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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

13.Sonntag im Jahr (Mt.10,37-42)

1999

Zielsatz: Menschen wollen religiös beschwichtigen und beschwichtigt werden. Jesus scheut nicht den Konflikt.

1. Die "letzten Tage der Menschheit".

Kurz vor dem ersten Weltkrieg (1914) schrieb Karl Kraus "Die letzten Tage der Menschheit". In diesem Antikriegsdrama tritt am Anfang ein Tippelbruder auf die Bühne - wie ein klassischer Rufer in der Wüste, der die Menschen zur Umkehr auffordert. Aber seine pathetische Kunde vom Weltende wird wie eine Spinnerei abgetan. Sie stößt auf taube Ohren bei den Figuren, die während des ganzen Dramas wie Marionetten hin und her geschoben werden. Denn die Figuren sind ohne persönliche Gedanken, ohne Charakter und ohne Eigenschaften. Sie sind gesichtslos und in jeder Hinsicht austauschbar. Der "große Bruder" im Hintergrund, der hin und her schiebt, der in der ganzen Dramartugie die Fäden zieht, bleibt im Ungewissen. Auch ist kein tieferer Sinn im ganzen Geschehen zu erkennen. Deshalb gibt es in der Apokalypse auch keine Schuldigen. Es gibt nur Opfer und Verblendete, die unfähig geworden sind, auf den Tippelbruder, seine omnipräsente Nörgelei und Aufforderung zu hören, persönlichen Mut zu zeigen. Die "letzten Tage der Menschheit" sind geprägt von Anonymität und menschlicher Konturenlosigkeit.

2. Menschen brauchen "Gesetz und Ordnung".

Das heutige Evangelium spricht im ersten Satz von Vater und Mutter, von Sohn und Tochter und von der Liebe, die alle miteinander verbindet. Es wendet den Blick auf die Urform menschlichen Zusammenlebens: die Familie. Tatsächlich war und ist die Familie das erste Einübungsfeld jedes Menschen ins Leben, in seine bestimmenden Regeln und Verhaltensweisen, in Werte und kultisch-religiöse Vollzüge.

Auch zur Zeit Jesu war das Familienleben von Tugend, Moral, Gesetz und Gottesglauben bestimmt. Es hatte zudem eine bestimmte hierarchisch-patriarchalische Struktur, die die Rollen und Aufgaben der einzelnen Mitglieder, auch nach Alter und Geschlecht, bestimmte. Das Intaktheithalten des Familienlebens galt nicht nur als göttliches Gebot; es entsprach auch einem menschlichen Bedürfnis nach Liebe, Geborgenheit, Anerkennung und gegenseitiger Achtung. Nicht umsonst haben Völker und Kulturen immer größten Wert auf das gute Funktionieren des Familienlebens gelegt. Sie haben diese "Modell" auf Gesellschaften und religiöse Gemeinschaften übertragen. Die Begriffe "Initiation" und "Sozialisation" sind Schlüsselworte für die Pflicht und Aufgabe eines jeden Kindes und heranwachsenden Menschen geworden, in sein jeweiliges soziales Gefüge hineinzuwachsen, sich auf die es bestimmenden und prägenden Kräfte und Faktoren einzulassen und sich immer mehr damit zu identifizieren.

3. Jesu Botschaft bestätigt das Vorhandene und stellt es in Frage.

Wer als Außenstehender in einer solchen Situation davon spricht, daß es noch eine "größere Liebe" gibt als die Liebe zwischen Vater und Mutter, zwischen Sohn und Tochter, muß als ein Unruhestifter empfunden werden, als ein Nörgler und Zerstörer herkömmlicher Ordnungsprinzipien. Zumimdestens wird deren absolute Gültigkeit infrage gestellt. In unserer heutigen Sprache würden wir sagen: jede festgefügte, anscheinend gut funktionierende Ordnung hat auch eine Kehr- oder Schattenseite. Jedes "soziale Netz" birgt die Gefahr in sich, daß der einzelne Mensch nicht zu seiner Personwürde, zu seiner Originalität und Einmaligkeit findet. Äußere Ordnungsprinzipien können den Einzelnen verhindern, können die persönliche Entfaltung und Entscheidungsfähigkeit, das Gewissen, Kreativität, Ideenreichtum und Wandlungsfähigkeit verkümmern lassen. - Gefahren, die auf schleichende Weise den Menschen verantwortungslos und gewissenlos werden lassen. Sie können - aufs Ganze gesehen - auch jeder Gemeinschaft zur tödlichen Falle bzw. langweiligen Sackgasse werden. Vielleicht ist dies auch die eigentliche Problematik der gegenwärtigen kirchlichen Entwicklung, die häufig mit den Worten "Krise" und "ausblutende Gemeinden" beschrieben wird. Die Dichterin Annette Feigs hat sie in dem Gedichtsgebet "Der Weltkatechismus" folgendermaßen beschrieben: "Herr, ob Dein Geist unzählige Seiten braucht? Herr, ob Dein Geist unzählige Worte braucht? Herr, ob Dein Geist unzählige Vorschriften braucht? Herr, Deinen Geist hat Dein Sohn uns vorgelebt: in Verantwortung, in Mut, in Liebe. Herr, laß uns Deinen Geist auch heute spüren".

4. Der Aufstand der Person.

Wahrscheinlich ist dies das Dilemma jeder wohlgemeinten und für viele auch wohltuenden sozialen Ordnung und Struktur: sie reißt den Einzelnen hin und her zwischen Stabilität und Originalität, zwischen Gesetz und Geist, zwischen Macht und Charisma. Auf subtile Weise ist auch das heutige Evangelium ein Rütteln an der theologisch-stabilen Basis Israels. Es favorisiert den "Aufstand der Person" gegen alle "bewährten" ethischen Grundregeln. Nicht umsonst werden auch die Konsequenzen für den Einzelnen in "Seiner Nachfolge" deutlich beim Namen genannt: das Kreuz auf sich nehmen; das herkömmliche Leben verlieren; eine "andere" Liebe praktizieren. Eine solch geartete Nachfolge führt in ein "anderes" Leben. Das heutige Evangelium ist ein wichtiges, wenn auch unscheinbares Dokument in der Botschaft Jesu. Jesus wollte nicht nur Worte sagen und die Leute beschwichtigen. Er wollte auch provozieren und selbst religiös-stabilisierende Verhaltensweisen hinterfragen, zumal wenn sie (heute wie damals) weithin als ausreichende Möglichkeiten des Heils angesehen werden. Die herrschende Theokratie Israels, die das Heil durch das Studium des Gesetzes und das Beobachten von Regeln und Vorschriften gewährleistet sah, wurde durch die eschatologische Predigt Jesu erschüttert. Dieser forderte dazu auf, das Heil von der Zukunft des Messias her zu erwarten und in der Hoffnung auf diese Zukunft dennoch so zu leben und verantwortlich zu handeln wie der Messias, der schon gekommen war. "Nachfolge" kann deshalb niemand - wie im Drama von Karl Kraus - als "Marionette" oder "göttlicher Funktionär" betreiben. In der Nachfolge Christi gibt es immer nur persönlich Gerufene und zu persönlicher Verpflichtung Aufgerufene.


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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