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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Was ist eigentlich "christlich" am Christentum?

Tagung: 02./03.Nov. 1999

Diese Frage kommt mir immer wieder. Oft werde ich auch danach gefragt. Und wenn jemand den Anschein erweckt, etwas Wichtiges darüber aussagen zu können oder wenn es etwas Gedrucktes über diese Frage zu lesen gibt, dann greife ich allzu gerne danach. Sehr oft bin ich dann schon enttäuscht worden, weil es sich bei den gebotenen Antworten um Bagatellen handelt, die jede Gruppierung heute für sich in Anspruch nimmt. Da schreibt zum Beispiel ein Bischof: christliches "Profil" zeige sich in Tugenden und Haltungen wie Liebe, Toleranz, gegenseitiger Akzeptanz, offenem Miteinander im Gespräch, Lernbereitschaft voneinander, demokratischer Gesinnung, Geschwisterlichkeit und Brüderlichkeit, Staunen und Ehrfurcht gegenüber der Natur und Schöpfung usw.

Oft werden bei solcher Aufzählung auch "qualifizierte Fähigkeiten" genannt, die viel mit der heutigen Freizeit-, Konsum- und Leistungsgesellschaft zu tun haben - insofern bemerkenswert, als sich christlich potente Vertreter immer wieder gegen neu-zeitlich-moderne "Unkultur" gewehrt haben und sich bis heute wehren. Ich denke dabei an die Wertvorstellungen in der Zeit der Renaissance und des Humanismus, an die der Französischen Revolution oder an die der Reformation Martin Luthers - ganz zu schweigen von anderen "religiösen", aber kirchenfernen Aufbrüchen.

Was ist also "christlich" am Christentum? Peinlich wird die Frage geradezu, wenn da von "christlichen Merkmalen" gesprochen wird, die sich aber in der Praxis des Lebens bei der "profanen Konkurrenz" überzeugender darstellen als in Bereichen des explizit Christlichen; wenn zum Beispiel Eltern und Jugendliche in Fußballvereinen und bei der Feuerwehr mehr Teamgeist, Kameradschaft, Kommunikation und Gespräch über "Gott und die Welt" feststellen als in offiziell christlichen Verbänden und Gremien.

Was ist also "christlich"? Ich versuche, einen Zugang zu dieser Frage zu finden, indem ich fünf Fragen stelle und fünf Antworten versuche. Vom Evangelium her dürfen sie nicht "minimalistisch", aber auch nicht "idealistisch" oder gar gespielt-enthusiastisch ausfallen. Denn das Evangelium zeichnet sich bekanntlich durch einen erstaunlich lebensnahen Realismus aus. Man muß viel darüber nachdenken und "erdgebunden" bleiben, um ihn nicht zu verlieren. Bis ans Ende der Welt darf man nicht aufhören, den wirklichen Anliegen Jesu auf der Spur zu bleiben. Sie müssen sich als "Profil" auch immer wieder abheben von vermeintlichen bzw. kirchenpolitisch herbei geredeten Prioritäten. In einer immer mehr "plural" sich gebenden Welt wird ein Christentum, welches sich immer weniger auf gesellschaftliche oder politische "Außenstützen" verlassen kann, nur bestehen können, wenn es eindeutig sagen und "tun" kann, welches sein Spezifikum ist. Hier meine fünf Fragen und Antworten:

1. Ein "christliches" Profil kann uns nur vorgegeben sein durch die Person und das Werk Jesu Christi, in dessen Namen wir unser Leben gestalten und unsere Arbeit tun - worin besteht dieses "Profil"? Es besteht kein Zweifel darüber, daß das Auftreten Jesu in der damaligen Zeit insofern "auffällig" wurde, als sein Denken und Handeln auf die Armen, die Hilfsbedürftigen und Ausgegrenzten konzentriert waren. An den Kranken, Behinderten und Aussätzigen machte er deutlich, worum es ihm bei seiner Botschaft ging: das Reich Gottes muß immer schon jetzt seinen Anfang nehmen! Alles heilende und erlösende Denken und Handeln gleichen einer Aussaat, die immer im Hier und Heute fällig ist, damit es überhaupt zu einem erlösenden und heilsamen Werden und Wachsen beim Menschen wie unter den Menschen kommen kann.

2. Wie weit ist Jesus damit gekommen? Vom Standpunkt Außenstehender aus, die mit einem großen Erwartungshorizont die Worte und Taten Jesu als "göttlich", heilsam und im hohen Maße als befreiend erfahren hatten und die ihn deshalb zum Herrscher und König machen wollten, n i c h t sehr weit. Jesus hat machtvolle und triumphalistische Positionen nicht nur für sich abgelehnt und zugleich seine Jünger am "Karriere-Denken" gehindert (Mt.18,1-5;Mk.1o,35-45), sondern auch die religiös und politisch Mächtigen und Einflußreichen "nervig" hinterfragt. Sein Leben mündete aus diesen und anderen Gründen in eine äußere Katastrophe. Dabei wurde aber unübersehbar die Grundstruktur seiner Predigt offenbar gemacht: das Reich Gottes ist ein langsamer, aber unaufhaltsam werdender und wachsender Prozeß. Es ist wie ein Sauerteig oder wie das Salz der Erde... Es "w i r d" bis zum Tag der Ernte, an dem die vollendete Welt, die endgültig erlöste Schöpfung im neuen Licht Gottes erstrahlen wird.

3. Wie weit ist "die Kirche" seit 2000 Jahren gekommen? In vieler Hinsicht ist die Kirche auch n i c h t sehr viel weiter gekommen. Das umso weniger, je mehr sie auf Geld, Macht, Einfluß und "großartige" theologische Gedankensysteme setzte (was in heutiger Zeit weltweit immer mehr zu einer Belastung wird). Wo sie wirklich überzeugend weitergekommen ist - das sind die zahlreichen Bereiche, in denen Christen exemplarisch und beispielhaft ihren Dienst an den Armen und Hilfsbedürftigen ausüben. Heute besitzt das Christentum in buddhistischen, islamischen und anderen nicht-christlichen Ländern eine große Anziehungs- und Überzeugungskraft, insofern es pädagogische, medizinische und sozial-caritative Einrichtungen unterhält, die einfach für die Menschen da sind. Je weniger Verwaltung und umständliche Bürokratie dabei vorherrschend sind, sondern spontanes Reagieren und Zupacken in Situationen der Bedürftigkeit, desto überzeugender machen solche Einrichtungen "von sich reden". Das gilt im Besonderen von "exemplarischen Menschen", die sich darin engagieren, bewähren und zu "Zeichen", zu "Lichtblicken" werden als Antwort auf konkrete Herausforderungen und Lebensumstände. Von ihnen hat das Christentum schon immer gelebt und wird weiter leben. Sie sind nicht unbedingt identisch mit denen, die vom Christentum profitieren...

4. Wie weit können engagierte Christen mit heilsamen Worten und erlösenden Taten kommen? Wahrscheinlich werden wir in dem Maße "weiterkommen" als es uns gelingt, in kleinen Schritten wirklich "Heilsames" und "Erlösendes" für konkrete Menschen zu bewirken. Von der Predigt Jesu her sind uns unsere "Rollen" eindeutig vorgegeben: Wir sollen das Säen nicht vergessen! Wir sind immer nur zum Säen bestimmt und berufen! Das ist unsere Größe und (schwer zu verkraftende) Grenze zugleich. Das Wachsen und Gedeihen bis zum Tag der Ernte liegen nicht in unserer Macht. Insofern ist all unser Tun "auf Hoffnung" gegründet, nicht auf Gewißheit bzw. absolut sicheren Erfolgen.

5. Was hat unsere Arbeit mit prophetischem Denken und Handeln zu tun? Das Prophetische einer solchen Arbeit liegt immer in der festen Glaubens-Zuversicht, daß da einer ist, der allem, was in menschlichen Bereichen fragmentarisch und unvollendet bleibt, seine Vollendung zu geben vermag. Menschen, die tun, was in ihrer Kompetenz und Macht liegt, vermögen nicht nur ein erfülltes Leben darin zu finden; sie vermögen auch auf den zu vertrauen, der über alles Menschliche hinaus "mächtig" ist. Dadurch vermögen sie auch anderen Sinn und Hoffnung zu geben. Oft leben sie aus der Kraft einer jesuanischen "Ethik der Entrüstung" - fähig, alles menschliche Versagen beim Namen zu nennen, vor allem dann, wenn es vertuscht wird und wenn Tarn- und Verdrängungsmechanismen "Neues" verhindern.

Solch prophetisches Denken und Handeln finden sich übrigens auch bei Nicht-Christen und in nicht-kirchlichen Einrichtungen. Da sich das Denken und Tun Jesu auf die ganze Schöpfung beziehen und von Anfang an in ihr grundgelegt sind (Röm. 8,18-30; Kol.1,12-20), sind die Christen nicht die Einzigen in diesem Erlösungsgeschehen; aber sie sollten die Ersten sein, weil sie die "Erstlingsgabe" dazu empfangen haben. Diese muß sich auch im nötigen Mut und in der offenen Bereitschaft zum Voneinander-Lernen, zur Zusammenarbeit mit anderen und zum gemeinsamen Wirken in einer vielfach heillosen Welt und Menschheit manifestieren und bewähren. Für Christen muß die alles beherrschende Perspektive sein: das Ganze der Welt ist auf Heil und Erlösung angelegt. Menschen müssen darin Motoren und Werkzeuge sein, Hoffnungszeichen und Lichtblicke für etwas, was noch nicht ist und trotzdem schon im Werden begriffen ist. "Christlich" im Christentum ist also der neue heilsgeschichtliche Horizont, der "bis zum Ende der Welt" dauert, in den hinein menschliches Leben und Handeln gestellt ist.


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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