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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Gefährliches "Jahr der Bibel 2003

September 2003

Man kann sich - bei allen Anrufen der Kirchen, die Bibel als "Buch der Bücher", als "Buch mehr als ein Buch" öfter und intensiver zu lesen - des Eindrucks nicht erwehren, daß sich solche Aufrufe für die Kirchen - hier ist zunächst die katholische gemeint - als "Bumerang" erweisen. Wenn früher gesagt wurde, der Materialismus, Kommunismus, Liberalismus und welche Ismen auch immer... seien für die Botschaft der Bibel hinderlich und gefährlich, so zeigt das Jahr der Bibel vermehrt: in Zukunft wird die so propagierte Bibel zur eigentlichen Herausforderung für die Kirche. Diese hat sich seit Jahrhunderten feste Grundlagen dogmatischer und kirchenrechtlicher Art geschaffen. Ein festgefügtes Ordnungs- und Regelsystem, in dem alle leben und sich "wohl zu fühlen" haben, bestimmt die Verhaltensmuster und Abläufe allen kirchlichen Geschehens. Die Bibel dagegen ermutigt zu einem Denken, welches sich weder dogmatisch noch rechtlich festlegen läßt. Sie ermutigt zur (wenn auch nicht selten mißverstandenen und mißbrauchten) "Freiheit der Kinder Gottes". Wo Kirchen und Konfessionen auf Recht, Ordnung und "einzig wahren Glauben" aus sind, da erweist sich die Bibel in ihren menschen- und situationsnahen Anliegen als "Erfüllung des Gesetzes"; als ein "Ich will Barmherzigkeit und nicht Opfer" (Mt.9.13); als eine Aufforderung an Knechte und Mägde, an Söhne und Töchter, an Junge und Alte..., "Propheten zu sein" und "Visionen zu haben" (Apg.2.17-21).

Aus biblischer Sicht wird "Religion" erst da lebendig, wo der Geist Gottes über "alles Fleisch" ausgegossen wird und alle Fähigkeiten/Charismen zur Entfaltung kommen. Erst zweitrangig wichtig wird die Befolgung von Gesetzen und Vorschriften, auf die "Gemeinschaft" nicht leicht verzichten kann.

Sehr aktuell werden lebensspendende Dynamismen einer Religion in der Handlungsweise Jesu, der - im Gegensatz zu jeder Art religiöser Überheblichkeit und Rechthaberei - "Regelverletzungen" gegen die damals bestehende Religion beging. Diese mögen aus heutiger Sicht noch so "begrenzt" gewesen sein - letztlich haben sie doch viel Unruhe gestiftet, weil sie an den "Nerv" damaligen religiösen Denkens und Handelns rührten. Schließlich haben sie Jesus das Leben gekostet.

Über "Regelverletzungen" - in obigen Zitaten bereits grundgelegt - berichten die Evangelien. Als Jesus eines Tages durch die Kornfelder ging, taten die Jünger, was am Sabbat nicht erlaubt war. Von den Gesetzeshütern zur Rede gestellt, antwortet Jesus - auf eine Reihe anderer Beispiele aus früheren Zeiten hinweisend: "Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat" (Mt. 12.1-8) bzw. "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat (Mk.2.27).

Daß es im Christentum immer um den konkreten Menschen gehen muß, wird auch bei der Heilung eines Mannes am Sabbat - von den Gesetzeshütern mit Zorn und Trauer begleitet - manifest gemacht (Mk.3.1-6). Auch seinen Sohn, sogar einen Ochsen am Sabbat aus der Grube zu ziehen, ist heilsamer und "religiöser" als die Einhaltung des Sabbatgebotes (Lk. 14.5). Gottgefälliger sind auch zum Essen geladene Arme, Krüppel, Lahme und Blinde als geladene Brüder und Freunde, Verwandte und Reiche, weil sie nicht zu vergelten vermögen, was für Letztere eine Kleinigkeit ist...(Lk.14.12-14).

Biblisches Denken, welches immer wieder zu solchen und ähnlichen "Regelverletzungen" befähigt und ermutigt, läßt sich in der gesamten Geschichte des Christentums beobachten - oft verbunden mit einem beachtlichen Aufbrechen des Herkömmlichen und Erstarrten. Das 2. Vatikanische Konzil hätte es nicht gegeben, wenn nicht einige mutige Theologen und verantwortliche Christen die vorbereitenden Schritte gewagt hätten. Ohne die Bibelbewegung und liturgische Erneuerung am Anfang des 20. Jahrhunderts wäre die Frage nie ernsthaft angegangen worden, wie Starrheit und kirchliche Unbeweglichkeit aufgebrochen werden könnten? Laien-Initiativen auf sozialem und politischem Gebiet taten das Ihre dazu.

Die Bibel ist darauf angelegt, "Eiszeiten" zu überwinden und Regelwerke ins Stocken zu bringen. Erasmus von Rotterdam hat vor ca. 500 Jahren geschrieben: "Wer sich in der Kirche umsieht, wird bemerken, daß vieles hier von der Lehre Christi entfernt ist. Er wird finden, daß viele Ansichten vertreten werden, die lächerlich sind, und mehr noch solche, über die man eigentlich weinen müßte".- Und Josef Ratzinger schrieb 1968, als sein theologisches Denken noch nicht von Kircheninteressen beherrscht war: "Für viele ist die Kirche heute zu einem Haupthindernis des Glaubens geworden. Sie vermögen nur noch das menschliche Machtstreben, das kleinliche Theater derer in ihr zu sehen, die mit ihrer Behauptung, das amtliche Christentum zu verwalten, dem wahren Geist des Christentums am meisten im Wege zu stehen scheinen".-

Wie sich Jesus damals einer verhärteten Religion in den Weg stellte, so wird heute das Bibellesen gefährlich für Platzhalter und Interessenvertreter, die behaupten, christliche Werte am besten und kompetentesten zu vertreten. Die Gefährlichkeit des Jahres der Bibel liegt in dem, was Karl Jaspers vermutet:" Jesus bleibt die gewaltige Macht gegen das Christentum, das ihn zu seinem Grunde machte".


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