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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Kleines Handbuch christlicher Lebensführung (II):
Wer war Jesus Christus?

März 2006

1. Sie werden lachen: die Bibel!

Der erklärte Atheist und Agnostiker A. Gide, einmal gefragt, welches Buch für ihn das wichtigste in seinem Leben geworden sei, antwortete: "Sie werden lachen, die Bibel!" - Der Inder und Hinduist Mahatma Gandhi hat ähnliche Äußerungen gemacht. Und viele andere. -
Auch für viele Christen ist die Bibel, nachdem die Kirchen die Bibel immer wieder hervorgehoben und "Jahre der Bibel" ausgerufen haben, zu einer wichtigen Wegbegleiterin und Lebensberaterin geworden. Besonders, wenn konkrete Fragen und Probleme anstehen.

Dann kann es vorkommen, dass wache Christen in apostolischen Schriften, Dekreten, Instruktionen und Enzykliken "zu wenig biblisches Denken und Verantworten" finden. So ist z.B. in den seit langem heiß diskutierten "Ökumene-Fragen", ob es eine "eucharistische Gastfreundschaft" geben darf; ob katholische Priester evangelischen Christen die Kommunion reichen dürfen; ob es Katholiken erlaubt sein darf, am evangelischen Abendmahl teilzunehmen..., immer wieder zu lesen und zu hören: "Was würde Jesus dazu sagen?" -


Biblische Antworten werden gesucht und gefunden: "Ich sage euch: Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn... bekennen" (Lk 12.8). - Oder: "Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18.19-20). - Oder: "Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen" (Joh 6.37). - Oder: Als Jesus bei der Berufung des Petrus in dessen Haus beim Essen war, "kamen viele Zöllner und Sünder und aßen zusammen mit ihm und seinen Jüngern" (Mt 9.10). - Auch Kephas (Petrus) aß "zusammen mit den Heiden" (Gal 2.12). Ebenso tranken beim letzten Abendmahl alle aus dem Kelch, auch der Verräter Judas...(Mk 14.23; vgl. auch Mt 12.3-8) . -

Wenn Christen solche Stellen lesen und besprechen, fragen sie zu Recht: "Wem soll man Glauben schenken, der Bibel oder der Kirche?" Wenn sie Unbarmherzigkeit in ihr entdecken, erinnern sie sich an die Worte Jesu: "Nicht bis siebenmal, sondern bis siebzigmal sollst du vergeben" (Mt 18.22). - Statt zu verurteilen und vorschnell einen Menschen zu isolieren und auszubooten, "lass deine Opfergabe vor dem Altar liegen, geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe" (Mt 5.23-24). - Denn "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, die Sünder zu berufen, nicht die Gerechten" (Mt. 9.13). -

Christen, die mit der Kirche schlechte Erfahrungen gemacht haben und deshalb von der "Institution" nichts halten, lesen gerne die "Gerichtsrede Jesu", um ihr Christsein auch außerhalb der Kirche zu begründen; ebenso ihr caritatives und soziales Engagement: du warst hungrig und ich habe dir zu essen gegeben; du warst durstig und ich habe dir zu trinken gegeben; du warst fremd und obdachlos, ich habe dich aufgenommen; du warst nackt und ich habe dir Kleidung gegeben...(Mt. 25..31-46) .- Ebenso können Mütter und Väter, die sich ernsthaft um ihre Kinder und Jugendlichen kümmern, Mt. 18.5 zitieren: "Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf". -

Wo "Kirche" zu rechthaberisch, aufwendig, selbstbezogen und selbstsicher auftritt, ihre Anordnungen und Anweisungen zu selbstherrlich vertritt, da fällt Bibellesern gern die Schelte Jesu gegenüber den Pharisäern und Schriftgelehrten ein: "Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer" (Mt 16.6) - Sie schnüren schwere Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, wollen aber selber keinen Finger rühren, um die Lasten zu tragen... Bei jedem Festmahl möchten sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben. Sie verschließen den Menschen das Himmelreich, gehen aber selbst nicht hinein...(vgl. Mt 23.1-14). -

Die ganze heilige Schrift ist voll von ähnlichen Zitaten, die wache Christen als "Handlungsanweisungen" für ihr eigenes Tun interpretieren. So auch solche, denen das Beten schwer fällt und die es lernen wollen. Mt 6.9-14 gilt als das Gebet, welches Jesus selbst lehrte: "Vater unser... Dein Reich komme, dein Wille geschehe..." - Andere schauen auf die Bergpredigt: "Selig, die arm sind vor Gott..." (Mt 5.3-12). - Sehr einsichtig und bedenkenswert ist für viele die "Goldene Regel": "Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen. Darin besteht das Gesetz und die Propheten" (Mt 7.12). -

2. "Glaubenswende" hin zum "historischen Jesus".

Wenn Christen sich in ihren eigenen Lebenslagen Fragen stellen und sich dabei biblische Situationen vor Augen führen, vollziehen sie unauffällig und doch unübersehbar eine "Glaubenswende": weg vom Jesus des Glaubens hin zum historischen Jesus. Anzeichen mündigen Christseins? Bei ihnen verblasst und schwindet der Jesus des Glaubens, wie er in der Tradition der Kirche verkündet wurde und wird: als philosophisch-theologische Interpretation seiner Lehre. Diese formulierte den Glauben an den menschgewordenen Logos, an "Gottes eingeborenen Sohn", an die Einheit einer Person in zwei Naturen - "Produkte" der hellenistischen Metaphysik, die bis auf den heutigen Tag bei der großen Mehrheit der Christen mysteriös und unverständlich geblieben sind. Auf diese Weise wurde das Christentum, ursprünglich eine Jesus-Bewegung für Jedermann, zu einer Spezialisten-, Theologen- und Klerikerreligion.

Dagegen wächst heute ein lautloser Widerstand, der im Niedergang und der wachsenden Bedeutungslosigkeit der Kirchen seinen Widerhall findet. Entweder erwarten die Menschen vom Christentum nichts mehr, weil es für das Leben bedeutungslos erscheint, oder es wächst im Gegensatz dazu der Wille, neu zu begreifen, worum es wirklich beim "Glauben" geht. Das Interesse an der Biographie des historischen Jesus mit seinen jüdischen Wurzeln erwacht. Es eröffnet die Möglichkeit zu einem Glauben, wie er ursprünglich war: der Glaube an eine Person statt an Sätze und Institutionen.

Mit einer Person, die - wie alle Menschen - in einer konkreten Lebenssituation gestanden hat, um sie so oder so zu bewältigen, können andere sich leicht identifizieren. In ihr können sie sich mit ihren eigenen Fragen, Hoffnungen und Ängsten wiederfinden. Worten und Taten eines "exemplarischen Menschen", wie Jesus einer war, kann man Glauben und Vertrauen schenken. Bei ihm kann man in die Schule gehen und lernen, worauf es im Leben ankommt. Man kann seinen eigenen Weg, seinen persönlichen Wert und seine richtige Selbsteinschätzung finden. Und lernen, seinen aufrechten Gang zu gehen in den Wirrnissen der Zeit. "Woher komme ich; wohin gehe ich; welches ist der Sinn meines Lebens?" Diese uralten Fragen in der Geschichte der Menschheit - niemand kann sie besser beantworten als jemand, der mit göttlicher Autorität selbst durch das Leben gegangen ist und zu anderen sagen kann: "Habt Mut: Ich habe die Welt überwunden" (Joh 16.33).

Die heutige Abwendung von den Kirchen könnte also durchaus als eine Hinwendung verstanden werden zum Kern der Sache selbst. Jedes Kind vom ersten Tag seines Lebens an existiert schon in solcher "Hinwendung". Bezugspersonen, Vater und Mutter, werden Glauben und Vertrauen geschenkt, sofern sie nicht enttäuschen. Sie sind für heranwachsende Menschen unverzichtbar. Solche Erfahrung ist auch unverzichtbar für den Glauben der Christen. "Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt", heißt es bei Joh. 13.15. Dieser Hinweis ist und bleibt maßgeblich in der Nachfolge Jesu; darauf können sich Menschen mit ihrer gesamten Existenz und Lebensweise einlassen. Die Person und Botschaft Jesu vermögen eine plausible Antwort zu geben auf die Frage, wie sich sinnvoll und gottgewollt leben lässt...

Hierarchien und Institutionen müssten dabei erkennen, dass sie nur sehr zweitrangig wichtig sind insofern, als sie eine Vermittlerrolle übernehmen, die den Menschen auf alle nur denkbare Weise ermöglicht, zum Kern des Glaubens überhaupt zu finden. Ihre Aufgabe bestünde in nichts anderem als Menschen, von denen Goethe sagt: "Nach oben ist der Zugang uns verrannt", eben diesen Zugang zu ermöglichen. Sie dürften dabei nicht majestätisch reden, sondern müssten selbst auch praktisch tun, wovon sie reden. Die Person Jesu als Aushängeschild für klerikale Ambitionen, kirchliche Privilegien, Pfründe, Macht- und Einflussansprüche zu benutzen - diese Zeit dürfte endgültig der Vergangenheit angehören. Eine neue Ernsthaftigkeit, Hinwendung und "Bekehrung" zum eigenen Ursprung sind die Gebote der Stunde. Kirchliche Gebäude und Institutionen, die in dieser Hinsicht ihren Sinn und ihre Aufgabe verfehlen, werden immer sinnloser. Die Welt wird auf sie leicht verzichten können - ohne Trauer und Abschiedsschmerz.

3. Das "Historische" am historischen Jesus.

Fachleute sind sich darüber einig, dass die Rückkehr zum "historischen Jesus" die beste Lösung aller Probleme wäre, wenn man genau wüsste, wer der "historische Jesus" wirklich war. 2000 Jahre hatte es die Christenheit mit einem "Jesus des Glaubens" der Urgemeinden zu tun. Diese tradierten in den ersten Jahrzehnten mündlich, was von Jesus in Erinnerung war. Ihr Jesus-Bild war nicht einheitlich, weil die menschlichen Erinnerungskapazitäten sehr unterschiedlich waren. Zudem wollten sie über Jesus keine exakte Biographie schreiben, sondern ihn als Kyrios, als Herrn und Meister, als Messias, als Sohn Gottes... bekennen. So vermengt sich in ihrem Glaubenszeugnis "Historisches" mit menschlichen Interpretationen, Tatsächliches mit frommer Deutung. Erst Jahrzehnte nach dem Tod Jesu fanden sich Leute, die in den Evangelien das Glaubensleben der Gemeinden für kommende Generationen festhielten.

Das Interesse an biographischen Aussagen über Jesus erwachte mit Spinoza bereits im 17. Jahrhundert. Spätere Interessenten wie R. Bultmann, A. Schweitzer u.a. resignierten, weil keine nennenswerten biographischen Aussagen über Jesus möglich seien... Erst die moderne Forschung hat mit eigenen Methoden ein weitgehend zuverlässiges Bild über Jesus zutage gefördert.

Demnach war Jesus Sohn einer Handwerkerfamilie. Er lernte die hebräische Bibel lesen und besuchte regelmäßig die Synagoge. Nach ca. 30 Jahren unauffälligen Aufwachsens und Lernens brach er aus seiner Familie aus, wurde Anhänger von Johannes dem Täufer und begann eine Tätigkeit als Wanderprediger. Gegenüber Johannes, der in der Wüste die Gerichtsdrohung Gottes verkündete, betonte Jesus die Hinwendung Gottes zu den Menschen. Er pflegte offene Gespräche und Tischgemeinschaft - sogar mit "Fressern, Säufern, Zöllnern und Sündern" (Mt 11.19; Lk 5.30), aber auch mit einigen Pharisäern (z. B. Nikodemus: Joh 3.1-13). Was er sagte und tat, hatte mit seinem Programm und seiner Botschaft zu tun: das Heilshandeln Gottes an den Menschen, die Vergegenwärtigung des Reiches Gottes im Hier und Heute der Welt. Sein Programm lautete nicht: Kirche und Sakramente.

Nach Markus hat das öffentliche Wirken Jesu rund 1 Jahr gedauert; nach Johannes ca. 2-3 Jahre. Dann geriet er in Konflikt mit dem Tempelklerus. Die Folge waren seine Festnahme und Überstellung an die römische Justiz, die als "Kolonial-Justiz", als fremde Macht im Land Angst hatte vor politischer Zerrissenheit und Unruhen im Volk.

Nach dem Tod und der Auferstehung Jesu sahen seine Jünger ihre vorrangige Aufgabe darin, Jesu Wirken und Lehren fortzusetzen. Nach und nach wurde Jesus selbst zum Inhalt ihrer Botschaft. Vor allem im hellenistisch geprägten Christentum wurden Kreuz und Auferstehung zentrale Themen der Verkündigung.

Die Frage, die sich für uns Christen in der heutigen Zeit stellt, lautet: Wie gehen wir mit Jesusbildern um, die sich von denen unserer Kindheit unterscheiden? Zwei Jesus-Bilder dürften für die Christen der Gegenwart und Zukunft entscheidend werden:

  1. Der Jesus, der sich den ethischen, sozialen, caritativen... Herausforderungen seiner Zeit stellte und auf ähnliche Weise zur "Nachfolge" aufruft und befähigt;
  2. Der Jesus, der durch Leiden und Tod zur Auferstehung gelangte.
     


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