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Neujahr 2004 : Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.
Zielsatz: Menschen brauchen einen "Anker", an dem sie
ihr Leben "festmachen".
1. Der Atheist, der von einer Klippe fiel.
Am Ende des alten und am ersten Tag des Neuen Jahres beginne ich
mit einer Geschichte. Sie lautet:
Ein Atheist fiel von einer Klippe. Beim Hinunterstürzen packte
er den Zweig eines kleinen Baumes. Dort hing er nun zwischen dem
Himmel und dem 300 m tiefer liegenden Felsen – wohl wissend,
dass er sich nicht viel länger würde festhalten können.
Plötzlich kam ihm eine Idee!! "GOTT" rief er so laut er konnte.
Schweigen. "GOTT" – schrie er noch einmal, "wenn es Dich gibt,
rette mich – und ich verspreche, dass ich an Dich glauben und
andere an Dich glauben lehren werde...!" Wieder Schweigen ! – Da
ließ er den Zweig vor Schreck beinahe los, als eine kräftige
Stimme dröhnte: "Das sagen alle, wenn Not am Mann ist!" "Nein,
Gott, nein", rief er laut, "ich bin nicht wie die anderen! Ich
hab ja schon begonnen zu glauben – merkst Du das nicht? Ich hab
ja schon Deine Stimme vernommen. Nun musst Du mich bloß retten
und ich werde Deinen Namen bis ans Ende der Welt verkünden!" –
"Gut", sagte die Stimme. "Ich werde dich retten – lass den Zweig
los" !!- "Den Zweig loslassen??" schrie er lauthals. "Hältst Du
mich für verrückt?"
Nun, dieser Atheist hätte auch ein gläubiger Christ sein können.
Die Geschichte wäre kaum anders verlaufen. Wer läßt sich schon
frei fallen? Aus bestimmten Anlässen habe ich im vergangenen
Jahr öfter an diese Geschichte denken müssen. Die heutige
Öffentlichkeit ist voll von Gedanken, die mit diesem "freien
Fall" etwas zu tun haben. Viele liebgewordene Sicherheiten
schwinden mehr und mehr dahin: der Arbeitsplatz, die Rente, die
Kranken- und Altersversicherung, das Nachwachsen einer
hinreichend starken jüngeren Generation, die schon immer die
beste Garantie auf Zukunft hin gewesen ist.
Aber auch andere Werte verlieren an Kraft und Anziehung. Die
Lebenseinstellungen und die Andersartigkeit von Kindern und
Jugendlichen werden für die eigenen Eltern oft schwer
nachvollziehbar. Die meisten distanzieren sich kritisch von
bewährten Einrichtungen und Hoffnungsträgern: von den Kirchen,
von den Parteien, von den Gewerkschaften. Das Gespenst ihres
"Schrumpfens" wirkt in die Kirchenchöre, die Gesangvereine, die
Verbände und Eigeninitiativen bis hin zur "freiwilligen
Feuerwehr". Überall fehlt es an jüngerem Nachwuchs. Und die
bangen Fragen stellen sich: wohin geht die Reise in dem Neuen
Jahr? Wo finden sich noch verbindliche Grundeinstellungen, an
die alle gemeinsam glauben? Wo finden sich noch Familien mit
Spielregeln, an die sich alle, Eltern wie pubertierende
Heranwachsende, zu halten haben und halten? Bei solchen
Gesamteindrücken können uns Unsicherheiten und Ängste
überfallen. Wer zeigt da den Weg, wer gibt sicheren Halt und
Orientierung?
2. Auch Menschen im "freien Fall", wenn von Gott nicht
gehalten.
Der große Theologe des Mittelalters, Thomas von Aquin, stellt
einmal die Frage nach der Rolle Gottes in diesem universalen
Welttheater. Er sagt: wenn Gott die Welt und die ganze Schöpfung
nicht dauernd erhalten und retten würde – sie würden ins Nichts
zurückfallen, aus dem sie hervorgegangen sind; sie würden den
Grund und Boden für ihr Dasein verlieren. Daher kommt es
vielleicht, dass sogar Atheisten den Namen Gottes im Munde
führen, wenn es ihnen schlecht geht, wenn sie in Notlagen keinen
Ausweg mehr wissen. In Grenzsituationen, in Krankheit und Leid,
fangen auch oberflächliche Traditionschristen an, tiefer über
den Sinn ihres Lebens nachzudenken. Dann kann ein Ruck durch ihr
Leben gehen, indem sie sich selbst in größeren Zusammenhängen zu
verstehen beginnen. Frühere Zeiten hatten dafür den Grundsatz
parat: nicht Wohlstand, Sattsein und Gedankenlosigkeit lehren,
sondern "Not lehrt am besten beten".
Religiöse Scharlatane reden deshalb gerne Notsituationen herbei,
um die Menschen auf ihre Weise zu bekehren. Sie machen Angst vor
einem strafenden Gott, der in die Hölle stürzt, ins ewige Feuer,
in unheilvolle Verdammnis. Wenn die Menschen durch Angstmacherei
nicht mehr zu gängeln sind, wird Zuflucht zu anderen
Gottesbildern genommen. Dann ist Gott nur noch gütig,
barmherzig, voller Liebe und Nachsicht. So kommt nicht selten
der Eindruck auf, dass der Name Gottes auf ziemlich beliebige
Weise gebraucht und missbraucht wird – nicht gerade ein Anreiz
für säkularisierte und sogenannte "aufgeklärte" Menschen, ein
Stück religiösen Tiefgang für sich zu erobern und diesem auf der
Spur zu bleiben.
3. Die Hirten an der Krippe. Sie finden den "Angelpunkt" für
ihr Leben.
In all den genannten Zusammenhängen wollen wir das heutige
Evangelium lesen und zu verstehen versuchen. Da heißt es: "Die
Hirten eilten nach Bethlehem und fanden Maria und Josef und in
der Krippe das Kind". Diese "Finden" bedeutet das Ende des
hinfälligen und widersprüchlichen Spekulierens über Gott und die
Welt. Da kann nicht mehr beliebig an Sätze geglaubt, nach
Menschenmaß gehofft und geliebt werden. Gott wurde Mensch, eine
geschichtlich konkrete Gestalt. Diese hat uns in vielen
durchlebten Situationen gezeigt und Beispiele dafür gegeben, wie
sich gottgemäß leben und handeln läßt. In Jesus Christus wurde
uns ein "Modellfall" dafür gegeben, dass Glaube und Hoffnung
nicht aus der Welt des Alltäglichen hinausführen, sondern mitten
in sie hinein.
Seitdem gilt es im Namen und Auftrag Gottes, Mensch zu werden,
d.h. alle Kräfte und Eigenschaften sinnvoll zu entfalten, die
uns Menschen eigen sind. Das gilt für jeden Tag, auch für das
Neue Jahr. Denn auch das Neue Jahr wird uns wieder fordern, uns
Vieles abfordern und abverlangen. Indem wir uns im Namen Gottes
den auf uns zukommenden Anforderungen stellen, bereitwillig und
schöpferisch, gehen wir Schritt für Schritt dem entgegen, der am
Ende all unserer Wege steht.
Nicht umsonst finden die Hirten in der Krippe neben dem Kind
noch zwei Erwachsene, Maria und Josef. Auch diese haben, wollten
wir versuchen, ihr Leben auch nur einigermaßen nachzuzeichnen,
in Bethlehem den gefunden, der ihr Kind war und der zugleich in
dem sein wollte und musste, "was seinem (himmlischen) Vater
gehört" (vgl. Lk.2.49). Wenn wir uns heute also ein frohes und
gesegnetes Neues Jahr zurufen, dann sollten wir im Innersten
damit meinen: ein sinnvoll gelebtes, erfülltes Neues Jahr! Es
möge im Sternzeichen von Bethlehem stehen.
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