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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Selbstsicherheiten gesucht. Bitte nicht stören!

26. Sonntag im Jahreskreis (Lk. 16, 19-31), 1999

Zielsatz: Lazarusse sind Störenfriede, die man gerne übersieht. Dennoch: Wer sie verpasst, verpasst sich selbst.

1. Lebemenschen scheuen die Wirklichkeit wie der Teufel das Weihwasser.

Ich erinnere mich an ein makaberes Bild in einer Elendsstrasse Bahias. Ein Kunsthistoriker zeigte einer europäischen Reisegruppe Barockfassaden aus der Kolonialzeit. Er erklärte ihnen den Stuck, verwies auf die Schönheit der Putten und datierte sie. Seine ganze Erzählung erweckte den Eindruck einer glanzvollen europäischen Vergangenheit.

Unten auf der Strasse saßen kranke, verhungernde und zerlumpte Menschen. Ausgemergelte Kindergesichter streckten ihre dürren Ärmchen den Fremden entgegen. Sie baten um ein Stück Brot oder eine sonstige kleine Gabe. Aber die Touristen nahmen sie kaum oder gar nicht wahr. Ihr Blickpunkt war auf das Ästhetische und Künstlerische gerichtet; ihre Gedanken wanderten in einer Zeit, die anscheinend ohne Fehl und Tadel gewesen war und geeignet, das Gefühl des Nostalgischen an längst vergangene Zeiten zu nähren.

In den letzten Wochen war in den Massenmedien oft vom Millionenheer der Europäer die Rede, die als Urlauber und Touristen in den fernen, exotischen Ländern jenseits der Meere unterwegs waren. Auch von den Deutschen, die am meisten Geld für ihre Ferien ausgeben und denen am meisten Freizeit dafür zur Verfügung steht. Sie wollten heraus aus dem Alltag. In modernen Touristenhotels, auf Safaris und an weißen Stränden wollten sie das in Werbeprospekten versprochene "Urlaubsparadies" genießen. Die meisten merkten wahrscheinlich gar nicht, dass sie sich in einem der ärmsten Länder der Erde befanden. Sie wollten auch nicht wissen, dass für die "Einheimischen" das glasklare saubere Wasser nicht zur Verfügung stand, welches für ihr Duschen und Waschen reichlich vorhanden war. Sicherlich sahen sie auch nicht, dass ein paar hundert Meter weiter der Fluss vergiftet war, in dem die Fische starben. Auch nicht die Täler, die vom Wohlstandsmüll der Urlauber zugekippt waren. Wie hätten sie das alles "realisieren" können? Das Urlaubsparadies folgt anderen Gesetzen und Interessen. Es war auf "Ruhe", Erholung und Unterhaltung aus. Es war ausgerichtet nach einem Motto, welches neulich aus Anlass der Eröffnung eines Freizeitparks auf einem Plakat zu sehen war: "Andere reden vom Paradies, wir machen es".

2. Atemlos gelangweilt.

So hat ein Zukunftsforscher "Lebemenschen" charakterisiert. Das heutige Evangelium schildert uns einen. Vielleicht hat er den "armen Larzarus" auch nicht gesehen. Denn ein Fest mit vielen Gästen feiern - das erfordert die ganze Aufmerksamkeit des Gastgebers. Schließlich muss er dafür sorgen bzw. die notwendigen Anweisungen geben, dass alle genug zu essen und zu trinken haben. Auch für Unterhaltung muss gesorgt sein. Sehr "stimmig" muss alles verlaufen. Zudem haben die Tischgenossen beim Gaumenfest den ersten Anspruch auf seine Gesellschaft.

Das Evangelium schildert, dass der reiche Prasser auf eine seltsame Weise arm war. Vielleicht ist es ihm gegangen wie manchen Urlaubern in ihren Ferienparadiesen. Jedenfalls wollen Untersuchungen immer wieder wissen, dass viele recht zufrieden und erholt aus ihren Urlaub zurück kommen. Sehr viele aber nicht. Das Liegen am Strand, das Faulenzen an den Bars, die Dauerberieselung durch Musik und Unterhaltung im Kurhotel, die Spaziergänge und Fahrten ins Land können sehr stressig und ärgerlich sein. Sie lassen am dritten Tag bereits die Langeweile aufkommen. Wer viel beschäftigt wird, ohne sich selbst beschäftigen zu können - dem wird das Leben leicht zur Qual. Vielbeschäftigte leben oft in der Angst vor Langeweile. Das treibt sie mit ihren Wünschen in Extreme. Äußerlich werden sie dabei "reich".

Menschen können auf sehr unterschiedliche Weise "reich" sein: reich an materiellen Gütern, an Ideen und Selbstreflektion, an Kultur und Wissenschaft, an Religion und Weltanschauung. Ihre Armut bzw. ihre Sünde bestehen darin, dass sie ihre Gaben für sich selbst beanspruchen und nicht als Aufgaben für andere erkennen. Sie schaffen sich ihre eigenen Welten und "Sicherheiten", in denen es einem gut geht. Allzu oft verkennen sie dabei, dass zu jeder gesunden Ich-Entwicklung das Du gehört; dass es keine Selbstzufriedenheit auf Dauer geben kann, wenn die Welt rundherum nicht in Ordnung ist.

Im Denken des Evangeliums ist der Einzelne nie für sich selber da. Jeder Reichtum ist zunächst einmal das Eigentum Gottes. Der Einzelne mit seinen Gaben und Fähigkeiten ist niemals "Besitzer", sondern Verwalter, der nichts nach eigenem Gutdünken zu bestimmen hat. Wer nicht zum Segen für andere wird, hört bald auf, sich selbst ein Segen zu sein. Seine Gabe wird zu einem ins Erdreich vergrabenen Schatz; sein Leben ein blühender Unsinn, weil ohne "Früchte" und ohne "Ernte".

3. Lazarusse sind Störenfriede, von Gott gesandt.

Man könnte den Reichtum beschreiben als eine menschliche Haltung, die auf Selbstsicherheit bedacht ist, auf eigenes Wohlsein, auf Selbstverwirklichung und Zufriedenheit um jeden Preis. Damit verbündet sich die Kunst der Verdrängung und Ablenkung von allem, was an Leid, Schmerz, Tod und Unangenehmen die Pläne durchkreuzen könnte. Das Evangelium sagt: Mose und die Propheten bringen es nicht fertig, solche falschen Sicherheiten zu zerstören. Wenn Lebemenschen aber noch nicht einmal auf diese hören, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.

Auch Zeichen aus dem Jenseits bewirken keine Umkehr bei den Reichen. Das Evangelium legt das Schwergewicht auf das Hier und Heute. Immer sind es die Lazarusse, die plötzlich vor der Türe liegen. Sie haben viele Namen und viele Gesichter: das schreiende Kind, der zänkische Nachbar, der einsame Kranke. Immer sind sie eine Herausforderung, sie wahrzunehmen und so oder so reagieren zu lernen: in eigener Verantwortung, in eigener Kompetenz, mit eigenem Gewissen. Wer in solchen "Lazarussen" eine Aufforderung Gottes erkennt, der kann den Sinn des Lebens für sich selber finden. Schließlich kann er sogar Gott im Leben begegnen, indem er dabei innere Kraft, Ermutigung und Festigkeit erfährt.

Lazarusse sind immer Störenfriede. Sie treten als ungewollte Besucher und unerwartete Ereignisse ins Leben. Manche werden dabei Meister des Verdrängens, manche geraten in Panik. Sich auf nichts einlassen, um nicht noch in ein "Helfersyndrom" zu verfallen, heißt darum die Devise. Oder man verschiebt es auf morgen. Zuerst gilt es, seine eigenen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen und zu halten. Danach ist dann immer noch Zeit. So wird immer wieder verschoben. Denn es stellt sich heraus, dass der Morgen auch schon ausgefüllt ist: mit Beruf, Reisen, mit Bildern, Zeitungen, Radiosendungen und Ansprachen.

Es gibt viele Antworten auf die Frage, wie religiöse Menschen es lernen müssen, den Herausforderungen des Lebens gewachsen zu sein, auch dann, wenn diese unangenehm und unbequem sind. Oft bildet sich die Neigung zu "frommen Sprüchen". Oder man greift zur Religion als "Opium fürs Volk". In Alt-Israel entstand auf diesem Boden die Hoffnung auf den (später kommenden) Messias. Das Evangelium vertieft und erweitert diese Sichtweise. Die Verachtung der Armen im Hier und Heute wird der Verachtung Gottes gleichgesetzt. Deshalb wird eine Zeit kommen, in der die Armen getröstet werden und die Reichen leer ausgehen (Lk. 6, 20+24). Das himmlische Festmahl ist nur für die bereitet, die zur Umkehr fähig sind und die es gelernt haben dem Ruf des Evangeliums zu folgen.


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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