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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

III. Wie heute Christ sein?

Bayerischer Rundfunk: Januar 1999

Das Christentum muß sich immer mehr als eine Religion freier Menschen erweisen. Das war unsere Antwort am letzten Samstag. Und: die radikale Krise der Kirchen und ihrer theologischen Lehrgebäude - unabhängig von den äußeren gesellschaftlichen Faktoren - besteht in dem jahrhundertealten Mißverständnis oder Unverständnis des Christentums als einem Lehr-, Begriffs- und Definitionsgebäude. Ihm wird immer mehr der Boden entzogen, weil immer weniger Menschen daran glauben. Denn sie verstehen es nicht. Sie verstehen auch nicht, was die wenigen Fachleute und Kirchenrepräsentanten in ihren Verlautbarungen verkünden. Deren Verkündigung bleibt schon deshalb unverständlich, weil die meisten Verkünder ihre Botschaft selbst nicht verstehen - höchstens begrifflich, spekulativ-akademisch, aber nicht so, wie sie allein und an erster Stelle verstanden werden müßte, nämlich existentiell und durch das Tun konkreter Taten der Liebe, wie sie jedem Menschen, je nach Charisma und Eigenart, spontan und mit Gottes Hilfe möglich sind.

Denn von Jesus her fangen viele Menschen - auch außerhalb der Kirchen - wieder neu an zu erahnen: im Existieren, nicht im Spekulieren erweisen sich die Lebenskraft und der Lebenssaft einer Botschaft. Wer sie staatspolitisch vereinnahmt und sie den Händen unfehlbarer Hüter überläßt; wer aus der Religion eine verwaltete Religion macht, sie arbeitsteilig genau organisiert und reglementiert - je nach Klerus und Laien, je nach Männern und Frauen - ; wer für jede Aufgabe Zuständigkeiten und Dienststellen schafft - für den erweisen sich Kirchenvolksbegehren und unvorhergesehene Laien-Anträge nicht nur als Gefahren für die herkömmlichen In -stanzen und Platz-Anweiser. Diese erweisen sich sogar und werden bloßgestellt als Vernichter und Zerstörer dessen, was sie so energisch für die Zukunft zu retten versuchen. Das geschichtliche Paradox besteht dann darin, daß sich die Verteidiger von Religion und Glaube als deren größte Hindernisse und Zerstörer erweisen.

Carl Amery hat diesen tragischen Vorgang innerhalb des Christentums mit einer Anekdote beschrieben. In seinem letzten Buch "Hitler als Vorläufer - Auschwitz - der Beginn des 21. Jahrhunderts" heißt es: "Ein ehemaliger polnischer Offizier berichtet, daß er in den ersten Tagen nach der Eroberung seines Landes ein Schloß aufsuchte, in dem eine bayerische Gebirgsjägerdivision untergebracht war. Die biederen Landser wohnten gerade einer Messe bei, die ein Militärgeistlicher zelebrierte. Im Keller aber waren Juden und andere unerwünschte `Elemente zusammengepfercht, deren Klagen durch den Parkettboden zu hören war. Den Zelebranten wie die Soldaten störte das nicht - dafür war eine andere Dienststelle zuständig!"

In die am letzten Samstag beschriebene Rechtfertigungsdiskussion hat sich u.a. ein Mediziner und Arzt eingeschaltet. Er wirft den Kirchen "Begriffs-Fetischismus" vor; ein "total steriles und unbrauchbares Denken"; ein Fixiertsein auf völlig rückwärtsgewandte Streitfragen inmitten einer Welt, "die ringsum in Flammen steht".

Nun, selbst wenn die Welt nicht ringsum in Flammen stehen würde - ich stelle mir vor: eines Tages würden die Kirchen und Konfessionen eine einzige theologische Sprache sprechen; sie würden sich über alle Streitfragen verständigen und gemeinsame Lehr-Formeln ersinnen - wenn dies auf die traditionell-übliche Weise geschähe im Sinne eines Glaubensverständnisses, welches überkonfessionell Sätze "für-wahr-zu-halten" gedenkt - eine solche "Ökumene" würde niemanden vom Stuhle reißen! Denn es könnte sein, daß viele Fragen von früher nicht mehr die Fragen heutiger Menschen sind. Auch die bedrängende Frage M. Luthers, die heute die Diskussion der Theologen beherrscht: "Wie finde ich einen gnädigen Gott?" dürfte für die wachsende Mehrheit der Gläubigen heute keine bedrängende Frage mehr sein.

Wenn Umfragen und Untersuchungen nicht täuschen, stellen freie und selbstbewußt gewordene Menschen andere Fragen: Wie finde und gestalte ich eine gnädige Zukunft? Wie finde ich meine Lebensrolle in einer Welt, die so unübersichtlich, in vielen Bereichen so wurzellos, so heimatlos, so orientierungslos geworden ist? Wie finde ich mich selbst, in meinem Werden und Wachsen, mit meinen Gaben und der Akzeptanz meiner Grenzen? Wo finde ich Menschen und Gemeinden, die mich so einschatzen und behandeln wie ich bin? Wie lerne ich, andere vorurteilslos und realistisch einzuschätzen, um sie verstehen, lieben und achten zu lernen? Wie finde ich zu gelungenen und geglückten Beziehungen: in Ehe und Familie, im Freundeskreis und am Arbeitsplatz? Schließlich: wie kann ich in meinen Zweifeln und Lebensängsten den Weg zu Gott oder zur Transzendenz finden? Wer öffnet mir den verrannten Weg ins Jenseits, falls es überhaupt eins gibt? Wer hilft mir die Grenzen meiner selbst überschreiten - nicht durch kluge Worte und Sonntagsreden, sondern durch den Mut eines Lebenszeugnisses, welches sich von der Kraft Christi bestimmen läßt und von Menschen, die zu überzeugen vermögen?

Fragen und Bedrängnisse moderner Menschen können sich durchaus als ungewohnte, aber überlebenswichtige Anfragen an das konventionelle Christentum erweisen - an ein Christentum, welches seine Hauptaufgabe wieder darin sehen muß, die Menschen das Leben und Lieben zu lehren. Gefragt ist ein Christentum, welches theoretisch-abstrakte Klarheiten und angeblich absolute Wahrheiten an die zweite oder dritte Stelle rückt; welches stattdessen dem Willen absolute Priorität verleiht, in Gemeinschaft gottgewoltes und evangeliumsgemäßes Leben zu üben; also nach dem Vorbild Jesu erlösendes und heilendes Denken und Handeln zu praktizieren. Die Einübung in ein vom Evangelium inspiriertes Denken und Handeln, welches den Menschen in seinen konkreten Lebenslagen im Blickfeld hat, ist das Gebot der Stunde. Wo es darum geht, daß die für Menschen heilsamen Worte und Taten Jesu weitergehen, da gilt nicht mehr Mann oder Frau, Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, katholisch oder alt-katholisch, evangelisch, orthodox oder freikirchlich. In dieser Aufgabe sind alle "eins" in Christus Jesus (vgl. Gal 3,28).


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