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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Prägungen der Kindheit?

Vielleicht ist jeder Mensch durch Ereignisse in der Kindheit stärker geprägt, als es im Laufe des späteren Lebens bewußt wird. Heute wird viel von Kriegsgefangenen geredet, die bei uns im Nazi-Deutschland zur Zwangsarbeit verpflichtet waren und nun, nach fast 60 Jahren, durch Firmen zu entschädigen sind. Ich erinnere mich an ein Lager mit russischen Kriegsgefangenen. Sie hatten einen Bunker zu bauen - ganz in der Nähe meines Elternhauses. Der Bevölkerung war es strengstens verboten, mit den Gefangenen in irgendeiner Weise Kontakt aufzunehmen. Sie waren von deutschen Soldaten scharf bewacht. Um das Lager herum war ein hoher Drahtzaun gespannt. Gelegentlich sah man die hungrigen, ausgemergelten Gesichter der Gefangenen, wie sie über den Zaun zu uns herüber schauten.

Ich war damals 9-10 Jahre alt. Eines Tages sagte meine Mutter zu mir: "Im Drahtverhau habe ich ein Loch entdeckt. Heute abend, wenn es dunkel geworden ist, versuche, dich durch das Loch durchzuzwängen. Du bist noch klein. Du kannst es. Aber sei vorsichtig, dass du nicht erwischt wirst. Bringe den hungrigen Gefangenen ein paar Pellkartoffeln und ein Stück Brot."

So habe ich es öfter gemacht. Es war ein waghalsiges Unternehmen. Es hätte weniger mir, aber meinen Eltern das Leben kosten können. Ich erinnere mich, dass meine Mutter noch hinzufügte: "Denk an deinen älteren Bruder. Mit 18 muss er schon in Rußland kämpfen. Vielleicht findet er dort auch jemanden, der ihm ein paar warme Pellkartoffeln gibt."

Es muss hinzugefügt werden: meine Eltern waren einfache, aber christlich überzeugte Leute. Was sie hier taten, hatte mit ihrem christlichen Selbstverständnis zu tun. Ihre sehr konkreten Verhaltensweisen haben mich schon sehr früh gelehrt: Christentum besteht nicht aus großen Worten und aufwendigen Gesten, auch nicht aus auswendig gelernten Glaubenssätzen und umfangreichen Katechismen, sondern aus kleinen Schritten, die etwas mit den konkreten Herausforderungen des Lebens zu tun haben. Man könnte auch sagen: mit Werten, die es konkret zu verwirklichen gilt.

Meine Eltern verstanden nichts von Theologie und "Glaubenslehren". Sie haben nie eine Universität besucht. Und doch hatten sie besser verstanden, worauf es ankommt, als manche mit Gelehrsamkeit und akademischer Klugheit Ausgestattete.

Damals war diese einfache und selbstverständliche Art, Christ zu sein, noch fraglos eingebunden in herkömmliche Kirchlichkeit. Heute wandern nicht nur "Ungläubige" aus der Kirche aus, sondern auch diese Art der Christlichkeit meiner Eltern. Die Christ sein wollen und es versuchen, werden unkirchlich. Ein breiter Graben tut sich auf zwischen offizieller kirchlicher Gelehrsamkeit und persönlicher, christlich geprägter Lebensweise, "zwischen Evangelium und Kultur", wie Paul VI sagt. Wo ist der Glaube, wo der Unglaube? Vielleicht gibt es zu viele Ungläubige in den Kirchen und genug Gläubige außerhalb von ihnen. Niemand weiß zur Zeit, wohin die Reise der Kirchen geht... Jedenfalls sind sie zum großen Teil mit ihrer klugen Theologie am Ende. Sie müssen sich anstrengen (bekehren!), wenn sie die Zukunft noch für sich entscheiden wollen.


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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