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Die hundert Namen Gottes.
Pallottiner-Lesekalender 2000
Mit der Idee von den "hundert Namen Gottes" ist symbolisch
zum Ausdruck gebracht, daß es in Wirklichkeit unzählige Namen
Gottes gibt. Ihre Zahllosigkeit und Unzählbarkeit hat etwas mit
der uralten menschlichen Vorstellung und Deutung zu tun, daß das
Wesen Gottes vom menschlichen Verstand niemals adäquat erfaßt
und begriffen werden kann. Jeder Name Gottes ist wie das Loch im
Sand, in das der kleine Junge das Meer zu schöpfen versucht. Das
Loch ist nicht nur ungeeignet, das unendliche Meer in sich
aufzunehmen. Es vermag auch nur für eine kurze Zeit das
geschöpfte Wasser zu halten. Das Wasser versickert. So erweist
sich jeder Name Gottes nur für eine Zeitlang als befriedigend
und erfüllend. Jedes "Finden" seines Namens ist immer einem
Entschwinden gleich - so wie Maria Magdalena den Herrn am
Ostermorgen zu berühren versuchte, ohne ihn festhalten zu
können.
Die Namen Gottes, wie die Religionen der Welt sie ausnahmslos
beschreiben, haben vielleicht weniger mit Gott zu tun als viel
mehr mit unzähligen Lebenslagen, in denen der Mensch seine
Existenz in seiner weltlichen Immanenz und Begrenztheit erlebt.
Darin sucht er die Grenzenlosigkeit und Transzendenz Gottes zu
erahnen und zu erfassen. Wer in seiner Kindheit einen sehr
strengen und autoritären Vater erlebt hat, für den wird Gott
leicht zu einem Richter und Bestrafer. Wer einen besonderen Hang
zu Karriere, Macht und Einfluß hat, spricht leicht von der
Allmacht und Herrschaft Gottes. Wer konfliktscheu ist und keine
Spannungen auszuhalten vermag, für den ist Gott gütig, liebevoll
und barmherzig. Wer sein Leben nach Ordnung und Recht gestaltet,
wem unverrückbare Prinzipien und unüberholbare Standpunkte das
Wichtigste sind, für den wird Gott zu einem Streiter und Krieger
für die einzig wahre Sache. Und der Wagemutige, der Abenteurer
und Besieger anderer Welten und Weltanschauungen sieht in Gott
den Wegbegleiter und Kampfgenossen, der seine Feinde und Gegner
vernichtet.
Human- und religionswissenschaftlich gesehen, haben die Namen
und Bilder von Gott immer etwas mit dem Menschen zu tun. Sie
erscheinen wie Wunschbilder oder "Projektionen" von Menschen,
die sich zu den Herrschenden zählen oder zum einfachen Volk, zu
Hirten oder Bauern, zu Sammlern oder Kriegern, in der Kirche zum
Klerus oder zu den "Laien". In heutigen Anstößen der
feministischen Theologie, der lateinamerikanischen
Befreiungstheologie... findet Letzteres seinen - herkömmlich
festgemachte Positionen erschütternden - Niederschlag.
Jedenfalls verweisen die Namen und Bilder von Gott immer auf das
"Jenseits unserer Grenzen". Sie bringen Sehnsüchte und Ängste
zum Ausdruck, Hoffnungen und Verzweiflungen. Als Ahnung und
Hoffnung der Völker sind die Namen Gottes nicht "brauchbar" für
absolute Aussagen und Definitionen, für unumstößliche Lehren und
umfassende Erkenntnisse bzw. Glaubensaussagen. Denn jede
religiöse Erkenntnis ist immer nur eine vor-läufige Erkenntnis;
jede Aussage über Gott ist immer nur "wahr" und "richtig" bis
zum Auftauchen neuer Fragen und Anfragen.
Nicht umsonst gibt es im AT das strenge Verbot, die vielen Namen
Gottes in festen Bildern zur Darstellung zu bringen. Der Islam
hat dieses Verbot übernommen. In den asiatischen Religionen ist
eher vom Prinzip des Göttlichen die Rede, vom göttlichen Urgrund
aller Dinge. Dieser nimmt regelmäßig und zu allen Zeiten Wort
und sichtbare Gestalt an im Angesicht eines erleuchteten Guru -
ähnlich wie die berühmte Zeichnung Albert Dürers von seiner
alten Mutter oft als Bild von Gott gedeutet worden ist. Auch im
NT gibt es "das" Gottesbild nicht. Die Bibel ist auch kein
Lehrbuch der Dogmatik oder Ethik, sondern ein historisches
Dokument. Es zeigt das vielgestaltige Ringen von Menschen um
ihren Glauben, letztlich um eine Person, die durch unsere Welt
gegangen ist und von Anfang an eine "plurale Theologie"
zugelassen hat. Deren Jesus-Bilder schwanken zwischen dem
irdischen Jesus und dem auferstandenen Christus. Manchmal ist
sogar ein breiter Graben zwischen beiden.
Wie es Moses nur gestattet war, den "Rücken Gottes" zu sehen,
weil Gottes Angesicht niemand zu sehen vermag (Ex.33,23), so
gibt es auch im NT eine breite Strömung, die über Jesus sagt:
"Ich bin der Weg" (Joh. 14,6),statt: "Ich bin der Standpunkt",
wie Kurt Marti es ausdrückt. Der Weg- und Nachfolgegedanke im NT
und in der frühen christlichen Zeit, der allzu selbstsicherem
Spekulieren über Gott mehr als abgeneigt zu sein scheint, geht
es um das Tun der Wahrheit, wie es Jesus exemplarisch deutlich
gemacht hat; um die situations- und menschenbezogene Praxis der
Liebe im Hier und Heute der Lebenswirklichkeit, um die konkrete
Fähigkeit der Begegnung mit Menschen: sogar mit Sündern,
Ausgestoßenen, Zöllnern und Feinden... Das AT und NT berichten
von unzähligen Lebenssituationen, in denen das Festhalten der
Namen und Bilder Gottes eher wie Schall und Rauch erscheint - in
denen dennoch der "Name" Gottes als ein für die Menschen und
Völker erlösendes Ereignis und erhellendes Licht erfahren wird.
Denn wer den Namen Gottes "begreifen" will, muß sich bewegen,
muß sich auf den Weg machen, muß auf- und ausbrechen aus
Herkömmlichem und Liebgewordenem. Er muß Selbst- und
Welterfahrungen in den tausendfachen Schattierungen des Lebens
auf sich zu nehmen und zu erdulden fähig sein. Darin erschließt
sich Gott als das Licht einer erlebten Wahrheit. Unverbindliche
und zur Willkürlichkeit neigende Gottesbilder werden abgelöst
durch die Verbindlichkeit konkreter Christus-Nachfolge, die dem
Menschen im Maße des Gehens jeweils Mut und Kraft zum
Weitergehen vermittelt.
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