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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Gedankenanstöße zum Thema:
Gemeinden ohne Priester.

undatiert

1. Wie schon lange nicht mehr, leben wir heute in einer Zeit des weltweiten christlichen Zurück zu den Quellen des Evangeliums, des Zurück zum Ursprung dessen, was Jesus gesagt und getan hat - nicht in dem Sinne, als könnten über Nacht 2000 Jahre "Tradition" annuliert und rückgängig gemacht werden; wohl aber in dem Sinne, daß nach der elementaren Kraft und Dynamik des Anfangs gefahndet wird, um es für das Heute der Christenheit wieder fruchtbar zu machen.

2. Das erste fundamentale Ergebnis des Umgangs mit dem Ürsprünglichen scheint die Erkenntnis zu sein, daß das Christentum - von seinem Gründer Jesus Christus her - nicht als ein System oder als konkurrierende Systeme von "objektiven" Lehrmeinungen und unfehlbaren Lehrsätzen, nicht als ein absolutes Moralsystem, nicht als ein Gesetzes- oder Kirchenautoritätsglaube zu verstehen ist, sondern als eine impulsgebende Kraft für allein und gemeinsam verantwortete Lebensgestaltung im Sinne des Heilshandelns Jesu an den Menschen und an der Welt; als Lebensmeisterung unter den Imperativen der Liebe und größeren Gerechtigkeit; als Hoffnungsversuche über das Diesseits hinaus; als konkretes schon-jetzt des Tuns der Wahrheit, welches wie Samenkörner das Wachsen des Reiches Gottes auf seine zukünftige Vollendung hin eröffnet. Um Licht der Welt und Salz der Erde sein zu können, geht es primär um die Nachfolge Christi, d.h. um die Fortsetzung der menschenbezogenen und situationsgemäßen Worte und Taten Jesu, erst sekundär um Ämter, Kirchenstrukturen, Riten und Liturgien. Bei Paulus z.B. haben die Weitergabe des Evangeliums und der Aufbau der Gemeinden absolute Priorität. Um Beides zu sichern, war es für ihn unverzichtbar, daß die in den Gemeinden vorhandenen Gottgegebenen Charismen voll zum Zuge kamen. Auch das Leitungsamt war für ihn ein Charisma, welches von keinem ausgeübt werden durfte, der dieses Charisma nicht hat. Den mit bestimmten Gottesgaben Ausgestatteten wurden die Hände aufgelegt: zur Leitung bestellt und zum Vorsitz beim Liebesmahl.

3. Wo innerhalb des ersten Jahrtausends die Hauptsache mehr oder weniger Hauptsache blieb, entwickelte sich eine große Freiheit und Offenheit für die Schaffung von Ämtern, christlichen Lebensformen und "Theologien" (siehe Patriarchatskirchen). Diese Freiheit zeigt sich bereits mannigfaltig im NT:

  • in der Wahl der Apostel durch Jesus, die keine theologischen Fachleute waren, sondern Fischer, Handwerker, Menschen guten Willens...
  • in 1Tim 3,1ff und Tit 1,5-9, wo von der Einsetzung geeigneter Vorsteher und Bischöfe die Rede ist. Sie müssen im Leben der Gemeinschaft, in Ehe und Familie bewährte Leute sein!
  • in 1 Kor 12, wo die Bündelung und Inanspruchnahme vieler Charismen durch wenige scharf abgelehnt wird. Denn Gemeinde kann nur gelingen, wo die vielen von Gott gegebenen Charismen zum Zuge kommen. Wo Vielheit, da ist der Dienst an der Einheit nötig. Wo keine Vielheit, da erübrigt sich der Dienst an der Einheit oder er wird zur bloßen Farce.
  • in der Vielgestaltigkeit der urchristlichen Gemeinden selbst. Da begegnen uns nämlich zahlreiche weibliche Mitarbeiter in Christus Jesus (Röm. 16,3), Mitkämpferinnen für das Evangelium (Phil 4,2f) oder sich Abmühende im Herrn (Röm. 6,12) sowie weibliche Diakone (Röm. 16,1f), Leiterinnen von Hauskirchen (Kol 4.15, Röm 16,3-5) und sogar ein weiblicher Apostel namens Junia (Röm. 16,7).
  • "Paulus sieht keinen Grund, gegen das gleichberechtigte Auftreten von Frauen und Männern im Gottesdienst anzugehen, er regelt lediglich bestimmte Äußerlichkeiten" (H. Gollinger).
  • Die Leitung der Eucharistiefeiern war in den paulinischen Gemeinden Sache des "Hausvaters", in dessen Räumen die Feier stattfand. Dabei darf mit "größter Wahrscheinlichkeit" angenommen werden, daß "in der christlichen Urzeit auch Frauen innerhalb des Gottesdienstes in vollem Unfang gleichberechtigt neben den Männern tätig gewesen sind" (J. Blank).
  • Für eine strenge Notwendigkeit, für den Vorsitz bei der Eucharistiefeier eine eigene sakrale "Weihe" mit einer besonderen Konsekrationsvollmacht über Brot und Wein zu erhalten, gibt es in den frühchristlichen Zeugnissen keinen Anhaltspunkt. Die Idee eines "geistlichen Standes" mit besonderer sakramentaler "Weihegnade", mit einem qualifizierten Führungsanspruch, mit der Ausstattung heilsvermittlerischer Vollmacht, läßt sich unter Berufung auf das Neue Testament nicht begründen. "Das Neue Testament kennt weder geweihte Personen noch eigene Kultorte, weder Opferhandlungen noch heilige Zeiten der Christen" (R. Pesch).
     

4. Solche und ähnliche "Befunde" werfen eine Fülle von Fragen auf:
- im Blick auf die wachsende Zahl der priesterlosen Gemeinden. Unter ihnen gibt es eine ganze Anzahl (d.h. nicht automatisch alle!), die bewährte Männer und Frauen vorzuweisen haben und die etwas schöpferisch Neues aus ihrer "Lage" zu machen imstande sind. Solche bewährten Christen müßten ausfindig gemacht und zur Leitung der Gemeinde wie auch durch Weihe und Handauflegung zur Spendung aller Sakramente bevollmächtigt werden - naturgemäß mit der Zustimmung der Gemeinde und des Bischofs und auch erst nach einer praxisnahen theologischen Vorbereitung für ihre Aufgaben. Wie gesagt: einige ausgewählte Gemeinden sollten hier Pionierarbeit leisten und Erfahrungen sammeln können, ohne daß gleich am Anfang in perfekter Manier Entscheidungen für alle anvisiert werden.

  • im Blick auf Krankenbegleitung und -Seelsorge.
    In Krankenhäusern und anderen Einrichtungen gibt es viele Erprobte, die in diesem Bereich wichtige Erfahrungen gesammelt haben und auch in der Lage sind, zu Kranken und Sterbenden ein sehr vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Anstatt wie früher einen fremden "Blaulichtpriester" für Beichte und Krankensalbung einfliegen zu müssen, sollte das Vertrauensverhältnis zu den Kranken auch sakramental gefeiert werden können durch die, die im Laufe der Zeit Kontakt- und Vertrauenspersonen geworden sind.
  • im Blick auf Gesprächsgruppen, Bibel- und Familienkreise Vereine, Initiativgruppen verschiedenster Art, auch Schulklassen.
    Auch diese bieten sich gelegentlich an als natürlich gewachsene "Kirchen im Kleinen". Was hier an menschlichem Potential wächst und zu wachsen fähig ist, sollte eine Bestätigung und christliche Vertiefung auch dadurch erfahren, daß Vertrauensleute mit Vollmachten ausgestattet werden, die früher dem Klerus allein vorbehalten waren. Denn "Kirche" ist schließlich überall dort, wo Menschen in Seinem Namen sich versammeln und gemeinsam christliche Lebensorientierung suchen. So kann eine menschennahe und menschenorientierte Kirche neu wachsen.
  • im Blick auf die Sakramentspendungen in den herkömmlichen Pfarreien.
    Wenn es zum Beispiel bewährte Personen oder Gruppen gibt, die Kontakt aufnehmen mit Eltern, die ihre Kinder taufen lassen möchten; wenn Christen schon aus Freundschaft und Gewohnheit heraus kranke Nachbarn besuchen; wenn Sterbefälle ins Haus stehen und Christen der Gemeinde die Trauernden gut kennen...., dann sollten solche mündige Laien auch konsequent mit Vollmachten zur Taufe, zur Kankenkommunion und -salbung, zum Beerdigen ausgestattet werden nach dem Motto: Christen untereinander sind sich immer selbst die Nächsten.

Solche pastoralen Zielsetzungen setzen natürlich die harte Arbeit der Mentalitätsveränderungen in den Gemeinden voraus, vor allem auch beim Klerus. Deshalb gilt auch hier das Prinzip: Priester, die zu solcher Veränderung FÄHIG sind, sollten mit Gemeinden beginnen können, die sich dafür öffnen. Gezielte Schritte und Maßnahmen können der Kirche auf kurz oder lang zu zukunftsträchtigen Lösungen für ihre Probleme verhelfen, auf keinen Fall aber Regelungen, die von Anfang an alle zugleich meinen. Daß hier ein neuer Priester- und Gemeindeleitertyp wie auch Bischofstyp gefordert sind, liegt auf der Hand. Die Kirche hat heute mehr denn je Menschen nötig, die - anstatt Funktionäre, Religions-Verwalter und fast ausschließlich Sakramentenspender zu sein - zu animieren, zu inspirieren, zu motivieren vermögen; die die verschiedenen Charismen fördern und zugleich Einheit stiften im Blick auf den, der vor 2ooo Jahren durch sein Denken und Handeln Maßstäbe für immer gesetzt hat. Menschlich gesprochen, sind solche und ähnliche Wege für die Zukunft der Kirche die einzige Chance. Eine solche Chance muß aber zuerst dort eröffnet werden, wo Menschen sich dafür öffnen lassen. Die Ambition, für alle zugleich Entscheidungen zu treffen, gibt der Chance keine Chance.

5. Weitere Fragen, die auch den außer-kirchlichen Raum betreffen:
- Wie oben unter 1 bis 3 bereits angedeutet, ist der zentrale Auftrag der Weitergabe des Evangeliums noch nicht dadurch gelungen, daß auch "Laien" und Frauen zu den kirchlichen Ämtern zugelassen werden (vgl. evangelische Kirche). Was heißt also im heutigen Kontext: Weitergabe des Evangeliums? Aufbau der Gemeinden? Nachfolge Christi...?

Was heißt "Tradition"? Ist das, was normalerweise als "Tradition" verstanden und gelebt wird, wirklich die Entfaltung des Ursprünglichen, oder vielleicht dessen evangeliumsferne Verkürzung, Manipulierung, "Verstaatlichung"; eine interessenbedingte "In-Anspruch-Nahme" durch bestimmte Gruppen und Kreise?
- Wie kommt es, daß sich die christlichen Kirchen und Konfessionen (tausendfach auch die "Freikirchen") dem wiederentdeckten Ursprünglichen so unterschiedlich stellen und so verschiedene Wege gehen (z.B. Ämterzulassung der Frauen bei den Anglikanern und Altkatholiken; Laien-Bevollmächtigung bei Pfinstlern, Methodisten usw...)? Ist das alles legitim und biblisch begründet? Wenn Ja - was heißt im katholischen Raum: gesellschaftlich- und kulturbedingte (pastorale) Pluralität und Einheit im Blick auf den einen Rabbi, dem alle gemeinsam zu gehorchen haben? Was kann "plural" sein, ohne daß die Einheit dabei abhanden kommt?


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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