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Religiös Sesshafte können im Glauben nicht wachsen.
Zweiter Sonntag der Osterzeit (Joh.20,19-31)
Zielsatz: Zweifel können wie Stacheln sein, die
religiöse Selbstsicherheit und die Verhärtung im Guten
verhindern.
Homiletische Überlegungen: Vielen gläubigen
Christen mag die Auffassung noch in den Knochen stecken, daß
jeder Glaubenszweifel Sünde ist. Von daher ist der Tomas des
heutigen Evangeliums entweder ein großer Sünder oder einer, der
doch nicht so gezweifelt haben kann, wie das Evangelium den
Eindruck erweckt... Auf jeden Fall aber können die Zweifel des
Tomas, sofern ernstlich darüber gesprochen wird, bestimmte
Gläubige zur Verzweiflung oder zur Verdrängung bringen. Vor
allem dann, wenn sie "Glauben" verstehen als das feste
Für-wahr-halten einer zweifelsfreien, unfehlbaren Lehre. Eine
solche "Lehre der Kirche" kannte der heilige Tomas noch nicht.
Er konnte sie nicht kennen, weil es sie noch gar nicht gab. Was
er kannte und leibhaftig erfahren hatte, war die
Lebensgeschichte des Rabbi aus Nazaret, die schließlich im
gewaltsamen Tod ihr Ende gefunden hatte. Für Tomas hatte der
Glaube viel eher mit der mehr oder weniger großen Anhänglichkeit
an Jesus und mit der mehr oder weniger gelungenen Bereitschaft
zur Nachfolge Jesu zu tun, die sich in der Tagtäglichkeit des
Lebens ihren Weg zu bahnen haben und immer auch im Auf und Ab
menschlicher Erfahrungsprozesse gefährdet erscheinen. Aber
gerade in diesem Auf und Ab, in diesem Hin unf Her zwischen
Glauben und Zweifeln können sich Lebens- und
Glaubenssicherheiten ereignen - allerdings immer nur bis zum
nächsten Exodus, der immer wieder notwendig wird, um jedem Hang
zur religiösen Seßhaftigkeit entgegenzuwirken
1. Tomas - Der Zweifler.
Es würde im Anschluß an die Passions- und Osterberichte des
Evangeliums etwas fehlen, wenn von Tomas, dem Zweifler, nicht
die Rede wäre. Viele Gestalten haben uns in dieser Zeit
beschäftigt: der Politiker Pilatus, der Verräter Judas, der
wankelmütige Petrus, Maria Magdalena am Grab des Ostermorgens,
die angstbesessenen Apostel im Saal zu Jerusalem. Heute gehört
auch Tomas dazu. Wie kann man seine Rolle beschreiben?
Mir fällt bei dieser Frage die Geschichte der hochbetagten und
sehr begüterten alten Dame aus Florenz ein. Eines Tages hatte
sie eine merkwürdige Idee. Sie ließ von Arbeitern einen großen
Felsblock nach Florenz schaffen und auf dem Marktplatz
niederlegen. Daraufhin rief sie die Künstler der Umgebung
zusammen und beauftragte sie, eine Figur aus dem Marmor zu
meißeln. Der Marmor sei spröde und unförmig; daraus lasse sich
nichts Wertvolles herstellen - sagten die einen und zogen von
dannen. Es handle sich um ein ungeeignetes Material; zudem sei
der Stein schlecht gebrochen - sagten die anderen. Auch sie
ließen den Marmor liegen. Eines Tages kam Michelangelo. Er sah
den Marmorblock, fing an zu meißeln und zu hauen - belächelt von
den einen, bewundert von den anderen. Nach langer Arbeit
entstand in Florenz eine der berühmtesten Figuren der Welt: der
David, mit der Schleuder auf der Schulter, mit den Kieselsteinen
in der Hand. Gelöst und gelassen trat er den Kampf gegen Goliath
an.-
Wir können uns kaum vorstellen, was in den Wochen und Monaten
des Arbeitens im Kopf und Bauch des Michelangelo vor sich
gegangen sein mag. Auf der einen Seite war er von der Idee
besessen, aus einem von anderen als unbrauchbar verworfenen
Marmorblock ein Kunstwerk zu meißeln. Er ist Gott-sei-Dank
dieser seiner Idee treu geblieben, wenn auch gescholten und
verlacht von denen, die es vermeintlich besser wußten als er.
Auf der anderen Seite hat er sicher auch Stunden und Augenblicke
der Zweifel und Unsicherheiten erlebt. War er nicht vielleicht
doch im Irrtum? Lief er einer Fata Morgana nach? Würde er eines
Tages die Arbeit ohne Erfolg beenden müssen und damit dem
Gelächter der Welt preisgegeben sein?
Solche bangen Fragen konnten bei dem Künstler eigentlich nur
beantwortet werden von den Hammerschlägen und Meißelarbeiten
selbst. Jedes kleine herausgehauene Stück aus dem Marmorblock
und das Geräusch, das es verursachte, konnte ihm nach und nach
Aufschluß geben über die Frage, wie der Marmorblock wirklich
beschaffen war; ob er das hergeben würde, was er sich ersehnte
und erhoffte...
2. Zum Glauben gehört der Zweifel.
Vielleicht sind der Glaube und der Zweifel des Tomas denen des
Michelangelo nicht ganz unähnlich. Tomas glaubte an Jesus, an
seine unvergeßlichen Worte und Taten. Was er von Jesus gehört
hatte, war die Botschaft von der "jetzt" anbrechenden
Gottesherrschaft. Diese wurde mit einem Samenkorn verglichen,
welches in die Erde fällt und stirbt, um schließlich doch reiche
Frucht hervorzubringen. Die in der Nachfolge Jesu lebten, hatten
wie Tomas gehört, daß jede Tat der Liebe und Versöhnung, jede
Geste der Barmherzigkeit und Güte, jedes Wort der Ermutigung und
Auferbauung solche Samenkörner des Reiches Gottes sind, die eine
Zeitlang - in die Erde versenkt - ohne Wirkung und nennenswerte
Auffälligkeit zu bleiben vermögen, aber letztlich doch
entscheidend wichtig sind für das Werden und Wachsen des Reiches
Gottes in dieser Welt. Heilsame Worte und verändernde Taten -
und seien sie in der Alltäglichkeit des Lebens noch so klein und
unscheinbar - sollten in der Zukunft des Weltgeschehens größere
gestalterische Kraft entfalten als alle Reden mit menschlicher
Weisheit über Gott und die Welt; als alle Machtmittel, die
Menschen sich auszudenken vermögen.
Wem muß da nicht das Zweifeln kommen? Schließlich war Jesus
selbst an sich und seiner Botschaft gescheitert. Wenigstens
äußerlich. Und die Kunde von seiner Auferstehung und dem
Weiterleben all dessen, was er gesagt und getan hatte - wer
konnte sie damals mit ungeteilter Überzeugung begreifen? Wer
wird sie jemals zwei-felsfrei anzunehmen in der Lage sein? Und
wären die Lehren darüber noch so un-fehlbar, die Dogmen im Kopf
noch so klar und unzweideutig - in der realen Existenz des
Menschen, der täglich sein Leben zu leben und seine kleinen
Schritte zu tun hat, zeigen sich erst beim Gehen die Stacheln
und Stoppeln, die Steine und die Knüppel, die oft eher Anlässe
zum Zweifeln und Verzweifeln sind als Anstöße zum zweifelsfreien
Glauben. Und das umso mehr, je weniger bei allem Reden über die
Wahrheit die Früchte der Wahrheit wenig zu erkennen sind.
So ist es uns Christen immer wieder aufgetragen, den Weg des
Glaubens und der tatkräftigen Liebe zu gehen in der Hoffnung,
daß nach jeder Straßenbiegung ein verheißungsvolles Zeichen der
inneren Bestätigung auf uns wartet. Gott gibt sich immer nur in
solchen "Wegzeichen" zu erkennen. Diese wirklich zu sehen und zu
deuten - darin liegt die gnadenhafte Chance, daß uns und anderen
stets der nötige Mut und die Kraft zuwachsen zu nächsten
vorwärts gehenden Schritten.
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