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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Denkmodelle, die ins Leere gehen

Das grauzonige Reformationsfest in Augsburg (31.10.99), umgearbeitet

Der 31. Oktober 1999 soll ein großer Tag für die Ökumene gewesen sein. Da wurde nämlich - nach über 450 Jahren Theologenstreit unter den Konfessionen - ein gemeinsames "Rechtfertigungspapier" unterschrieben. Hohe Vertreter der Kirchen waren in Augsburg angereist. Und ein herbeigeeiltes Publikum. Ein neuer Religionsfriede? Die einen sprachen von einem "historischen Ereignis", einem "richtigen Schritt" in die "richtige Richtung"; andere von einem Stein, der ins Wasser geworfen wurde und ein kurzes Kräuseln auf dessen Oberfläche verursachte.

Tatsächlich wurde zur selben Zeit das beschämende Drama über die katholische Schwangerschaftsberatung mit oder ohne Bescheinigung, welches die Wellen der Öffentlichkeit hochschlagen ließ, uraufgeführt. So blieb der ins Wasser geworfene "ökumenische Stein" recht klein und unscheinbar. Nicht viel Gutes ahnend, hatten schon im Vorfeld die theologischen Mitarbeiter und Kirchenunterschreiber "vor zu hohen Erwartungen" an das Papier gewarnt. Konkrete Konsequenzen wie eucharistische Tischgemeinschaft, gemeinsames Amtsverständnis ...seien jedenfalls nicht daraus abzuleiten. Es bleibe zunächst ohnehin alles beim Alten.

Manche engagierte Kirchenblätter waren verwundert darüber, daß so wenig "öffentliche Freude" über dieses Ereignis des 31. Oktober aufkam. Wieso eigentlich? War es doch von vorneherein als eine ernste Angelegenheit dargestellt worden, verbunden mit der Bitte: Nehmt es nicht so wichtig! Als ein Scheck, den man ohnehin nicht einlösen kann. Als eine Fahrkarte für einen Zug, der nicht fährt, weil die Beamten streiken.

Aber das Dilemma liegt viel tiefer. Denn zunächst scheint es der "gemeinsamen Rechtfertigungslehre" so zu gehen wie vielen anderen kirchlichen Lehrstücken überhaupt: sie wurden oder werden vom sog. "einfachen Volk" kaum verstanden und deshalb wenig rezipiert. Man könnte über manche "Lehren" leicht die Wette abschließen und gewinnen, daß ca. 90% der praktizierenden Christen - ganz zu schweigen von "Fernstehenden" und gelegentlichen kirchlichen Zaungästen - gar nicht wissen, worum es dabei geht. Zudem ist nicht erst seit der Reformation zu viel geschehen, um die Angst und das Mißtrauen vor dem Mißbrauch der geistigen Macht einer Religion zu schüren. Zu häufig sind das religiöse Denken und Empfinden, um kirchenpolitischer Interessen "geistiger Obrigkeiten" willen, manipuliert und auf falsche Geleise geschoben worden - sehr zum Nachteil des Christentums und seiner Glaubwürdigkeit überhaupt. Auch am 31. Oktober ist der berechtigte Eindruck entstanden, daß es Leute gibt, für die ein aufwendiges Fest mit vielen guten Worten und öffentlichem Händeschütteln besser ist als nichts. Deshalb auch die bezeichnende Reaktion der Öffentlichkeit: mögen sich Theologenzunft und Kirchenobere im Wechselspiel streiten und verständigen bis zum Ende der Welt - "die Welt" interessiert das immer weniger.

Daran wird sich wahrscheinlich auch solange nichts Entscheidendes ändern, als das "Hobby" der Fachleute die Tagesordnung bestimmt: die fixe Idee von der "wahren Lehre". Diese fixe Idee war immerhin jahrhundertelang vorherrschend. Sie hat dazu geführt, daß sich manche unterschiedliche "Unfehlbarkeitsämter" gebildet haben, die jeweils eine Lobby um sich scharen und ihre Anhängerschaft immer wieder dazu gebracht haben, ihre Ideologie mit Krieg und Unversöhnlichkeit "im Namen Gottes und der reinen Wahrheit" zu verbreiten.

Solche Kriege stellen heute keine bedrohliche Gefahr mehr dar. Aber das Schlimmste bleibt trotzdem bestehen: die Menschen wissen gar nicht (mehr), wofür sie überhaupt stehen sollen. Sie wissen eigentlich nur, daß es konfessionelle Etiketts gibt, die ihnen am Anfang ihres Lebens - als sie noch unmündige Kinder waren - so oder so aufgeklebt wurden. Auch bei fortschreitender Indoktrination und kirchlicher Sozialisation ist ihnen - außer das Erlebnis großer Feierlichkeit bei "Lebenswenden" - nicht sonderlich bewußt geworden, was von all dem Erlernten fürs Leben wichtig sein und bleiben könnte. Sie haben weitgehend das Christentum als abstrakte Lehrveranstaltung kennen gelernt, als eine Dokumentation von Symbolen, Ideen und unverstandenen Werten, welche - stets mit großer Leichtigkeit ausgesprochen und feierlich in die Welt gesetzt - die persönlichen Erfahrungen, Fragen, Probleme, Ängste ... überhaupt nicht berühren. In den Grenzen der Logik, Philologie und Historie wird auf eine Weise über Gott und Glauben gesprochen, welche wie eine Bestätigung akademisch fundierter Lebensgewohnheiten erscheint, ohne das sogenannte "einfache Volk" zu erreichen.

Das Christentum: eine Religion mit Glaubens-, aber ohne Lebensbekenntnis; mit leer gewordenen "abgegriffenen und verbrauchten Geheimnissen"; mit Worthülsen, deren gemeinten Inhalte keine Rücksicht nehmen auf das unbeschriebene, unbeschreiblich-vielfältige Leben; deshalb durch das Leben auch nicht mehr gedeckt bzw. mit dem Leben in Einklang zu bringen! Ein Wahrheitsanspruch ohne die Wahrhaftigkeit zum Leben und - nach einem Wort von D. Bonhoeffer - ohne die Fähigkeit, "Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein"!

Die Frage stellt sich heute dringlicher denn je, ob sich die Konfessionen mit ihren mehr oder weniger "wahren Lehren" nicht zum Gegenteil dessen entwickelt haben, was das Christentum ist: nämlich eine Aufforderung zum "wahren Leben" nach dem Vorbild Jesu, eine Schule des gemeinsamen Leben - und Liebenlernens. Dazu bedarf es nach dem Vorverständnis heutiger Menschen wahrscheinlich weniger des klugen Definierens von "Wahrheiten" als vielmehr des genauen Hinschauens und Hinhörens auf alle jene Lebenssituationen, die geradezu eine Aufforderung Gottes sind, damit fertig zu werden, d.h. Leben im Sinne des Evangeliums zu gestalten und "Liebe" gegenüber der Welt zu bezeugen. Wenn Jesus heute wiederkäme - mit Dostojewski glaube ich, daß er die Theologenzunft und die Kirchenobrigkeiten nicht zuerst bemühen würde; wahrscheinlich würde er wieder Männer und Frauen als erste zur Nachfolge berufen, die etwas vom Leben verstehen und die konkret wahrzunehmen vermögen, wie "christliches Leben" gelingt und wo es korrigierbar bleibt? Vermutlich ist der in der Geschichte anwesende Gott schon dabei. Sonst gäbe es ja nicht die vielen Aufregungen "von unten", das internationale Kirchenvolksbegehren, die "freien Kirchen" als "Hoffnungsversuche", die beim näheren Hinschauen z.T. glaubwürdiger sind als vermutet. Um für die Aufgaben von morgen gerüstet zu sein, bedarf das Christentum anderer Denkmodelle als der herkömmlichen. Der 31.1o.99 mit seiner mangelnden öffentlichen "Freude" dürfte das deutlich gemacht haben.

Er hat aber auch den entscheidenden Mangel deutlich gemacht: vom Verstehenshorizont und der Rezeptionsfähigkeit bzw. -willigkeit der "normalen Christen", vom "sensus fidelium" ist schon lange keine Rede mehr. Diesen blieb früher nichts anderes übrig, als "gläubig-gehorsam" (möglichst blind) nachzuvollziehen, was da gelehrt und gefeiert wurde, oder - was heute massenhaft geschieht - aus dem Verband auszuscheren. Weil die Menschen mit ihren täglichen Sorgen und Plagen allein gelassen wurden, blieb ihnen nichts anderes übrig als "Glauben" ganz anders zu verstehen als die akademisch-geschulte Oberschicht: lebensnah und erfahrungsbezogen. Sie wollen deshalb immer weniger wissen von der "wahren Lehre" - die übrigens zu viele andere "wahre Lehren" auf den Plan gerufen hat mit dem Ergebnis, noch mehr Uneinigkeit und Verwirrung in der Menschheit zu stiften als es sie ohnehin schon immer gab.

Zur Beantwortung der Frage nach dem "wahren Leben" bedarf es weniger der klugen und gescheiten theologischen Oberschicht und der mächtigen Amtsinhaber, als viel mehr der Menschen "guten Willens und seiner Huld", die nach Gottes Weisungen Leben zu meistern und zu gestalten vermögen - allen Widerständen und Rückschlägen zum Trotz. Wer dagegen vom konkreten Leben und von existentiellen Bedrängnissen des Glaubens nichts versteht, weil zu sehr im Guten verhärtet - für den erweisen sich "Hirten" und "religiöse Lehrer" leicht als "blinde Blindenführer", mit denen niemand mehr in die Grube fallen möchte, wie es leider allzu häufig geschehen ist (vgl. Mt. 15,16). Und als "Hirten", die wie Räuber und Diebe durch die Hintertür von Seilschaften in den Schafstall gelangt sind (vgl.Joh.1o).

Die Menschen mit ihren "christlichen" Erfahrungen der Vergangenheit sind heute sehr sensibel und allergisch geworden gegenüber Hirten, denen an den Schafen nicht viel zu liegen scheint, weil sie deren Leben gar nicht kennen, stattdessen ihren "amtlichen" Eitelkeiten huldigen und sich im akademischen Eifer behaupten. Newman hat schon vor hundert Jahren beklagt, daß es zu viele solcher Hirten gibt, von denen nichts zu erwarten ist.

Jedenfalls muß alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums neu geboren werden: im Zentrum des gelebten Lebens, in der Mitte allen sozial -ethischen Denkens und Handelns. Im Ringen um den Sinn persönlichen Lebens, im Dasein für andere wird immer um jenen Gott gerungen werden müssen, der v o r uns ist, der noch kommt und der weder kirchlich-theologisch einzuordnen, noch politisch zu gebrauchen noch persönlich zu vereinnahmen ist. Es ist ein Gott, der seit Menschengedenken bei aller unendlichen Ferne dem Menschen doch sehr nahe gekommen ist, indem er sich als Schöpfer und "Tätiger" im Leben der Menschheit zu erkennen gibt: tröstend, heilend, erlösend, stärkend, Hoffnung machend... Indem Menschen in der Konkretheit des Lebens suchen und ihm auf der Spur zu bleiben trachten, dürfen sie sich durch niemanden stören lassen - vor allem durch solche nicht, die behaupten, Gott begrifflich und spekulativ erkannt und verstanden zu haben.


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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