Christen auseinander treiben statt sie zu einen.
 


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