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Gemeinde im Aufbruch
Wiesbaden, 31.03. - 01.04.2001
1. Es fängt mit einer Selbstbesinnungsphase an
Eigentlich würde ich lieber sagen: "Christen in einer
Selbstbesinnungsphase". Denn was "Gemeinde" ist, lässt sich
schwer definieren. Christen wohnen irgendwo oder ziehen in ein
bestimmtes Wohngebiet. Dann heißt es: dieses Territorium gehört
zur Gemeinde "Maria Aufnahme" oder ähnlich. Noch bevor sich die
Christen kennen oder Kontakt miteinander aufgenommen haben -
manche wollen ihn gar nicht oder sind es nicht gewohnt, Kontakte
zu pflegen - , werden sie doch einer Gemeinde zugeordnet. Bei
bestimmten Anlässen wie Taufe, Firmung, Eheschließung... muss
der Einzelne sich dessen bewusst werden. Ansonsten haben
Christen oft mehr freundschaftliche und berufliche Kontakte über
Gemeindegrenzen hinaus. Was ist also "Gemeinde"? Ein Ort der
Zusammengehörigkeit, der Vertrautheit, der gemeinsamen
Lebensausrichtung? -
Während "Gemeinde" ein recht unklarer Begriff ist und von
"Aufbruch" schwerlich die Rede sein kann, gibt es in den
heutigen gesellschaftlichen Umbruchsituationen doch viele
"Christen im Aufbruch". Meist geht es ihnen um den Erhalt
fundamentaler christlicher Inhalte und Lebenswerte, die zum
eigenen Leben verhelfen --weniger zunächst um "Gemeinde". Die
Erfahrung zeigt und scheint gerade in den banalen
Alltagserfahrungen ins Bewußtsein zu heben, dass der Mensch
nicht vom Brot allein leben kann. Er braucht Sinn und
Lebensorientierung. Er braucht Menschen, die etwas verkörpern
und Beispielhaftes tun. Ob gesuchte Werte "Liebe" heißen oder
"Toleranz", Gerechtigkeit oder Klugheit, Lebensbewältigung oder
Hoffnungsperspektiven, Tüchtigkeit im Leben oder Solidarität mit
anderen - "Werte", die das Leben lebenswert und tragfähig
machen, sind gefragt. Sie sind im Strom der Zeit wie
"Strohhalme", an denen man sich festmachen, wie Wurzeln, aus
denen heraus sinnvolles Leben zustande kommen kann. Christen
müssen sich also ihres "Wertekataloges" bewusst werden und dabei
"Gemeinde" werden.
2. Orientierung an "exemplarischen Menschen"
Menschen der Vergangenheit und Gegenwart nach dem befragt, was
sie am meisten im Leben geprägt, beeinflußt, lebenstüchtig oder
depressiv gemacht hat, weisen gewöhnlich auf Kontaktpersonen
hin, die Einfluß auf sie hatten. Da war die übernervöse oder
sorgende Mutter, der sehr autoritäre oder verstehende Vater, der
barsche oder der aufbauende Lehrer, der moralisierende oder
menschenfreundliche Priester. Meistens gehen die Erfahrungen mit
Bezugspersonen schon während der Kindheit ins Gottesbild ein.
Dann wird Gott auch als "sehr autoritär" oder verstehend,
strafend oder verzeihend-liebend verstanden. Auch das Kirchen-
und Weltverständnis werden davon geprägt. Je nach persönlichen
Erfahrungen beurteilen wir die Welt, kirchliche Verhältnisse,
Autoritäten und Weisungen so oder so. Nicht nur in der
Pubertätszeit heißen die Reaktionsweisen "Abnabelung",
Distanzierung, scharfe Kritik oder Verständnis, Bejahung,
Akzeptanz...
Christen müssen sich in ihren Gesprächen ehrlich und offen auf
unterschiedlichste Erfahrungen einlassen. Sie müssen den Mut und
das Vertrauen zueinander aufbringen, alles Erlebte und Erfahrene
zur Sprache zu bringen, aufzuarbeiten, zu "verdauen", Abstand
davon zu bekommen. Erst dadurch werden wir frei für zwei
entscheidende Fragen:
1. Wer bin ich selbst? Welche Fähigkeiten, Gaben, Charismen...
hat Gott jedem von uns mit auf den Lebensweg gegeben? Welche
Grenzen sind damit verbunden? Wie und wo ist jede/jeder von uns
ergänzungsbedürftig durch andere? Wie können wir so zueinander
finden und gemeinsam - im Geist des Evangeliums - Leben und Welt
gestalten?
2. Wer ist das eigentlich: Gott? Wer war Jesus wirklich? In
welchen Lebenssituationen hat er gestanden? Inwiefern ist das,
was er gesagt und getan hat, hilfreich für die Bewältigung
heutiger Lebensprobleme und Aufgaben? Wie können die Worte und
Taten Jesu durch uns weitergehen?
3. "Gemeinde" ist nicht etwas Vor-Gegebenes, sondern etwas
Auf-Gegebenes. Sie "ist" nicht, sondern ist ein ständiges
"Werden".
Im Christentum hat es einmal so etwas wie eine "Dynamik des
Anfangs" gegeben. Diese Dynamik wurde im Laufe von 2000 Jahren
immer wieder gebremst und durch Versagensgeschichten vereitelt.
Es hat aber auch immer wieder erstaunliche Aufbrüche gegeben.
Manchmal gingen sie von Heiligen, Reformatoren und
Ordensgründern aus; manchmal kamen sie durch den Mut und die
Beständigkeit des "ungebildeten Volkes" zustande; gelegentlich
sogar durch Priester und Päpste. Könnte so etwas wieder möglich
werden - auch in unserer Zeit, in unseren Gemeinden? Man kann
"Erneuerung" und "Aufbruch" nicht herbeireden, auch nicht
"begeistert" beschwören in Sonntagsreden, die am nächsten
Werktag wieder vergessen sind. Dennoch: es gibt sie. Es kann sie
zu jeder Zeit und an jeden Ort geben. Einige Voraussetzungen
möchte ich nennen, die dafür wichtig sind:
- Orientierung am Gründer. Wer war Jesus wirklich? Was hat
er gewollt, getan? Wieso ist er für uns so wichtig?
- Orientierung an Heiligen und Helden, die auf zeitgemäße
Weise die Anliegen Jesu deutlich machen. Erinnert sei an EDITH
STEIN, HELDER CAMARA, A. SCHWEITZER, M. L. KING, MUTTER TERESA
und andere. Es können auch eigene Eltern, Freunde, Bekannte
sein, also wichtige Bezugspersonen.
- Orientierung an den eigenen Begabungen und Kräften, die in
uns schlummern und "wach" werden müssen. Sie sind wie Gras,
welches die Frühlingssonne - sprich "Gemeinde" - zum Leben
erweckt. Gemeinde muss Personwerdung ermöglichen!
- Zusammenspiel der Kräfte. Da gilt nicht: "mit dem eigenen
Kopf durch die Wand", sondern "wir alle gemeinsam", die wir
die konkreten Aufgaben des Lebens zu sehen und zu bewältigen
haben (in Ehe, Familie, Kirche, Gesellschaft, Berufswelt).
Austausch über alles, was Leben und Glauben erfreulich oder
bedrohlich macht, ist extrem wichtig.
- Vertrauen und Hoffnung auf den, der die Sonne aufgehen
läßt über alles, was für Menschen heilsam und erlösend ist.
Wenn durch Christen die Worte und Taten Jesu weitergehen,
jeweils auf den "Stand", auf den "Punkt" gebracht werden,
können Gemeinden so etwas "wahr" machen, was das Evangelium
als "Licht der Welt", als Salz der Erde bezeichnet.
Wenn ein "Aufbruch" in Gemeinden und christlichen
Zusammenkünften wieder möglich werden soll, müssen sich die
Betroffenen sehr auf sich selbst verlassen lernen - auf den
Geist Gottes und auf die Gaben, die er schenkt. Weisungen "von
oben" sind dabei immer nur bedingt hilfreich. Gott will uns
Christen nicht als Sklaven und Befehlsempfänger, sondern als
Freiwillige und Verantwortliche, die für ihre eigene Lebenswelt
den Willen Gottes zu erforschen und nachzuvollziehen bemüht
sind.
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