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Aschermittwoch
Februar 2005
Zielsatz: Das Sterben muß immer "geübt" werden: wenn
Ideale, Träume, Gedanken, Wunschvorstellungen und
Lieblingsgewohnheiten im Laufe des Lebens "sterben",
bedeutungslos werden.
1. Aschermittwoch: Einübung ins Sterben
Am Aschermittwoch kommen mir gewöhnlich Erinnerungen an meine
Jahre in Afrika in den Sinn. An diesem Tage herrschte in der
Kirche Hochbetrieb. Wie an Weihnachten. Obwohl in einem
"katholischen Gebiet", in dem ich arbeitete, während des ganzen
Jahres an regelmäßige und lebendige Gottesdienstbesucher
gewohnt, wurde der Andrang am Aschermittwoch immer auffallend
groß. Zuerst wunderte ich mich, ohne zu verstehen: woher kamen
die vielen Leute? Wer waren sie? Was führte sie hierher? Das
"Rätsel" wurde noch unlösbarer, als ich merkte, dass nicht nur
alle Katholiken zum Aschenkreuz kamen, sondern auch viele
Protestanten und Freikirchler. Vor allem auch: Moslems! Ihnen
alle machte ich das Kreuz auf die Stirn: "Denk daran, dass du
Staub bist und zum Staub zurückkehrst".-
Im Laufe der Jahre konnte ich immer mehr begreifen, was hier
geschah. "Archaische Kulturen" leben in unmittelbarer Nähe zum
Tod. Wenn jemand krank wird und zum Sterben kommt, dann
versammeln sich Familienangehörige und Freunde, Nachbarn und
Bekannte um den Todkranken. Es gibt keine Stunde bei Tag und bei
Nacht, in der er allein gelassen würde. Auch Kinder gehören
dazu. Wenn dann der Tod eingetreten ist, findet sich die
Trauergemeinschaft geschlossen ein. Manchmal nimmt man sich
mehrere Tage Zeit, um des Toten zu gedenken, um miteinander zu
essen, zu trinken und zu reden über all das, was das Leben
ausmacht. Und was nach dem Tod geschieht.
Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Tote nicht tot ist;
dass er nur eine andere Weise des Lebens angenommen hat. So
bleiben die Lebenden mit den Toten in Verbindung und die Toten
mit den Lebenden. In Erzählungen, Mythen, Gebeten, Riten,
Symbolen und Gewohnheiten wird diese "Symbiose" zwischen
Lebenden und Toten lebendig gehalten. Denn der Tod gehört zum
Leben und das Leben zum Tod. Niemand will und kann sich diesen
Gegebenheiten entziehen. Niemand darf die Augen verschließen und
so tun, als ginge ihn nicht an, was morgen schon wieder als
aufrüttelnde Realität Wirklichkeit werden kann.
2. Die Parzellisierung des Lebens.
Beim näheren Zusehen könnte man sagen, dass solchem "archaischem
Leben" unser heutiges "modernes Leben" diametral gegenübersteht.
Bei uns hat sich das Leben sehr vielfältig und unterschiedlich
entwickelt. Wir haben es in "Parzellen", "Sachbereiche"
aufgeteilt. Für jeden dieser "Sachbereiche" weiß sich eine
"kompetente Persönlichkeit" qualifiziert. Es gibt "Experten" für
jeden Lebensbereich: in Versicherungen für Pannen, Unfälle und
Feuerschäden; in Haar- und Kosmetikstudios für Haut- und
Körperpflege; in Ärztepraktiken und Krankenhäusern für
Gesundheit und gute Ernährung... In den Schulen und
Universitäten gibt es die Kollegen vom "anderen Fach"; alle
haben eine andere Qualifizierung. Ebenso in Einrichtungen von
Staaten und Kirchen...
Während sich die einen um das Gesundheits- und Sozialwesen
kümmern, so die anderen um Sinn- und Lebensfragen.
Beerdigungsinstitute sind für Todesfälle und Begräbnis
zuständig. Die populären und gängigen Vokabeln "Kompetenz" und
"Experte" sind die Folgen der Aufteilung des Lebens in viele
Lebensbereiche. Mit diesen Worten verbindet sich die Vorstellung
von "Fähigkeit", "Fertigkeit", "Können" auf einem klar
abgegrenzten Gebiet. So gelten die Lehrer für die Erziehung und
Ausbildung der Kinder qualifiziert (Eltern verabschieden sich
aus dieser Verantwortung); Ärzte und Versicherungen für
Krankheit und Genesung; die Alten- und Krankenhäuser für die
Kranken und Schwachen; Theologen und Kirchen für Fragen nach
Gott und der Welt...
Solche "Modelle" bestimmen das gesamte gesellschaftliche und
kirchliche Leben. Hintergründig lenken und bestimmen sie das
Denken und Handeln moderner Menschen. Kinder sind ebenso davon
betroffen wie die Erwachsenen. Immer wenn sich ein "Problem"
ergibt, ist der Ruf nach einem "Zuständigen" die normal
gewordene Reaktion.
Solche "Expertokratie" - obwohl es in einer Welt, in der wir
leben, gar nicht mehr anders geht - ist aber auch eine große
Gefahr. Sie macht uns Menschen in vielen Bereichen ohnmächtig
und hilflos. Im Fall von Krankheit und Tod bricht diese
Hilflosigkeit aus. Es kommen Ängste auf: wie müssen wie
Angehörige uns jetzt verhalten? Wie mit Kranken und Sterbenden
umgehen? Was tun und was besser nicht tun? An wen müssen wir uns
zuerst wenden? Welche Zuständigkeiten dürfen nicht vergessen
werden? – Eine ratlos machende Situation, bisher aus dem Leben
verdrängt und auf "später" verschoben, wird plötzlich zu einer
unerbittlichen Realität. Am Ende bleibt dann eine "Friedhofserfahrung",
von der man nur hoffen kann, dass sie bald wieder vergessen ist.
"Experten" können leicht hinderlich werden für die persönliche
Auseinandersetzung, wenn es um konkretes Leben geht, um Leid,
Krankheit und Tod. Solche persönliche Auseinandersetzung fehlt
dann oft auch, wenn sich existentielle Fragen stellen nach Liebe
und Treue, nach Religion und Glaube, nach Hoffnungen und
Zweifeln. Oft, bei wichtigen Lebensentscheidungen, verlässt man
sich einfach auf seinen Instinkt, seine Laune, seinen "Riecher"
für das, was "in" ist und was alle tun, bis dann alles schief
geht...
Fachleute können in allen Lebenslagen eine Hilfe und Begleitung
sein. Aber für das eigene Gewissen, für die persönliche
Auseinandersetzung sind nicht genügend kompetent. Sie können uns
nicht dispensieren von der Pflicht, unsere Aufgaben, Schwächen
und Wankelmütigkeiten selbst zu meistern. Auch Psychologen,
Seelsorger, Kirchen und Hilfsorganisationen können nicht mehr
helfen, wenn die eigene geistige Mobilität abhanden gekommen
ist.
In keinem entscheidenden Lebensbereich können wir es uns
erlauben, unmündige Kinder zu bleiben. Wir sind dazu verdammt,
uns mit dem Leben, mit dem Auf und Ab von Lebenserfahrungen und
Schicksalsschlägen auseinander zu setzen, sie "aufzuarbeiten" ,
um allmählich den sinnvollen "roten Faden" zu entdecken, der
sich durch das Leben zieht. Auch Kinder kann man nicht davor
bewahren, wenn es um Krankheit, Tod und den Gang auf den
Friedhof geht. Nur in der persönlichen Beschäftigung mit den
Dingen und Ereignissen in dieser Welt kann das Leben
kommunikativer, lebenswerter, vielleicht sogar "sonniger" und
sinnvoller werden.
Es ist nicht von ungefähr, dass Menschen und Völker mit weniger
"Modernität", Organisation und Konsumdenken immer noch
zufriedener zu leben scheinen als wir, die wir eingewoben sind
in Versorgungs- und Angebotssyteme, in Versicherungen und
Absicherungen nach allen Seiten. Bei all unserer "Modernität"
müssen wir wieder lernen: der Tod ist nicht die letzte Phase des
Lebens. Das Sterben muß ständig gelernt werden. Der Satz Jesu:
"Wenn das Weizenkorn nicht stirbt..." gilt für viele
Situationen, Gedanken, Träume, Ideen, Gewohnheiten und
Lieblingsbeschäftigungen. Erst im Loslassen des Alten können
neue Einsichten gewonnen und Lebensabschnitte begonnen werden.
Nur wer vom Ufer abzustoßen bereit und fähig ist, kann dem
anderen Land und dem anderen Horizont näher rücken. Dazu gehören
neue Erfahrungen, tiefere Erkenntnisse, das Erwachsenwerden -
auch im Glauben... Im religiösen Bewusstsein der Völker lebt der
nachhaltige Gedanke, dass der Tod, der am Ende jeden erwartet,
nichts anderes ist als der Aufbruch in ein verheißenes Land.
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