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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Was ist Religion (5)? :
Dialog- und Gemeinschaftsfähigkeit.

September 2005

Es ist eine Binsenwahrheit, dass sich der Mensch als "ens sociale" nur in Begegnung und Auseinadersetzung mit anderen entwickeln und entfalten kann. Schon das Un- und Neugeborene ist angewiesen auf die seelische und geistige Verfassung seiner Mutter, auf den Kontakt mit ihr, mit dem Vater und den Geschwistern. Später werden andere Bezugspersonen entscheidend und prägend: Lehrer, Erzieher, Priester, Vorbilder beim Sport und anderswo...

Man könnte von einer dreifachen Dynamik sprechen, die in jedem Menschen angelegt ist: erstens die Dynamik der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Diese ist nicht festgelegt und statisch, sondern ist Veränderungen ausgesetzt - je nach Lebenserfahrungen, Erfolgen und Niederlagen. Dabei kann man von wachsenden oder verkümmernden Reifegraden sprechen. - Zweitens jene Dynamik, die von Lebenseinstellungen, Religion und Glaube an Ideen und Weltanschauungen geprägt ist. Auch diese müssen einer dauernden Überprüfung unterliegen; sie verändern sich und reifen im Rahmen der sich ändernden Lebensumstände - ein Postulat, welches umso schwieriger zu verwirklichen ist, je mehr Lehren und Überzeugungen sich zu Dogmen und Gesetzen, zu unveränderbaren Zementblöcken verhärten. "Verhärtet im Gutsein" - hat Thomas v. Aquin bereits diese "Sünde wieder den heiligen Geist" genannt. Bei solchem "Verhärtet-sein" sind menschengemachte "Sicherheiten" nicht mehr für die Menschen da, sondern der Mensch wird zum Sklaven von Buchstaben und Geboten. -

Drittens kann jene Dynamik gefördert oder verhindert werden, die als zu entfaltende Fähigkeit zu Dialog, Gemeinschaft und Zusammenarbeit im Menschen angelegt ist. Die Erfahrung, dass solche Fähigkeit auf weiten Strecken der menschlichen Geschichte nicht gefördert wurde, hat in neuester Zeit das Wort "Dialog" zu einem "Zauberwort" werden lassen; hat sogar dazu geführt, dass "Dialog" zur absoluten Notwendigkeit für eine Menschheit gehört, die sich auf einem "halbkatastrophalen Weg" befindet. "Das, was uns noch retten könnte, weil wir nichts anderes haben, wäre... das Nachdenken über die Religion, die Suche nach Transzendenz, dem Göttlichen jenseits der Erfahrung und ein Gespräch mit den großen Religionen". So schreibt H. G. Gadamar in seinem Buch: "Die Lektion des Jahrhunderts".

Tatsächlich blüht und gedeiht das Geschäft mit dem Dialog in allen Bereichen und auf allen Ebenen. Die Kirche hat auf dem 2. Vatikanischen Konzil sogar eine Vorreiterrolle dabei gespielt. - Die Erfahrung lehrt inzwischen aber auch, dass die Praxis des Dialoges missdeutet und in vieler Hinsicht missbraucht werden kann. Auf dem Berliner "Ökumenischen Kirchentag" (2003) war vom "Weichspülen des Dialoges" die Rede; von einer "interreligiösen Schummelei"; von einer kaum zu verkraftenden Unvereinbarkeit "zwischen Absolutheitsanspruch und Dialogfähigkeit". Konkret gesprochen: Man mache sich äußerlich etwas vor; es könne keine Einheit und Einigkeit geben, solange jeder auf seinem "Wahrheitsanspruch" beharrt. - Die Frage stellt sich: wie könnte es denn anders sein, wenn die "Wahrheitsfrage" als die wichtigste in der Religion angesehen wird? So werden sich die Geister bis zum Ende der Welt wohl streiten (müssen)...

Die Dokumente des 2. Vatikanischen Konzils sind ein Zeugnis dafür. Sie halten die Ergebnisse vieler Dialoge fest. In ihnen finden sich Stimmen und Gegenstimmen, Richtungen und Gegenrichtungen. Bis heute finden die "Konservativen" und "Progressiven", die "Rückständigen" und "Fortschrittlichen" ihre Zitate, ihr Für und Wider an Argumenten und Aktionshilfen. Was auch immer entschieden und getan wird - man kann Meinungen und Gegenmeinungen vom Konzil her immer begründen. Für Positionen findet man immer Belege - auch für gegenteilige. Auf diese Weise lassen sich alle Initiativen und Bemühungen zum Stillstand bringen oder gegenseitig "neutralisieren". Einheitliche Ausrichtungen und plausible Lösungen für die Probleme der Jetztzeit wurden nicht gefunden. Denn die Wirksamkeit der "Dialoge" scheitert an Grabenkämpfen, Rechthabereien, hartnäckigen Verdächtigungen und gegenseitigen Ausgrenzungen. Letztlich scheitern die Dialoge an der Wahrheitsfrage selbst.

Bisweilen könnte man sogar den Verdacht aufkommen lassen, als wäre dieses Scheitern einer bestimmten Gruppe von Drahtziehern sogar sehr recht. Denn wo zwei sich streiten, da freut sich der Dritte. Im alten Rom galt schon der Grundsatz: "Divide et impera!" Um zu herrschen, muß man Zwietracht säen! Solcher Grundsatz macht es leicht, die mühsam erreichten Ergebnisse und Impulse des Konzils zunichte zu machen mit dem Ziel, die vorkonziliare Zeit zu "restaurieren". Während auf der einen Seite also ziemlich ergebnislos - aber auf hohem Niveau - gestritten wird, kann die andere Seite ihre "Restaurationspolitik" ungestört betreiben. Die Tatsache, dass in den letzten Jahrzehnten in den Kirchen rechtsradikale, z. T. fundamentalistische Bewegungen gründlich zum Zuge kommen konnten und weltweit an Einfluss gewannen, ist das Ergebnis einer Kirchenpolitik hinter dem Rücken der Zerstrittenen und kontrovers Diskutierenden.

Wenn man auf Jesus und das Neue Testament schaut, legt sich eine andere Form und Ebene des "Dialoges" nahe. Es handelt sich um einen Dialog auf der Ebene des praktisch gelebten Lebens. Wenn es z.B. über die ersten Christen heißt: "Ihr seid das Licht der Welt; das Salz der Erde" (Mt 5.13-16), dann stellen sich auf Anhieb eine Menge Fragen im Blick auf die christliche Lebensführung Einzelner und auf das christliche Zeugnis der Gemeinden: Wie gehen Christen miteinander um? Wie leben sie ihren Glauben und die Liebe? An welchen "Früchten" kann man sie erkennen? Wie sieht es aus mit Rechthaberei, Dogmatismus, Recht und Gerechtigkeit, Verständnisbereitschaft und Anklage? Wo geschieht Unrecht aus Habsucht, Neid, Eifersucht, Egoismus... und was muss besser gemacht werden? Wo liegen die Fähigkeiten und Grenzen der Einzelnen, die zur Sprache gebracht werden müssen? Weiß sich der Einzelne aufgehoben und "beheimatet"? Gibt es eine Atmosphäre des Vertrauens, in der Menschen offen, ehrlich, ohne Hintergedanken miteinander umgehen lernen?

Was ist in diesem Zusammenhang "Kirche"? Eine Hierarchie; eine "heilige Ordnung" und "Liturgie"; ein tolles (unverständliches) Lehrgebäude? - Oder einfach eine Gemeinschaft oder Gemeinschaften von Menschen, die ihr Leben auf Christus hin orientieren, dieses entsprechend in Sprache und Festlichkeit zum Ausdruck bringen? Ein kaum verständlich zu machender "mystischer Leib" oder eine Gemeinschaft von Gläubigen, die sich nicht so sehr eine "frohe Botschaft" einreden lassen als vielmehr um den steinigen, dornenvollen Weg wissen, den es zu gehen gilt? Schließlich ist die "Fortsetzung der Worte und Taten Jesu in der jeweiligen Lebens- und Geschichtssituation" eine mühselige Angelegenheit. Nicht von ungefähr suchen auch Christen immer wieder die Ausflucht in vollmundige Wahrheitsansprüche, aufwendige Masseninszenierungen und exotisch-barocke Selbstdarstellungen.

Wo Christen in der Konkretheit des Lebens und ihrer Erfahrungen miteinander ins Gespräch kommen, da hört der Glaube auf, Spekulation zu sein. Er nimmt handfeste Gestalt an im Sinne des Gebens und Nehmens, der Öffnung und der Distanz, der gegenseitigen Anerkennung und des Miteinander-Lernes. Er wird so etwas wie "Sauerteig", der dem Leben prägenden Inhalt, Würze und Sinn gibt. Er wird zum tragenden Grund, der das Leben bestimmt, der wie ein Fundament ist, auf dem gemeinsame Überzeugungen und Lebenshaltungen wachsen können.

Der Philosoph Nicolai Hartmann hat einmal über die "gestaltende Kraft der Persönlichkeit" etwas geschrieben, was auch als Richtlinien für die christlichen Gemeinden dienen könnte. Er schreibt: "Was wir im Leben eine starke, ein große, eine mächtige Persönlichkeit nennen, das ist eine solche, deren Bannkreis gestaltende Kraft hat und anderen Persönlichkeiten Lebensfülle verleiht. Es brauchen nicht notwendig die Willensstarken zu sein, die den stärksten Bann ausüben und die größte gestaltende Kraft entwickeln. Auch die Stillen, die Innerlichen, Sinnigen, wenn sie nur innerlich, rege, erlebnisstark sind, greifen als bestimmende Macht über sich hinaus und geben Gepräge dem, was der Prägung fähig ist". -

Den christlichen Gemeinden, denen "Sauerteig" zu sein aufgetragen ist, könnte man dem entsprechend ins Stammbuch schreiben: nicht diejenigen mit großer Selbsteinschätzung und Einbildungskraft haben Ausstrahlungskraft; nicht von vorne herein die kirchlichen Amtsträger, die in ihren Palästen aus Stein und theologischen Kenntnissen wohnen; nicht diejenigen, die viele Bücher gelesen und geschrieben haben, die feierliche Liturgien zelebrieren und religiöse "Events" organisieren; die dauernd Papiere produzieren und als Viel- und Besserwisser am laufenden Band "kirchliche Angebote" unters Volk zu bringen versuchen... Meistens sind es eher die Einfachen, Schwachen, Mühseligen und Beladenen, die auf unaufdringliche, fast unbeabsichtigte Weise in ihrem Alltag "christliche Lebenshaltungen" zum Tragen kommen lassen. Es sind die Mütter, Väter, Omas und Opas, die im Leben selbst zum Substantiellen und Wesentlichen vorgedrungen sind. Wer so Glaube, Hoffnung und Liebe zu leben gelernt hat, wird Bereiter und Vorbereiter dessen sein, was "Zukunft" heißt. Besonders für die kopflastigen christlichen Kirchen Europas wird es von entscheidender Bedeutung sein, ob es ihnen gelingt, statt zu indoktrinieren zu kommunizieren; statt zu belehren gemeinsam zu suchen und zu finden; statt Realitäten zu ignorieren und schön zu reden die faktischen Verhältnisse zu erhellen und auf die persönliche "Wahrheit" hin zu befragen.
 


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