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Gedanken über ZeitenWende - WendeZeiten (VII):
Überall in der Welt: das Kreuz!
März 2005
Die Menschheit wird in regelmäßigen Abständen wach gerüttelt und
erschüttert durch unvorhersehbare katastrophale Ereignisse. Die
Flutkatastrophe im indischen Ozean Weihnachten 2004 kostete mehr als 220.000
Menschen das Leben. Unzählbar ist die Zahl derjenigen, die verletzt wurden,
Traumata erlebten, ihre Eltern und Angehörigen verloren. Deren Hab und Gut
wurde von den Fluten weggespült - ohne dass ein Minimum ihrer
Existenzgrundlage gerettet werden konnte. Hinzu kommen viele andere (Lebens-)
Katastrophen: Stürme, Erdbeben, Überflutungen, Hunger, Pest, Folter und Qual,
Krankheit und Tod ...
Überall und mitten im Leben wiederholt sich die christliche Botschaft vom
Kreuz. Wo gibt es da einen gütigen Gott? Einen Allmächtigen? Einen Gnädigen?
Wo war Gott beim Holocaust des 20.Jahrhunderts? Warum greift er nicht ein
(wenn es ihn gibt)? Nicht nur der Karfreitag - viele Ereignisse im Leben
lassen solche unbeantwortete Fragen aufkommen. Sind sie aus christlicher
Sicht überhaupt zu beantworten?
1. Das Kreuz als Ärgernis oder Zeichen des Sieges?
Schon Paulus hat das Kreuz als ein Ärgernis bezeichnet bei all denen,
die Gottes Weisheit und Kraft nicht verstehen, die in der "Klugheit der
Klugen" verharren. Der Gekreuzigte: "für Juden ein empörendes Ärgernis, für
Heiden eine Torheit", schreibt er (1Kor1.18-24). An einer anderen Stelle
spricht er davon, dass er Verfolgungen erleiden muß. Wenn dem nicht so wäre,
"dann wäre ja das Ärgernis des Kreuzes beseitigt" (Gal.5.11).
Wir wissen bis auf den heutigen Tag, dass es nicht beseitigt ist. Zwar hat es
das Christentum über Jahrhunderte verstanden, das Kreuz eher als ein Zeichen
des Sieges und Triumphes darzustellen, als Sieg über den Tod und alle
Niederlagen. Es hat sozusagen den zweiten Schritt vor dem ersten getan.
Kaiser Konstantin (gest.337) soll vor einer entscheidenden Schlacht das
Zeichen des Kreuzes am Himmel gesehen haben mit dem Hinweis: " In diesem
Zeichen wirst du siegen!" - Tatsächlich folgte eine siegreiche
Ausbreitungsgeschichte des Christentums. Es wurde nicht nur Staatsreligion.
Es verbreitete sich im Laufe der Jahrhunderte in ganz Europa und im vorderen
Orient. Was die "Bekehrung der Heiden" angeht, ging man mit diesen oft wenig
zimperlich um, wenn sie den christlichen Glauben nicht bereitwillig annehmen
wollten. Die Theorie und Praxis der Ausbreitung des "wahren Glaubens" und der
rechtmäßigen Lehre mit Feuer und Schwert haben bis in unsere Zeit hinein
blutige Spuren in Form von Religions- und Bürgerkriegen, gegenseitigen
Anschuldigungen und Verwerfungen hinterlassen. Auf weiten Strecken galt und
gilt bei der Ausbreitung der Lehre von Golgatha der blinde Eifer, "in
Wahrheit" das Paradies auf Erden zu schaffen; das Ergebnis war die Hölle auf
Erden. Im Hintergrund allen religiösen Denkens und Handelns stand immer
wieder die Frage: Was ist Wahrheit und wer "hat" sie?
In der heutigen Zeit - gekennzeichnet durch das Ende des triumphalen
Christentums - tritt das Ärgernis des Kreuzes wieder in den Vordergrund.
Es meldet sich in vielen Lebenslagen. Wie kann man es verarbeiten, verstehen,
interpretieren? Theologen versuchen mit allen möglichen Kunstgriffen, die
Grausamkeit von Ereignissen mit der Lehre vom "gütigen und gerechten Gott" in
Einklang zu bringen. Meistens wird bei aller klugen Gedankenakrobatik die
handfeste Botschaft von Golgatha wenig in Betracht gezogen. Sie lautet:
Da kam vor 2000 Jahren jemand, der das Reich Gottes (= erlösteres Dasein) wie
ein Samenkorn in die Erde zu säen begann. Es war eine unerlöste Welt, in die
er kam. Er erhob nicht den Anspruch, diese in einen paradiesischen Zustand zu
versetzen, wie seine Zeitgenossen es erwarteten. Selbst wenn er es gewollt
hätte - die meisten Menschen gaben ihm dazu keine Gelegenheit. "Er kam in
sein Eigentum, doch die Seinigen nahmen ihn nicht auf". Er war wie ein Licht
in der Dunkelheit; doch die Dunkelheit hat ihn nicht begriffen...(Joh 1).
Man kann bis zum Ende der Welt über die Frage spekulieren, warum gerade die
politisch Mächtigen und religiös Einflussreichen alles taten, um "das Licht"
nicht zum Leuchten kommen zu lassen. Offensichtlich durchkreuzte dieser
"Messias" ihre Interessen und Ambitionen. Durch ihn wurden menschliche
Gedanken und Wichtigkeiten massiv in Frage gestellt. Er hätte mit Macht und
Herrlichkeit auf der Erde Ordnung schaffen müssen - natürlich unter
Einbehaltung der vorhandenen Machtstrukturen. Aber ein Messias, der als ein
Wanderprediger auftrat und als Anwalt der Armen und Schwachen, konnte kein
wirklicher Messias sein. So wurde konsequent alles getan, um den Glauben an
einen solchen Wanderprediger im Keim zu ersticken.
2. Das Kreuz: eine innergeschichtliche Katastrophe.
Golgatha wurde der Ort eines innerweltlichen Scheiterns, einer menschlichen
Katastrophe. Der sie erlitt, wollte die Welt nicht als Welt erlösen, sondern
er wollte ihr einen erlösenden Anfang setzen - was Paulus als "Gottes
Weisheit und Kraft" interpretiert. Andere sprechen in diesem Zusammenhang von
der Grundlegung menschlicher Würde. Der erste Bundespräsident Deutschlands,
Theodor Heuß, sprach nach 1945 von Golgatha als einem Ort, wo das
christliche Denken von Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde seinen
Anfang nahm...
Wieso eigentlich? Weil mitten im menschlichen Scheitern jemand dem treu
blieb, was er als heilsam und erlösend für die Welt verkündet hatte. Er gab
die Liebe nicht auf, nicht seine Wahrheit und Gerechtigkeit, nicht die freie
Entscheidung bis in den Tod. Da hat jemand den aufrechten Gang geübt
und ihn in Würde durchgehalten - allen Widersachern zum Trotz. Er ist zum
Urbild menschlicher Würde überhaupt geworden - ein Vorbild für alle, die
sich durch Gemeinheiten und Böswilligkeiten nicht unterkriegen und besiegen
lassen. Es gibt viele in der christlichen Geschichte, die diesen aufrechten
Gang gegangen sind und das Wagnis des Todes auf sich nahmen. Ihre Namen sind
zahlreich: D. Bonhoeffer, A. Delp, die Geschwister Scholl, die Kämpfer der
"Weißen Rose", die Vertreter des aktiven und passiven Widerstandes...
Der damals am Kreuz starb, hat den Blick für das Wesen der menschlichen
Existenz überhaupt freigegeben. Denn das Schicksal eines jeden Menschen
besteht ja darin, dass er in diese Welt hineingeboren wird, ohne dass er
gefragt wird, wo, wann und wie? Niemand kann sich seine Eltern und
Geschwister aussuchen, seine Verwandtschaft, sein Land und seine Sprache,
seine Kinder - ob sie gesund oder krank, begabt oder behindert zur Welt
kommen- , seine Arbeitskollegen und oft nicht seinen Beruf, seine
Krankheiten, Sorgen, Ängste und Niederlagen. Jede/jeder ist aufgefordert, ob
er es will oder nicht, sich den konkreten Herausforderungen des Lebens
tagtäglich zu stellen. Man kann an ihnen wachsen und innerlich stark werden,
aber auch scheitern und verzweifeln. Man kann seinen Glauben, seinen
ethisch-religiösen Halt darin finden, sich aber auch in die Sinnlosigkeit
hinein verlieren.
Wenn Jesus im Grunde nichts anderes getan hat als ähnliche menschliche
Lebenslagen zu bestehen und in allem Aufrichtigkeit und "Würde" zu bewahren;
wenn er keinen Verrat beging an den Werten, die er als heilsam und erlösend
verkündet hatte, dann hat er auf exemplarische Weise einen Weg beschritten,
den möglichst viele Menschen gehen sollten. Bei allen Widerwärtigkeiten die
Liebe zu üben, die Toleranz, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, die
Gemeinschaft mit anderen, sogar die Feindesliebe - solche Wege im Kleinen und
im Großen führen zu mehr Frieden und Wohlsein in der Welt. Sie bahnen eine
neue erlöstere Schöpfung an, die Jesus visionär im Blick hatte und für
die er sein Leben hingab (Kol 1.12-20).-
3. Das Kreuz: Zeichen der Hoffnung auf außerweltliches Heil.
Solche Texte und Perspektiven könnten zu einem seichten Optimismus
Anlaß geben. Aber die Realität bleibt vielfach eine andere. Maria von
Ebner-Eschenbach hat sie in der Beobachtung zusammengefasst: "Die Liebe
überwindet den Tod... Aber es kommt vor, dass eine kleine üble Gewohnheit die
Liebe überwindet".
Mit diesem Satz ist auf eine banale Weise zum Ausdruck gebracht, dass alle
Bemühungen zum "aufrechten Gang" de facto an vielen Widerwärtigkeiten zu
scheitern drohen. Das Gute ist immer nur sehr begrenzt möglich. Denn der
Mensch, der es versucht, bleibt selbst immer nur Teil einer unerlösten Welt
und Schöpfung. Zudem ist er umgeben von ähnlich begrenzten und beschränkten
Wesen seiner Spezies. Daher kommt es, dass der Wille zu Wahrheit und
Gerechtigkeit, sofern er überhaupt da ist, oft nur ein Vorsatz bleibt und
unter widrigen Umständen nicht zur Erfüllung kommt.
Das Kreuz mitten im Leben signalisiert die Möglichkeit des Scheiterns, des
Versagens, des Nichtgelingens. Alles noch so gut Gemeinte steht im Zeichen
des Ungenügens. Da bestimmen plötzlich Missgunst und Neid, unerwartete
Nachstellungen und Missverständnisse das Alltagsgeschehen - unabhängig von
Krankheiten und Lebenskatastrophen verschiedenster Art. "Es kann der
Friedlichste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht
gefällt", hat Friedrich Schiller schon gewusst. Man kann es mit seiner
Willensäußerung, Meinung und Hilfsbereitschaft noch so gut meinen - alles ist
umsonst, wenn der andere nicht versteht, nicht verstehen will oder bewusst
missversteht.
Der anfänglich seichte Optimismus könnte leicht in Resignation und
Pessimismus umkippen, wenn seit Menschengedenken nicht andere Reaktionen
hervorträten. Mitten in Grenzerfahrungen treten sie zutage. Der Mensch als
Überlebenskünstler ist auf Hoffnung eingestellt - auf eine Hoffnung, die
nicht ins Leere geht, sondern sich auf die Macht eines ganz Anderen beruft.
Warum läßt Gott - sofern es ihn gibt - Leiden und Katastrophen zu? Warum ist
er gerade in Golgathastunden abwesend, wenn man ihn besonders braucht?
Die Erfahrung zeigt, dass gerade in Zeiten der Vergeblichkeit dem Menschen
tiefere und ungeahnte Kräfte zuwachsen (können). Dann wird er gehalten und
getragen von einer Hoffnung, die das Menschenmögliche überschreitet. Die
Zuversicht und innere Gewissheit wachsen, dass des Menschen Tun aufgehoben
bleibt in der Macht und Obhut eines ganz Anderen; dass die Hoffnung nicht
vergeblich ist. Menschen machen die Erfahrung eines größeren Tiefgangs, eine
wachsenden Glaubens und Vertrauens. Gerade in Zeiten der Not wachsen ihm
ungeahnte Sichtweisen zu. Er findet zu einer "höheren Berufung und
Bestimmung" - zu einer Lebenseinstellung, die auf Wesentliches ausgerichtet
ist. Bisher für wesentlich und unverzichtbar gehaltene Interessen und
Sachverhalte treten weit in den Hindergrund.
Das meint auch Paulus, wenn er in der Schwäche die eigentliche
Stärke des ursprünglichen Konzeptes des Christentums vermutet. In Gott,
der sich entäußert und Knechtsgestalt annimmt, entdeckt er den Leitfaden der
Schwächung und eigentlichen Kraft (2Kor11-12; Phil2.7). Während Jesus am
Kreuz scheitert und Gott sich als ohnmächtig, schwach und fern erweist,
entfaltet sich Gottes Weisheit und Kraft. Im Ereignis der Auferstehung
vollendet sich alles Unvollendete, wird allmächtig und gewaltig alles
Ohnmächtige und Erniedrigte.
Dem Menschen ist es aufgegeben, in der Hoffnung auszuhalten. Dies bedeutet
aber kein passives Warten auf das "Jenseits", sondern heißt Praxis der Liebe,
sogar der Feindesliebe, bis zum Tag der Vollendung. Dem Menschen ist es
aufgegeben, das Gute zu säen. Das Wachsen, Gedeihen und Ernten hat sich ein
Anderer vorbehalten. Es liegt in Gottes Hand. Der norwegische Schriftsteller
Jostein Gaarder schreibt: "Warum sollte es denn keine Hoffnung über
den Tod hinaus geben? Es gibt ja nicht nur die eine Wirklichkeit, die wir
oberflächlich wahrnehmen. Unsere Welt ist voller Wunder und Rätsel. Wenn
schon eine solche Welt existiert, dann sind die Grenzen zum
Unwahrscheinlichen bereits überschritten".
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