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Denkmodelle, die ins Leere gehen
Das grauzonige Reformationsfest in Augsburg (31.10.99),
umgearbeitet
Der 31. Oktober 1999 soll ein großer Tag für die Ökumene
gewesen sein. Da wurde nämlich - nach über 450 Jahren
Theologenstreit unter den Konfessionen - ein gemeinsames
"Rechtfertigungspapier" unterschrieben. Hohe Vertreter der
Kirchen waren in Augsburg angereist. Und ein herbeigeeiltes
Publikum. Ein neuer Religionsfriede? Die einen sprachen von
einem "historischen Ereignis", einem "richtigen Schritt" in die
"richtige Richtung"; andere von einem Stein, der ins Wasser
geworfen wurde und ein kurzes Kräuseln auf dessen Oberfläche
verursachte.
Tatsächlich wurde zur selben Zeit das beschämende Drama über die
katholische Schwangerschaftsberatung mit oder ohne
Bescheinigung, welches die Wellen der Öffentlichkeit
hochschlagen ließ, uraufgeführt. So blieb der ins Wasser
geworfene "ökumenische Stein" recht klein und unscheinbar. Nicht
viel Gutes ahnend, hatten schon im Vorfeld die theologischen
Mitarbeiter und Kirchenunterschreiber "vor zu hohen Erwartungen"
an das Papier gewarnt. Konkrete Konsequenzen wie eucharistische
Tischgemeinschaft, gemeinsames Amtsverständnis ...seien
jedenfalls nicht daraus abzuleiten. Es bleibe zunächst ohnehin
alles beim Alten.
Manche engagierte Kirchenblätter waren verwundert darüber, daß
so wenig "öffentliche Freude" über dieses Ereignis des 31.
Oktober aufkam. Wieso eigentlich? War es doch von vorneherein
als eine ernste Angelegenheit dargestellt worden, verbunden mit
der Bitte: Nehmt es nicht so wichtig! Als ein Scheck, den man
ohnehin nicht einlösen kann. Als eine Fahrkarte für einen Zug,
der nicht fährt, weil die Beamten streiken.
Aber das Dilemma liegt viel tiefer. Denn zunächst scheint es der
"gemeinsamen Rechtfertigungslehre" so zu gehen wie vielen
anderen kirchlichen Lehrstücken überhaupt: sie wurden oder
werden vom sog. "einfachen Volk" kaum verstanden und deshalb
wenig rezipiert. Man könnte über manche "Lehren" leicht die
Wette abschließen und gewinnen, daß ca. 90% der praktizierenden
Christen - ganz zu schweigen von "Fernstehenden" und
gelegentlichen kirchlichen Zaungästen - gar nicht wissen, worum
es dabei geht. Zudem ist nicht erst seit der Reformation zu viel
geschehen, um die Angst und das Mißtrauen vor dem Mißbrauch der
geistigen Macht einer Religion zu schüren. Zu häufig sind das
religiöse Denken und Empfinden, um kirchenpolitischer Interessen
"geistiger Obrigkeiten" willen, manipuliert und auf falsche
Geleise geschoben worden - sehr zum Nachteil des Christentums
und seiner Glaubwürdigkeit überhaupt. Auch am 31. Oktober ist
der berechtigte Eindruck entstanden, daß es Leute gibt, für die
ein aufwendiges Fest mit vielen guten Worten und öffentlichem
Händeschütteln besser ist als nichts. Deshalb auch die
bezeichnende Reaktion der Öffentlichkeit: mögen sich
Theologenzunft und Kirchenobere im Wechselspiel streiten und
verständigen bis zum Ende der Welt - "die Welt" interessiert das
immer weniger.
Daran wird sich wahrscheinlich auch solange nichts
Entscheidendes ändern, als das "Hobby" der Fachleute die
Tagesordnung bestimmt: die fixe Idee von der "wahren Lehre".
Diese fixe Idee war immerhin jahrhundertelang vorherrschend. Sie
hat dazu geführt, daß sich manche unterschiedliche "Unfehlbarkeitsämter"
gebildet haben, die jeweils eine Lobby um sich scharen und ihre
Anhängerschaft immer wieder dazu gebracht haben, ihre Ideologie
mit Krieg und Unversöhnlichkeit "im Namen Gottes und der reinen
Wahrheit" zu verbreiten.
Solche Kriege stellen heute keine bedrohliche Gefahr mehr dar.
Aber das Schlimmste bleibt trotzdem bestehen: die Menschen
wissen gar nicht (mehr), wofür sie überhaupt stehen sollen. Sie
wissen eigentlich nur, daß es konfessionelle Etiketts gibt, die
ihnen am Anfang ihres Lebens - als sie noch unmündige Kinder
waren - so oder so aufgeklebt wurden. Auch bei fortschreitender
Indoktrination und kirchlicher Sozialisation ist ihnen - außer
das Erlebnis großer Feierlichkeit bei "Lebenswenden" - nicht
sonderlich bewußt geworden, was von all dem Erlernten fürs Leben
wichtig sein und bleiben könnte. Sie haben weitgehend das
Christentum als abstrakte Lehrveranstaltung kennen gelernt, als
eine Dokumentation von Symbolen, Ideen und unverstandenen
Werten, welche - stets mit großer Leichtigkeit ausgesprochen und
feierlich in die Welt gesetzt - die persönlichen Erfahrungen,
Fragen, Probleme, Ängste ... überhaupt nicht berühren. In den
Grenzen der Logik, Philologie und Historie wird auf eine Weise
über Gott und Glauben gesprochen, welche wie eine Bestätigung
akademisch fundierter Lebensgewohnheiten erscheint, ohne das
sogenannte "einfache Volk" zu erreichen.
Das Christentum: eine Religion mit Glaubens-, aber ohne
Lebensbekenntnis; mit leer gewordenen "abgegriffenen und
verbrauchten Geheimnissen"; mit Worthülsen, deren gemeinten
Inhalte keine Rücksicht nehmen auf das unbeschriebene,
unbeschreiblich-vielfältige Leben; deshalb durch das Leben auch
nicht mehr gedeckt bzw. mit dem Leben in Einklang zu bringen!
Ein Wahrheitsanspruch ohne die Wahrhaftigkeit zum Leben und -
nach einem Wort von D. Bonhoeffer - ohne die Fähigkeit, "Träger
des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für
die Welt zu sein"!
Die Frage stellt sich heute dringlicher denn je, ob sich die
Konfessionen mit ihren mehr oder weniger "wahren Lehren" nicht
zum Gegenteil dessen entwickelt haben, was das Christentum ist:
nämlich eine Aufforderung zum "wahren Leben" nach dem Vorbild
Jesu, eine Schule des gemeinsamen Leben - und Liebenlernens.
Dazu bedarf es nach dem Vorverständnis heutiger Menschen
wahrscheinlich weniger des klugen Definierens von "Wahrheiten"
als vielmehr des genauen Hinschauens und Hinhörens auf alle jene
Lebenssituationen, die geradezu eine Aufforderung Gottes sind,
damit fertig zu werden, d.h. Leben im Sinne des Evangeliums zu
gestalten und "Liebe" gegenüber der Welt zu bezeugen. Wenn Jesus
heute wiederkäme - mit Dostojewski glaube ich, daß er die
Theologenzunft und die Kirchenobrigkeiten nicht zuerst bemühen
würde; wahrscheinlich würde er wieder Männer und Frauen als
erste zur Nachfolge berufen, die etwas vom Leben verstehen und
die konkret wahrzunehmen vermögen, wie "christliches Leben"
gelingt und wo es korrigierbar bleibt? Vermutlich ist der in der
Geschichte anwesende Gott schon dabei. Sonst gäbe es ja nicht
die vielen Aufregungen "von unten", das internationale
Kirchenvolksbegehren, die "freien Kirchen" als
"Hoffnungsversuche", die beim näheren Hinschauen z.T.
glaubwürdiger sind als vermutet. Um für die Aufgaben von morgen
gerüstet zu sein, bedarf das Christentum anderer Denkmodelle als
der herkömmlichen. Der 31.1o.99 mit seiner mangelnden
öffentlichen "Freude" dürfte das deutlich gemacht haben.
Er hat aber auch den entscheidenden Mangel deutlich gemacht: vom
Verstehenshorizont und der Rezeptionsfähigkeit bzw. -willigkeit
der "normalen Christen", vom "sensus fidelium" ist schon lange
keine Rede mehr. Diesen blieb früher nichts anderes übrig, als
"gläubig-gehorsam" (möglichst blind) nachzuvollziehen, was da
gelehrt und gefeiert wurde, oder - was heute massenhaft
geschieht - aus dem Verband auszuscheren. Weil die Menschen mit
ihren täglichen Sorgen und Plagen allein gelassen wurden, blieb
ihnen nichts anderes übrig als "Glauben" ganz anders zu
verstehen als die akademisch-geschulte Oberschicht: lebensnah
und erfahrungsbezogen. Sie wollen deshalb immer weniger wissen
von der "wahren Lehre" - die übrigens zu viele andere "wahre
Lehren" auf den Plan gerufen hat mit dem Ergebnis, noch mehr
Uneinigkeit und Verwirrung in der Menschheit zu stiften als es
sie ohnehin schon immer gab.
Zur Beantwortung der Frage nach dem "wahren Leben" bedarf es
weniger der klugen und gescheiten theologischen Oberschicht und
der mächtigen Amtsinhaber, als viel mehr der Menschen "guten
Willens und seiner Huld", die nach Gottes Weisungen Leben zu
meistern und zu gestalten vermögen - allen Widerständen und
Rückschlägen zum Trotz. Wer dagegen vom konkreten Leben und von
existentiellen Bedrängnissen des Glaubens nichts versteht, weil
zu sehr im Guten verhärtet - für den erweisen sich "Hirten" und
"religiöse Lehrer" leicht als "blinde Blindenführer", mit denen
niemand mehr in die Grube fallen möchte, wie es leider allzu
häufig geschehen ist (vgl. Mt. 15,16). Und als "Hirten", die wie
Räuber und Diebe durch die Hintertür von Seilschaften in den
Schafstall gelangt sind (vgl.Joh.1o).
Die Menschen mit ihren "christlichen" Erfahrungen der
Vergangenheit sind heute sehr sensibel und allergisch geworden
gegenüber Hirten, denen an den Schafen nicht viel zu liegen
scheint, weil sie deren Leben gar nicht kennen, stattdessen
ihren "amtlichen" Eitelkeiten huldigen und sich im akademischen
Eifer behaupten. Newman hat schon vor hundert Jahren beklagt,
daß es zu viele solcher Hirten gibt, von denen nichts zu
erwarten ist.
Jedenfalls muß alles Denken, Reden und Organisieren in den
Dingen des Christentums neu geboren werden: im Zentrum des
gelebten Lebens, in der Mitte allen sozial -ethischen Denkens
und Handelns. Im Ringen um den Sinn persönlichen Lebens, im
Dasein für andere wird immer um jenen Gott gerungen werden
müssen, der v o r uns ist, der noch kommt und der weder
kirchlich-theologisch einzuordnen, noch politisch zu gebrauchen
noch persönlich zu vereinnahmen ist. Es ist ein Gott, der seit
Menschengedenken bei aller unendlichen Ferne dem Menschen doch
sehr nahe gekommen ist, indem er sich als Schöpfer und "Tätiger"
im Leben der Menschheit zu erkennen gibt: tröstend, heilend,
erlösend, stärkend, Hoffnung machend... Indem Menschen in der
Konkretheit des Lebens suchen und ihm auf der Spur zu bleiben
trachten, dürfen sie sich durch niemanden stören lassen - vor
allem durch solche nicht, die behaupten, Gott begrifflich und
spekulativ erkannt und verstanden zu haben.
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