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Gedankenanstöße zum Thema:
Gemeinden ohne Priester.
undatiert
1. Wie schon lange nicht mehr, leben wir heute in einer Zeit
des weltweiten christlichen Zurück zu den Quellen des
Evangeliums, des Zurück zum Ursprung dessen, was
Jesus gesagt und getan hat - nicht in dem Sinne, als könnten
über Nacht 2000 Jahre "Tradition" annuliert und rückgängig
gemacht werden; wohl aber in dem Sinne, daß nach der elementaren
Kraft und Dynamik des Anfangs gefahndet wird, um es für das
Heute der Christenheit wieder fruchtbar zu machen.
2. Das erste fundamentale Ergebnis des Umgangs mit dem
Ürsprünglichen scheint die Erkenntnis zu sein, daß das
Christentum - von seinem Gründer Jesus Christus her -
nicht als ein System oder als konkurrierende Systeme von
"objektiven" Lehrmeinungen und unfehlbaren Lehrsätzen, nicht als
ein absolutes Moralsystem, nicht als ein Gesetzes- oder
Kirchenautoritätsglaube zu verstehen ist, sondern als eine
impulsgebende Kraft für allein und gemeinsam verantwortete
Lebensgestaltung im Sinne des Heilshandelns Jesu an
den Menschen und an der Welt; als Lebensmeisterung unter
den Imperativen der Liebe und größeren Gerechtigkeit; als
Hoffnungsversuche über das Diesseits hinaus; als konkretes
schon-jetzt des Tuns der Wahrheit, welches wie
Samenkörner das Wachsen des Reiches Gottes auf seine zukünftige
Vollendung hin eröffnet. Um Licht der Welt und Salz
der Erde sein zu können, geht es primär um die
Nachfolge Christi, d.h. um die Fortsetzung der
menschenbezogenen und situationsgemäßen Worte und Taten Jesu,
erst sekundär um Ämter, Kirchenstrukturen, Riten und
Liturgien. Bei Paulus z.B. haben die Weitergabe des
Evangeliums und der Aufbau der Gemeinden absolute Priorität. Um
Beides zu sichern, war es für ihn unverzichtbar, daß die in den
Gemeinden vorhandenen Gottgegebenen Charismen voll zum Zuge
kamen. Auch das Leitungsamt war für ihn ein Charisma, welches
von keinem ausgeübt werden durfte, der dieses Charisma nicht
hat. Den mit bestimmten Gottesgaben Ausgestatteten wurden die
Hände aufgelegt: zur Leitung bestellt und zum Vorsitz beim
Liebesmahl.
3. Wo innerhalb des ersten Jahrtausends die Hauptsache mehr oder
weniger Hauptsache blieb, entwickelte sich eine große
Freiheit und Offenheit für die Schaffung von Ämtern,
christlichen Lebensformen und "Theologien" (siehe
Patriarchatskirchen). Diese Freiheit zeigt sich bereits
mannigfaltig im NT:
- in der Wahl der Apostel durch Jesus, die keine
theologischen Fachleute waren, sondern Fischer, Handwerker,
Menschen guten Willens...
- in 1Tim 3,1ff und Tit 1,5-9, wo von der Einsetzung
geeigneter Vorsteher und Bischöfe die Rede ist. Sie müssen im
Leben der Gemeinschaft, in Ehe und Familie bewährte Leute
sein!
- in 1 Kor 12, wo die Bündelung und Inanspruchnahme vieler
Charismen durch wenige scharf abgelehnt wird. Denn Gemeinde
kann nur gelingen, wo die vielen von Gott gegebenen Charismen
zum Zuge kommen. Wo Vielheit, da ist der Dienst an der Einheit
nötig. Wo keine Vielheit, da erübrigt sich der Dienst an der
Einheit oder er wird zur bloßen Farce.
- in der Vielgestaltigkeit der urchristlichen Gemeinden
selbst. Da begegnen uns nämlich zahlreiche weibliche
Mitarbeiter in Christus Jesus (Röm. 16,3), Mitkämpferinnen für
das Evangelium (Phil 4,2f) oder sich Abmühende im Herrn (Röm. 6,12)
sowie weibliche Diakone (Röm. 16,1f), Leiterinnen von
Hauskirchen (Kol 4.15, Röm 16,3-5) und sogar ein weiblicher
Apostel namens Junia (Röm. 16,7).
- "Paulus sieht keinen Grund, gegen das gleichberechtigte
Auftreten von Frauen und Männern im Gottesdienst anzugehen, er
regelt lediglich bestimmte Äußerlichkeiten" (H. Gollinger).
- Die Leitung der Eucharistiefeiern war in den paulinischen
Gemeinden Sache des "Hausvaters", in dessen Räumen die Feier
stattfand. Dabei darf mit "größter Wahrscheinlichkeit"
angenommen werden, daß "in der christlichen Urzeit auch Frauen
innerhalb des Gottesdienstes in vollem Unfang gleichberechtigt
neben den Männern tätig gewesen sind" (J. Blank).
- Für eine strenge Notwendigkeit, für den Vorsitz bei der
Eucharistiefeier eine eigene sakrale "Weihe" mit einer
besonderen Konsekrationsvollmacht über Brot und Wein zu
erhalten, gibt es in den frühchristlichen Zeugnissen keinen
Anhaltspunkt. Die Idee eines "geistlichen Standes" mit
besonderer sakramentaler "Weihegnade", mit einem
qualifizierten Führungsanspruch, mit der Ausstattung
heilsvermittlerischer Vollmacht, läßt sich unter Berufung auf
das Neue Testament nicht begründen. "Das Neue Testament kennt
weder geweihte Personen noch eigene Kultorte, weder
Opferhandlungen noch heilige Zeiten der Christen" (R. Pesch).
4. Solche und ähnliche "Befunde" werfen eine Fülle von Fragen
auf:
- im Blick auf die wachsende Zahl der priesterlosen Gemeinden.
Unter ihnen gibt es eine ganze Anzahl (d.h. nicht automatisch
alle!), die bewährte Männer und Frauen vorzuweisen haben und die
etwas schöpferisch Neues aus ihrer "Lage" zu machen imstande
sind. Solche bewährten Christen müßten ausfindig gemacht
und zur Leitung der Gemeinde wie auch durch Weihe und
Handauflegung zur Spendung aller Sakramente bevollmächtigt
werden - naturgemäß mit der Zustimmung der Gemeinde und des
Bischofs und auch erst nach einer praxisnahen theologischen
Vorbereitung für ihre Aufgaben. Wie gesagt: einige
ausgewählte Gemeinden sollten hier Pionierarbeit leisten und
Erfahrungen sammeln können, ohne daß gleich am Anfang in
perfekter Manier Entscheidungen für alle anvisiert werden.
- im Blick auf Krankenbegleitung und -Seelsorge.
In Krankenhäusern und anderen Einrichtungen gibt es viele
Erprobte, die in diesem Bereich wichtige Erfahrungen gesammelt
haben und auch in der Lage sind, zu Kranken und Sterbenden ein
sehr vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Anstatt wie
früher einen fremden "Blaulichtpriester" für Beichte und
Krankensalbung einfliegen zu müssen, sollte das
Vertrauensverhältnis zu den Kranken auch sakramental
gefeiert werden können durch die, die im Laufe der Zeit
Kontakt- und Vertrauenspersonen geworden sind.
- im Blick auf Gesprächsgruppen, Bibel- und
Familienkreise Vereine, Initiativgruppen verschiedenster Art,
auch Schulklassen.
Auch diese bieten sich gelegentlich an als natürlich
gewachsene "Kirchen im Kleinen". Was hier an menschlichem
Potential wächst und zu wachsen fähig ist, sollte eine
Bestätigung und christliche Vertiefung auch dadurch erfahren,
daß Vertrauensleute mit Vollmachten ausgestattet werden, die
früher dem Klerus allein vorbehalten waren. Denn
"Kirche" ist schließlich überall dort, wo Menschen in
Seinem Namen sich versammeln und gemeinsam christliche
Lebensorientierung suchen. So kann eine menschennahe und
menschenorientierte Kirche neu wachsen.
- im Blick auf die Sakramentspendungen in den
herkömmlichen Pfarreien.
Wenn es zum Beispiel bewährte Personen oder Gruppen
gibt, die Kontakt aufnehmen mit Eltern, die ihre Kinder taufen
lassen möchten; wenn Christen schon aus Freundschaft und
Gewohnheit heraus kranke Nachbarn besuchen; wenn Sterbefälle
ins Haus stehen und Christen der Gemeinde die Trauernden gut
kennen...., dann sollten solche mündige Laien auch
konsequent mit Vollmachten zur Taufe, zur Kankenkommunion und
-salbung, zum Beerdigen ausgestattet werden nach dem Motto:
Christen untereinander sind sich immer selbst die Nächsten.
Solche pastoralen Zielsetzungen setzen natürlich die harte
Arbeit der Mentalitätsveränderungen in den Gemeinden
voraus, vor allem auch beim Klerus. Deshalb gilt auch hier das
Prinzip: Priester, die zu solcher Veränderung FÄHIG sind,
sollten mit Gemeinden beginnen können, die sich dafür öffnen.
Gezielte Schritte und Maßnahmen können der Kirche auf kurz oder
lang zu zukunftsträchtigen Lösungen für ihre Probleme verhelfen,
auf keinen Fall aber Regelungen, die von Anfang an alle
zugleich meinen. Daß hier ein neuer Priester- und
Gemeindeleitertyp wie auch Bischofstyp gefordert
sind, liegt auf der Hand. Die Kirche hat heute mehr denn je
Menschen nötig, die - anstatt Funktionäre, Religions-Verwalter
und fast ausschließlich Sakramentenspender zu sein - zu
animieren, zu inspirieren, zu motivieren vermögen; die die
verschiedenen Charismen fördern und zugleich Einheit stiften im
Blick auf den, der vor 2ooo Jahren durch sein Denken und Handeln
Maßstäbe für immer gesetzt hat. Menschlich gesprochen,
sind solche und ähnliche Wege für die Zukunft der Kirche die
einzige Chance. Eine solche Chance muß aber zuerst dort eröffnet
werden, wo Menschen sich dafür öffnen lassen. Die Ambition,
für alle zugleich Entscheidungen zu treffen, gibt der Chance
keine Chance.
5. Weitere Fragen, die auch den außer-kirchlichen Raum
betreffen:
- Wie oben unter 1 bis 3 bereits angedeutet, ist der zentrale
Auftrag der Weitergabe des Evangeliums noch nicht dadurch
gelungen, daß auch "Laien" und Frauen zu den kirchlichen Ämtern
zugelassen werden (vgl. evangelische Kirche). Was heißt also im
heutigen Kontext: Weitergabe des Evangeliums? Aufbau der
Gemeinden? Nachfolge Christi...?
Was heißt "Tradition"? Ist das, was normalerweise als
"Tradition" verstanden und gelebt wird, wirklich die
Entfaltung des Ursprünglichen, oder vielleicht dessen evangeliumsferne
Verkürzung, Manipulierung, "Verstaatlichung"; eine interessenbedingte "In-Anspruch-Nahme" durch bestimmte Gruppen
und Kreise?
- Wie kommt es, daß sich die christlichen Kirchen und
Konfessionen (tausendfach auch die "Freikirchen") dem
wiederentdeckten Ursprünglichen so unterschiedlich
stellen und so verschiedene Wege gehen (z.B. Ämterzulassung der
Frauen bei den Anglikanern und Altkatholiken;
Laien-Bevollmächtigung bei Pfinstlern, Methodisten usw...)? Ist
das alles legitim und biblisch begründet? Wenn Ja - was heißt im
katholischen Raum: gesellschaftlich- und kulturbedingte
(pastorale) Pluralität und Einheit im Blick auf den einen
Rabbi, dem alle gemeinsam zu gehorchen haben? Was kann "plural"
sein, ohne daß die Einheit dabei abhanden kommt? |