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Betr.: Antwort auf die Herausforderungen durch die Sekten und "Freien
Kirchen"
An KNA, Herrn Werres, Aug.95, jetzt Herr Peter
de Groot.
Veröffentlicht in KNA RPS 68/ 31.Aug. 1995
Aus einem Vortrag vom August 1995.
Früher brachte man allzu einseitig den Auszug der Leute aus
den herkömmlichen Kirchen mit der säkularen Entwicklung und
neuerdings auch mit der "religiösenIndividualisierung" in
Zusammenhang. Dem steht zu einem guten Teil die Tatsache
entgegen, daß viele in Sekten und dubiose religiöse Bewegungen
abwandern, wenn auch nur "auf Zeit". Auffallend ist, daß dabei
nicht mehr oder sehr wenig nach "unfehlbaren Lehrämtern" oder
"apostolischer Sukzession" gefragt wird.
Angesichts solcher Entwicklungen sind es die großen Konfessionen
gewohnt, theologisch-argumentativ ihre eigenen Positionen zu
beziehen bzw. zu verteidigen. Daher auch der Drang, in Form von
Katechismen und anderen Büchern ihre Lehre unters Volk zu
bringen. Die Zeit scheint abgelaufen, daß man so weiter
verfahren kann. Allzu schnell werden Lehren als Leerformeln und
Worthülsen abgetan. Zudem stellt sich die Frage, welche von den
vielen Sekten, religiösen Bewegungen und Konfessionen recht,
welche die Wahrheit auf ihrer Seite hat? Weil jede die Wahrheit
für sich beansprucht, hat sich schon längst eine Mentalität
breit gemacht, geprägt nach dem Muster der Lessingschen
Ringparabel: der Ring der Wahrheit ist allen abhanden gekommen,
er ist nirgendwo zu finden...
Was religiöse Gruppierungen heute attraktiv zu machen scheint,
ist ihre Irrationalität gegenüber der früheren religiösen
Rationalität. Fatal wird es, wenn auch die Kirchen bzw. die von
ihnen leichtfertig geförderten "Erneuerungsbewegungen" dem Drang
nach dem Obskuren auf den Leim gehen. Entscheidend für die
Kirchen und Gemeinden wird dem gegenüber die Frage sein, ob es
ihnen gelingt, von der Botschaft des Evangeliums her Lebensstile
zu entwickeln, die der Welt von heute und morgen plausible
"Beweise" für die Echtheit der christlichen Botschaft liefern,
die zugleich "Beweise" dafür sind, daß die Christen selbst an
das glauben, was sie verbal verkünden.
Was auch immer die Kirchen, Gemeinden und Orden heute an
Maßnahmen ergreifen, um der Krise Herr zu werden - die Frage
nach dem ihnen eigenen Lebens- stil stellen sie nicht oder kaum.
Deshalb werden auch - bei aller Rechtgläubigkeit in der Lehre -
die menschlich bindenden und gemeinschaftsfördernden Lebenswerte
und Lebenshaltungen kaum sichtbar, nach denen aber "die Welt"
mit Recht Ausschau hält. Wirklich glaubwürdig werden auf Zukunft
hin nur Lebensstile sein, die von biblischen und anderen humanen
Haltungen geprägt sind. Das gilt auch dann, wenn sie in sehr
unterschiedlicher Weise gelebt werden.
Wo fragende und suchende Menschen einen überzeugenden
Umgangsstil entdecken oder glauben entdeckt zu haben, da siedeln
sie sich religiös an. Es kann jede beliebige religiöse
Gemeinschaftsform sein, die anziehend wirkt. Wichtig ist nur,
daß sie ein Gefühl der Beheimatung und Zugehörigkeit vermittelt.
Die bisher auswendig gelernten Glaubenslehren oder eingeübten
konfessionellen Traditionen - auf dem Boden kommunikationsloser
kirchlicher Massenveranstaltungen - werden dann bedenkenlos und
ohne Zögern aufgegeben, mögen sie noch so "feierlich" und
liturgisch-prunkvoll gewesen sein, was nicht daran hindert,
gelegentlich dennoch daran teilzunehmen, z.B. an Hochzeiten oder
an Weihnachten. Für die Kirchen auf allen Ebenen und in allen
Bereichen ist es höchste Zeit, der Frage der Lebensstile größte
Aufmerksamkeit zu widmen - genauso, wie sie sich früher auf
Glaubens- und Lehrformulierungen konzentrierten.
Veröffentlicht in KNA RPS 68/ 31.Aug. 1995
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