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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (6):
Kleider machen Leute, aber keine Botschaft ...

Januar 2009

Beim Lesen der heiligen Schrift muß immer wieder bedacht werden, dass die Evangelien keine systematische Darstellung des Lebens Jesu sind, weder seines Lebens noch seiner Lehre bzw. seiner Taten. Nach dem Tod und der Auferstehung Jesu fing die nachfolgende Generation an, sich über die Bedeutung Jesu Rechenschaft zu geben, d.h. sich in Erinnerung zu rufen, was Jesus gesagt und getan hatte. Vorher waren die Leute Jesus einfach nachgefolgt. Nun mussten sie sich auf die eigenen Beine stellen. Wenn sich die Christen in Hausgemeinschaften trafen, dachten sie gemeinsam über die Bedeutung des Lebens Jesu nach, auch für ihr eigenes Leben. Wie Menschen nun einmal veranlagt sind, war ihr Auffassungs- und Erinnerungsvermögen unterschiedlich. Auch die Konsequenzen, die gezogen wurden, gestalteten sich auf vielfältige Weise – je nach der Veranlagung und der Persönlichkeit der Einzelnen. Es entstanden die verschiedenen "Theologien" im Neuen Testament. Ebenso die verschiedenen Ansätze, wie christliches Leben zu gestalten ist.

Bei Mathäus und Lukas wird z.B. hervorgehoben, dass Jesus nicht in einem Palast zur Welt kam, sondern dass sein ganzes Leben von all den Höhen und Tiefen bestimmt war, wie sie von jedem Menschen erfahren werden. Beim Ringen um die Anliegen Jesu gibt es bei den beiden Evangelisten Passagen einer entschiedenen Herrschaftskritik bzw. einer scharfen Ablehnung jener, die ambitioniert immer eine höhere und übergeordnete Rolle spielen wollen. Solche Sätze stellen bis heute eine kritische Anfrage an diejenigen Verkünder des Evangeliums dar, die in späteren Jahrhunderten in Paläste einzogen, sich mit Prunk und Hoheitstiteln bekleideten. Vermögen sie noch im Dienst des Glaubens zu stehen? Die Evangelisten melden da ihre Zweifel an ...


1. Auf der Suche nach Idolen.

Menschen haben einen eigenartigen Herdentrieb. Sie sind dauernd auf der Lauer nach "höher Gestellten", nach "wichtigen Persönlichkeiten". Ihnen laufen sie nach, als wollten sie unbedingt den Saum ihrer Gewänder berühren. Sie schaffen sich Idole: im Sport, in der Politik, in der Wissenschaft, in der Religion… Diese wiederum reagieren darauf, indem sie sich mit Insignien schmücken, die ihre Bedeutung nach außen hin unterstreichen. Sie schmücken sich mit Pokalen, Ehrennadeln, Titeln und kostspieligen Gewändern. Je "höher" und bedeutender Persönlichkeiten sind, desto mehr strömen die Menschen zusammen. Sie wollen "dabei" sein, in ihre Nähe rücken – so, als würden sie bei ihnen ihre eigene Identität finden.

Die heutige Massengesellschaft, nicht gerade persönlichkeitsfördernd, ist dauernd dabei, bedeutende Persönlichkeiten zu produzieren, auch wenn sie ohne Bedeutung sind, d. h. keine bedeutenden Leistungen aufzuweisen haben. Wer auf irgendeine Weise von der Öffentlichkeit entdeckt und hochgejubelt wird, tut alles, um sich ins rechte Licht zu rücken und den Erwartungen der Massen zu entsprechen. Sie erscheinen dann wie Übermenschen, wie Wesen aus einer anderen Welt, die in die Nähe Gottes gerückt sind, wie "Stellvertreter Gottes auf Erden" – ein Titel, der schon in früheren Zeiten von Königen und Kaisern in Anspruch genommen wurde.

Leute mit gehobenen Ansprüchen hat es auch in der Gesellschaft der ersten Christen gegeben. Unter den Schriftgelehrten und Pharisäern. Während die Mehrheit, wie es scheint, ihnen mit Ehrfurcht und Anerkennung begegneten, waren andere empört über ihr arrogantes und hochnäsiges Auftreten. Denn sie taten so, als wären sie die großen Meister – was für manche Christen nicht im Sinne Jesu war; was sogar den Anliegen und der Botschaft Jesu im Wege stand. Deshalb wird von Mathäus (23.1-39) gleich am Anfang der Rat gegeben: Befolgt, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach ihren Taten… Denn sie rühren keinen Finger zum Tragen der Lasten, die sie anderen aufbürden. Sie wollen immer nur von Menschen gesehen und bewundert werden. Ihre Gebetsriemen sind breit und ihre Quasten an den Gewändern lang. Bei Festmählern wollen sie die Ehrenplätze einnehmen und in der Synagoge die vordersten Sitze. Auf den Straßen und auf den Plätzen wollen sie von den Leuten gegrüßt werden. Sie lassen sich gerne "Rabbi" (Meister) nennen, obwohl sie es nicht sind. Denn es gibt nur einen Rabbi. Die Menschen untereinander sollen wie Brüder und Schwestern sein…

2. Wichtigtuer verhindern das Reich Gottes.

Warum schreiben Mathäus und, etwas anders ausgedrückt, Lukas (Lk 20.45-47) solche Sätze? Die Pharisäer und Schriftgelehrten waren einflussreiche Leute im Judentum. Wollten sie denen gegenüber eine "antijüdischen Affekt" zum Ausdruck bringen? Sicher suchten sie eine Antwort auf die Frage nach dem Lebensstil, der in der Nachfolge Jesu notwendig ist. Es ging ihnen um die Frage nach der glaubwürdigen Übereinstimmung zwischen der Lehre Jesu und dem Leben von Christen.

Die Äußerungen von Mathäus und Lukas haben mit deren Sorge zu tun, dass bestimmte Lebenshaltungen und Lebenseinstellungen mit der Botschaft Jesu nicht in Einklang stehen. Entsprechend sind auch ihre "Wehrufe" über die Schriftgelehrten und Pharisäer (die sie wegen ihrer Bedeutung Jesus in den Mund legen): Ihr Heuchler! Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich und geht selbst nicht hinein! Ihr seid blinde Führer! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Treue… Ihr seid wie Gräber, die außen weiß angestrichen sind und schön aussehen, innen aber seid ihr voll Knochen, Schmutz und Verwesung… Von außen scheint ihr den Menschen gerecht, innen aber seid ihr voll Heuchelei und Ungehorsam gegen Gottes Gesetz… Ihr seid die Söhne von Prophetenmördern. Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind. "Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt". Darum wird euer Haus (von Gott) verlassen…(vgl. Mt 23.13-39).

3. Das Haus Gottes – von Gott verlassen?

Bei solchen "Wehrufen" könnte man die Frage stellen, ob sie nicht doch der Vergangenheit angehören? Ob sie für das Heute der Kirchen noch von Wichtigkeit sein könnten? Auf den ersten Blick kann man die Vermutung äußern, dass das Wirken Gottes in der Welt und an den Menschen immer dann eingegrenzt und gefährdet ist, wenn Menschen sich zu seinen "Stellvertretern" machen. Es könnte passieren, dass sie sich ein "Haus Gottes" einrichten, in dem Gott gar nicht wohnen will bzw. sich nicht einsperren lassen will. "Häuser Gottes", von Menschen erbaut, können für Menschen Hilfe und Stütze sein. Deren äußere Zeichen, Symbole, Liturgien, Sakramente… vermögen "Identität" und Zusammengehörigkeit zu schaffen. Aber es zeigt sich auch, dass deren Ausübung "äußerlich gerecht" erscheinen lässt, wobei gleichzeitig das Eigentliche der Jesusbotschaft vernachlässigt wird: die Praxis der Liebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Treue… Umgekehrt ist es offenkundig, dass viele dieser Werte von Menschen weltweit gelebt und praktiziert werden, die keiner Konfession angehören (wollen).

Wer als "Stellvertreter Gottes" ein Haus baut, muß auf die Wirksamkeit von dessen "Säulen" bedacht sein: die Sakramente, die punktuell den Segen Gottes verheißen; die "wahre Lehre", formuliert und verkündet von "Rabbis", die eigentlich keine sein dürfen; Predigten und Katechese, die oft Antworten auf Fragen geben, die niemand gestellt hat… Wer so mit dem "Haus Gottes" beschäftigt ist, rechnet ernsthaft nicht mit der Tatsache, "dass Gott in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist" (Apg 10.35). Also nicht unbedingt diejenigen sind ihm willkommen, die in ihrem "religiösen Haus" nach Gesetz und Vorschrift zufrieden vor sich hin leben. Schwer ist zudem zu durchschauen, dass ein von Menschen gebautes "Haus" unversehens einem religiösen Herrschaftssystem ähnelt, an dessen Spitze Lenker und Leiter stehen, deren Motive nach Macht und Einfluss andere daran hindern, mündig zu werden. Theologisches Herrschaftswissen birgt auf jeden Fall die Gefahr, Menschen durch sittliche Grundsätze und Pflichten auf eine allgemeine Linie einzuschwören, was den Tod der Mündigkeit und Gewissensfreiheit des einzelnen bedeutet.

Im Blick auf die heutige Krise stellt sich die Frage, ob sich im Laufe der Jahrhunderte Kirchen gebildet haben könnten, in denen Gott gar nicht leben will bzw. von denen er sich in seinem Wirken nicht einengen lassen will? In den Worten Jesu über das Reich Gottes findet sich nichts über Macht, äußeren Reichtum, Hoheitstitel und Paläste. Nicht, als wären die damit geweckten Ambitionen von Menschen von vorneherein zu verurteilen. Aber doch so, dass große Gefahren für den Glauben damit verbunden sind. Aus drei Gründen verhindern sie das Kommen des Reiches Gottes mitten in der Welt:
1. Mächtige neigen dazu, ihre Macht zu missbrauchen. Sie bedienen sich einer "Untertanenethik", fordern zu Unterwerfung und Gehorsam auf mit den Konsequenzen der religiösen Unmündigkeit, Verantwortungslosigkeit und blinder Unterwürfigkeit (vgl. Mk 10.42).
2. Machtstrukturen haben es in sich, dass gerade minderwertige, niedrige und unnütze Charaktere danach drängen, einflussreiche Positionen zu besetzen. Sie reden dann gerne von "Gott gegebener Vollmacht und Berufung", sind aber wenig von Nutzen, wenn es um die Würde und Freiheit anderer geht.
3. Machthaber schaffen gerne "Ideologien", die nach ihrem Maß geschneidert sind, in denen sie gern um sich selber kreisen, um ihren Macht- und Einflussbereich. Sie brandmarken gerne andere, die ein alternatives Denken entwickeln und Gewissensfreiheit praktizieren als Nestbeschmutzer, Anarchisten Aufhetzer der Bevölkerung – wie es auch Jesus geschehen ist (Lk 23.2-5).

4. Predigt, Katechese, theologische Indoktrination?

Wenn man nach dem Unterschied fragt zwischen den Aktivitäten der Kirchen und der Predigt Jesu, so setzen die Kirchen auf Schwerpunkte, die in der Schrift einen geringeren Stellenwert haben. Sie heißen: Sakramente, Predigt und Katechese im Sinn einer theologischen Indoktrination.

Jesus setzt in seiner Predigt bei der "Natur" des Menschen an. Im Menschen befindet sich eine große Sehnsucht nach Liebe, Gerechtigkeit, Toleranz, Frieden, Gemeinschaft… Jesus knüpft an ihnen an. Er "veredelt" sie, indem er denen, die sie üben, seinen Geist und seinen Segen verspricht. Zudem stellt er alles Tun des Menschen, welches im Sinne Gottes ist, in den größeren Zusammenhang der Vorhaben Gottes mit der Welt. Wer also in seiner konkreten Lebenssituation die Liebe praktiziert; wem bei Streitigkeiten die Versöhnung gelingt; wer in irgendeiner Weise sich selbst und anderen zum Nutzen ist…, der kann sich der Gegenwart Gottes gewiß sein. Da kann das Reich Gottes schon jetzt seinen Anfang nehmen (vgl. Lk 17.20-21; Mt 18.20).

Gottes Wirkfeld ist die gesamte Schöpfung. Das Reich Gottes ist Sauerteig mitten in der Welt. Beides erweist sich als sprengende Kraft für die engen Grenzen der Kirchen. Gott ist größer als sie. Gott kennt keine Konfessionen. Im Blick auf das Heilswirken Gottes gewinnt ein Gedanke der früheren Theologie eine neue Bedeutung: "Viele sind drin, die draußen sind. Viele sind draußen, die drin sind". Für Kirchenleute, die "drin" zu sein glauben, eine gewaltige Herausforderung.
 


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