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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Kirchensteuerfrage als Spitze eines Eisberges.

undatiert

Auf den ersten Blick ist es unverständlich, daß die Frage nach den Kirchensteuern die Gemüter immer wieder aufs Neue erregt. Denn die Antworten auf die Frage nach deren Berechtigung und Notwendigkeit erscheinen sehr eindeutig. Mit den Kirchensteuern wird immerhin das deutsche Sozial-System entscheidend stabilisiert. Die Kirche könnte ohne die finanziellen Beihilfen, so heißt es, ihre sozial-caritativen Einrichtungen nicht länger erhalten und fördern. Im Bereich der Kindergärten und Kinderhorte, der kirchlich geführten Heime, Schulen, Krankenhäuser, Jugendzentren und Beratungsstellen würden gewaltige Lücken entstehen, die vom Staat nicht schnell, wenn überhaupt, geschlossen werden könnten. Zudem wäre ein gewaltiger Schub an Arbeitslosigkeit die unabsehbare Folge...

Wenn man dazu bedenkt, daß auch die seit Jahren auf hohem Niveau sich stabilisierende Welle der Kirchenaustritte nicht die Kirchensteuer als Hauptursache ausfindig machen läßt, so besteht auch in dieser Hinsicht kein besonderer Grund, diese infrage zu stellen. Soziologische Untersuchungen weisen nämlich darauf hin, daß die Kirchensteuer für viele eher ein äußerer Anlaß ist, der Kirche den Rücken zu kehren, nicht aber die eigentliche Ursache. Bei Befragungen tauchen vielmehr viel gravierendere Probleme gegenüber der Kirche auf: vom langjährigen Entfremdungsprozeß ist die Rede. Er führt schließlich dazu, daß Menschen einfach fortbleiben, ohne daß sie etwas Bemerkenswertes vermissen. Auch spielen "eigene Glaubenseinsichten" und Lebenserfahrungen eine große Rolle, die mit dem herkömmlichen Glauben der Kirchen nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Dabei wächst die Zahll derjenigen beträchtlich, die Christen sein und bleiben wollen, allerdings ohne kirchliche bzw. konfessionelle Bindung.

Während man in früheren Jahrzehnten ohne Bedenken sagen konnte, daß das grundsätzliche Infragestellen der Kirchen von liberal-aufklärerischen, freigeistigen und atheistischen Christentumsgegnern ausging, so zeigt sich heute immer mehr, daß gerade bei den Christen die Bindungs- und Anziehungskraft der Kirchen entscheidend nachläßt. Ebenso die konfessionsbetonte Glaubensweitergabe an die nächste Generation. Während die Kirchenmitgliedschaft früher einer selbstverständlichen sozialen Norm gleichkam, läuft sie in Zukunft imer mehr auf eine Wahlzugehörigkeit hinaus, beruhend auf der persönlichen Entscheidung des einzelnen. Angesichts solcher Entwicklungen wird die Frage nach den Kirchensteuern wohl nicht der neuralgische Punkt sein, um den sich alles dreht; wohl aber die Spitze eine Eisberges, der viele Erosionen und Unterschwelligkeiten in der Tiefe der Volksseele offenbart. Wenn auch nicht anzunehmen ist, daß die Kirchensteuer in nächster Zeit abgeschafft wird, bleibt die Frage danach voraussichtlich dennoch Tagesthema. Sie wird nicht leicht aus dem Bewußtsein der Leute und aus den Schlagzeilen der Massenmedien herauszukriegen sein.

Naturgemäß ist es schwer zu diagnostizieren, was in der "Volksseele", die immer noch religiös und christlich sein und bleiben will, ohne dabei sonderlich an eine Kirchenbindung zu denken, vor sich geht. Dennoch scheint der "sensus fidelium" - den es kirchenintern jahrhundertelang de facto nicht mehr gab und von dem weitgehend bis heute auch nur auf dem Papier die Rede ist, der aber außerkirchlich heute durch Medien und zahlreiche Informationsmöglichkeiten gespeist wird - auf eine ihm eigentümliche Weise die Schwächen zu entlarven, die die Kirchenleitungen selbst nicht wahrzunehmen scheinen. Indem diese nämlich beim Argumentieren für die Kirchensteuer den nachhaltigen Eindruck hinterlassen, daß ihre gesellschaftlich alimentierten Einrichtungen unverzichtbar sind; daß deren Kompetenz in der Sozialarbeit, bei der Sinnbeschaffung und Feiertagsgestaltung, bei der Konsensbewahrung in Grundwerten und ethisch-moralischen Verhaltensweisen sehr groß ist; daß bei deren Wegfall die gesellschaftliche Funktionslücke durch andere nicht aufgefüllt werden könnte... - je intensiver also diese Argumentationskette verläuft, desto weniger scheinen die Menschen auf die Idee zu kommen, daß es sich bei den großen Kirchen noch um wirkliche Religionen handelt.

Denn Religionen sind niemals gestiftet worden, weil sie für bestimmte Zwecke nötig waren. Auch Jesus hat nicht das "Ganze des Glaubens" systematisch erfaßt; er hat keine Schulen und sozialen Einrichtungen geschaffen. Vielmehr hat er durch sein menschennahes Denken und Tun exemplarisch und modellhaft deutlich gemacht, wie Gott mit uns Menschen und mit der Welt umgeht, was er auf Zukunft hin mit "seinem Eigentum" zu tun gedenkt und wie Menschen in seiner Nachfolge Leben in Liebe meistern und gestalten sollten...

Die Predigt Jesu vom "Schon-Jetzt" und "Noch-Nicht" des Reiches Gottes, in der jeder liebende und hoffende Mensch, unabhängig von Rasse, Alter und Geschlecht eine unverzichtbare Berufung und Rolle spielt, hat jedenfalls am Anfang die Überschwenglichkeit eines Glaubens und eines Hoffens zur Folge gehabt, die in der Kraft Gottes sogar den Tod überwindet. Die Tatsache, daß sich die Kirchen heute durch ihre soziale Nützlichkeit und ihre diesseitigen Lebensleistungen zu legitimieren versuchen; daß sie dabei um ihre gesellschaftliche Akzeptanz werben - sogar mit Hilfe von Werbeagenturen- , ist zwar verständlich, scheint aber für den "sensus fidelium", für die "anima naturaliter christiana", die sich heute mehr denn je zuvor auf das Ürsprüngliche der Botschaft Jesu zu besinnen vermag, ein eklatanter Hinweis darauf zu sein, daß die Kirchen unter spiritueller Verarmung leiden, daß ihnen die religiöse Inspiration abhanden gekommen ist; daß sie kein heiliges Ereignis Gottes mit der Welt, vergleichbar dem der christlichen Urgemeinden, mehr zu leben und weiterzugeben vermögen. Denn das Heilige der Religion, ihr ekstatisches und überschwengliches Element besteht ja gerade darin, daß es nicht auf das Leben als solches angelegt ist, sondern auf mehr als das Leben...

Wen kann es da noch wundern, daß der Wille zum Glauben, wenn auch noch so diffus und schwer greifbar, bei vielen Menschen vorhanden ist, gleichzeitig aber auch die Allergie gegen alles "Amtskirchliche", gegen die Institution, die es nicht mehr zu verhindern vermag, daß die Kirchen sich rapide leeren? - offensichtlich, weil immer weniger Menschen in ihnen eine zeitgemäße, geschichtsmächtige Ausgestaltung der ursprünglichen religiösen Inspiration vermuten.

Heute und auf Zukunft hin rächt sich das zu starke Verinnerlichen und daher vehemente Festhalten an einem historisch gewordenen Kirchenverständnis, welches sich nicht nur mit staatlichen Mächten und Despoten verbündete, sondern auch in den Verdacht geraten ist, selbst ein religiös und christlich getarnter Staat zu sein: mit allen Vorteilen eines Staatsgebildes, aber auch mit allen Nachteilen. Ob sich dieses nun feudalistisch-monarchisch darstellt oder autoritär-despotisch; ob es sich mit sozialen Druckmitteln und Gewalt oder gegenwärtig eher mit Charme und theatralischer Gebärde den Massen präsentiert und diese an sich zu binden versucht; ob es sich als ein klerikales Versandhaus mit einem Überangebot von Heilszeichen und Sakramenten anbietet oder als ein ausgeklügelter Verwaltungsapparat, zuständig für moralische Postulate und Dienstanweisungen an alle möglichen Gruppierungen in Welt und Gesellschaft - niemals ist bei all diesen Unternehmungen der Eindruck aus der Welt geschafft, daß es sich bei der Kirche um eine "heilige Hierarchie" von besonders Berufenen handelt, der "das Volk" so gegenübersteht, daß es kindlich und gläubig-fromm zu gehorchen und im Sinne eines Obrigkeitenstaates untertänigst Anweisungen zu befolgen hat.

Der Verdacht, daß eine solche Kirche eigentlich nur denen dienlich ist, die sich des religiösen Potentials in der Menschheit zu bemächtigen suchen, um eigene Karrierebedürfnisse zu befriedigen, um schließlich Einfluß, Macht, Kompetenz und heilige Herrschaft ausüben zu können, ruft in großen Teilen der Bevölkerung immer wieder die ungute Erinnerung wach an Inquisition und Hexenwahn, denen Hunderttausende zum Opfer fielen; an Religions- und Glaubenskriege; an 5oo Jahre "Mission" und Ausbreitung des "wahren Glaubens" in Lateinamerika und Afrika und die dabei unfehlbar und unwiederholbar verpaßten Gelegenheiten einer vergangenen Zeit, in der der Kirche nahezu konkurrenzlos die Möglichkeit gegeben war, der Welt gegenüber plausibel zu machen, was "frohe Botschaft" heißt.

Einer Kirche, die auf eigenen Machterhalt und Machtzuwachs aus ist, traut man offensichtlich alle jene Machenschaften zu, die man jedem despotischen Staat und jeder unkontrollierten Partei zutraut, zumal wenn sie keine demokratischen oder sonstigen Selbstreinigungsprozesse und Erneuerungsmöglichkeiten bei sich zuzulassen bereit sind. Nur so erklären sich die Massenauflagen und international verbreiteten Bücher mit den Titeln: "Im Namen Gottes?", "Kriminalgeschichte des Christentums", "Das Ende der Vorsehung", "Die Assassini"...

Daß es sich bis auf den heutigen Tag noch weitgehend um ein Erscheinungsbild von Kirche handelt, die kein Interesse hat am Schicksal einzelner Menschen und engagierter Christen, zeigt die erschreckende Hilflosigkeit und kirchenamtliche Reaktion auf die Frage nach den "wiederverheirateten Geschiedenen" und auf das Werteverhalten der jungen Generation, auf die Unterschreiber der "Kölner Erklärung" und des "Kirchenvolksbegehrens" in verschiedenen Ländern. Daß die Ergebnisse jahrelanger mühevoller Beratungen im Zusammenhang diözesaner Synoden und Foren kirchenamtlich einfach ignoriert wurden und werden, macht deutlich, wie tief seit Jahrhunderten das Mißtrauen der Hierarchie gegenüber den "feindlichen Laien" sitzt, denen es auf der einen Seite um nichts anderes zu gehen scheint als Einfluß in der Kirche zu gewinnen und damit die heilige, angeblich von Gott festgesetzte hierarchische Ordnung zu stören; die aber andererseits als Nothelfer, Lückenbüßer und Beitragszahler eifrig umworben werden.

Alles, was die heutige Christenheit an innerer und äußerer Umwälzung erfaßt hat, läßt die herkömmliche Kirche wie ein Koloß auf tönernden Füßen erscheinen. Zwar stehen heute neue Wertemuster zur Disposition. Von "Kirche als Communio" ist die Rede, von Toleranz, Dialog und Offenheit. Aber vermutlich wird es noch lange dauern, bis sowohl die kirchliche Sprache als auch die kirchlichen Lebensvollzüge überzeugend zum Ausdruck bringen, daß alle Getauften im gleichen Maße die Worte und Taten Jesu im Heute der jeweiligen Lebenswelt zu aktualisieren und "auf den Punkt" zu bringen haben. Dem Papst, den Bischöfen und dem ganzen Volk Gottes ist es gemeinsam aufgetragen, gegenüber dem Wort Gottes und den "Zeichen der Zeit" gehorsam zu sein. Sie alle sind Hörer und Befolger des Wortes. Sie haben alle gemeinsam jene Inspirationen und Weisungen aufzugreifen, die von der Botschaft Jesu ausgehen und die in konziliaren und synodalen Prozessen immer wieder neu erarbeitet und erbetet werden müssen. Im Maße dies gelingt, wenn auch noch so "menschlich" und fragmentarisch, braucht "Kirche" um ihrer eigenen Zukunft wegen nicht bange zu sein.

Dann wird sich auch die Frage nach den Kirchensteuern wieder ganz neu stellen.
Man braucht sich nur einmal wie in einem Traum auszumalen, daß eines Tages der Punkt erreicht ist, an dem alle Bürger Deutschlands eine "Kultursteuer" zu zahlen haben, verbunden mit der freien Entscheidung, wem sie ihre Abgabe zur Verfügung zu stellen gedenken. Wenn es dann so weit käme, daß sich hinreichend viele Christen für ihre Kirche entscheiden, könnte dies ein Indiz dafür sein, daß die Menschen wieder begriffen haben, daß das Eigentliche der Botschaft Jesu in ihrer Kirche am besten aufgehoben ist. Denn die Zeit der Kirche zu ihrer eigenen Bekehrung könnte gekommen sein.

Aber noch ist es nicht so weit. Die Kirchen sind noch, in ihrem Haupt und in ihren Gliedern, zu sehr im angeblich Guten versteinert und noch zu wenig auf das Neue vorbereitet, das auf sie zukommt. Die "Sünde wider den heiligen Geist", wider den Gott geschichtlicher Wege und Entwicklungen - wann wird sie wieder zu jener Sünde erklärt, die als einzige nicht verziehen werden kann?!


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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