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Über Gott reden in der heutigen Zeit?
Von dem neuen Kardinal Lehmann kommt ein klares "Ja" auf
diese Frage. Aber wie? Im Grunde gibt es nur zwei Gottesbilder,
die in der Geschichte der christlichen Kirchen bis heute eine
große Rolle spielen. Das eine ist das der Philosophen und
Theologen. Irgendwann einmal hat man angefangen, das Reden und
Forschen über Gott in die kirchlichen Amtsstuben, in die Hörsäle
der Universitäten zu verlegen. Dazu hat man sich großer
Philosophen der Antike bedient (Plato, Aristoteles...), um in
Begriffen klar und deutlich zur Sprache zu bringen, was es mit
Gott und der Welt auf sich hat. Dieser Prozess des Diskutierens
und Definierens hat im Christentum eine "akademische Klasse"
hervorgebracht, die - gemessen an der Mehrzahl der Christen -
nur eine kleine Minderheit darstellt. Aber was Theologen an
"Spezialistenreligion" produziert haben, an Lehren, Weisheiten
und Wahrheiten, hat schließlich doch das Geschehen in den
Kirchen bestimmt. Sie haben "Gläubige" gezeugt und geboren,
diese so oder so "indoktriniert" bzw. ins konfessionelle
Schlepptau genommen.
Das andere Gottesbild meint den verborgenen Gott, den niemand
kennt und niemand je gesehen hat, der sich aber in den "Zeichen
der Zeit" zu erkennen gibt. Dies ist das eigentlich tragende
Gottesbild der gesamten Religionsgeschichte gewesen. Die
Naturreligionen erahnen und künden die Anwesenheit eines "ganz
Anderen" im Rauschen des Waldes, in der Fruchtbarkeit der Äcker,
bei der Überwindung schwerer Krankheiten und ungeahnter
Heilungsprozesse. Der Buddhismus spricht vom "göttlichen
Urgrund", der allem Seienden zugrunde liegt und den es durch
Zucht und Meditation zu ergründen gilt. Das Judentum meint den
Gott, der einen Bund der Freundschaft und Lebensbegleitung mit
der Menschheit eingeht und den es in der dramatischen Geschichte
des Menschen zwischen Heil und Unheil zu suchen und zu finden
gilt. Das Evangelium bzw. Jesus sprechen von Begegnungen mit dem
kranken Bruder, der hilfsbedürftigen Schwester, mit Bettlern,
Armen, Blinden, Kranken, den Kindern..., die mit
Gottesbegegnungen und Gottesverehrung gleichzusetzen sind. Denn:
"Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt
ihr mir getan" (Mt. 25,40). Der große Theologe der Frühzeit,
Augustinus († 430), sprach von Hunderten von Sakramenten, die es
gibt. Er meinte damit Hunderte von Lebenssituationen, in denen
der Mensch Gott zu erahnen und zu finden vermag.
Während immer weniger den Kirchen mit ihrem Definieren und
Klarstellen zuhören, lebt auch in den säkularisierten
Gesellschaften das Ahnen, Hoffen, Sehnen über das "Alltägliche"
und "Unerlöste" hinaus, letztlich nach dem "ganz Anderen", der
über die Banalitäten des Diesseits hinaus führt. Er wird
erfahren in den Ereignissen des Lebens: wo Menschen sich lieben
und einander zugetan sind; wo sie über den eigenen Schatten zu
springen vermögen, um Freundschaft und Versöhnung zu stiften; wo
sie immer die größeren Möglichkeiten ausschöpfen, die
menschliche Grenzen sprengen. Den Aussagen des Evangeliums gemäß
vermögen Menschen Gott immer da zu begegnen, wo sie ein Kind in
seinen Namen aufnehmen; wo sie Nackte bekleiden und Hungrige
speisen; wo sie am Meeresstrand stehen und der glühend-roten
Abendsonne den letzten Nachtgruß sagen (Mt. 25,31-46). Der Gott
der Geschichte und des Lebens ist überall. Wo heutige Menschen
ihn finden, da müssen auch die "Berufschristen" in den Kirchen
ihn wieder finden lernen.
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