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Documentation Pallottiner Intern 2007
2007
Was kann aus Hirzenach schon Gutes kommen? Diese Frage habe
ich mir immer gestellt, wenn es hieß: einen Bericht schreiben!
Wer interessiert sich schon dafür? Wer liest ständige
Wiederholungen, zu denen Jahresberichte neigen? Rein äußerlich
gesehen, ist Hirzenach ein kleines Kaff am Rhein. Es entvölkert
sich zudem, wie das ganze Rheintal sich bedrohlich entvölkert.
Aus beruflichen und vielen anderen Gründen ziehen die jungen
Leute und Familien weg. Das Rheintal zwischen Bingen und
Koblenz, obwohl UNESCO-Welterbe, könnte man ein Altenheim
nennen, wenn es nicht die vielen Besucher und Touristen gäbe...
So ist es auch mit Hirzenach. Da gibt es weniger Touristen, umso
mehr Besucher. Es gibt Zeiten – da geben sich Politiker,
Diplomaten, Journalistinnen und Journalisten die Türklinke in
die Hand. Seit knapp 20 Jahren ist Hirzenach die Zentrale einer
weltweit anerkannten Initiative gegen Menschenhandel und
Kindersklaverei geworden: in den USA genauso bekannt wie in
Teilen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Denn das
internationale Netz von Menschenhandel und Kindersklaverei hat
bedrohliche Ausmaße angenommen, bringt den "Händlern" jährlich
Milliardengewinne ein. Einige von SOLWODI haben das rechtzeitig
erkannt. Sie schaffen ein Gegengewicht zu Verbrechen, die man im
20. bzw. 21. Jahrhundert kaum für möglich halten könnte – zumal
sie meistens im Untergrund, im Verborgenen, begangen werden (Es
ist also leicht, wegzuschauen). Diejenigen, die nicht wegschauen
und sich aktiv an diesem "Gegengewicht" beteiligen, rekrutieren
sich aus allen Schichten: Junge und Alte, Katholiken und
Protestanten, Betriebsmanager und Atheisten.... Mir, der ich von
Anfang an beteiligt war, wird manchmal Angst vor so viel
Initiative aus verschiedensten Richtungen. Würden wir SOLWODI zu
einer "katholischen" Hilfsorganisation umorientieren wollen –
der größte Teil der Aktiven würde sich geflissentlich
zurückziehen, sich nicht mehr beteiligen...
Was passiert hier? Ein gesellschaftliches und menschliches
Problem von internationalen Ausmaßen wurde erkannt, aufgegriffen
und öffentlich gemacht. Und schon melden sich Hunderte/Tausende
von Menschen "guten Willens", die hier eine Aufgabe und
persönliche Verantwortung erkennen. Weltanschauung und Religion
spielen keine Rolle. Hauptsache, es geschieht etwas zum Wohl von
Betroffenen, zu mehr Gerechtigkeit und Frieden in der Welt...
Bei mir als Beteiligten hat sich dabei das "katholische"
Weltbild verändert. Nachdem ich ca. 15 Jahre in
München/Eichstätt und über 10 Jahre an unserer theologischen
Hochschule tätig war, habe ich erkannt: die Welt und die
heutigen Menschen sind doch ganz anders als unsere
Denkkategorien es vorsehen. Früher habe ich mich dauernd mit der
Frage herumgeschlagen: "Was ist Wahrheit?" Heute sehe ich: das
interessiert die meisten nicht (mehr), zumal es viele
verschiedene Antworten gibt. Die Menschen fragen (manchmal
unbeholfen und egoistisch): "Was ist wichtig?" Dabei kann das,
was wahr ist, durchaus wahr bleiben. Aber es ist nicht wichtig
für die Gestaltung des eigenen Lebens, für mehr Gerechtigkeit
und Frieden in der Welt. Wichtig sind für sie kleine Schritte
und Maßnahmen, die zur Verminderung der vielen Turbulenzen in
Welt und Gesellschaft beitragen.
Ob solches z.T. überkonfessionelles und "atheistisches" Denken
dem biblischen Anliegen nicht sehr nahe kommt? Das frage ich
mich immer wieder. Und wenn da manches "unbeholfen" und
"egoistisch" auftaucht – besteht nicht jede theologische Aufgabe
darin, klären und entfalten zu helfen, was in den Menschen
steckt; "empor zu bilden" und reifer zu machen, was noch unreif
und "unchristlich" erscheint? Ob nicht jede kirchliche
Neuorientierung darin bestehen müßte, die theologisch
"Unmündigen" nicht theologischer zu machen, sondern sie zu
begleiten, weil Gott ihnen bekanntlich "Offenbarungen" schenkt (Mt
11.25)?
Schwester Lea, die Gründerin von SOLWODI, wird am 2. Febr. 2007
siebzig Jahre alt. Aus diesem Anlass habe ich, zusammen mit ihr,
ein Buch geschrieben: "Gespräche über Gott, die Welt und das
Leben" (Kösel 2007). Was darin beschrieben wird, klingt wie eine
Bagatelle: die Welt ist im Umbruch; auch die Menschen, ihr
Wissenshorizont, ihr Erkenntnisstand, ihre beruflichen
Kompetenzen... haben sich entscheidend verändert. Dieselben
Menschen wenden sich von der Kirche ab (obwohl bei Festivals
immer noch massenhaft anwesend). Ob es uns gelingt, in eine
Zukunft aufzubrechen, die noch keiner richtig kennt? Eine Frage,
die niemand voreilig und zu selbstsicher beantworten sollte.
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