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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die hundert Namen Gottes.

Pallottiner-Lesekalender 2000

Mit der Idee von den "hundert Namen Gottes" ist symbolisch zum Ausdruck gebracht, daß es in Wirklichkeit unzählige Namen Gottes gibt. Ihre Zahllosigkeit und Unzählbarkeit hat etwas mit der uralten menschlichen Vorstellung und Deutung zu tun, daß das Wesen Gottes vom menschlichen Verstand niemals adäquat erfaßt und begriffen werden kann. Jeder Name Gottes ist wie das Loch im Sand, in das der kleine Junge das Meer zu schöpfen versucht. Das Loch ist nicht nur ungeeignet, das unendliche Meer in sich aufzunehmen. Es vermag auch nur für eine kurze Zeit das geschöpfte Wasser zu halten. Das Wasser versickert. So erweist sich jeder Name Gottes nur für eine Zeitlang als befriedigend und erfüllend. Jedes "Finden" seines Namens ist immer einem Entschwinden gleich - so wie Maria Magdalena den Herrn am Ostermorgen zu berühren versuchte, ohne ihn festhalten zu können.

Die Namen Gottes, wie die Religionen der Welt sie ausnahmslos beschreiben, haben vielleicht weniger mit Gott zu tun als viel mehr mit unzähligen Lebenslagen, in denen der Mensch seine Existenz in seiner weltlichen Immanenz und Begrenztheit erlebt. Darin sucht er die Grenzenlosigkeit und Transzendenz Gottes zu erahnen und zu erfassen. Wer in seiner Kindheit einen sehr strengen und autoritären Vater erlebt hat, für den wird Gott leicht zu einem Richter und Bestrafer. Wer einen besonderen Hang zu Karriere, Macht und Einfluß hat, spricht leicht von der Allmacht und Herrschaft Gottes. Wer konfliktscheu ist und keine Spannungen auszuhalten vermag, für den ist Gott gütig, liebevoll und barmherzig. Wer sein Leben nach Ordnung und Recht gestaltet, wem unverrückbare Prinzipien und unüberholbare Standpunkte das Wichtigste sind, für den wird Gott zu einem Streiter und Krieger für die einzig wahre Sache. Und der Wagemutige, der Abenteurer und Besieger anderer Welten und Weltanschauungen sieht in Gott den Wegbegleiter und Kampfgenossen, der seine Feinde und Gegner vernichtet.

Human- und religionswissenschaftlich gesehen, haben die Namen und Bilder von Gott immer etwas mit dem Menschen zu tun. Sie erscheinen wie Wunschbilder oder "Projektionen" von Menschen, die sich zu den Herrschenden zählen oder zum einfachen Volk, zu Hirten oder Bauern, zu Sammlern oder Kriegern, in der Kirche zum Klerus oder zu den "Laien". In heutigen Anstößen der feministischen Theologie, der lateinamerikanischen Befreiungstheologie... findet Letzteres seinen - herkömmlich festgemachte Positionen erschütternden - Niederschlag. Jedenfalls verweisen die Namen und Bilder von Gott immer auf das "Jenseits unserer Grenzen". Sie bringen Sehnsüchte und Ängste zum Ausdruck, Hoffnungen und Verzweiflungen. Als Ahnung und Hoffnung der Völker sind die Namen Gottes nicht "brauchbar" für absolute Aussagen und Definitionen, für unumstößliche Lehren und umfassende Erkenntnisse bzw. Glaubensaussagen. Denn jede religiöse Erkenntnis ist immer nur eine vor-läufige Erkenntnis; jede Aussage über Gott ist immer nur "wahr" und "richtig" bis zum Auftauchen neuer Fragen und Anfragen.

Nicht umsonst gibt es im AT das strenge Verbot, die vielen Namen Gottes in festen Bildern zur Darstellung zu bringen. Der Islam hat dieses Verbot übernommen. In den asiatischen Religionen ist eher vom Prinzip des Göttlichen die Rede, vom göttlichen Urgrund aller Dinge. Dieser nimmt regelmäßig und zu allen Zeiten Wort und sichtbare Gestalt an im Angesicht eines erleuchteten Guru - ähnlich wie die berühmte Zeichnung Albert Dürers von seiner alten Mutter oft als Bild von Gott gedeutet worden ist. Auch im NT gibt es "das" Gottesbild nicht. Die Bibel ist auch kein Lehrbuch der Dogmatik oder Ethik, sondern ein historisches Dokument. Es zeigt das vielgestaltige Ringen von Menschen um ihren Glauben, letztlich um eine Person, die durch unsere Welt gegangen ist und von Anfang an eine "plurale Theologie" zugelassen hat. Deren Jesus-Bilder schwanken zwischen dem irdischen Jesus und dem auferstandenen Christus. Manchmal ist sogar ein breiter Graben zwischen beiden.

Wie es Moses nur gestattet war, den "Rücken Gottes" zu sehen, weil Gottes Angesicht niemand zu sehen vermag (Ex.33,23), so gibt es auch im NT eine breite Strömung, die über Jesus sagt: "Ich bin der Weg" (Joh. 14,6),statt: "Ich bin der Standpunkt", wie Kurt Marti es ausdrückt. Der Weg- und Nachfolgegedanke im NT und in der frühen christlichen Zeit, der allzu selbstsicherem Spekulieren über Gott mehr als abgeneigt zu sein scheint, geht es um das Tun der Wahrheit, wie es Jesus exemplarisch deutlich gemacht hat; um die situations- und menschenbezogene Praxis der Liebe im Hier und Heute der Lebenswirklichkeit, um die konkrete Fähigkeit der Begegnung mit Menschen: sogar mit Sündern, Ausgestoßenen, Zöllnern und Feinden... Das AT und NT berichten von unzähligen Lebenssituationen, in denen das Festhalten der Namen und Bilder Gottes eher wie Schall und Rauch erscheint - in denen dennoch der "Name" Gottes als ein für die Menschen und Völker erlösendes Ereignis und erhellendes Licht erfahren wird. Denn wer den Namen Gottes "begreifen" will, muß sich bewegen, muß sich auf den Weg machen, muß auf- und ausbrechen aus Herkömmlichem und Liebgewordenem. Er muß Selbst- und Welterfahrungen in den tausendfachen Schattierungen des Lebens auf sich zu nehmen und zu erdulden fähig sein. Darin erschließt sich Gott als das Licht einer erlebten Wahrheit. Unverbindliche und zur Willkürlichkeit neigende Gottesbilder werden abgelöst durch die Verbindlichkeit konkreter Christus-Nachfolge, die dem Menschen im Maße des Gehens jeweils Mut und Kraft zum Weitergehen vermittelt.


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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