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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Eine aufmerksame Kirche.

Pallottiner-Lesekalender 2002:
Mit liebender Aufmerksamkeit.

1. Lebens- und Blutadern "Caritas".

Beim Thema "aufmerksame Kirche" drängen sich auf Anhieb eine Fülle von positiven und negativen Beispielen auf. Der Pfarrer hatte in seiner Gemeinde eine schöne und ansprechende Predigt über die Nächstenliebe gehalten. Man könne sich die Praxis der Liebe nicht immer aussuchen. Oft kämen Not- und Dringlichkeitssituationen, in denen jeder Christ gefordert sei. Auch der barmherzige Samariter habe richtig und gottgemäß reagiert, als er seine Reise unterbrach und den unter die Räuber Gefallenen versorgte (Lk.10,25-37). So habe uns Jesus ein Beispiel gegeben, wie wir mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen müssen, um stets "wach" für das zu bleiben, was das Gebot der Stunde ist.

Im Gottesdienst befand sich zufällig die Leiterin einer Hilfsorganisation. Über Nacht hatte sie ein großes Problem dadurch bekommen, daß eine junge Frau von ihrem betrunkenen Mann verjagt worden war und nun mit ihrem Kind für ein paar Tage untergebracht werden mußte. Die Leiterin sah sich durch die Predigt des Pfarrers ermutigt, auf ihn zuzugehen. Zudem hatte sie gehört, daß er mit seiner Haushälterin ein dreistöckiges Haus bewohnt - mit 18 Zimmern. Also ging sie nach dem Schlußsegen zu ihm, um ihm das Problem vorzutragen. Es entwickelte sich ein langes, umständliches Gespräch mit vielen Entschuldigungen, "Wenn" und "Aber". Schließlich brauche ein Priester viel Ruhe zu Besinnung und Gebet, zur Vorbereitung auf Predigt und Katechese. Kinderlärm sei da auch für ein paar Tage nicht zumutbar... -
Das andere Beispiel ist das eines Bischofs . Dieser machte immer lautstark von sich reden, wenn es um den "Schutz des Lebens" ging, um erlaubte oder unerlaubte Schwangerenberatung. Eines Tages wurde er in einer dringenden Notsituation, die keinen Aufschub duldete, um Hilfe für eine Frau gebeten, die sich nach langem Zureden durch andere entschlossen hatte, ihr Kind auszutragen. Statt spontan zu reagieren oder wenigstens seinen guten Willen unter Beweis zu stellen, verlangte der Bischof von vielen Stellen "Gutachten" als Beweisstücke dafür, daß noch keine andere Hilfe vorhanden war.

Warum Gutachten? Jedenfalls sprach sich in betroffenen Kreisen der Verdacht herum, auch der Priester im Evangelium sei an dem unter die Räuber Gefallenen vorbeigegangen, weil er zuerst "Gutachten" habe einholen müssen. Und in der oben genannten Pfarrgemeinde wurde lautstark darüber diskutiert, daß sich der Pfarrer wohl ein Jahr lang alle Predigten sparen könne. Weil sie ohnehin "nichts bringen".

Gott-sei-Dank: es gibt viele gegenteilige Beispiele. Da ist der alte Mann. Regelmäßig war er bei Gottesdiensten anwesend, hatte sich an Bibel- und Gesprächsabenden rege beteiligt und sich engagiert. Eines Tages war er wie vom Erdboden verschwunden. Zunächst fiel es niemandem auf. Er wurde von niemandem vermißt. Niemand fragte nach ihm. Erst nach einigen Wochen faßte sich jemand ein Herz, um Ausschau nach ihm zu halten. Es stellte sich heraus: seine Frau hatte einen Schlaganfall erlitten. Nun mußte er Tag und Nacht in ihrer Nähe bleiben, um sie zu pflegen und zu umsorgen.

Da sind die jungen Eltern , die ihr geistig behindertes Kind regelmäßig in die herrliche Barockkirche Bozens tragen, um sich immer wieder ein "Bild" davon zu machen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (1Kor.2,9).

Da ist der Bischof in Peru, der mit seiner Werktagshose auf dem Waldboden im Kreis seiner Mitarbeiter sitzt, um "Bestandsaufnahme" zu machen. Wie sieht es in den Gemeinden aus mit der "Praxis der Liebe"? Wo gibt es Verfehlungen? Wo gelungenes christliches Zeugnis?

2. Organisationsverdrossenheit - aus Liebe zum Nächsten?

Man kann hinschauen, wohin man will: auf das Erdbebendrama in der Türkei, zu den obdachlosen Familien nach den Orkanschäden in Nordeuropa, in Gefängnisse und Krankenhäuser, auf Autobahn- und ICE-Katastrophen, in Kriegsgebiete Afrikas und Asiens - überall finden sich "Helfer ohne Grenzen". Und immer stellt sich die Frage: wie kommt es, daß die einen handfest zupacken und die anderen die Rolle von Zuschauern übernehmen?

Auch religiöses Denken und Handeln erweisen sich da als "ohne Grenzen", d.h. erhaben über Konfessionen, Kirchen, Glaubensbekenntnisse. Christliche Theologen und Schriftsteller, die vom biblischen Denken geprägt sind, gehen davon aus, daß auch die Predigt Jesu erst anziehend und kraftvoll wurde durch seine spontanen Gesten, sein unmittelbares Reagieren und Zupacken, wenn da plötzlich ein Kranker oder Blinder vor ihm stand, ein Hilfsbedürftiger, ein Feind, ein Sünder... Wenn er dann irgendwo zupackte, habe er sich von niemandem vorschreiben lassen, daß er nun überall zupacken müsse nach dem Motto: "Du hast einem geholfen. Hilf gefälligst nun allen!" Er habe sich von niemandem unter Druck setzen und seiner freien Entscheidung berauben lassen. Aber er habe auch nicht den unter die Räuber Gefallenen liegen lassen mit dem Hinweis, er werde im Tempel fürs Beten und Meditieren dringender gebraucht.

Tatsächlich zeigt sich an Beispielen in millionenfacher Auflage die eigentliche Kraft des Evangeliums seit der biblischen Zeit. Überall da, wo sich "Menschwerdung" ereignet, bricht "jesuanische Identität" auf, ist Jesus "incognito" anwesend (Mt.25,31-46). Dabei kommt es gerade auf die Konkretheit der "Aufmerksamkeit" und "Zuwendung" an. Soziologen haben festgestellt, daß alle großen Institutionen und Hilfsorganisationen dem gegenüber "blaß" wirken. Wenn sie auf ihrem Gebiet hervorragende Dienste leisten; wenn man auf sie auch niemals verzichten dürfte - vorschnell und oft zu Unrecht geraten sie in den Verdacht, zu "bürokratisch", zu "beamtenmäßig", zu "paragraphengetreu" zu sein. Auch das Christentum habe oft allzu sehr auf große Organisationen gesetzt. In den Gemeinden werde "Caritas" allzu sehr "nach oben" deligiert. "Caritas" sei im Bewußtsein der Leute ein "Verband". Wo sich dagegen reale Caritas ereigne, da werde dies kaum zur Kenntnis genommen bzw. (z.B. in der Liturgie) zur Sprache gebracht.

Insofern kann die kritische Distanz zu Großverbänden durchaus ein Indiz dafür sein, daß die Sensibilisierung für konkrete Hilfe und Aufmerksamkeit wieder wächst - eine pastorale Aufgabe! Auch das neue/alte Kirchenverständnis des II.Vaticanums hat hier Veränderung bewirkt. Leute der konkreten "Caritas" wollen immer weniger "Aushängeschild" für das sein, was "die Kirche" alles tut - einer Kirche, die nach ihnen kaum fragt, wenn es um Einfluß- und Entscheidungskompetenzen geht.

3. Es geht um die "Gleichzeitigkeit" von Worten und Taten.

"Aufmerksamkeit" hat etwas mit "Gleichzeitigkeit" zu tun. Worte und feierliche Sonntagsreden können schnell als "Alibis" entlarvt werden fürs Nichtstun und für unerledigte Aufgaben. Umgekehrt müssen hilfreiche Taten rückgebunden bleiben an Klugheit und Augenmaß, damit nicht "Helfersyndrome" die Taten vergiften. "Aufmerksamkeit" macht offene Augen und Ohren für die konkreten Herausforderungen des Alltags erforderlich. Wo gläubige Christen darin "Anrufe Gottes" erkennen, sind zeitliche Aufschübe und gewundene Ausflüchte nicht mehr erlaubt. Denn auf das "Jetzt" kommt es an. Oft sind es gerade die kleinen und unauffälligen Worte und Taten, die wie funkelnde Lichter des Glaubens die Welt erhellen - auch wenn es "nur" in der kleinsten Umwelt ist. Sie wirken wie ein Sternenhimmel, auf den jede/r zu jeder Zeit aufschauen kann - wie auf ein "Gewölbe" der Hoffnung wider alle Hoffnungslosigeit.


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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