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4. "Ich möchte haben" - "Ich möchte sein".
Deutsche Welle, 14. Okt. 1995.
Verehrte Hörerinnen und Hörer.
Zwei Grundhaltungen sind es, die das Leben bis in die
Kleinigkeiten des Alltags hinein zu bestimmen scheinen. Die
erste könnte man in dem kurzen Satz zusammenfassen: "Ich
möchte haben". Schon beim kleinen Kind fängt sie an. Im
Supermarkt kann man leicht die Beobachtung machen, wie ein Kampf
stattfindet zwischen der Mutter oder dem Opa und dem 3-jährigen
Sprößling. Denn der Kleine möchte haben, was ihm beim
Vorbeigehen in die Augen fällt: das Kaugummi, die Gummibärchen,
das Überraschungsei, des Feuerwehrauto, den Lego-Kasten und den
kleinen Teddybär, der so schön hüpfen kann... Und an der Kasse,
am mit vielen Kindersachen beladenen Einkaufswagen kann man als
Beobachter schnell überschlagen, daß Mutti oder der Opa wieder
einmal eine Schlacht verloren haben...
In uns Menschen steckt ein fast unersättlicher Trieb mit dem
Namen: Ich möchte haben! Wenn der 12- oder 14-Jährige aus der
Schule nach Hause kommt, weiß er darüber zu berichten, was die
Schulkameraden schon wieder alles neu bekommen haben. Das
braucht er natürlich auch: das Moped, den Computer, die
Sportausrüstung... Und beim fast 18-Jährigen muß das Auto schon
ein paar Tage vor dem Geburtstag der Volljährigkeit auf der
Straße stehen.-
So geht es während der ganzen Lebensgeschichte auch bei
Erwachsenen weiter. Früher hieß es: " Kleider machen Leute".
Heute muß man sagen: Das Auto als Standessymbol macht die Leute
- möglichst das neueste Modell mit der größten PS-Zahl... Oder
die modernsten Möbel, die schicksten Kleider, der nobelste
Komfort, die erfolgreiche Karriere... machen die Leute. "Wenn
ich einmal reich bin", singt der Hauptdarsteller im Musical "Anatevka",
werde ich im Mittelpunkt der Ereignisse stehen, schauen die
Leute mich an, habe ich Freunde und Einfluß... "Wer reich ist,
gilt zudem als klug...".
In bestimmten familiären oder gesellschaftlichen Konstellationen
kann es sein, daß der Trieb "Ich möchte haben" zur
unersättlichen Ausschließlichkeit gesteigert wird. Dann fällt
kaum die zweite Triebfeder des Lebens ins Gewicht, die
Gott-sei-Dank auch immer latent vorhanden ist. Man könnte sie
auf die Formel bringen: "Ich möchte sein". Wenn junge
Eltern zum Beispiel davon sprechen, daß sie ihren Kindern
vorbildliche Eltern sein möchten; wenn der Mann und die Frau
sich gegenseitig das faire Partner-Sein in guten und weniger
guten Lebenszeiten versprechen, dann geht es um etwas
grundlegend Anderes als um den Geldbeutel und die Karriere. Wenn
der Chef einer Firma oder der Abteilungsleiter in einem Betrieb
von sich selbst fordern, einen kühlen Kopf zu bewahren,
ausgleichend zu wirken und Situationen, in denen alle zu
"spinnen" und hysterisch zu reagieren anfangen, ruhig und
gelassen gewachsen zu bleiben, dann ist eigentlich immer der
Mensch gefordert: seine Reife, seine Erfahrungs- und
Lernbereitschaft, seine persönliche Würde und innere Stärke, die
die Stürme des Lebens durchzustehen vermag.
Auf solche Haltungen der Menschlichkeit zielt das morgige
Evangelium. Wie so oft, schildert es auch hier wieder einfache
Lebenssituationen, in denen so oder so die Menschen schon immer
gestanden haben und immer wieder stehen werden. Die 10
aussätzigen Männer suchen das Erbarmen Jesu. Sie wollen geheilt
werden. Sie wollen etwas haben oder wieder haben, was allen
Menschen kostbar ist: die Gesundheit. Alle wurden von Jesus
geheilt, heißt es im Evangelium. Aber nur einer kam zurück, um
sich vor Jesus dankend auf die Knie zu werfen.
Wer war dieser eine, der zu danken verstand? Er stammte aus
Samaria. Er war für die gläubigen Juden ein Fremder, ein
Ungläubiger, ein Außenstehender, dem man aus dem Wege ging.
Ausgerechnet ihm bescheinigt Jesus, daß er den Heilswegen Gottes
näher steht als die sog. Frommen, weil er zum Danken fähig
geblieben war; weil er bei aller äußeren Religionslosigkeit vor
sich selbst wie vor Gott eine Sensibilität und Offenheit bewahrt
hatte für Lebenshaltungen, die den Menschen eigentlich erst zum
Menschen machen.
Wer sich also - unabhängig von Stand, Religion und
Weltanschauung - einen Sinn für menschliche Würde bewahrt,
vermag den Absichten Gottes mit dieser Welt entschieden besser
zu entsprechen als jemand, der in der Haltung des "Ich möchte
haben" ein ewig Pubertierender, ein kaum zu korrigierender
Egoist und Kindskopf bleibt.
Denn so ist es nun einmal mit den beiden Grundtrieben im
menschlichen Leben. Der eine führt zur Unersättlichkeit des
immer-mehr-haben-Wollens, letztlich zur Unzufriedenheit, zum
Hader, zum intolerant-kämpferischen Gehabe in allen Bereichen
menschlichen Zusammenlebens. Der andere mobilisiert seine
ethischen und moralischen Kräfte. Obwohl schwieriger zu leben,
führen sie dennoch zum Frieden mit sich selbst, mit anderen
Menschen und mit Gott. Das dankbar-sein-Können wird dabei das
äußerlich sichtbare Kriterium dafür, daß ein Mensch zu sich
selbst gefunden hat. "Steh auf und geh!" sagt Jesus zu dem
Geheilten. "Dein Glaube hat dir geholfen". Man könnte
hinzufügen: Er wird dir auch später helfen, wo immer du gehst
und stehst.
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