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Glaube in Bewegung.
zu CiG 45/2008, 512, Jan. 2009
Meine Erfahrung mit vielen kirchlichen und religiösen Gruppen
lautet: Glaube ist ein inflationärer Begriff geworden. Was ist
Glaube? An unendlich viele persönliche Vorstellungen und
Einbildungen wird "geglaubt": an Gott, an eine überirdische
Macht, an ein göttliches Wesen, an die Vorbildlichkeit des
Menschen Jesus von Nazaret, an den Sohn Gottes und seine
Auferstehung, an die Lehre der Kirche, an Dogmen und Sätze, an
kirchliche Autoritäten und deren Unfehlbarkeit, an liebgewordene
Bräuche und Traditionen, an kosmische Kräfte, ans Horoskop, an
Sternzeichen, ans Kartenlegen, an Buddha und die vielen
Wiedergeburten…
Was auch immer geglaubt und in sonntäglichen
Glaubensbekenntnissen von Christen auswendig aufgesagt wird – es
hindert sie nicht daran, de facto den Glauben ans Geld, an die
Karriere, an den Wohlstand, an Mode, an Schlagzeilen und
gesellschaftliche Trends zu praktizieren. Dabei fehlen
Intoleranz, Lieblosigkeiten, Mobbing und Ellenbogenverhalten
nicht, wenn es um persönliche Vorteile geht. Bei der
herkömmlichen "religiösen Erziehung" stellen sich mir die
Fragen, ob das Aufsagen von Katechismus-Wahrheiten nicht eher in
eine Sackgasse geführt hat, in eine "Glaubens-Illusion"? Ist der
christliche Glaube auf weiten Strecken wie ein Wasser geblieben,
welches den Stein umspült, ihn aber nicht zu durchdringen
vermag?
Wenn ich die Bibel einigermaßen verstanden habe, so ist
ursprünglich vom Glauben als "Nachfolge Christi" die Rede, von
der Fortsetzung der Worte und Taten Jesu durch Christen und
christliche Gemeinden. Glaube also als verbindliche Übernahme
der Worte und Taten Jesu in die eigene Lebenswelt! – um der
"neuen Gerechtigkeit" willen, um des Reiches Gottes willen,
welches schon jetzt, im Hier und Heute seinen Anfang nehmen soll
und welches, weil einem wachsenden Samenkorn gleich, keinen
Aufschub duldet! Ich stelle mir das Unvorstellbare vor, dass
solche Imperative im Laufe von 2000 Jahren Missionsgeschichte
mit Menschen anderer Völker und Rassen eingeübt worden wäre -
statt ihnen klug erdachte "Wahrheiten" um den Kopf zu schlagen -
mit all den Vorurteilen und Verwundungen, die bis heute mächtig
und schmerzhaft sind. Vieles wäre anders gelaufen, wenn nicht
"geistiger Imperialismus" und menschliche Ambitionen das
Geschehen bestimmt hätten, sondern die Anforderungen des
Evangeliums…
Im Blick auf Vergangenheit und Gegenwart kann ich mich des
Eindrucks nicht erwehren, dass solches "Glaubensverständnis"
Angst macht vor dessen Konsequenzen. Auch die Festlegung des
Glaubens in feste Sätze und unfehlbare "Wahrheiten" ist nicht
frei von irgendwelchen Ängsten und Eigeninteressen. Vieles in
den Kirchen müsste gründlich überprüft und revidiert werden. Es
wäre aus mit dem feinsinnigen hochgeistigen Spekulieren über
Gott und die Welt. Den Worten müssten Taten folgen, an denen
allein man "Glauben" verifizieren kann. Das menschennahe und
situationsgemäße "Tun der Wahrheit" in Liebe und Gerechtigkeit
würde dazu beitragen, dass sich mehr Friede und Versöhnung unter
den Menschen ereignet. Die konsequente Einübung in den
Wertekatalog des Evangeliums würde den angeblich "Gläubigen"
deutlich machen, dass die im Alltag gelebte "Nachfolge"
frohmachend, aber auch anstrengend ist. Nur im "Tun der
Wahrheit" kommt man zum Licht. Christen und Kirchen würden -
über verbale Beteuerungen hinaus - den Eindruck erwecken, "Licht
der Welt" und "Salz der Erde" zu sein. Statt um sich selber zu
kreisen, würden sie begreifen, dass das Wirken Gottes in Seiner
Schöpfung nicht an eine Kirchenzugehörigkeit gebunden ist. Wie
für Gott Menschen in jedem Volk willkommen sind, "die ihn
fürchten und Gerechtigkeit üben" (Apg 10.35), so müsste es auch
für die Kirchen sein: nicht als Glaubenshüterinnen einer selbst
gefertigten Botschaft, sondern als Gebäude aus lebendigen
Steinen, deren Fenster und Türen offen stehen, weil sie auf das
Ganze der Welt ausgerichtet sind.
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