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"Der Geist weht, wo er will -
Gedanken zu einem christlichen Fest"
23. Nov. 2000 (Bonn)
1. Pfingsten hat mit dem Glauben an den Heiligen Geist etwas
zu tun wie auch an die "Gründung der Kirche" in Jerusalem. Seine
tiefen Wurzeln und Ursprünge hat der Glaube an den
Heiligen Geist jedoch schon in archaischen (Natur-)
Religionen. Er besteht in einem uralten menschlichen Ahnen,
Hoffen, Vermuten, Sich-Sehnen, Erfahren..., daß hinter allem
Geschehen in der Welt, in der Natur, in den Schicksalsschlägen
des Lebens eine wirksame, d.h. Wirkungen verursachende
Macht steht. Sie ist die Ursache oder Mit-Ursache von
allem. Schöpfungsmythen, Gedichte, Erzählungen belegen diesen
Glauben, der sich in Höhlenzeichnungen, Gedenkstätten, im
Ahnenkult manifestiert bzw. seine soziale Ausdruckskraft
entfaltet. Er artikuliert sich zu bestimmten Hoch-Zeiten, in
Lebenskrisen, Schicksalsschlägen usw.
2. Der Glaube an den Heiligen Geist findet im AT seine
"Höherentwicklung" im Glauben an den Heiligen Geist als
identisch mit einer göttlichen Person. Er be-
wirkt das Geschehen in der Schöpfung (Evolution). Als
schöpferisch Tätiger schafft er das Sein aus dem Nichts. Er
bewahrt es vor dem Rückfall ins Nichts. Er erhält alles
Geschaffene, treibt es zur Blüte und Vollendung. Der Geist
Gottes ist ein ständig erhaltender und schöpferischer Geist.
Wäre er nicht, würde das Geschaffene ins Nichts zurückfallen. Wo
das Geschaffene "Unerlöstheiten" wie Krankheiten, Leiden,
Katastrophen, Niederlagen... aufweist, geschieht dies nicht,
weil Gott etwas tut oder "zuläßt", sondern weil er (zeitweilig)
aufhört, etwas zu tun. Alles Leiden und Unerlöste bestehen
darin, daß die Menschheit konfrontiert wird mit ihrem
eigentlichen Ist- Zustand. Im Leiden erfährt
die unerlöste Welt, wo sie "dran" ist mit sich selbst.
3. Im NT und vor allem bei Paulus ist der Heilige Geist
derjenige, der die Menschen nicht nur ins Dasein treten läßt,
sondern der sie ausstattet mit Gaben und Charismen.
Deshalb besteht die Würde des Menschen in seiner Einmaligkeit
und in der lebenslangen Verpflichtung, sein Ur-Eigenes
und Ur-Persönliches in Freiheit und Verantwortung zur
Entfaltung zu bringen. Wo jede/r Unersetzbare versagt, entsteht
ein "Loch" im Schöpfungs- und Erlösungsgeschehen Gottes mit der
Welt. Jedes Geschaffene bleibt zudem ergänzungsbedürftig
durch die Gabe und Gnade der anderen. Nicht christlicher
Individualismus ist gefragt, sondern das "Alle gemeinsam vor
Gott". Der Sinn und Auftrag einer christlichen Gemeinde bestehen
darin, dem Einzelnen zu seiner Einmaligkeit bzw.
Person-Werdung zu verhelfen. Die Ehre Gottes ist der
lebendige Mensch, ist die lebendige Gemeinschaft.
4. In der pfingstlichen Zeit des Heiligen Geistes kann sich
jeder rationale theologische Satz-Glaube ("Ich
glaube an den Heiligen Geist") schnell als lebensfern und
lebensleer erweisen. Die Rede über den Hl. Geist muß stets
schöpfungs- und menschenbezogen bleiben (als "Spurensuche" im
Schöpfungsgeschehen und in Lebensbiographien). Theoretisch
"gelernter" und "definierter" Glaube unterliegt der Gefahr, daß
die ursprünglich hellwache Kraft des Gott-Ahnens, des
Gott-Suchens, des Gott-Erhoffens und damit Gott-Begegnens in der
Konkretheit des Lebens eher verlorengeht als daß sie gestärkt
wird. Mit Pfingsten bricht immer eine Epoche neuen
Lebens an. Sie ist gekennzeichnet durch die Preisgabe
der menschlichen Ambition, Gott intellektuell
erfassen zu können bzw. zu wollen. Ihn im Gegensatz dazu mit
"Gefühl" und "Feeling" erfassen zu wollen, ist sicher die
falsche Alternative. Gottes Wirken in der Natur und Schöpfung
nachzuspüren; ihm in der eigenen Lebensgeschichte wie im
lebendigen Austausch mit anderen "auf der Spur" zu bleiben - das
hat sich schon bei vielen als "Gnade des gegenwärtigen
Augenblicks" erwiesen. Der Geist der Wahrheit, in
konkreten Lebenslagen erahnt und erhofft, erweist sich
immer als ein persönliches Betroffensein, als
ein "Angerührtsein von einer anderen Welt" (E.Stein).
5. Pfingsten zu begreifen und zu verstehen,
bedeutet einen mehrfachen Imperativ:
5.1: Besinne dich auf Zeiten in deiner eigenen Lebenswelt (und
spreche mit anderen
darüber!), in denen dir eine Ahnung, Hoffnung, Sehnsucht...
aufgegangen ist vom Da-Sein, vom Wirken Gottes.
5.2: Besinne dich auf Zeiten besonderer Gottverlassenheit,
Gottesfinsternis, Gotteszweifel... Sie können sich als
Stachel zu einem tieferen Begreifen und Verstehen von
Ereignissen erweisen, die du nicht leicht ungeschehen machen
möchtest.
5.3: Besinne dich und sammle alte und moderne Gebets-, Lieder-
und Dichtertexte, oder auch Bilder und Photos, in denen Menschen
über ihre eigenen hellen und dunklen (Gottes) Erfahrungen
berichten bzw. diese "besingen" oder beklagen. Suche dich damit
zu identifizieren oder auch zu distanzieren, um so dein
Eigenes zu finden. Wer so seine ureigene
(religiöse) Sprache findet, kann auch andere in ihrer
fremden ureigenen Sprache verstehen, wird gemeinschafts- und
gemeindefähig (vgl. Apg. 2,1-13).
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