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zu: "Mystik gestern und heute"
Publik Forum, Nr. 23/2001, 54f
Als jemand, der sich sein ganzes Leben lang mit den
Naturreligionen Afrikas und Ozeaniens, vor allem auch mit den
großen Weltreligionen Judentum, Buddhismus, Islam... beschäftigt
hat, habe ich mit großem Interesse den Artikel über "Mystik
gestern und heute" gelesen. Dabei ist mir als Christ
wiederum die brennende Frage gekommen: Wer war Jesus wirklich?
Sicher kein Dogmatiker wie J. Ratzinger; aber auch kein Mystiker
wie Meister Eckhart oder W. Jäger. Wahrscheinlich verkörperte er
beide Dimensionen, wie sie dem Menschen nun einmal gegeben sind:
das Rationale wie das Mystische. Wer dabei das eine gegenüber
dem anderen überbetont, wird der "Incarnatio Dei" nicht gerecht.
Als Dogmatiker kann man sich eine große Glaubensgewißheit
einreden und als Mystiker eine große Gotteserfahrung einbilden.
Beides ist mit Vorsicht zu genießen - was die wachsende Mehrheit
der kirchendistanzierten Gläubigen von heute mit Eifer tut. Denn
beide vernachlässigen auf sträfliche Weise die Tatsache, daß der
Dreh- und Angelpunkt des Christentums eine historische Gestalt
ist und bleibt.
In seiner Zeit und Geschichte hat sich Jesus von Nazareth dem
Faktischen des konkreten, banal-alltäglichen Lebens ausgesetzt
und gerade darin (in der Begegnung mit Pharisäern, Gläubigen,
Sündern und Zweiflern) Beispiele gegeben, wie es die Liebe usw.
zu praktizieren gilt und wie auf diese Weise das Kommen des
Reiches Gottes "schon jetzt" seinen Anfang nehmen kann. Hätte
sich das Christentum in allen Lebensbereichen seit 2000 Jahren
an diese handfeste Sauerteig-Aufgabe gehalten - die Kirchen
stünden heute anders da. So aber wurde die christliche Botschaft
auf unterschiedliche Weise in eine Schieflage gebracht: durch
die dogmatische Theologie so und durch die mystische
Gotteseinbildung anders. Ohne daß beide (sehr begrenzte) Ansätze
zu vernachlässigen sind - dem Erfurter Eckhart-Gedenkjahr würde
es gut bekommen, wieder dort anzusetzen, wo das Ganze vor 2000
Jahren schon einmal begonnen hat: bei der "Incarnatio" statt bei
der (wenn auch immer nur teilweisen) Ignorierung des Menschen
und der biblischen Botschaft.
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