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Mein Gott, mein Gott – warum hast du mich verlassen?
Die Frage nach Sinn und Unsinn des Kreuzes.
März 2008
Nichts ist in einer hedonistischen Gesellschaft ärgerlicher
als das Kreuz. Wenn es stets darum geht, Spaß zu haben; das
Glück als käuflich und den Frieden als machbar erscheinen zu
lassen, dann kann die Devise nur heißen: Holt Jesus vom Kreuz!
Unsere säkularisierten Gesellschaften sind eifrig dabei, diese
Grundeinstellung Wirklichkeit werden zu lassen. Man holt Jesus
vom Kreuz. Man entfernt das Kreuz aus Sitzungs- und
Gerichtssälen, aus Schulklassen und Lehrerzimmern...
Das Kreuz - als Werkzeug von Qual und Leiden, als Erinnerung an
Grausamkeiten, welche Menschen durch Menschen angetan werden -
passt nicht in eine Welt, die angefangen hat, auch von den
Religionen nichts anderes zu erwarten als Glück und Wohlgefühl.
Auch im Christentum ist man vielfach bereit, im Kreuz nichts
anderes zu entdecken als ein zu bewahrendes "Kulturgut", als ein
Symbol für Menschlichkeit, Solidarität, Hingabe und
Versöhnung... Das Ärgernis des Kreuzes, was es für Paulus noch
war, bleibt draußen vor.
Moderne Menschen, die oft auf nichts anderes bedacht zu sein
scheinen als ihr Leben nach eigenen Entwürfen zu erfinden – man
könnte sie charakterisieren als Lebewesen, die einen kleinen
Apfel ganz nahe vors Auge halten. Er verdeckt ihnen alles Elend
in der Welt. Sie sehen nicht mehr die Kranken und Sterbenden in
ihrer nächsten Nachbarschaft; sie vergessen schnell und
verdrängen die Fernsehbilder von grausamen Verstümmelungen, die
Kindern und Frauen angetan werden; sie überhören das Schreien
der Schwerverwundeten auf den Schlachtfeldern dieser Erde. Sie
wissen aber auch nichts mehr von dem, der das Leid der Welt
freiwillig auf sich genommen hat und in seiner äußersten Not zu
schreien vermochte: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen?
Denn die Dinge haben ihre Tränen. Die Welt ist eine unerlöste
Welt. Der Mensch ist Teil von ihr, Akteur in ihr. Er vermag Heil
und Unheil zu stiften. Bei allen Utopien und Hoffnungen auf
Glück und Wohlsein bleibt ihm - wenn es darauf ankommt - nichts
anderes übrig als das Leben so anzunehmen, wie es ist: als Gnade
und Last. Wer täglich sein Kreuz auf sich zu nehmen und zu
tragen bereit ist, dem geht eine Ahnung von Ostern auf. Das
Kreuz Christi wird für jeden, der es trägt, zu einem toten
Stamm, aus dem ein Spross neuen Lebens sprießt. Aus solcher
Erfahrung konnten Christen in allen Jahrhunderten beten: Im
Kreuz ist Heil; das Kreuz verhilft uns zu neuen Einsichten und
tieferen Erkenntnissen; im Kreuz erkennen wir, wo wir "dran"
sind mit uns selbst. Konfrontiert mit Leid und Tod kehrt der
Mensch zu den Wurzeln seines Daseins zurück.
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