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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Gedanken über ZeitenWende - WendeZeiten (VII):
Überall in der Welt: das Kreuz!

März 2005

Die Menschheit wird in regelmäßigen Abständen wach gerüttelt und erschüttert durch unvorhersehbare katastrophale Ereignisse. Die Flutkatastrophe im indischen Ozean Weihnachten 2004 kostete mehr als 220.000 Menschen das Leben. Unzählbar ist die Zahl derjenigen, die verletzt wurden, Traumata erlebten, ihre Eltern und Angehörigen verloren. Deren Hab und Gut wurde von den Fluten weggespült - ohne dass ein Minimum ihrer Existenzgrundlage gerettet werden konnte. Hinzu kommen viele andere (Lebens-) Katastrophen: Stürme, Erdbeben, Überflutungen, Hunger, Pest, Folter und Qual, Krankheit und Tod ...

Überall und mitten im Leben wiederholt sich die christliche Botschaft vom Kreuz. Wo gibt es da einen gütigen Gott? Einen Allmächtigen? Einen Gnädigen? Wo war Gott beim Holocaust des 20.Jahrhunderts? Warum greift er nicht ein (wenn es ihn gibt)? Nicht nur der Karfreitag - viele Ereignisse im Leben lassen solche unbeantwortete Fragen aufkommen. Sind sie aus christlicher Sicht überhaupt zu beantworten?


1. Das Kreuz als Ärgernis oder Zeichen des Sieges?

Schon Paulus hat das Kreuz als ein Ärgernis bezeichnet bei all denen, die Gottes Weisheit und Kraft nicht verstehen, die in der "Klugheit der Klugen" verharren. Der Gekreuzigte: "für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit", schreibt er (1Kor1.18-24). An einer anderen Stelle spricht er davon, dass er Verfolgungen erleiden muß. Wenn dem nicht so wäre, "dann wäre ja das Ärgernis des Kreuzes beseitigt" (Gal.5.11).

Wir wissen bis auf den heutigen Tag, dass es nicht beseitigt ist. Zwar hat es das Christentum über Jahrhunderte verstanden, das Kreuz eher als ein Zeichen des Sieges und Triumphes darzustellen, als Sieg über den Tod und alle Niederlagen. Es hat sozusagen den zweiten Schritt vor dem ersten getan. Kaiser Konstantin (gest.337) soll vor einer entscheidenden Schlacht das Zeichen des Kreuzes am Himmel gesehen haben mit dem Hinweis: " In diesem Zeichen wirst du siegen!" - Tatsächlich folgte eine siegreiche Ausbreitungsgeschichte des Christentums. Es wurde nicht nur Staatsreligion. Es verbreitete sich im Laufe der Jahrhunderte in ganz Europa und im vorderen Orient. Was die "Bekehrung der Heiden" angeht, ging man mit diesen oft wenig zimperlich um, wenn sie den christlichen Glauben nicht bereitwillig annehmen wollten. Die Theorie und Praxis der Ausbreitung des "wahren Glaubens" und der rechtmäßigen Lehre mit Feuer und Schwert haben bis in unsere Zeit hinein blutige Spuren in Form von Religions- und Bürgerkriegen, gegenseitigen Anschuldigungen und Verwerfungen hinterlassen. Auf weiten Strecken galt und gilt bei der Ausbreitung der Lehre von Golgatha der blinde Eifer, "in Wahrheit" das Paradies auf Erden zu schaffen; das Ergebnis war die Hölle auf Erden. Im Hintergrund allen religiösen Denkens und Handelns stand immer wieder die Frage: Was ist Wahrheit und wer "hat" sie?

In der heutigen Zeit - gekennzeichnet durch das Ende des triumphalen Christentums - tritt das Ärgernis des Kreuzes wieder in den Vordergrund. Es meldet sich in vielen Lebenslagen. Wie kann man es verarbeiten, verstehen, interpretieren? Theologen versuchen mit allen möglichen Kunstgriffen, die Grausamkeit von Ereignissen mit der Lehre vom "gütigen und gerechten Gott" in Einklang zu bringen. Meistens wird bei aller klugen Gedankenakrobatik die handfeste Botschaft von Golgatha wenig in Betracht gezogen. Sie lautet: Da kam vor 2000 Jahren jemand, der das Reich Gottes (= erlösteres Dasein) wie ein Samenkorn in die Erde zu säen begann. Es war eine unerlöste Welt, in die er kam. Er erhob nicht den Anspruch, diese in einen paradiesischen Zustand zu versetzen, wie seine Zeitgenossen es erwarteten. Selbst wenn er es gewollt hätte - die meisten Menschen gaben ihm dazu keine Gelegenheit. "Er kam in sein Eigentum, doch die Seinigen nahmen ihn nicht auf". Er war wie ein Licht in der Dunkelheit; doch die Dunkelheit hat ihn nicht begriffen...(Joh 1).

Man kann bis zum Ende der Welt über die Frage spekulieren, warum gerade die politisch Mächtigen und religiös Einflussreichen alles taten, um "das Licht" nicht zum Leuchten kommen zu lassen. Offensichtlich durchkreuzte dieser "Messias" ihre Interessen und Ambitionen. Durch ihn wurden menschliche Gedanken und Wichtigkeiten massiv in Frage gestellt. Er hätte mit Macht und Herrlichkeit auf der Erde Ordnung schaffen müssen - natürlich unter Einbehaltung der vorhandenen Machtstrukturen. Aber ein Messias, der als ein Wanderprediger auftrat und als Anwalt der Armen und Schwachen, konnte kein wirklicher Messias sein. So wurde konsequent alles getan, um den Glauben an einen solchen Wanderprediger im Keim zu ersticken.

2. Das Kreuz: eine innergeschichtliche Katastrophe.

Golgatha wurde der Ort eines innerweltlichen Scheiterns, einer menschlichen Katastrophe. Der sie erlitt, wollte die Welt nicht als Welt erlösen, sondern er wollte ihr einen erlösenden Anfang setzen - was Paulus als "Gottes Weisheit und Kraft" interpretiert. Andere sprechen in diesem Zusammenhang von der Grundlegung menschlicher Würde. Der erste Bundespräsident Deutschlands, Theodor Heuß, sprach nach 1945 von Golgatha als einem Ort, wo das christliche Denken von Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde seinen Anfang nahm...

Wieso eigentlich? Weil mitten im menschlichen Scheitern jemand dem treu blieb, was er als heilsam und erlösend für die Welt verkündet hatte. Er gab die Liebe nicht auf, nicht seine Wahrheit und Gerechtigkeit, nicht die freie Entscheidung bis in den Tod. Da hat jemand den aufrechten Gang geübt und ihn in Würde durchgehalten - allen Widersachern zum Trotz. Er ist zum Urbild menschlicher Würde überhaupt geworden - ein Vorbild für alle, die sich durch Gemeinheiten und Böswilligkeiten nicht unterkriegen und besiegen lassen. Es gibt viele in der christlichen Geschichte, die diesen aufrechten Gang gegangen sind und das Wagnis des Todes auf sich nahmen. Ihre Namen sind zahlreich: D. Bonhoeffer, A. Delp, die Geschwister Scholl, die Kämpfer der "Weißen Rose", die Vertreter des aktiven und passiven Widerstandes...

Der damals am Kreuz starb, hat den Blick für das Wesen der menschlichen Existenz überhaupt freigegeben. Denn das Schicksal eines jeden Menschen besteht ja darin, dass er in diese Welt hineingeboren wird, ohne dass er gefragt wird, wo, wann und wie? Niemand kann sich seine Eltern und Geschwister aussuchen, seine Verwandtschaft, sein Land und seine Sprache, seine Kinder - ob sie gesund oder krank, begabt oder behindert zur Welt kommen- , seine Arbeitskollegen und oft nicht seinen Beruf, seine Krankheiten, Sorgen, Ängste und Niederlagen. Jede/jeder ist aufgefordert, ob er es will oder nicht, sich den konkreten Herausforderungen des Lebens tagtäglich zu stellen. Man kann an ihnen wachsen und innerlich stark werden, aber auch scheitern und verzweifeln. Man kann seinen Glauben, seinen ethisch-religiösen Halt darin finden, sich aber auch in die Sinnlosigkeit hinein verlieren.

Wenn Jesus im Grunde nichts anderes getan hat als ähnliche menschliche Lebenslagen zu bestehen und in allem Aufrichtigkeit und "Würde" zu bewahren; wenn er keinen Verrat beging an den Werten, die er als heilsam und erlösend verkündet hatte, dann hat er auf exemplarische Weise einen Weg beschritten, den möglichst viele Menschen gehen sollten. Bei allen Widerwärtigkeiten die Liebe zu üben, die Toleranz, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, die Gemeinschaft mit anderen, sogar die Feindesliebe - solche Wege im Kleinen und im Großen führen zu mehr Frieden und Wohlsein in der Welt. Sie bahnen eine neue erlöstere Schöpfung an, die Jesus visionär im Blick hatte und für die er sein Leben hingab (Kol 1.12-20).-

3. Das Kreuz: Zeichen der Hoffnung auf außerweltliches Heil.

Solche Texte und Perspektiven könnten zu einem seichten Optimismus Anlaß geben. Aber die Realität bleibt vielfach eine andere. Maria von Ebner-Eschenbach hat sie in der Beobachtung zusammengefasst: "Die Liebe überwindet den Tod... Aber es kommt vor, dass eine kleine üble Gewohnheit die Liebe überwindet".

Mit diesem Satz ist auf eine banale Weise zum Ausdruck gebracht, dass alle Bemühungen zum "aufrechten Gang" de facto an vielen Widerwärtigkeiten zu scheitern drohen. Das Gute ist immer nur sehr begrenzt möglich. Denn der Mensch, der es versucht, bleibt selbst immer nur Teil einer unerlösten Welt und Schöpfung. Zudem ist er umgeben von ähnlich begrenzten und beschränkten Wesen seiner Spezies. Daher kommt es, dass der Wille zu Wahrheit und Gerechtigkeit, sofern er überhaupt da ist, oft nur ein Vorsatz bleibt und unter widrigen Umständen nicht zur Erfüllung kommt.

Das Kreuz mitten im Leben signalisiert die Möglichkeit des Scheiterns, des Versagens, des Nichtgelingens. Alles noch so gut Gemeinte steht im Zeichen des Ungenügens. Da bestimmen plötzlich Missgunst und Neid, unerwartete Nachstellungen und Missverständnisse das Alltagsgeschehen - unabhängig von Krankheiten und Lebenskatastrophen verschiedenster Art. "Es kann der Friedlichste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt", hat Friedrich Schiller schon gewusst. Man kann es mit seiner Willensäußerung, Meinung und Hilfsbereitschaft noch so gut meinen - alles ist umsonst, wenn der andere nicht versteht, nicht verstehen will oder bewusst missversteht.

Der anfänglich seichte Optimismus könnte leicht in Resignation und Pessimismus umkippen, wenn seit Menschengedenken nicht andere Reaktionen hervorträten. Mitten in Grenzerfahrungen treten sie zutage. Der Mensch als Überlebenskünstler ist auf Hoffnung eingestellt - auf eine Hoffnung, die nicht ins Leere geht, sondern sich auf die Macht eines ganz Anderen beruft. Warum läßt Gott - sofern es ihn gibt - Leiden und Katastrophen zu? Warum ist er gerade in Golgathastunden abwesend, wenn man ihn besonders braucht?

Die Erfahrung zeigt, dass gerade in Zeiten der Vergeblichkeit dem Menschen tiefere und ungeahnte Kräfte zuwachsen (können). Dann wird er gehalten und getragen von einer Hoffnung, die das Menschenmögliche überschreitet. Die Zuversicht und innere Gewissheit wachsen, dass des Menschen Tun aufgehoben bleibt in der Macht und Obhut eines ganz Anderen; dass die Hoffnung nicht vergeblich ist. Menschen machen die Erfahrung eines größeren Tiefgangs, eine wachsenden Glaubens und Vertrauens. Gerade in Zeiten der Not wachsen ihm ungeahnte Sichtweisen zu. Er findet zu einer "höheren Berufung und Bestimmung" - zu einer Lebenseinstellung, die auf Wesentliches ausgerichtet ist. Bisher für wesentlich und unverzichtbar gehaltene Interessen und Sachverhalte treten weit in den Hindergrund.

Das meint auch Paulus, wenn er in der Schwäche die eigentliche Stärke des ursprünglichen Konzeptes des Christentums vermutet. In Gott, der sich entäußert und Knechtsgestalt annimmt, entdeckt er den Leitfaden der Schwächung und eigentlichen Kraft (2Kor11-12; Phil2.7). Während Jesus am Kreuz scheitert und Gott sich als ohnmächtig, schwach und fern erweist, entfaltet sich Gottes Weisheit und Kraft. Im Ereignis der Auferstehung vollendet sich alles Unvollendete, wird allmächtig und gewaltig alles Ohnmächtige und Erniedrigte.

Dem Menschen ist es aufgegeben, in der Hoffnung auszuhalten. Dies bedeutet aber kein passives Warten auf das "Jenseits", sondern heißt Praxis der Liebe, sogar der Feindesliebe, bis zum Tag der Vollendung. Dem Menschen ist es aufgegeben, das Gute zu säen. Das Wachsen, Gedeihen und Ernten hat sich ein Anderer vorbehalten. Es liegt in Gottes Hand. Der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder schreibt: "Warum sollte es denn keine Hoffnung über den Tod hinaus geben? Es gibt ja nicht nur die eine Wirklichkeit, die wir oberflächlich wahrnehmen. Unsere Welt ist voller Wunder und Rätsel. Wenn schon eine solche Welt existiert, dann sind die Grenzen zum Unwahrscheinlichen bereits überschritten".
 

 


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