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Lebensfragen ohne Antwort (?).
Bayerischer Rundfunk: 23.März 1996
Verehrte Hörerinnen und Hörer.
Es gibt Fragen, die man ein ganzes Leben lang stellen muß, ohne
je eine endgültige Antwort darauf zu finden. Was ist das Glück?
Denn richtig glücklich werden wir eigentlich nie! Welches ist
der Sinn des Lebens?
Genau weiß ich es nicht! Woher kommen wir, wohin gehen wir, was
ist der Mensch? Fragen, die man immer nur aushalten, aber nie
richtig beantworten kann. Man muß mit solchen halb gelösten,
halb ungelösten Rätseln leben, vielleicht auch ohne Lösung mit
ihnen sterben können.
Im Benediktiner-Verlag St. Ottilien ist vor einiger Zeit ein
Buch erschienen mit dem bezeichnenden Untertitel: Drei Muskeln
braucht der Mensch... Da ist von Muskeln die Rede, die nicht zum
Körper, sondern zur Seele, zum menschlichen Geist gehören. Wie
die Muskeln des Körpers des dauernden Trainings bedürfen, um
nicht schlapp, kraftlos und untauglich zu werden, so auch die
Muskeln unserer Seele, unseres Geistes.
Der eine Muskel der Seele erinnert uns immer wieder an
unser eigenes Ich, an unsere Selbst- und Personwerdung. Denn in
welchem Menschen steckt nicht der Drang, sie selbst/ er selbst
werden zu wollen? Wer möchte nicht seine eigene Persönlichkeit
leben und zur Entfaltung bringen können? Dabei handelt es sich
um ein wachsendes und werdendes, aber auch krisengeschütteltes
Ich. Es gibt wechselnde Pfade, ein ewiges Auf und Ab, ein Oben
und Unten, ein Stirb und Werde. Nur wer die Wogen- und
Wellenbewegung des Lebens auszuhalten imstande ist, kann sich
selbst finden, zu sich selbst Ja sagen lernen - zu allen
Möglichkeiten und Grenzen, die jedem Ich anhaften wie Blätter an
den Bäumen.
Der zweite Muskel der Seele hat es mit dem Du des anderen
zu tun. Auch jeder Mitmensch ist ein wachsendes und werdendes,
krisengeschütteltes Du. Wer den Partner, den Lebensgefährten,
die Freundin oder den Freund mit allem Auf und Nieder
auszuhalten lernt, wird schließlich fähig zu gelebten
Beziehungen, zu Ehe und Familie, zu bereichernder Gemeinschaft
und wechselseitiger Solidarität. Jede Freundschaft ist ein stets
anzustrebendes, aber nie ganz zu Ende geführtes Unter- nehmen.
Der dritte Muskel fragt nach dem gemeinsamen Ursprung des
Lebens, nach dem Woher und Wohin aller Menschen, letztlich nach
Gott. Aber auch auf diese Fragen gibt es nie endgültige
Antworten. Man muß ihnen ein Leben lang auf der Spur bleiben.
Man muß auch Gott auf der Spur bleiben. Nur im tagtäglichen
Gehen des Lebensweges, in bewußten Schritten, erschließt sich
allmählich, bruchstückhaft und streckenweise der Sinn des
Lebens, niemals ganz. Auch Gott offenbart sich als ein Gott des
Weges in unseren menschlichen Lebensentwürfen, die von
Geborgenheit, Liebe, Treue, Freude, Krankheit oder Leid geprägt
sind. Er zeigt seine Nähe nie in schönen Worten, in frommen
Sätzen oder theologisch gescheiten Definitionen,
sondern in unseren Sehnsüchten, Ahnungen und Hoffnungen erweist
er sich als die Erlösung dessen, was menschlich oft so sinnlos
und lebensleer erscheint.
Die Christenheit feiert jedes Jahr die Fastenzeit. Sie hat etwas
mit den drei Kräften der Seele zu tun. Diese müssen ständig im
Training bleiben. Man darf niemals aufhören zu fragen und zu
suchen. Dabei sind die offen bleibenden Fragen sinnstiftender
als die fertigen Antworten, denen wir allzu gerne auf den Leim
gehen. Der heilige Augustinus hat einmal das Grundgefühl seines
Lebens auf die Formel gebracht: Ich werde von jemandem gedacht,
erwogen, angesprochen, geliebt und gehalten; ich werde zu einem
persönlich verantworten Leben gerufen und beauftragt - also bin
ich.
Gott ist also nicht das Ergebnis abstrakter Gedankengänge; er
ist nicht die Schlußfolgerung logischen Denkens. Ich selbst bin
es auch nicht. Jede wesentliche und
entscheidende Erkenntnis über Gott und uns selbst ist wie ein
langsam wachsender, geheimnisvoller Vorgang - sozusagen das
Ergebnis und die Summe vieler einschneidender und tiefer
Erfahrungen mitten im Leben. Gott und ich selber sind immer dann
anwesend, wenn wir im Tiefsten unserer Existenz getroffen, wenn
wir den letzten Fragen des Daseins ausgesetzt sind. Gott ist
sozusagen das Zentrum unserer Liebesfähigekit und unseres
Leidens, die Mitte unserer Treue und unseres Verlangens nach
Heimat und Geborgenheit, die Tiefendimension unserer Seele. Der
Tod und die Auferstehung Jesu sind das endgültige Sich-Zeigen
Gottes wie die end- gültige Offenbarung unseres eigenen Selbst.
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