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Pater Fritz Köster
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56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Brennende Fragen zu Religion, Glaube, Kirche(n) (8):
Neu-Evangelisierung durch Indoktrination?

Juni 2013

Man könnte die gegenwärtige Zeitenwende als eine Abkehr von der Kirche hin zum "Reich Gottes" bezeichnen, welches mitten in der Welt im Entstehen ist. Die Wende ist äußerlich gekennzeichnet durch zunächst negative und frustrierende Ereignisse wie: Krise der herkömmlichen Großkirchen, "Entkirchlichung" des Christentums, Individualisierung auch im Religiösen, das Entstehen tausender neuer christlicher Gemeinschaften und "freier Kirchen", deren Gründer und Initiatoren leicht dem Verdacht ausgesetzt werden, "falsche Propheten" zu sein. Worte Jesu, wir sollten uns vor den "falschen Propheten" in Acht nehmen, ermutigen sogar dazu (Mt 7.15). Aber, wenn man es sich in dogmatischer Überheblichkeit nicht zu leicht machen will, gilt wohl auch ihnen gegenüber das Wort: "An ihren (guten oder schlechten) Früchten werdet ihr sie erkennen" (Mt 7.16).

Es hat schon einmal – in umgekehrter Richtung - eine "Wende" gegeben. Spätestens seit Konstantin im 4. Jahrhundert und in der Folgezeit, als die Massen in die Kirche strömten und sich taufen ließen. Es wurde nötig, eine Organisationsform von Kirche zu schaffen, um den Gegebenheiten der Zeit gerecht zu werden. Die "Apostelnachfolger" als "Kinder ihrer Zeit" konnten nicht anders, als eine Kirchenverfassung nach dem Vorbild staatlicher Gegebenheiten zu schaffen. Sie orientierten sich an den "adeligen Verhältnissen" der damaligen Zeit, die pyramidenähnlich an der obersten Spitze Kaiser bzw. König kannte. Zudem waren die Gründung, Festigung und Ausbreitung der Kirche nicht uneigennützig. Neben der Verkündigung des Glaubens ging es auch immer um Einfluss-, Macht- und Überlegenheitsgewinn, verbunden mit persönlichen Ambitionen von Karriere und höherem Posten.

So haben wir bis heute den Papst als nahezu alleinigen Herrn und Gebieter. Bischöfe, Prälaten, niederer Klerus, das gläubige Volk – alle ihre Aufgaben und "Ämter" haben sich nach der obersten Spitze zu richten! Die Kirche als Pyramide! Ob das im Sinne Jesu war und ist, wird immer zweifelhafter. Die Amtsinhaber scheinen damit zwar sehr zufrieden zu sein, zumal jeder in seinem Bereich ein kleiner Gebieter zu sein vermag. Irgendwann müssten sie aber auch zu dem Schluß kommen, dass sie dabei sind, in einer Sackgasse zu landen, weil der Gott der Geschichte bereits andere Wege geht, wie das 2. Vatikanische Konzil sie als "Zeichen der Zeit" nachzuzeichnen versucht hat.

Nach Kardinal Lehmann wurde "die dualistische Frontstellung von Kirche und Welt weitgehend überwunden" (vgl. "zur debatte", Sonderheft zu 3/2013, S.2-5). Obwohl Kirche und Welt zwei verschiedene Größen sind, "lassen sie sich nicht fein säuberlich voneinander unterscheiden. Der Geist Gottes weht auch außerhalb der Kirche – in der Welt". – Weil es nicht mehr darum gehen kann, sich in der "allein selig machenden Kirche" wie in einem Bunker abzuschotten, "zielte im Konzil alles darauf, den Christen neu für seinen Dienst an der Welt und den Dialog mit ihr zu befähigen". –

Dass es seit 50 Jahren, seit dem Konzil "unerwartete Einbrüche in der Glaubensvermittlung gegeben hat"; dass "die Weitergabe des Glaubens an die künftigen Generationen schwer gelitten hat"; dass "der Geist der Welt" in die Kirche eingezogen ist "mit verhängnisvollen Anpassungen" und in Folge mit "konformistischem Substanzverlust des Glaubens", leugnet Lehmann nicht.- Vor allem die Gottesfrage sei in eine grundlegende Krise geraten…

Deshalb wird heute dauernd die missionarische Kraft des Glaubens, die "Neuevangelisierung" beschworen. Bei allen Appellen und Forderungen bleibt doch die Frage im Unklaren, was "der Glaube" eigentlich ist? Es wird viel darüber nachgedacht. Alle reden davon und tun so, als wäre mit dem Katechismus und dem Glaubensbekenntnis der Kirche die Frage längst beantwortet. Bei deren theologischen Stärken bleiben die folgenreichen Schwächen unbedacht. Sie bestehen darin, dass sie bis in unsere Zeit hinein nichts anderes als Elaborate von Theologen und Kirchenbeamten sind – unabhängig vom Glaubenssinn der Gläubigen und des "einfachen Volkes". Dieses hatte einfach zu lernen und nachzuvollziehen, was "von oben", vom "dozierenden Lehramt" vorgegeben wurde - eine Situation, die der Vergangenheit zuzurechnen ist.

Die "Neuevangelisierung" wird von vielen, wie bisher, als "theologische Indoktrination" verstanden. Sie hat kaum Chancen auf Erfolg. Dem "Glauben des Volkes" wird kaum Gehör geschenkt. Es wäre wichtig, den Glaubenssinn der Gläubigen zuerst zu erforschen und ihn zu bestimmen. Was ist darunter zu verstehen? Zunächst ist auffallend, daß es sich um keinen theologisch reflektierten Glauben handelt. Er ist frei von klug durchdachten Sicherheiten und Behauptungen. Auch das Gottesbild bleibt im Vagen und Vermuteten. Gott und Jenseitigkeit sind eher eine im Menschen angelegte Sehnsucht, eine Hoffnung, das Ahnen eines "ganz Anderen"; der Wunsch, dass unser Leben mit allen seinen Mühen nicht umsonst sein möge…

Wenn nicht alles täuscht, wird das religiöse Bewusstsein heute weitgehend bestimmt von einem "Agnostizismus", welcher sogar in der Schrift zu finden ist: Gott wohnt in "unzugänglichem Licht", kein Mensch hat ihn je gesehen noch vermag er ihn je zu sehen (1 Tim 6.16). Die so denken, sind besonders misstrauisch denen gegenüber, "die beteuern, Gott zu kennen, ihn durch ihr Tun aber verleugnen" (Tit 1.16). Hier müsste die "Neuevangelisierung" ansetzen: nicht als erneute theologische Belehrung, sondern als gemeinsame Suche nach dem, der nicht mehr wie früher "oben im Himmel" zu finden ist. Auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse zwingen dazu, die Frage nach Gott und der Welt wieder ganz neu zu stellen.

Wie mir scheint, sind folgende Elemente des im Menschen angelegten "religiösen Bewusstseins" entscheidend. Sie gehören zum Leben und können nur vom Leben aus "transzendiert" werden; damit Anstöße und Richtlinien für eine zeitgemäße "Glaubensverkündigung" sein:

  1. Der Glaube an Gott als Ungewissheit und Wagnis. Denn niemand hat Gott je gesehen; man kann ihn weder beweisen noch in seinem Wesen ergründen.
  2. Der Glaube an Menschen, die sich überzeugend als Gottes Gesandte (Propheten) verstanden haben und die Wege eines "ganz Anderen" beschrieben haben. Von ihnen ging die Aufforderung zur "Nachfolge" aus. Sie ist "weltbezogen", dient dem Frieden und der Gerechtigkeit unter Menschen und Völkern.
  3. Der Glaube an jeden Menschen als "Ebenbild Gottes". Jedem wurden zu entfaltende Gaben und Fähigkeiten gegeben; aber auch Schwächen, damit einer für den anderen da sein kann; damit einer die Last des anderen zu tragen lernt. Dazu gehört besonders die Gabe als Aufgabe zur Gemeinschaft.
  4. Der Glaube, dass Gott keinen Menschen bevorzugt. Vor Gott sind alle Menschen gleich. Jeder hat einen eigenen Weg zu gehen, gepflastert mit Freuden und Erfolgen; aber auch mit vielen Alltäglichkeiten und Bagatellen, mit denen sich jeder herumschlagen muß. Sie sind dazu da, um sie zu meistern und zu bewältigen. Das Leben ist dazu da, vertieft zu werden; aus engen kleinen Verhältnissen emporzuwachsen, um zu jeweils Größerem fähig und bereit zu bleiben. Religion und Glaube sind Hilfen dazu.
  5. Der Glaube, dass kein Mensch für sich alleine lebt; er ist immer Teil der gesamten Menschheit und der Aufgaben, die sich stellen. So heißt es im "Gebet der Vereinten Nationen": "Unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung. Gib uns den Mut und die Voraussicht, schon heute mit diesem Werk zu beginnen, damit unsere Kinder und Kindeskinder einst stolz den Namen Mensch tragen".
  6. Der Glaube und die Erfahrung, dass der Mensch über sich selbst stolz zu sein vermag, weil er bei den zu bewältigenden Aufgaben kein Unbeteiligter, kein Zuschauer geblieben ist. Ein Mensch ohne mittuende Verantwortung zählt nicht. Er wirft seine Kräfte und Fähigkeiten nicht in die Waagschale. Sein Leben bleibt einsames Land, wie auch die Welt um ihn herum öde, wüst und leer bleibt.
  7. Der Glaube braucht "Sprache", er bedarf der "Versprachlichung". Christen, die die elementaren Anliegen des Glaubens nicht auszudrücken und mitzuteilen in der Lage sind, sind wie Ausländer in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht verstehen. Der hohe theologische Anspruch des Christentums als "Expertenreligion" hat die meisten Gläubigen wie Ausländer ohne Sprachenkenntnisse gelassen. Als "Ersatz" dafür wurden ihnen "Sonderbereiche" zugestanden: religiöse Zeiten und Festlichkeiten (Events), Folklore und sakramentale Initiationsriten – punktuelle religiöse Ereignisse, die leicht zur Verflachung und Verarmung führen und "ausblutende Gemeinden" mit verursachen.
  8. Der Glaube orientiert sich an der "Weltanschauung" Jesu. Es ging ihm um das Heil der Welt, um Frieden und Gerechtigkeit:
       - um eine Welt, ursprünglich von Gott als "gut" erschaffen;
       - um eine Welt, die seit dem Sündenfall Adams und Evas durch Brudermord, Kriege, Krankheiten, Streitigkeiten und Haß im Argen liegt;
       - um eine Welt, die gegenüber dem Bösen immer eines Gegengewichtes zum Guten bedarf. Das Unkraut bedarf immer des Weizens. Gegenüber dem ersten Adam wurde Jesus der "neue Adam": der Anfang einer "Neuen Schöpfung".
  9. Der Glaube an Jesus ist immer auch Glaube an den Menschen. Durch sein Denken und Tun an Kranken, Armen, Bedürftigen…hat er der Schöpfung einen neuen, erlösenden Anfang gesetzt. Seit dem sind Christen – durch ähnliches Denken und Tun - zur "Nachfolge" aufgerufen. Ihnen muß es primär um die Fortsetzung der Worte und Taten Jesu in der eigenen Lebenswelt gehen. Sofern Gläubige die Werke der Liebe und Barmherzigkeit tun, gelingt ihnen das Ineinander und Miteinader von göttlichem und menschlichem Tun. Wie Jesus es versprochen hat, bedeutet es den Anfang der Anwesenheit Gottes unter uns und das Ende aller religiös-pharisäischen Schizophrenien.
     

 


Letzte SeitenÄnderung: 13.03.2013.
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