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Eine aufmerksame Kirche.
Pallottiner-Lesekalender 2002:
Mit liebender Aufmerksamkeit.
1. Lebens- und Blutadern "Caritas".
Beim Thema "aufmerksame Kirche" drängen sich auf Anhieb eine
Fülle von positiven und negativen Beispielen auf. Der
Pfarrer hatte in seiner Gemeinde eine schöne und
ansprechende Predigt über die Nächstenliebe gehalten. Man könne
sich die Praxis der Liebe nicht immer aussuchen. Oft kämen Not-
und Dringlichkeitssituationen, in denen jeder Christ gefordert
sei. Auch der barmherzige Samariter habe richtig und gottgemäß
reagiert, als er seine Reise unterbrach und den unter die Räuber
Gefallenen versorgte (Lk.10,25-37). So habe uns Jesus ein
Beispiel gegeben, wie wir mit offenen Augen und Ohren durch die
Welt gehen müssen, um stets "wach" für das zu bleiben, was das
Gebot der Stunde ist.
Im Gottesdienst befand sich zufällig die Leiterin einer
Hilfsorganisation. Über Nacht hatte sie ein großes Problem
dadurch bekommen, daß eine junge Frau von ihrem betrunkenen Mann
verjagt worden war und nun mit ihrem Kind für ein paar Tage
untergebracht werden mußte. Die Leiterin sah sich durch die
Predigt des Pfarrers ermutigt, auf ihn zuzugehen. Zudem hatte
sie gehört, daß er mit seiner Haushälterin ein dreistöckiges
Haus bewohnt - mit 18 Zimmern. Also ging sie nach dem
Schlußsegen zu ihm, um ihm das Problem vorzutragen. Es
entwickelte sich ein langes, umständliches Gespräch mit vielen
Entschuldigungen, "Wenn" und "Aber". Schließlich brauche ein
Priester viel Ruhe zu Besinnung und Gebet, zur Vorbereitung auf
Predigt und Katechese. Kinderlärm sei da auch für ein paar Tage
nicht zumutbar... -
Das andere Beispiel ist das eines Bischofs .
Dieser machte immer lautstark von sich reden, wenn es um den
"Schutz des Lebens" ging, um erlaubte oder unerlaubte
Schwangerenberatung. Eines Tages wurde er in einer dringenden
Notsituation, die keinen Aufschub duldete, um Hilfe für eine
Frau gebeten, die sich nach langem Zureden durch andere
entschlossen hatte, ihr Kind auszutragen. Statt spontan zu
reagieren oder wenigstens seinen guten Willen unter Beweis zu
stellen, verlangte der Bischof von vielen Stellen "Gutachten"
als Beweisstücke dafür, daß noch keine andere Hilfe vorhanden
war.
Warum Gutachten? Jedenfalls sprach sich in betroffenen Kreisen
der Verdacht herum, auch der Priester im Evangelium sei an dem
unter die Räuber Gefallenen vorbeigegangen, weil er zuerst
"Gutachten" habe einholen müssen. Und in der oben genannten
Pfarrgemeinde wurde lautstark darüber diskutiert, daß sich der
Pfarrer wohl ein Jahr lang alle Predigten sparen könne. Weil sie
ohnehin "nichts bringen".
Gott-sei-Dank: es gibt viele gegenteilige Beispiele. Da ist der
alte Mann. Regelmäßig war er bei Gottesdiensten
anwesend, hatte sich an Bibel- und Gesprächsabenden rege
beteiligt und sich engagiert. Eines Tages war er wie vom
Erdboden verschwunden. Zunächst fiel es niemandem auf. Er wurde
von niemandem vermißt. Niemand fragte nach ihm. Erst nach
einigen Wochen faßte sich jemand ein Herz, um Ausschau nach ihm
zu halten. Es stellte sich heraus: seine Frau hatte einen
Schlaganfall erlitten. Nun mußte er Tag und Nacht in ihrer Nähe
bleiben, um sie zu pflegen und zu umsorgen.
Da sind die jungen Eltern , die ihr geistig
behindertes Kind regelmäßig in die herrliche Barockkirche Bozens
tragen, um sich immer wieder ein "Bild" davon zu machen, was
Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (1Kor.2,9).
Da ist der Bischof in Peru, der mit seiner
Werktagshose auf dem Waldboden im Kreis seiner Mitarbeiter
sitzt, um "Bestandsaufnahme" zu machen. Wie sieht es in den
Gemeinden aus mit der "Praxis der Liebe"? Wo gibt es
Verfehlungen? Wo gelungenes christliches Zeugnis?
2. Organisationsverdrossenheit - aus Liebe zum Nächsten?
Man kann hinschauen, wohin man will: auf das Erdbebendrama in
der Türkei, zu den obdachlosen Familien nach den Orkanschäden in
Nordeuropa, in Gefängnisse und Krankenhäuser, auf Autobahn- und
ICE-Katastrophen, in Kriegsgebiete Afrikas und Asiens - überall
finden sich "Helfer ohne Grenzen". Und immer stellt sich die
Frage: wie kommt es, daß die einen handfest zupacken und die
anderen die Rolle von Zuschauern übernehmen?
Auch religiöses Denken und Handeln erweisen sich da als "ohne
Grenzen", d.h. erhaben über Konfessionen, Kirchen,
Glaubensbekenntnisse. Christliche Theologen und Schriftsteller,
die vom biblischen Denken geprägt sind, gehen davon aus, daß
auch die Predigt Jesu erst anziehend und kraftvoll wurde durch
seine spontanen Gesten, sein unmittelbares Reagieren und
Zupacken, wenn da plötzlich ein Kranker oder Blinder vor ihm
stand, ein Hilfsbedürftiger, ein Feind, ein Sünder... Wenn er
dann irgendwo zupackte, habe er sich von niemandem vorschreiben
lassen, daß er nun überall zupacken müsse nach dem Motto: "Du
hast einem geholfen. Hilf gefälligst nun allen!" Er habe sich
von niemandem unter Druck setzen und seiner freien Entscheidung
berauben lassen. Aber er habe auch nicht den unter die Räuber
Gefallenen liegen lassen mit dem Hinweis, er werde im Tempel
fürs Beten und Meditieren dringender gebraucht.
Tatsächlich zeigt sich an Beispielen in millionenfacher Auflage
die eigentliche Kraft des Evangeliums seit der biblischen Zeit.
Überall da, wo sich "Menschwerdung" ereignet, bricht "jesuanische
Identität" auf, ist Jesus "incognito" anwesend (Mt.25,31-46).
Dabei kommt es gerade auf die Konkretheit der "Aufmerksamkeit"
und "Zuwendung" an. Soziologen haben festgestellt, daß alle
großen Institutionen und Hilfsorganisationen dem gegenüber "blaß"
wirken. Wenn sie auf ihrem Gebiet hervorragende Dienste leisten;
wenn man auf sie auch niemals verzichten dürfte - vorschnell und
oft zu Unrecht geraten sie in den Verdacht, zu "bürokratisch",
zu "beamtenmäßig", zu "paragraphengetreu" zu sein. Auch das
Christentum habe oft allzu sehr auf große Organisationen
gesetzt. In den Gemeinden werde "Caritas" allzu sehr "nach oben"
deligiert. "Caritas" sei im Bewußtsein der Leute ein "Verband".
Wo sich dagegen reale Caritas ereigne, da werde dies kaum zur
Kenntnis genommen bzw. (z.B. in der Liturgie) zur Sprache
gebracht.
Insofern kann die kritische Distanz zu Großverbänden durchaus
ein Indiz dafür sein, daß die Sensibilisierung für konkrete
Hilfe und Aufmerksamkeit wieder wächst - eine pastorale Aufgabe!
Auch das neue/alte Kirchenverständnis des II.Vaticanums hat hier
Veränderung bewirkt. Leute der konkreten "Caritas" wollen immer
weniger "Aushängeschild" für das sein, was "die Kirche" alles
tut - einer Kirche, die nach ihnen kaum fragt, wenn es um
Einfluß- und Entscheidungskompetenzen geht.
3. Es geht um die "Gleichzeitigkeit" von Worten und
Taten.
"Aufmerksamkeit" hat etwas mit "Gleichzeitigkeit" zu tun. Worte
und feierliche Sonntagsreden können schnell als "Alibis"
entlarvt werden fürs Nichtstun und für unerledigte Aufgaben.
Umgekehrt müssen hilfreiche Taten rückgebunden bleiben an
Klugheit und Augenmaß, damit nicht "Helfersyndrome" die Taten
vergiften. "Aufmerksamkeit" macht offene Augen und Ohren für die
konkreten Herausforderungen des Alltags erforderlich. Wo
gläubige Christen darin "Anrufe Gottes" erkennen, sind zeitliche
Aufschübe und gewundene Ausflüchte nicht mehr erlaubt. Denn auf
das "Jetzt" kommt es an. Oft sind es gerade die kleinen und
unauffälligen Worte und Taten, die wie funkelnde Lichter des
Glaubens die Welt erhellen - auch wenn es "nur" in der kleinsten
Umwelt ist. Sie wirken wie ein Sternenhimmel, auf den jede/r zu
jeder Zeit aufschauen kann - wie auf ein "Gewölbe" der Hoffnung
wider alle Hoffnungslosigeit.
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