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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Aschermittwoch

Februar 2005

Zielsatz: Das Sterben muß immer "geübt" werden: wenn Ideale, Träume, Gedanken, Wunschvorstellungen und Lieblingsgewohnheiten im Laufe des Lebens "sterben", bedeutungslos werden.

1. Aschermittwoch: Einübung ins Sterben

Am Aschermittwoch kommen mir gewöhnlich Erinnerungen an meine Jahre in Afrika in den Sinn. An diesem Tage herrschte in der Kirche Hochbetrieb. Wie an Weihnachten. Obwohl in einem "katholischen Gebiet", in dem ich arbeitete, während des ganzen Jahres an regelmäßige und lebendige Gottesdienstbesucher gewohnt, wurde der Andrang am Aschermittwoch immer auffallend groß. Zuerst wunderte ich mich, ohne zu verstehen: woher kamen die vielen Leute? Wer waren sie? Was führte sie hierher? Das "Rätsel" wurde noch unlösbarer, als ich merkte, dass nicht nur alle Katholiken zum Aschenkreuz kamen, sondern auch viele Protestanten und Freikirchler. Vor allem auch: Moslems! Ihnen alle machte ich das Kreuz auf die Stirn: "Denk daran, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst".-

Im Laufe der Jahre konnte ich immer mehr begreifen, was hier geschah. "Archaische Kulturen" leben in unmittelbarer Nähe zum Tod. Wenn jemand krank wird und zum Sterben kommt, dann versammeln sich Familienangehörige und Freunde, Nachbarn und Bekannte um den Todkranken. Es gibt keine Stunde bei Tag und bei Nacht, in der er allein gelassen würde. Auch Kinder gehören dazu. Wenn dann der Tod eingetreten ist, findet sich die Trauergemeinschaft geschlossen ein. Manchmal nimmt man sich mehrere Tage Zeit, um des Toten zu gedenken, um miteinander zu essen, zu trinken und zu reden über all das, was das Leben ausmacht. Und was nach dem Tod geschieht.

Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Tote nicht tot ist; dass er nur eine andere Weise des Lebens angenommen hat. So bleiben die Lebenden mit den Toten in Verbindung und die Toten mit den Lebenden. In Erzählungen, Mythen, Gebeten, Riten, Symbolen und Gewohnheiten wird diese "Symbiose" zwischen Lebenden und Toten lebendig gehalten. Denn der Tod gehört zum Leben und das Leben zum Tod. Niemand will und kann sich diesen Gegebenheiten entziehen. Niemand darf die Augen verschließen und so tun, als ginge ihn nicht an, was morgen schon wieder als aufrüttelnde Realität Wirklichkeit werden kann.

2. Die Parzellisierung des Lebens.

Beim näheren Zusehen könnte man sagen, dass solchem "archaischem Leben" unser heutiges "modernes Leben" diametral gegenübersteht. Bei uns hat sich das Leben sehr vielfältig und unterschiedlich entwickelt. Wir haben es in "Parzellen", "Sachbereiche" aufgeteilt. Für jeden dieser "Sachbereiche" weiß sich eine "kompetente Persönlichkeit" qualifiziert. Es gibt "Experten" für jeden Lebensbereich: in Versicherungen für Pannen, Unfälle und Feuerschäden; in Haar- und Kosmetikstudios für Haut- und Körperpflege; in Ärztepraktiken und Krankenhäusern für Gesundheit und gute Ernährung... In den Schulen und Universitäten gibt es die Kollegen vom "anderen Fach"; alle haben eine andere Qualifizierung. Ebenso in Einrichtungen von Staaten und Kirchen...

Während sich die einen um das Gesundheits- und Sozialwesen kümmern, so die anderen um Sinn- und Lebensfragen. Beerdigungsinstitute sind für Todesfälle und Begräbnis zuständig. Die populären und gängigen Vokabeln "Kompetenz" und "Experte" sind die Folgen der Aufteilung des Lebens in viele Lebensbereiche. Mit diesen Worten verbindet sich die Vorstellung von "Fähigkeit", "Fertigkeit", "Können" auf einem klar abgegrenzten Gebiet. So gelten die Lehrer für die Erziehung und Ausbildung der Kinder qualifiziert (Eltern verabschieden sich aus dieser Verantwortung); Ärzte und Versicherungen für Krankheit und Genesung; die Alten- und Krankenhäuser für die Kranken und Schwachen; Theologen und Kirchen für Fragen nach Gott und der Welt...

Solche "Modelle" bestimmen das gesamte gesellschaftliche und kirchliche Leben. Hintergründig lenken und bestimmen sie das Denken und Handeln moderner Menschen. Kinder sind ebenso davon betroffen wie die Erwachsenen. Immer wenn sich ein "Problem" ergibt, ist der Ruf nach einem "Zuständigen" die normal gewordene Reaktion.

Solche "Expertokratie" - obwohl es in einer Welt, in der wir leben, gar nicht mehr anders geht - ist aber auch eine große Gefahr. Sie macht uns Menschen in vielen Bereichen ohnmächtig und hilflos. Im Fall von Krankheit und Tod bricht diese Hilflosigkeit aus. Es kommen Ängste auf: wie müssen wie Angehörige uns jetzt verhalten? Wie mit Kranken und Sterbenden umgehen? Was tun und was besser nicht tun? An wen müssen wir uns zuerst wenden? Welche Zuständigkeiten dürfen nicht vergessen werden? – Eine ratlos machende Situation, bisher aus dem Leben verdrängt und auf "später" verschoben, wird plötzlich zu einer unerbittlichen Realität. Am Ende bleibt dann eine "Friedhofserfahrung", von der man nur hoffen kann, dass sie bald wieder vergessen ist.

"Experten" können leicht hinderlich werden für die persönliche Auseinandersetzung, wenn es um konkretes Leben geht, um Leid, Krankheit und Tod. Solche persönliche Auseinandersetzung fehlt dann oft auch, wenn sich existentielle Fragen stellen nach Liebe und Treue, nach Religion und Glaube, nach Hoffnungen und Zweifeln. Oft, bei wichtigen Lebensentscheidungen, verlässt man sich einfach auf seinen Instinkt, seine Laune, seinen "Riecher" für das, was "in" ist und was alle tun, bis dann alles schief geht...

Fachleute können in allen Lebenslagen eine Hilfe und Begleitung sein. Aber für das eigene Gewissen, für die persönliche Auseinandersetzung sind nicht genügend kompetent. Sie können uns nicht dispensieren von der Pflicht, unsere Aufgaben, Schwächen und Wankelmütigkeiten selbst zu meistern. Auch Psychologen, Seelsorger, Kirchen und Hilfsorganisationen können nicht mehr helfen, wenn die eigene geistige Mobilität abhanden gekommen ist.

In keinem entscheidenden Lebensbereich können wir es uns erlauben, unmündige Kinder zu bleiben. Wir sind dazu verdammt, uns mit dem Leben, mit dem Auf und Ab von Lebenserfahrungen und Schicksalsschlägen auseinander zu setzen, sie "aufzuarbeiten" , um allmählich den sinnvollen "roten Faden" zu entdecken, der sich durch das Leben zieht. Auch Kinder kann man nicht davor bewahren, wenn es um Krankheit, Tod und den Gang auf den Friedhof geht. Nur in der persönlichen Beschäftigung mit den Dingen und Ereignissen in dieser Welt kann das Leben kommunikativer, lebenswerter, vielleicht sogar "sonniger" und sinnvoller werden.

Es ist nicht von ungefähr, dass Menschen und Völker mit weniger "Modernität", Organisation und Konsumdenken immer noch zufriedener zu leben scheinen als wir, die wir eingewoben sind in Versorgungs- und Angebotssyteme, in Versicherungen und Absicherungen nach allen Seiten. Bei all unserer "Modernität" müssen wir wieder lernen: der Tod ist nicht die letzte Phase des Lebens. Das Sterben muß ständig gelernt werden. Der Satz Jesu: "Wenn das Weizenkorn nicht stirbt..." gilt für viele Situationen, Gedanken, Träume, Ideen, Gewohnheiten und Lieblingsbeschäftigungen. Erst im Loslassen des Alten können neue Einsichten gewonnen und Lebensabschnitte begonnen werden. Nur wer vom Ufer abzustoßen bereit und fähig ist, kann dem anderen Land und dem anderen Horizont näher rücken. Dazu gehören neue Erfahrungen, tiefere Erkenntnisse, das Erwachsenwerden - auch im Glauben... Im religiösen Bewusstsein der Völker lebt der nachhaltige Gedanke, dass der Tod, der am Ende jeden erwartet, nichts anderes ist als der Aufbruch in ein verheißenes Land.
 


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