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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Sonntagsgedanken für den Alltag (10):
Thomas der Zweifler. Er hätte bei Johannes Paul II. keine Chance gehabt.

(Nach Joh. 20.19-31; Ev. vom 2. Sonntag der Osterzeit A)

Mai 2011

Der Evangelist Johannes schildert den Zweifler Thomas mit großer Sympathie und Rücksichtnahme. Damals, in der Zeit nach Ostern, setzte sich in der Jüngerschaft Jesu der Glaube an die Auferstehung durch. Viele behaupteten, Jesus lebendig begegnet zu sein. Es gehörte viel Mut dazu, in dieser Situation zu sagen: Ich glaube es nicht! Ich werde erst glauben, wenn ich meine Finger in seine Seite legen darf.

Jesus gewährt ihm diesen anmaßenden (?) Wunsch. Offensichtlich liebte er diesen Zweifler, Grübler, Denker, Hinterfrager..., der sich mit fertigen Antworten und Behauptungen nur schwer zufrieden geben wollte. Wie sich in der Nachfolgezeit bis heute herausgestellt hat, haben solche Denker den Glauben, die Kirche und überhaupt die Weltgeschichte vorangebracht, jedenfalls mehr als Eingesessene und Etablierte, die stets über jeden Zweifel erhaben sind.

Das Evangelium vom Thomas passt gut zum heutigen Tag der Seligsprechung von Johannes Paul II (1. Mai 2011). Er wird als "Jahrhundertpapst" gefeiert, als "Papst der Superlative". Für die Polen ist er der Größte aller Zeiten. Tausende von Touristen, die in Rom zusammenströmen, nehmen Teil an ihrer Festlichkeit. Johannes Paul II. hat in seiner Amtszeit 247.613 km mit dem Flugzeug zurückgelegt und 128 Länder besucht; er hat 1338 "Vorbilder im Glauben" selig und 483 heilig gesprochen. Obwohl er nicht politisch, sondern pastoral tätig sein wollte, hat er der Gewerkschaft Solidarnosc zum Durchbruch verholfen, zur Zerschlagung des Warschauer Paktes beigetragen und dem maroden kommunistischen System den Todesstoß versetzt. Seine Rolle, die er bei allem spielte, hat er selbst so beschrieben: "Ich habe das nicht veranlasst. Der Baum war schon in seinem Inneren verfault. Ich habe ihn nur ordentlich geschüttelt, und dabei sind die verfaulten Äpfel heruntergefallen".

Das Jahr 2000 sollte für ihn zum Wendejahr für die Kirche werden. In "Dominus Jesus" heißt es, das volle Heil finde sich nur im Christentum, andere Religionen seien "schwer defizitär" – eine Überzeugung, die ihn nicht davon abgehalten hat, deren Führer 1986 und 2002 zu interreligiösen Treffen nach Assisi einzuladen.

Wie immer bei "Events" und Massenkundgebungen die Gefahr besteht, so auch hier: Tatsachen werden verschwiegen. So auch am Tag der Seligsprechung. Es werden alle seine großen Verdienste hervorgehoben, um bei den Massen den Eindruck makelloser Heiligkeit zu erwecken. Seine unübersehbaren Schwächen werden verdrängt: sein gebrochenes Verhältnis zur Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen, lebend in einer "Kultur des Todes". Statt Menschen in ihrem Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung Brücken zu bauen, sie zu "läutern" und sie zu Werten hinzuführen – blieben seine strenge Sexualmoral, sein abwertendes und entwürdigendes Urteil über Homosexuelle, sein Verbot über den Gebrauch von Kondomen, selbst wenn Aidsgefahr besteht...

Die schwarz-weiß-Malerei war ihm eigen. Hier das kirchliche Heil – dort das säkularisierte Unheil, obwohl er selbst davon profitierte. Thomas, der Zweifler, hätte bei ihm keine Chancen gehabt. Er ist auf seinen Reisen vielen solcher "Zweifler" begegnet. Diese waren sich des Weges der Kirche in der Welt von heute und morgen nicht mehr sicher. Dazu gehörten selbst Päpste: Johannes XXIII., Paul VI.; ebenso viele Kardinäle, Bischöfe und Theologen rund um den Globus. Er, der über alle Zweifel erhaben war, hat alle Zweifler und Hinterfrager mundtot gemacht. Offensichtlich war er sich des "polnischen Weges" für die gesamte Christenheit absolut sicher, ebenso wie sein "Lebensbegleiter", Benedikt XVI. Das seltsame geschichtliche Paradox besteht allerdings darin, dass unter der Regentschaft von beiden, die strikt auf theologische und kirchenrechtliche Sicherheiten bedacht waren, die christlichen Sicherheiten von einer wachsenden Mehrheit immer mehr infrage gestellt werden. Sie, die auf die Zukunft aus waren, haben, statt Fortschritte bei der Bewältigung der Kirchenkrise zu machen, verhängnisvolle Rückschritte in eine Vergangenheit gemacht, die es seit 100 Jahren schon nicht mehr gibt.

Johannes Paul II. hätte ein Zukunftspapst werden können. Aber er wusste es besser als seine unmittelbaren Vorgänger und als diejenigen Kleriker und Laien, die sich ernsthaft Gedanken machten. Durch ihn sind Lernprozesse seit der Würzburger Synode, seit der afrikanischen und lateinamerikanischen Theologie abrupt zunichte gemacht worden. Wenn heute weltweit Tausende Katholiken der Kirche enttäuscht und demotiviert den Rücken kehren, liegt das wesentlich an der Politik des heute Seliggesprochenen.

Wenn Jesus gegenüber dem Thomas und vielen anderen ein ganz anderes Verhalten zeigte, dann machte er deutlich, dass jeder Mensch mit seinen guten und weniger guten Eigenschaften wichtig bleibt für das, was er das "Schon-Jetzt" des Reiches Gottes nannte. Bei diesem "Schon-Jetzt" ist die Einübung in die gegenseitige Liebe, Toleranz und Akzeptanz um des Friedens und der Gerechtigkeit willen stets gefragt.

Führende Kirchenleute haben sich seit Jahrhunderten an andere Prioritäten gewöhnt: es gilt, das im Mittelalter gewordene "heilige System Kirche" mit ihren Hierarchien, klerikalen Strukturen und Privilegien um jeden Preis zu retten. Dabei ist jeder willkommen, der sich auf Seilschaften und interne Machenschaften einlässt. Andere, die sich auch nur annähernd wie der Zweifler Thomas verhalten, bleiben draußen vor der Tür. Das wird so lange der Fall bleiben, bis diejenigen, die jetzt "drin" sind, sich draußen vor der Tür befinden. Die Zeiten stehen in dieser Weise auf Sturm. Man kann auf künftige Entwicklungen gespannt sein.

Für den heutigen Tag steht jedenfalls fest: Die von Menschen gemachten Seligen und Heiligen sind weit von der Vollkommenheit entfernt, von der Jesus in der Bergpredigt gesprochen hat: "Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt 5.48). Massenkundgebungen sind mit Vorsicht zu genießen!


Letzte SeitenÄnderung: 13.04.2011.
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