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Pater Fritz Köster
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Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (7):
"Gelehrte Schriften" – niemand möchte sie lesen

Februar 2009

"Niemand möchte unsere gelehrten Schriften lesen", soll der Theologe Tertullian geklagt haben. Der Genannte gilt als erster bedeutender Schriftsteller, dem am Ende des 2. Jhts. gründliche Kenntnisse in der griechischen Sprache und Kultur nachgesagt wurden, ebenso im Recht. Im Laufe der Jahre hat er sich mit dem römischen Klerus überworfen, trat aus der Kirche aus und predigte eine sehr rigoristische Form des Christentums (z.B. in der Bußpraxis) – einen Lebensstil, der von der größeren Christengemeinschaft als unerträglich angesehen wurde.

Dennoch beobachtete er damals schon, was bis heute bedauert wird: die allermeisten Menschen lesen die klugen und intelligenten Bücher nicht, die geschrieben werden: die Katechismen der Kirche, die vielen Lehrbücher und Lehrschreiben über christliche Überzeugungen, die Papstbücher über die Kirche und die Person Jesu... Wenn trotzdem Bücher, von "bedeutenden Persönlichkeiten" geschrieben, gekauft werden, weil Verlage und Buchhandlungen die nötige Reklame machen - werden sie wirklich gelesen? Von wenigen werden sie besprochen und diskutiert, bis sich schon bald die bekannte "intellektuelle Schläfrigkeit" einstellt. Im Ganzen zeigt die Erfahrung: Mit intellektueller Begrifflichkeit und kluger Feinsinnigkeit wird das schal gewordene Salz des Christentums weder würziger noch kraftvoller. Die Botschaft des Evangeliums setzt weniger auf akademische Klugheit als vielmehr auf Fähigkeiten von Menschen – vom Schöpfer gegeben und vom Geist inspiriert.


1. Gott lässt die Klugheit der Klugen verschwinden.

So schreibt es der heilige Paulus in 1 Kor 1.18-31. Er setzt sich mit der Botschaft vom Kreuz auseinander. Sie steht im Gegensatz zu der Torheit der Toren, zur "Weisheit der Welt" und deren Wortführern, die Gott durch sein Tun und Handeln zuschanden macht. Was der Prophet Jesaja vorausgesagt hatte, wird durch das Leben und das Kreuz Jesu zur Wirklichkeit:
        "Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen
        Und die Klugheit der Klugen verschwinden".
Was für die Juden ein empörendes Ärgernis ist und für die Heiden eine Torheit, wird für die Berufenen, für Juden wie Griechen, "Gottes Kraft und Gottes Weisheit". In dieser "Berufung"... stehen nicht viele Weise im irdischen Sinne, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, sondern "das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt; das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott".

Man kann das, was Paulus über die "Botschaft vom Kreuz" schreibt, auch – aus der Sicht der vier Evangelisten – auf das gesamte Leben Jesu ausweiten: auf seine niedrige Geburt, auf die Zeit seiner Wanderschaft in Galiläa, auf die Auseinandersetzungen mit den damaligen Gelehrten, mit der z.T. übergroßen Unbelehrbarkeit seiner Jünger...

Im Blick auf die späteren Jahrhunderte besteht kein Zweifel, dass sich der "Geist dieser Welt" und die "Klugheit der Klugen" der Botschaft Jesu bemächtigten. Es hat die Einführung des Christentums als "Staatsreligion" gegeben und damit das Eindringen des Macht- und Karrieredenkens. Es fand die enge Verbindung zwischen christlicher Botschaft und griechischer Philosophie statt, so dass große griechische Philosophen die eigentlichen "Theologen" des Christentums geworden sind. Die sich machtvoll etablierende Kirche organisierte sich nach den Regeln des römischen Rechts, so dass bis heute ein Gottesbild verkündet wird, welches alle menschlichen Mechanismen und Ambitionen unfehlbar bestätigt.

Weil die menschlichen Klugheiten und theologischen Rechthabereien angeblich von Gott gewollt waren und sind, ist von der "Schande" der Jesus-Botschaft keine Rede mehr. Denn "hochwürdigste Herren" haben sich zu Stellvertretern Gottes gemacht. Weil deren Begrenztheit und Fehlbarkeit immer mehr ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist, stellt sich für die Mehrheit des Volkes Gottes die Frage der "Abstimmung mit den Füßen". Denn was ist aus der "Klugheit der Klugen" und der "Weisheit der Weisen" geworden: Geistiges Verwirrspiel? Arrogante Rechthabereien? Selbsterhaltungsbetriebsamkeiten von Konfessionen und Religionen? "Dialog" in den "Chefetagen" der Religionen: Gedankenspiele, die nicht mehr bewirken als ein paar unverbindliche Freundlichkeiten?

In einer Zeit der Krisen und globalen Erschütterungen sind auch die herkömmlichen Kirchen in den Sog des Niedergangs gerissen. Eine "neue Gestalt des Christentums" ist das Gebot der Stunde. Nicht mehr die wenigen Klugen und Weisen sind gefragt, sondern die "Torheit der Toren", die täglich die Kreuze des unerlösten Lebens auf sich zu nehmen bereit sind.

2. Nur Einer ist Euer Meister.

Die vielen Lehrer, die es seit 2000 Jahren gibt, werden nach des Aussagen des Evangeliums überragt von der "Einzigartigkeit des Lehrers Jesus". Obwohl Jesus weder am Königshof noch im Tempel lehrte, auch keine Ausbildung als Schriftgelehrter durchlaufen hat, wird er doch immer wieder "Rabbi" genannt, dem niemand gleicht: von Bartimäus (Mk 10.51), von Nikodemus (Joh 3.2), von Maria Magdalena am Ostermorgen (Joh 20.16)... Jesus ist für sie nicht einer von vielen, sondern einzigartig im Lehren und Lernen. Seine Einzigartigkeit liegt nicht unbedingt in seinem pädagogischen Geschick oder seiner intellektuellen Brisanz. Entscheidend ist seine Botschaft, an der Leben und Tod hängen. Sie kommt nicht von ihm selbst, sondern ist ihm offenbart worden (Mt 11.25ff; Lk 10.21f). Seine Lehre steht nicht nur im Einklang mit seinem Leben, sondern bringt auch in einzigartiger Weise das Evangelium von der "schon jetzt" beginnenden Gottesherrschaft zum Ausdruck.

Im Blick auf das Evangelium des Ursprungs stellen sich heute viele kritische Fragen: haben spätere theologische Lehren und "Glaubenssysteme" dieselbe Einzigartigkeit erreicht – eher in klugen Köpfen als in lebensgestaltender Kraft? Ist die ursprüngliche menschen- und lebensnahe Einzigartigkeit nicht eher durch theoretische Abstraktionen verdunkelt worden? Sind unendlich viele Menschen mit ihren Lebens- und Glaubenseinsichten nicht eher vor die Tür gesetzt worden – vor die Tür derer, die durch Begriffshantierereien und Definitionen das Sagen bekamen und sich als "Experten" gebärdeten? Ist eine Botschaft mit ihrer lebensgestaltenden Kraft, gerichtet an alle Menschen guten Willens, von Kirchenführern und Politikern so vereinnahmt worden, dass daraus Machtgefüge entstanden, die mit dem Mann aus Nazaret nichts mehr zu tun haben?

Jesus fordert die Menschen auf, durch ihre Werke der Liebe und Gerechtigkeit "Licht der Welt" und "Salz der Erde" zu sein. Dabei mutet er gerade den einfachen Leuten, den "Kleinen und Unmündigen", gottgemäße Taten zu. Es entsteht der Eindruck einer "klasselosen" und "herrschaftsfreien" Gefolgschaft, in der jedem Menschen die Möglichkeit gegeben wird, etwas Heilsames in einer oft heillosen Welt zu wirken. Das ist nicht "individualistisch" gemeint. Tatsächlich haben sich von Anfang an immer wieder Menschen zusammengetan, um auf ihre Weise "Kirche" und "Gemeinschaft" zu sein im Blick auf die zu erleuchtende und heilende Welt.

Spätere "Rabbis" haben ganz andere Akzente gesetzt. Ihnen ging es eher um die Errichtung eines religiös-zentralistischen Staates, um eine Lehre mit begrifflicher Klarheit und systematischem Durchblick – Anlässe für eine Unzahl akademischer Eitelkeiten. Viele ihrer Maßnahmen, die Rechte und Pflichten hierarchisch-ungleich verteilten, haben dazu geführt, dass das Christentum eine Spezialisten-Religion geworden ist, in der die wenigen "Klugen und Weisen" vorgeben, was die Mehrheit zu glauben und zu befolgen hat. Angeblich wird es als "Wille Gottes" dargestellt, dass wenige über die Vielen verfügen. Bei deren theologischer Klugheit und Gescheitheit ist kaum noch zu erkennen, dass nur Einer "Rabbi" ist – es sei denn, dass der einzigartige "Rabbi" dazu instrumentalisiert wird, um zu bestätigen, was die Nachfolge-Rabbis alles erdenken und für sich beanspruchen.

3. Religion als "Sonderbereich" gegenüber der Welt?

Wenn man von der Tatsache ausgeht, dass Gott die Welt erschaffen hat und keine Religion; dass auch Jesus keine Kirche gegründet hat, obwohl sich in der Folgezeit verschiedenste Formen von "Kirche" gebildet haben, so mag das für die Menschheit eine Segen gewesen sein. Deshalb wird wohl auch um deren Erhalt mit allen Mitteln gekämpft. Es würde niemandem helfen, wenn Kirchen und Religionen in ihrer sozialen und strukturellen Existenz gefährdet bzw. abgeschafft würden. Andererseits treten heute die Schattenseiten zutage, die die Kirchen und Religionen nach sich ziehen: durch sie wurden Glaube und religiöse Einstellungen zu "Sonderbereichen", die sich strukturell wie auch geistig-spirituell vom "weltlichen Geschehen" unterscheiden. Aus solcher Sicht werden Menschen "religiös" genannt, die bestimmte Riten, Liturgien, heilige Zeiten und Orte anerkennen und befolgen. Menschen außerhalb dieser Vollzüge werden ziemlich einfallslos als "ungläubig" und "unreligiös" abqualifiziert, obwohl viele von ihnen solche Abqualifizierungen für sich nicht akzeptieren.

Im biblischen Sinne ist Religion kein Sonderbereich, denn das Reich Gottes ist "mitten in der Welt und unter den Menschen": als Salz und Sauerteig. Das bleibt auch dann wahr, wenn Kirchen das religiöse Erbe Jesu für sich in Anspruch nehmen. Bezeichnend für diese "Wahrheit" ist das Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen: "Ihr werdet weder auf dem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten... Die wahren Beter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit... Gott ist Geist, in der alle, die ihn anbeten, ihn anbeten müssen im Geist und in der Wahrheit" (Joh 4.21-24). – Aus solcher Sicht sind die Kirchen nicht für sich selber da. Ihre Aufgabe ist es, alles aufzuspüren und zu erforschen, was der Geist Gottes in der Welt und unter den Menschen wirkt. Die Zusammenführung aller "religiös" denkenden und empfindenden Menschen wäre für sie das Gebot der Stunde, statt konfessionelle und theologische Schranken zu errichten, die bei den meisten immer weniger Akzeptanz finden.

4. Das Werk Gottes zur Vollendung führen.

Von Augustinus stammt das Wort, dass das Neue Testament nichts anderes ist als die Enthüllung des Alten. Über die Botschaft Jesu kann man Ähnliches sagen: sie ist nichts anderes als die Enthüllung dessen, was von Anfang der Welt verhüllt und verborgen war.

Darauf weist das Selbstverständnis Jesu hin: "Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen". – Das Werk, welches Jesus zu Ende zu führen gedenkt, wird von Paulus wie folgt beschrieben: "Die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes... Denn die gesamte Schöpfung seufzt bis zum heutigen Tag und liegt in Geburtswehen..."(vgl. Röm 8.18-30, hier 21f).

Seltsam: um das Werk Gottes zu Ende zu führen, hat Jesus keine unfehlbare Lehre nötig gehabt, keine Dogmatik und keine Weisheit von Klugen und Gescheiten. Er hat Menschen berufen, die den Willen Gottes tun in Freiheit und Gerechtigkeit. Nicht als "Individualisten", sondern Menschen in Gemeinschaft und in "seinem Namen". Tatsächlich haben sich immer wieder Menschen zusammengetan in der Frage: "Herr, was willst du, das wir tun sollen?" Wo sich Menschen zusammentun, um das Werk Gottes, die verwundete Schöpfung, zu heilen und wenigstens ein Stück zu erlösen, da ereignet sich durch Menschen die Botschaft Jesu – ein Prozess, der trotz vieler Abartigkeiten in der Welt tausendfach im Gange ist, sozusagen wie Weizen mitten im Unkraut. Die etablierten Kirchen laufen Gefahr zu versäumen, was der Geist Gottes in der Schöpfung wirkt.
 


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