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Mein Traum von der Kirche
KA + Das Zeichen, März 2000:
1. Träume sind Schäume (?)
"Visionen sind Illusionen, Luftschlösser, Tag- und Nachtträume.
Sie können uns daran hindern, den Alltag anzugehen. Echte
Visionen sind sie dann, wenn sie das Jetzt und Hier zu beleben
vermögen, diese in eine produktive Spannung versetzen". So
schreibt Ernst Bloch. Und Heinr. Spaemann veröffentlichte vor
einigen Jahren seinen "belebenden", den Alltag angehenden und
daher "Spannungen" hervorrufenden Traum von der Kirche. Anlaß
war die damals sehr umstrittene Ernennung von Weihbischof Krenn
in Wien. Junge Menschen hatten sich damals kurz vor Beginn des
Weihegottesdienstes auf die Stufen der Domtreppe gelegt, um
gegen diese Entscheidung Roms zu protestieren. Der Ernannte aber
schritt in Begleitung zweier Polizeioffiziere über die am Boden
Liegenden hinweg in den Dom.
Spaemann veröffentlichte kurz darauf ein Gegenbild zu dieser
Szene: Der zum Bischof Ernannte geht nicht über die Menschen auf
der Treppe hinweg, sondern setzt sich nieder, um mit ihnen zu
reden. Er macht ihnen deutlich, daß er für sie Bischof sein will
und nicht ohne oder gar gegen sie. Er ist bereit, die Weihe
aufzuschieben und vereinbart mit den jungen Leuten für den Abend
ein Gespräch im Pfarrzentrum. Dort sollen sie erklären, warum
sie ihn als Bischof nicht wollen. Er wiederum wird ihnen sagen,
warum er den Dienst, zu dem ihn der Papst auswählte, gern tun
würde.
2. Was heißt: "Zeitgeist", "modernistisch", "konservativ"?
Wir wissen: der ernannte Weihbischof stellte sich der Jugend
nicht. Warum hätte er es tun sollen? War er nicht vom Papst
persönlich berufen worden? Wieso also noch andere fragen, da
doch der Stellvertreter Gottes auf Erden gesprochen hatte? -
Solche Fragen machen die Spannungen deutlich, die heute in der
Kirche herrschen. Die einen, die sich ganz auf den Papst
verlassen, werfen den andern "Modernismus" und "Anpassung an den
Zeitgeist" vor. Sie selbst werden "Konservative" genannt. Dabei
ist es für den, der die Geschichte kennt, genau umgekehrt: die
"Modernisierer" sind die eigentlich "Konservativen". Sie greifen
nämlich auf ein Bild von "Kirche" zurück, welches
jahrhundertelang vorherrschend war. Papst Leo I. schrieb i.J.
495: "Man ordiniere niemanden zum Bischof gegen den Willen der
Christen und ohne ihre ausdrückliche Bitte". Und das Konzil von
Chalcedon (451) setzte fest, daß niemand als Priester oder
Diakon in den "geistlichen Stand" versetzt werden dürfte ohne
die Zustimmung möglichst aller in der Gemeinde.
Mit diesen Maßnahmen versuchten Päpste und Konzilien ein Bild
von "Kirche" und "Gemeinde" zu retten gegenüber jenen, die es zu
verändern drohten. Seit dem 3.Jh. hatten sich nämlich Lenker und
Leiter in der Kirche eingeschlichen, die sich wie "Monarchen"
benahmen und die ihre Ämter - ganz nach dem Stil von Königen und
Kaisern - ziemlich beliebig an ihre Günstlinge, Verwandten und
Freunde weitergaben. Dieser Trend hat sich seitdem am stärksten
in der röm.-katholischen Kirche fortgesetzt. Mit Hilfe der
Kaiser wurden die Päpste immer mehr "Monarchen". Erster
Höhepunkt dieser Entwicklung war das große abendländische
Schisma 1054. Damals trennte sich die orthodoxe Kirche von Rom.
Es waren nicht nur sog. theologische Gründe, sondern vor allem
auch politische. Es ging letztlich um die Frage nach dem Wesen
der Kirche. Seitdem hat es bekanntlich noch manche andere
Spaltungen gegeben - Zeichen dafür, daß Leo I. und die anderen
damals zu utopisch waren, zu unrealistisch? War auch Jesus
einer, der die Menschen falsch eingeschätzt hatte, wie der Russe
Dostojewski vermutet?
3. "Verrückt nach den Möglichkeiten Gottes in der Welt".
So hat Joh. B. Metz einmal glaubende und hoffende Christen
genannt. Auch Jesus sei so gewesen. In dieser "Verrücktheit" hat
Jesus auf Menschen vertraut und gebaut. In dieser "Verrücktheit"
sind auch die ersten christlichen Gemeinden entstanden. Nach dem
Tod und der Auferstehung Jesu versammelten sich die Christen
regelmäßig. Bei ihren "Gottesdiensten" ging es ihnen im
Wesentlichen um drei Anliegen: sie wollten erstens
die Worte und Taten Jesu als heilsame und erlösende Ereignisse
für das Wohl aller Menschen in Erinnerung behalten. Sie wollten
sie zweitens in ihren eigenen Lebenssituationen
weitersagen und weitertun. Sie wollten so drittens der
Anwesenheit Gottes in ihrer Mitte sicher bleiben: im Teilen des
Wortes und im Teilen des Brotes.
Auffallend ist auch, daß am Anfang sehr einfache Männer und
Frauen das Geschehen bestimmten. Schon die Jünger und Apostel
zeichneten sich nicht durch besondere Gelehrsamkeit aus. Es
waren Menschen, die etwas vom Leben verstanden. Sie
hatten Beruf und Familie. Wie Gott in Jesus Christus "Mensch"
geworden war, so wollten sie die Worte und Taten Jesu auf sehr
menschen- und lebensnahe Weise jeden Tag "auf den Punkt"
bringen. Ihre "Tagesordnung" war deshalb nicht von großen Themen
und Programmpunkten bestimmt, sondern von Lebenshaltungen, die
für sie selbst heilsam und für Menschen ihrer Umwelt
"ansprechend" waren. Sie hießen: Gemeinschaft, Kommunikation,
Gastfreundschaft, Dasein für Arme, Kranke, Behinderte,
Gefangene, sogar für Feinde... Für die Fortsetzung der Worte und
Taten Jesu hatte Gott jedem Gaben und Fähigkeiten
gegeben, wozu auch "Grenzen" gehörten. Wer sich in der
Gnadengabe des Leitens bewährt hatte, der sollte auch Leiter
einer Kirche oder Gemeinde sein. Daß er die Zustimmung durch
eine Mehrheit erhielt - das war letztes Kriterium dafür, daß er
auch von Gott berufen war. So wurden die "guten Hirten" immer
schon von denen unterschieden, die durch die Hintertür in den
Schafstall gelangt waren (Joh.10,1ff).
4. Christen können immer nur begrenzt "verrückt" sein.
Wir Christen, die wir alle in einer Konfession und damit
gewissen Enge erzogen worden sind, können uns heute kaum noch
vorstellen, daß es im ersten Jahrtausend nach Christus eine
Vielzahl unterschiedlicher Kirchen gab mit einer eigenen
Liturgie, Theologie, Glaubenstradition. Als
"Patriarchatskirchen" bestand ihre "Einheit" im Gehorsam
gegenüber dem einen Herrn. Die unterschiedlichen Wege in der
Nachfolge Christi war von der Idee beherrscht, daß man gar nicht
vielfältig genug sein kann, um die universale Fülle Christi zum
Tragen kommen zu lassen. Bahnt sich heute wieder eine solche
"Fülle" an? Es gibt heute weltweit Tausende von "christlichen"
Kirchen. Oft wurden und werden sie als "Sekten" oder "Häresien"
gebrandmarkt. Viele sicher auch zu Recht. Aber es gibt auch
viele, denen es ernsthaft um einen "Neuanfang" mit den
wirklichen Anliegen Jesu geht. Wie auch immer sie heute
nebeneinander oder gegeneinander stehen - die Fortsetzung der
Worte und Taten Jesu ist allen aufgetragen. Damit steht und
fällt die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft.
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