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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Documentation Pallottiner Intern 2007

2007

Was kann aus Hirzenach schon Gutes kommen? Diese Frage habe ich mir immer gestellt, wenn es hieß: einen Bericht schreiben! Wer interessiert sich schon dafür? Wer liest ständige Wiederholungen, zu denen Jahresberichte neigen? Rein äußerlich gesehen, ist Hirzenach ein kleines Kaff am Rhein. Es entvölkert sich zudem, wie das ganze Rheintal sich bedrohlich entvölkert. Aus beruflichen und vielen anderen Gründen ziehen die jungen Leute und Familien weg. Das Rheintal zwischen Bingen und Koblenz, obwohl UNESCO-Welterbe, könnte man ein Altenheim nennen, wenn es nicht die vielen Besucher und Touristen gäbe...

So ist es auch mit Hirzenach. Da gibt es weniger Touristen, umso mehr Besucher. Es gibt Zeiten – da geben sich Politiker, Diplomaten, Journalistinnen und Journalisten die Türklinke in die Hand. Seit knapp 20 Jahren ist Hirzenach die Zentrale einer weltweit anerkannten Initiative gegen Menschenhandel und Kindersklaverei geworden: in den USA genauso bekannt wie in Teilen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Denn das internationale Netz von Menschenhandel und Kindersklaverei hat bedrohliche Ausmaße angenommen, bringt den "Händlern" jährlich Milliardengewinne ein. Einige von SOLWODI haben das rechtzeitig erkannt. Sie schaffen ein Gegengewicht zu Verbrechen, die man im 20. bzw. 21. Jahrhundert kaum für möglich halten könnte – zumal sie meistens im Untergrund, im Verborgenen, begangen werden (Es ist also leicht, wegzuschauen). Diejenigen, die nicht wegschauen und sich aktiv an diesem "Gegengewicht" beteiligen, rekrutieren sich aus allen Schichten: Junge und Alte, Katholiken und Protestanten, Betriebsmanager und Atheisten.... Mir, der ich von Anfang an beteiligt war, wird manchmal Angst vor so viel Initiative aus verschiedensten Richtungen. Würden wir SOLWODI zu einer "katholischen" Hilfsorganisation umorientieren wollen – der größte Teil der Aktiven würde sich geflissentlich zurückziehen, sich nicht mehr beteiligen...

Was passiert hier? Ein gesellschaftliches und menschliches Problem von internationalen Ausmaßen wurde erkannt, aufgegriffen und öffentlich gemacht. Und schon melden sich Hunderte/Tausende von Menschen "guten Willens", die hier eine Aufgabe und persönliche Verantwortung erkennen. Weltanschauung und Religion spielen keine Rolle. Hauptsache, es geschieht etwas zum Wohl von Betroffenen, zu mehr Gerechtigkeit und Frieden in der Welt...

Bei mir als Beteiligten hat sich dabei das "katholische" Weltbild verändert. Nachdem ich ca. 15 Jahre in München/Eichstätt und über 10 Jahre an unserer theologischen Hochschule tätig war, habe ich erkannt: die Welt und die heutigen Menschen sind doch ganz anders als unsere Denkkategorien es vorsehen. Früher habe ich mich dauernd mit der Frage herumgeschlagen: "Was ist Wahrheit?" Heute sehe ich: das interessiert die meisten nicht (mehr), zumal es viele verschiedene Antworten gibt. Die Menschen fragen (manchmal unbeholfen und egoistisch): "Was ist wichtig?" Dabei kann das, was wahr ist, durchaus wahr bleiben. Aber es ist nicht wichtig für die Gestaltung des eigenen Lebens, für mehr Gerechtigkeit und Frieden in der Welt. Wichtig sind für sie kleine Schritte und Maßnahmen, die zur Verminderung der vielen Turbulenzen in Welt und Gesellschaft beitragen.

Ob solches z.T. überkonfessionelles und "atheistisches" Denken dem biblischen Anliegen nicht sehr nahe kommt? Das frage ich mich immer wieder. Und wenn da manches "unbeholfen" und "egoistisch" auftaucht – besteht nicht jede theologische Aufgabe darin, klären und entfalten zu helfen, was in den Menschen steckt; "empor zu bilden" und reifer zu machen, was noch unreif und "unchristlich" erscheint? Ob nicht jede kirchliche Neuorientierung darin bestehen müßte, die theologisch "Unmündigen" nicht theologischer zu machen, sondern sie zu begleiten, weil Gott ihnen bekanntlich "Offenbarungen" schenkt (Mt 11.25)?

Schwester Lea, die Gründerin von SOLWODI, wird am 2. Febr. 2007 siebzig Jahre alt. Aus diesem Anlass habe ich, zusammen mit ihr, ein Buch geschrieben: "Gespräche über Gott, die Welt und das Leben" (Kösel 2007). Was darin beschrieben wird, klingt wie eine Bagatelle: die Welt ist im Umbruch; auch die Menschen, ihr Wissenshorizont, ihr Erkenntnisstand, ihre beruflichen Kompetenzen... haben sich entscheidend verändert. Dieselben Menschen wenden sich von der Kirche ab (obwohl bei Festivals immer noch massenhaft anwesend). Ob es uns gelingt, in eine Zukunft aufzubrechen, die noch keiner richtig kennt? Eine Frage, die niemand voreilig und zu selbstsicher beantworten sollte.
 


Letzte SeitenÄnderung: 18.07.2007.
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