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3. Geglücktes Leben - käuflich erwerben kann man es nicht.
Deutsche Welle, 30. Sept. 1995.
Verehrte Hörerinnen und Hörer.
Deutschland gilt in vielen Ländern der Welt, vor allem in den
ärmeren Staaten, als Spitzenreiter in Reichtum und Wohlstand. So
sehr, daß Helmut Kohl vor einiger Zeit die Bevölkerung dringend
gewarnt hat, das eigene Land als einen gigantischen Freizeitpark
mißzuverstehen - eine Bemerkung, die ihm viel Schelte
eingebracht hat.
Warum eigentlich? Sind die Deutschen doch nicht so glücklich,
wie es Außenstehenden erscheint? Aus der Distanz heraus gehört
Deutschland auf jeden Fall zu den wohlhabendsten Nationen der
Welt. Optimale Sozialversicherung, beste Gesundheitsversorgung,
hervorragende Bildungsmöglichkeiten, Rechtssicherheit für jeden
und für jede. Es gibt keine Bürgerkriege und kein Arbeitsloser
verhungert. Korruption in Wirtschaft, Politik und Verwaltung
scheinen, gemessen an anderen Ländern, recht unerheblich. Die
Deutschen stehen in dem Ruf, daß es ihnen gelingt, mit den
schwierigsten Situationen fertig zu werden. Die
Wiedervereinigung ist ihnen wie eine reife Frucht in den Schoß
gefallen...
Insofern müßten die Deutschen das glücklichste Volk der Welt
sein - und seit 50 Jahren Vorbild für viele andere. Trotzdem ist
es erstaunlich, daß Wertestudien auch andere Facetten dieser
Außenansicht ausfindig gemacht haben. In der sehr pluralistisch
gewordenen Gesellschaft schwanken die Menschen dauernd zwischen
unterschiedlichen Wertehaltungen. Sie müssen sich in
verschiedenen gesellschaftlichen Rollen zurechtfinden, was
starke Spannungen verursacht. Streßgebeutelt, werden sie leicht
hin- und hergerissene "Pendler" zwischen oftmals sogar konträren
Gefühlswelten. Viele schwanken zwischen "himmelhoch jauchzend"
und "zu Tode betrübt". Wer zudem materiell zufrieden gestellt
und sozial abgesichert ist, kann an keinen Fortschritt und keine
bessere Zukunft, eigentlich an nichts mehr glauben und auf
nichts mehr hoffen. Lethargie und Perspektivlosigkeit breiten
sich aus, die leicht zum Leerlauf und zur Lebens-Leere führen...
Was in den Wohlstandsgesellschaften das größte Problem zu sein
scheint, ist die Unfähigkeit zur eigenen Personwerdung.
Die Menschen identifizieren sich zu sehr mit ihrem Wohlstand.
Ihre Identität ist eine materiell geborgte. Sie findet ihr
scheinbares Gleichgewicht, wenn die "Sache" mit dem Geldbeutel
stimmt und mit dem Auto als Standessymbol. Das persönliche
Selbstwertgefühl wird allzu leicht in dem Augenblick
erschüttert, in dem der eine mehr zu haben scheint und sich den
größeren Komfort zuzulegen imstande ist als der andere. Die
Angst, von anderen im Wettlauf mit dem Wohlstand und der
Karriere abgehängt zu werden, wird zur beherrschenden
Grundstimmung. Damit wächst die Unfähigkeit, Frustrationen und
Rückschläge wegzustecken und ein Selbstvertrauen zu entwickeln,
welches nicht von Äußerlichkeiten bestimmt wird, sondern nur aus
der Kraft des Inneren wachsen kann.
Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber
an seiner Seele Schaden leidet (vgl. Mt 16,26)? Diese Frage der
heiligen Schrift wendet sich an Menschen, die offensichtlich die
Not des Wohlstands zu spüren bekommen haben. Denn das Leben ist
mehr als Essen und Trinken, als Haben und Besitzen. Davon
spricht auch das Evangelium am morgigen Sonntag. Der reiche
Mann, der sich in Purpur und feines Leinen zu kleiden vermochte
und der das Leben Tag für Tag in vollen Zügen genoß - er war
unfähig, ein menschliches Mitgefühl zu entwickeln für die Not
des armen Mannes vor seiner Tür. Vermutlich hätte er sein
Verhalten auch dann nicht geändert, wenn man ihm erklärt hätte,
daß der Bettler ohne eigenes Verschulden in seine Not geraten
war. Sein eigenes Ich war offensichtlich so identisch geworden
mit seinem Reichtum, daß er jedes Teilen, jede Wohltätigkeit,
jeden Akt der Barmherzigkeit als Selbstwertverlust und
als Ich-Verarmung hätte empfinden müssen.
Das Evangelium zieht die Perspektiven beider Lebensgeschichten
weiter in jene andere Welt hinein, die wir die Jenseitigkeit
Gottes nennen. Der Arme, so heißt es, wurde von den Engeln zu
Abraham getragen. Nicht die Tatsache der Armut war der
eigentliche Grund für seine Erlösung, sondern seine Sehnsucht,
seine Hoffnung, sein Ausgerichtetbleiben auf jenen ganz Anderen,
der endgültig zu erlösen vermag. Dem reichen Mann dagegen waren
diese entscheidenden Triebkräfte der Seele abhanden gekommen. Im
Kerker der Äußerlichkeiten lebend, hatte er es versäumt, Mensch
zu werden - jenes Personsein zu entwickeln, das jedem das
Lebensgefühl der Einmaligkeit und der Unersetzbarkeit gibt.
Zudem jenes SELBSTWERT-GEFÜHL, welches das Teilen und Mitteilen
nicht mehr als Verarmung empfindet, sondern als Bereicherung und
innere Beglückung. Die Tür zu einem solchen Leben ist sehr eng,
sagt das Evangelium (vgl. Lk 13,22-3o). Und doch ist es jedes
Menschen Aufgabe, die Tür zum geglückten Leben zu finden und
aufzustoßen. Käuflich erwerben jedenfalls, kann man sie nicht.
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