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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Gemeinde im Aufbruch

Wiesbaden, 31.03. - 01.04.2001

1. Es fängt mit einer Selbstbesinnungsphase an

Eigentlich würde ich lieber sagen: "Christen in einer Selbstbesinnungsphase". Denn was "Gemeinde" ist, lässt sich schwer definieren. Christen wohnen irgendwo oder ziehen in ein bestimmtes Wohngebiet. Dann heißt es: dieses Territorium gehört zur Gemeinde "Maria Aufnahme" oder ähnlich. Noch bevor sich die Christen kennen oder Kontakt miteinander aufgenommen haben - manche wollen ihn gar nicht oder sind es nicht gewohnt, Kontakte zu pflegen - , werden sie doch einer Gemeinde zugeordnet. Bei bestimmten Anlässen wie Taufe, Firmung, Eheschließung... muss der Einzelne sich dessen bewusst werden. Ansonsten haben Christen oft mehr freundschaftliche und berufliche Kontakte über Gemeindegrenzen hinaus. Was ist also "Gemeinde"? Ein Ort der Zusammengehörigkeit, der Vertrautheit, der gemeinsamen Lebensausrichtung? -

Während "Gemeinde" ein recht unklarer Begriff ist und von "Aufbruch" schwerlich die Rede sein kann, gibt es in den heutigen gesellschaftlichen Umbruchsituationen doch viele "Christen im Aufbruch". Meist geht es ihnen um den Erhalt fundamentaler christlicher Inhalte und Lebenswerte, die zum eigenen Leben verhelfen --weniger zunächst um "Gemeinde". Die Erfahrung zeigt und scheint gerade in den banalen Alltagserfahrungen ins Bewußtsein zu heben, dass der Mensch nicht vom Brot allein leben kann. Er braucht Sinn und Lebensorientierung. Er braucht Menschen, die etwas verkörpern und Beispielhaftes tun. Ob gesuchte Werte "Liebe" heißen oder "Toleranz", Gerechtigkeit oder Klugheit, Lebensbewältigung oder Hoffnungsperspektiven, Tüchtigkeit im Leben oder Solidarität mit anderen - "Werte", die das Leben lebenswert und tragfähig machen, sind gefragt. Sie sind im Strom der Zeit wie "Strohhalme", an denen man sich festmachen, wie Wurzeln, aus denen heraus sinnvolles Leben zustande kommen kann. Christen müssen sich also ihres "Wertekataloges" bewusst werden und dabei "Gemeinde" werden.

2. Orientierung an "exemplarischen Menschen"

Menschen der Vergangenheit und Gegenwart nach dem befragt, was sie am meisten im Leben geprägt, beeinflußt, lebenstüchtig oder depressiv gemacht hat, weisen gewöhnlich auf Kontaktpersonen hin, die Einfluß auf sie hatten. Da war die übernervöse oder sorgende Mutter, der sehr autoritäre oder verstehende Vater, der barsche oder der aufbauende Lehrer, der moralisierende oder menschenfreundliche Priester. Meistens gehen die Erfahrungen mit Bezugspersonen schon während der Kindheit ins Gottesbild ein. Dann wird Gott auch als "sehr autoritär" oder verstehend, strafend oder verzeihend-liebend verstanden. Auch das Kirchen- und Weltverständnis werden davon geprägt. Je nach persönlichen Erfahrungen beurteilen wir die Welt, kirchliche Verhältnisse, Autoritäten und Weisungen so oder so. Nicht nur in der Pubertätszeit heißen die Reaktionsweisen "Abnabelung", Distanzierung, scharfe Kritik oder Verständnis, Bejahung, Akzeptanz...

Christen müssen sich in ihren Gesprächen ehrlich und offen auf unterschiedlichste Erfahrungen einlassen. Sie müssen den Mut und das Vertrauen zueinander aufbringen, alles Erlebte und Erfahrene zur Sprache zu bringen, aufzuarbeiten, zu "verdauen", Abstand davon zu bekommen. Erst dadurch werden wir frei für zwei entscheidende Fragen:
1. Wer bin ich selbst? Welche Fähigkeiten, Gaben, Charismen... hat Gott jedem von uns mit auf den Lebensweg gegeben? Welche Grenzen sind damit verbunden? Wie und wo ist jede/jeder von uns ergänzungsbedürftig durch andere? Wie können wir so zueinander finden und gemeinsam - im Geist des Evangeliums - Leben und Welt gestalten?
2. Wer ist das eigentlich: Gott? Wer war Jesus wirklich? In welchen Lebenssituationen hat er gestanden? Inwiefern ist das, was er gesagt und getan hat, hilfreich für die Bewältigung heutiger Lebensprobleme und Aufgaben? Wie können die Worte und Taten Jesu durch uns weitergehen?

3. "Gemeinde" ist nicht etwas Vor-Gegebenes, sondern etwas Auf-Gegebenes. Sie "ist" nicht, sondern ist ein ständiges "Werden".

Im Christentum hat es einmal so etwas wie eine "Dynamik des Anfangs" gegeben. Diese Dynamik wurde im Laufe von 2000 Jahren immer wieder gebremst und durch Versagensgeschichten vereitelt. Es hat aber auch immer wieder erstaunliche Aufbrüche gegeben. Manchmal gingen sie von Heiligen, Reformatoren und Ordensgründern aus; manchmal kamen sie durch den Mut und die Beständigkeit des "ungebildeten Volkes" zustande; gelegentlich sogar durch Priester und Päpste. Könnte so etwas wieder möglich werden - auch in unserer Zeit, in unseren Gemeinden? Man kann "Erneuerung" und "Aufbruch" nicht herbeireden, auch nicht "begeistert" beschwören in Sonntagsreden, die am nächsten Werktag wieder vergessen sind. Dennoch: es gibt sie. Es kann sie zu jeder Zeit und an jeden Ort geben. Einige Voraussetzungen möchte ich nennen, die dafür wichtig sind:

  • Orientierung am Gründer. Wer war Jesus wirklich? Was hat er gewollt, getan? Wieso ist er für uns so wichtig?
  • Orientierung an Heiligen und Helden, die auf zeitgemäße Weise die Anliegen Jesu deutlich machen. Erinnert sei an EDITH STEIN, HELDER CAMARA, A. SCHWEITZER, M. L. KING, MUTTER TERESA und andere. Es können auch eigene Eltern, Freunde, Bekannte sein, also wichtige Bezugspersonen.
  • Orientierung an den eigenen Begabungen und Kräften, die in uns schlummern und "wach" werden müssen. Sie sind wie Gras, welches die Frühlingssonne - sprich "Gemeinde" - zum Leben erweckt. Gemeinde muss Personwerdung ermöglichen!
  • Zusammenspiel der Kräfte. Da gilt nicht: "mit dem eigenen Kopf durch die Wand", sondern "wir alle gemeinsam", die wir die konkreten Aufgaben des Lebens zu sehen und zu bewältigen haben (in Ehe, Familie, Kirche, Gesellschaft, Berufswelt). Austausch über alles, was Leben und Glauben erfreulich oder bedrohlich macht, ist extrem wichtig.
  • Vertrauen und Hoffnung auf den, der die Sonne aufgehen läßt über alles, was für Menschen heilsam und erlösend ist. Wenn durch Christen die Worte und Taten Jesu weitergehen, jeweils auf den "Stand", auf den "Punkt" gebracht werden, können Gemeinden so etwas "wahr" machen, was das Evangelium als "Licht der Welt", als Salz der Erde bezeichnet.
     

Wenn ein "Aufbruch" in Gemeinden und christlichen Zusammenkünften wieder möglich werden soll, müssen sich die Betroffenen sehr auf sich selbst verlassen lernen - auf den Geist Gottes und auf die Gaben, die er schenkt. Weisungen "von oben" sind dabei immer nur bedingt hilfreich. Gott will uns Christen nicht als Sklaven und Befehlsempfänger, sondern als Freiwillige und Verantwortliche, die für ihre eigene Lebenswelt den Willen Gottes zu erforschen und nachzuvollziehen bemüht sind.


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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