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Betr.: Seniorenarbeit.
28.August 1996
Das Älterwerden hat es in sich. Man kann offenkundig nicht
alt genug werden, um es adäquat beschreiben zu können. Junge
Leute tun sich leichter dabei. Wenn sie 18 sind, nennen sie ihre
25-jährigen Zeitgenossen einfach "Oldies" und die 3o-jährigen "Grufties".
Mit solchen Markierungen machen sie deutlich, was möglicherweise
bei ihnen schon zu einer uneingestandenen Lebensangst geworden
ist: daß das Altwerden und das aus dem Leben
Verabschiedet-werden heute schneller vor sich geht als zu
früheren Zeiten. Zumindest bei denen, die es sich leicht
gefallen lassen. Andererseits enthält diese Einschätzung der
Lebensabschnitte durch junge Leute, bedingt durch den Zeitgeist
äußerer Betriebsamkeit, einen fundamentalen Irrtum. Sie geht
unkritisch davon aus, daß das Altwerden nichts anderes ist als
das unabänderliche Voranschreiten an Lebensjahren.
Das habe ich früher auch geglaubt. Bei näherem Zusehen jedoch
zeigt sich, daß an Jahren alte Leute sehr jung sein können und
daß an Jahren junge Leute sehr alt zu sein vermögen. Denn
Jugendlichkeit hat etwas mit geistiger Wachheit zu tun, mit
Flexibilität und der Fähigkeit, Dingen und Ereignissen des
Lebens und der Welt offen und unvoreingenommen ins Auge schauen
zu können. Die dies vermögen, gehen vielleicht aufgrund langer
Lebenserfahrungen anders, d.h. besonnener, distanzierter,
"weiser" damit um als unerfahrene Neulinge des Lebens.
Entscheidend aber ist, daß bis ins hohe Alter hinein die
Jugendlichkeit erhalten bleiben kann bzw. die Jugend in
"anderer" Form und Gestalt.
Die Tatsache, daß es heute viele ältere Menschen gibt, die für
sich Fortbildungsveranstaltungen organisieren und lebendig daran
teilnehmen, ist schon Beweis genug, daß sie über das Älterwerden
an Jahren hinausgewachsen sind. Sie haben sich - statt in
Unbeweglichkeit und Resignation zu verfallen - eine Form von
Jugendlichkeit bewahrt, die für die nachwachsenden Generationen
viel tragender ist als diese es einzugestehen bereit sind. Denn
Älterwerden hat etwas mit dem Gelingen des Lebens zu tun, legt
nicht mehr allzu großen Wert auf Äußerlichkeiten und
oberflächliches Getue, hat in mancher Hinsicht Abschied genommen
von den allzu vergänglichen Dingen und scheinbaren
Glückverheißungen früherer Tage, die sich als Trug und Schall
herausgestellt haben und die sich bis ans Ende der Welt als
leeres Geschwätz und unnötiges Getöse erweisen werden. Wer kann
solch wichtige Einsichten heranwachsenden Generationen besser
vermitteln als diejenigen, die die Wegerfahrungen des Lebens
gemacht haben?
Was Christentum und Kirche betrifft, so haben die im Glauben
geläuterten und die an Wegerfahrungen reich gewordenen Menschen
viel in Erinnerung zu halten und der Nachwelt zu überliefern.
Zum Beispiel kommen sie aus einer Zeit, in der sie erlebt haben,
daß selbst die 2000 Jahre alte "Mutter Kirche" sehr jung zu sein
vermag. Sie haben das Konzil erlebt mit seinen neuen Horizonten
und zukunftsträchtigen Ausblicken. Sie haben den Gott der
Geschichte, der sich in den "Zeichen der Zeit" zu erkennen gibt,
wiederentdeckt. Sie haben den fast 8o-jährigen "Übergangspapst",
Johannes XXIII, in seiner jugendlichen Kraft genossen. Sie
können vermitteln, was sich jüngere Leute überhaupt nicht mehr
vorstellen können und auch nicht vorzustellen bereit sind, weil
sie es nicht miterlebt haben. Sie sehen nur noch die äußere
Fassade einer "starren Amtskirche" und wenden sich leichtfertig
und ohne Skrupel von ihr ab. Denn mit toten Buchstaben und
lebensfernen Gebärden will in jungen Jahren niemand etwas zu tun
haben.
Wie berechtigt oder unberechtigt solche Vorbehalte auch immer
sein mögen - die Bitte an und die Aufgabe für ältere
lebenserprobte Menschen können immer nur lauten: das Alter ist
eine Chance und ein Auftrag zugleich. Ältere Menschen haben
deutlich zu sagen, was nur sie zu sagen vermögen. Statt Geld,
reiche Geschenke und einträchtige Erbschaften zu hinterlassen,
sollten sie jüngeren Menschen lieber erzählen, was sie im Leben
tragend geprägt hat. Sie sollten ihnen ein gutes Buch in die
Hand drücken und sie zum Lesen ermutigen. Durch das Lesen und
Miteinandersprechen sollten sie der Frage nach dem Sinn des
Lebens, letztlich Gott, auf der Spur bleiben, der sich nicht in
Buchstaben finden läßt, sondern in den Ereignissen des Lebens.
Ohne eine solche "Erbschaft" könnte es den jüngeren Generationen
passieren, was Gott verhüten möge: beim Älterwerden an Jahren
könnte ihnen jede lebensorientierende Jugendlichkeit und jedes
Lachen vergehen. Und zurück bliebe, auf den Trümmern eines
oberflächlich agierenden Lebensbetriebes, nur eine trostlose und
ungetröstete Welt.
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