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Die Kirchensteuerfrage als Spitze eines Eisberges.
undatiert
Auf den ersten Blick ist es unverständlich, daß die Frage
nach den Kirchensteuern die Gemüter immer wieder aufs Neue
erregt. Denn die Antworten auf die Frage nach deren Berechtigung
und Notwendigkeit erscheinen sehr eindeutig. Mit den
Kirchensteuern wird immerhin das deutsche Sozial-System
entscheidend stabilisiert. Die Kirche könnte ohne die
finanziellen Beihilfen, so heißt es, ihre sozial-caritativen
Einrichtungen nicht länger erhalten und fördern. Im Bereich der
Kindergärten und Kinderhorte, der kirchlich geführten Heime,
Schulen, Krankenhäuser, Jugendzentren und Beratungsstellen
würden gewaltige Lücken entstehen, die vom Staat nicht schnell,
wenn überhaupt, geschlossen werden könnten. Zudem wäre ein
gewaltiger Schub an Arbeitslosigkeit die unabsehbare Folge...
Wenn man dazu bedenkt, daß auch die seit Jahren auf hohem Niveau
sich stabilisierende Welle der Kirchenaustritte nicht die
Kirchensteuer als Hauptursache ausfindig machen läßt, so besteht
auch in dieser Hinsicht kein besonderer Grund, diese infrage zu
stellen. Soziologische Untersuchungen weisen nämlich darauf hin,
daß die Kirchensteuer für viele eher ein äußerer Anlaß ist, der
Kirche den Rücken zu kehren, nicht aber die eigentliche Ursache.
Bei Befragungen tauchen vielmehr viel gravierendere Probleme
gegenüber der Kirche auf: vom langjährigen Entfremdungsprozeß
ist die Rede. Er führt schließlich dazu, daß Menschen einfach
fortbleiben, ohne daß sie etwas Bemerkenswertes vermissen. Auch
spielen "eigene Glaubenseinsichten" und Lebenserfahrungen eine
große Rolle, die mit dem herkömmlichen Glauben der Kirchen nicht
mehr in Einklang zu bringen sind. Dabei wächst die Zahll
derjenigen beträchtlich, die Christen sein und bleiben wollen,
allerdings ohne kirchliche bzw. konfessionelle Bindung.
Während man in früheren Jahrzehnten ohne Bedenken sagen konnte,
daß das grundsätzliche Infragestellen der Kirchen von
liberal-aufklärerischen, freigeistigen und atheistischen
Christentumsgegnern ausging, so zeigt sich heute immer mehr, daß
gerade bei den Christen die Bindungs- und Anziehungskraft der
Kirchen entscheidend nachläßt. Ebenso die konfessionsbetonte
Glaubensweitergabe an die nächste Generation. Während die
Kirchenmitgliedschaft früher einer selbstverständlichen sozialen
Norm gleichkam, läuft sie in Zukunft imer mehr auf eine
Wahlzugehörigkeit hinaus, beruhend auf der persönlichen
Entscheidung des einzelnen. Angesichts solcher Entwicklungen
wird die Frage nach den Kirchensteuern wohl nicht der
neuralgische Punkt sein, um den sich alles dreht; wohl aber die
Spitze eine Eisberges, der viele Erosionen und
Unterschwelligkeiten in der Tiefe der Volksseele offenbart. Wenn
auch nicht anzunehmen ist, daß die Kirchensteuer in nächster
Zeit abgeschafft wird, bleibt die Frage danach voraussichtlich
dennoch Tagesthema. Sie wird nicht leicht aus dem Bewußtsein der
Leute und aus den Schlagzeilen der Massenmedien herauszukriegen
sein.
Naturgemäß ist es schwer zu diagnostizieren, was in der
"Volksseele", die immer noch religiös und christlich sein und
bleiben will, ohne dabei sonderlich an eine Kirchenbindung zu
denken, vor sich geht. Dennoch scheint der "sensus fidelium" -
den es kirchenintern jahrhundertelang de facto nicht mehr gab
und von dem weitgehend bis heute auch nur auf dem Papier die
Rede ist, der aber außerkirchlich heute durch Medien und
zahlreiche Informationsmöglichkeiten gespeist wird - auf eine
ihm eigentümliche Weise die Schwächen zu entlarven, die die
Kirchenleitungen selbst nicht wahrzunehmen scheinen. Indem diese
nämlich beim Argumentieren für die Kirchensteuer den
nachhaltigen Eindruck hinterlassen, daß ihre gesellschaftlich
alimentierten Einrichtungen unverzichtbar sind; daß deren
Kompetenz in der Sozialarbeit, bei der Sinnbeschaffung und
Feiertagsgestaltung, bei der Konsensbewahrung in Grundwerten und
ethisch-moralischen Verhaltensweisen sehr groß ist; daß bei
deren Wegfall die gesellschaftliche Funktionslücke durch andere
nicht aufgefüllt werden könnte... - je intensiver also diese
Argumentationskette verläuft, desto weniger scheinen die
Menschen auf die Idee zu kommen, daß es sich bei den großen
Kirchen noch um wirkliche Religionen handelt.
Denn Religionen sind niemals gestiftet worden, weil sie für
bestimmte Zwecke nötig waren. Auch Jesus hat nicht das "Ganze
des Glaubens" systematisch erfaßt; er hat keine Schulen und
sozialen Einrichtungen geschaffen. Vielmehr hat er durch sein
menschennahes Denken und Tun exemplarisch und modellhaft
deutlich gemacht, wie Gott mit uns Menschen und mit der Welt
umgeht, was er auf Zukunft hin mit "seinem Eigentum" zu tun
gedenkt und wie Menschen in seiner Nachfolge Leben in Liebe
meistern und gestalten sollten...
Die Predigt Jesu vom "Schon-Jetzt" und "Noch-Nicht" des Reiches
Gottes, in der jeder liebende und hoffende Mensch, unabhängig
von Rasse, Alter und Geschlecht eine unverzichtbare Berufung und
Rolle spielt, hat jedenfalls am Anfang die Überschwenglichkeit
eines Glaubens und eines Hoffens zur Folge gehabt, die in der
Kraft Gottes sogar den Tod überwindet. Die Tatsache, daß sich
die Kirchen heute durch ihre soziale Nützlichkeit und ihre
diesseitigen Lebensleistungen zu legitimieren versuchen; daß sie
dabei um ihre gesellschaftliche Akzeptanz werben - sogar mit
Hilfe von Werbeagenturen- , ist zwar verständlich, scheint aber
für den "sensus fidelium", für die "anima naturaliter christiana",
die sich heute mehr denn je zuvor auf das Ürsprüngliche der
Botschaft Jesu zu besinnen vermag, ein eklatanter Hinweis darauf
zu sein, daß die Kirchen unter spiritueller Verarmung leiden,
daß ihnen die religiöse Inspiration abhanden gekommen ist; daß
sie kein heiliges Ereignis Gottes mit der Welt, vergleichbar dem
der christlichen Urgemeinden, mehr zu leben und weiterzugeben
vermögen. Denn das Heilige der Religion, ihr ekstatisches und
überschwengliches Element besteht ja gerade darin, daß es nicht
auf das Leben als solches angelegt ist, sondern auf mehr als das
Leben...
Wen kann es da noch wundern, daß der Wille zum Glauben, wenn
auch noch so diffus und schwer greifbar, bei vielen Menschen
vorhanden ist, gleichzeitig aber auch die Allergie gegen alles
"Amtskirchliche", gegen die Institution, die es nicht mehr zu
verhindern vermag, daß die Kirchen sich rapide leeren? -
offensichtlich, weil immer weniger Menschen in ihnen eine
zeitgemäße, geschichtsmächtige Ausgestaltung der ursprünglichen
religiösen Inspiration vermuten.
Heute und auf Zukunft hin rächt sich das zu starke
Verinnerlichen und daher vehemente Festhalten an einem
historisch gewordenen Kirchenverständnis, welches sich nicht nur
mit staatlichen Mächten und Despoten verbündete, sondern auch in
den Verdacht geraten ist, selbst ein religiös und christlich
getarnter Staat zu sein: mit allen Vorteilen eines
Staatsgebildes, aber auch mit allen Nachteilen. Ob sich dieses
nun feudalistisch-monarchisch darstellt oder
autoritär-despotisch; ob es sich mit sozialen Druckmitteln und
Gewalt oder gegenwärtig eher mit Charme und theatralischer
Gebärde den Massen präsentiert und diese an sich zu binden
versucht; ob es sich als ein klerikales Versandhaus mit einem
Überangebot von Heilszeichen und Sakramenten anbietet oder als
ein ausgeklügelter Verwaltungsapparat, zuständig für moralische
Postulate und Dienstanweisungen an alle möglichen Gruppierungen
in Welt und Gesellschaft - niemals ist bei all diesen
Unternehmungen der Eindruck aus der Welt geschafft, daß es sich
bei der Kirche um eine "heilige Hierarchie" von besonders
Berufenen handelt, der "das Volk" so gegenübersteht, daß es
kindlich und gläubig-fromm zu gehorchen und im Sinne eines
Obrigkeitenstaates untertänigst Anweisungen zu befolgen hat.
Der Verdacht, daß eine solche Kirche eigentlich nur denen
dienlich ist, die sich des religiösen Potentials in der
Menschheit zu bemächtigen suchen, um eigene Karrierebedürfnisse
zu befriedigen, um schließlich Einfluß, Macht, Kompetenz und
heilige Herrschaft ausüben zu können, ruft in großen Teilen der
Bevölkerung immer wieder die ungute Erinnerung wach an
Inquisition und Hexenwahn, denen Hunderttausende zum Opfer
fielen; an Religions- und Glaubenskriege; an 5oo Jahre "Mission"
und Ausbreitung des "wahren Glaubens" in Lateinamerika und
Afrika und die dabei unfehlbar und unwiederholbar verpaßten
Gelegenheiten einer vergangenen Zeit, in der der Kirche nahezu
konkurrenzlos die Möglichkeit gegeben war, der Welt gegenüber
plausibel zu machen, was "frohe Botschaft" heißt.
Einer Kirche, die auf eigenen Machterhalt und Machtzuwachs aus
ist, traut man offensichtlich alle jene Machenschaften zu, die
man jedem despotischen Staat und jeder unkontrollierten Partei
zutraut, zumal wenn sie keine demokratischen oder sonstigen
Selbstreinigungsprozesse und Erneuerungsmöglichkeiten bei sich
zuzulassen bereit sind. Nur so erklären sich die Massenauflagen
und international verbreiteten Bücher mit den Titeln: "Im Namen
Gottes?", "Kriminalgeschichte des Christentums", "Das Ende der
Vorsehung", "Die Assassini"...
Daß es sich bis auf den heutigen Tag noch weitgehend um ein
Erscheinungsbild von Kirche handelt, die kein Interesse hat am
Schicksal einzelner Menschen und engagierter Christen, zeigt die
erschreckende Hilflosigkeit und kirchenamtliche Reaktion auf die
Frage nach den "wiederverheirateten Geschiedenen" und auf das
Werteverhalten der jungen Generation, auf die Unterschreiber der
"Kölner Erklärung" und des "Kirchenvolksbegehrens" in
verschiedenen Ländern. Daß die Ergebnisse jahrelanger mühevoller
Beratungen im Zusammenhang diözesaner Synoden und Foren
kirchenamtlich einfach ignoriert wurden und werden, macht
deutlich, wie tief seit Jahrhunderten das Mißtrauen der
Hierarchie gegenüber den "feindlichen Laien" sitzt, denen es auf
der einen Seite um nichts anderes zu gehen scheint als Einfluß
in der Kirche zu gewinnen und damit die heilige, angeblich von
Gott festgesetzte hierarchische Ordnung zu stören; die aber
andererseits als Nothelfer, Lückenbüßer und Beitragszahler
eifrig umworben werden.
Alles, was die heutige Christenheit an innerer und äußerer
Umwälzung erfaßt hat, läßt die herkömmliche Kirche wie ein Koloß
auf tönernden Füßen erscheinen. Zwar stehen heute neue
Wertemuster zur Disposition. Von "Kirche als Communio" ist die
Rede, von Toleranz, Dialog und Offenheit. Aber vermutlich wird
es noch lange dauern, bis sowohl die kirchliche Sprache als auch
die kirchlichen Lebensvollzüge überzeugend zum Ausdruck bringen,
daß alle Getauften im gleichen Maße die Worte und Taten Jesu im
Heute der jeweiligen Lebenswelt zu aktualisieren und "auf den
Punkt" zu bringen haben. Dem Papst, den Bischöfen und dem ganzen
Volk Gottes ist es gemeinsam aufgetragen, gegenüber dem Wort
Gottes und den "Zeichen der Zeit" gehorsam zu sein. Sie alle
sind Hörer und Befolger des Wortes. Sie haben alle gemeinsam
jene Inspirationen und Weisungen aufzugreifen, die von der
Botschaft Jesu ausgehen und die in konziliaren und synodalen
Prozessen immer wieder neu erarbeitet und erbetet werden müssen.
Im Maße dies gelingt, wenn auch noch so "menschlich" und
fragmentarisch, braucht "Kirche" um ihrer eigenen Zukunft wegen
nicht bange zu sein.
Dann wird sich auch die Frage nach den Kirchensteuern wieder
ganz neu stellen.
Man braucht sich nur einmal wie in einem Traum auszumalen, daß
eines Tages der Punkt erreicht ist, an dem alle Bürger
Deutschlands eine "Kultursteuer" zu zahlen haben, verbunden mit
der freien Entscheidung, wem sie ihre Abgabe zur Verfügung zu
stellen gedenken. Wenn es dann so weit käme, daß sich
hinreichend viele Christen für ihre Kirche entscheiden, könnte
dies ein Indiz dafür sein, daß die Menschen wieder begriffen
haben, daß das Eigentliche der Botschaft Jesu in ihrer Kirche am
besten aufgehoben ist. Denn die Zeit der Kirche zu ihrer eigenen
Bekehrung könnte gekommen sein.
Aber noch ist es nicht so weit. Die Kirchen sind noch, in ihrem
Haupt und in ihren Gliedern, zu sehr im angeblich Guten
versteinert und noch zu wenig auf das Neue vorbereitet, das auf
sie zukommt. Die "Sünde wider den heiligen Geist", wider den
Gott geschichtlicher Wege und Entwicklungen - wann wird sie
wieder zu jener Sünde erklärt, die als einzige nicht verziehen
werden kann?!
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