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1. Das ewige Wagnis des Menschen mit Gott.
Deutsche Welle, 02. Sept. 1995.
Verehrte Hörerinnen und Hörer.
Neulich machte ich in einem Buchladen eine seltene Entdeckung.
Da waren in einem Regal mehrere dutzend Bücher zusammengetragen
über das Thema: "Gebete der Menschheit". Ich fing an zu stöbern
und zu blättern. Ich fand überraschende und wunderbare Gedanken
aus dem Christentum und Judentum, aus dem Islam und dem alten
Griechenland, aus Sumer und Babylon, aus Ägypten und Indien, aus
China und Mexiko, aus Japan und Sibirien, aus Afrika und dem
archaischen Rom.
Manche waren uralt. Sie reichten weit in die vorchristliche
Geschichte zurück. Aber die Lebenserfahrungen, die in ihnen zum
Ausdruck kamen und die Art und Weise, wie damit umgegangen
wurde, hatten eine verblüffende Ähnlichkeit. Menschen sprachen
von ihren Nöten und Ängsten, von ihren Hoffnungen und
Erwartungen, von ihren Enttäuschungen und Sehnsüchten. Immer
spiegelten sie irgendwelche Grenzsituationen wider, in denen sie
sich befanden. In Zeiten der Verzweiflung, des Hungers, der
Krankheit und im Angesicht des Todes wandten sie sich an Gott,
an den höchsten Geist, an den größten Ahnen oder an die
Mutter-Göttin, von denen sie sich Hilfe und Kraft zur
Lebensbewältigung versprachen.
Wie kommt es eigentlich, daß man angesichts solcher Befunde von
einem religiösen Genie der Menschheit sprechen kann - bis in
unser technisches Zeitalter hinein? Wie kommt es, daß die
Menschen, solange es sie gibt, immer wieder das Wagnis mit Gott
und einem "höchsten Wesen" auf sich genommen haben? Mir
jedenfalls erscheint es wie ein unlösbares Rätsel, daß wir
Menschen so etwas in uns tragen wie eine Antenne, die sich immer
wieder nach dem Unendlichen, Ewigen, Unzerstörbaren...
auszurichten vermag. Die Erfahrung der eigenen Grenzen machend,
erwacht in uns der Drang zur Grenzenlosigkeit - so als könnten
uns nur aus dem Raum des Unendlichen und Ewigen gültige
Antworten auf die eigentlichen Fragen unseres Menschseins
zuwachsen
Vielleicht liegt unsere menschliche Chance und Größe in nichts
anderem als in der Fähigkeit und freien Möglichkeit, den tiefen
Sinn aller Dinge, vor allem den unserer eigenen
Lebensgeschichte, auszuloten und allmählich zu begreifen. Wie
ein Baum umso höher wächst, je tiefer er die Wurzeln gräbt, so
vermag der Mensch über sich selbst hinauszuwachsen, wenn er sich
dem Urgrund aller Dinge öffnet - wie die Leute in Babylon, die
schon vor ein paar tausend Jahren zu beten pflegten:
"Barmherziger gnädiger Vater, öffne uns die Tür des Himmels und
schaffe allen Menschen Licht!".
Für den Afrikaner gehört die Schlange zu den lebensbedrohenden
Ungeheuern. Daraus formuliert der religiöse Mensch ein Gebet an
den Gott, den er "himmlische Schlange" nennt, weil in seinen
Augen das Böse der Schlange nur durch ein himmlisches Wesen
gebändigt zu werden vermag: "Wenn in der Nacht der Fuß über ein
Hindernis stolpert, das sich zusammenzieht, aufrichtet und
beißt, dann füge du, o Vater des Stammes, daß es ein Zweig, ein
kleiner Zweig sei, der sich aufrichtet und schlägt, und nicht
einer deiner Söhne mit dem spitzen Maul..."
Ganz anders ist der Glaube der Moslems. Für sie steht Gott über
allen Dingen und jede Kreatur hat sich seiner Erhabenheit
unterzuordnen. So ruft der Muezzin die Gläubigen 5x am Tag zum
Gebet: "Gott ist groß! Gott ist groß! Gott ist groß! Ich lege
Zeugnis davon ab: Es gibt keinen anderen Gott außer Gott!...
Kommt und betet! Kommt und betet! Kommt zu eurem Heile! Kommt zu
eurem Heile!... Gebete sind besser als Schlaf!"
Auch für den Christen ist Gott absolut unaussprechlich und
unbegreiflich. Um sich verständlich zu machen, ist Gott in der
Gestalt eines Menschen erschienen. In Jesus von Nazaret wurde
der Menschheit ein Modellfall Gottes gegeben, um zu zeigen, wie
es geht, Mensch zu sein und sinnvoll, heilsam, heilend und
erlösend Leben zu gestalten und zu meistern - auch da noch, wo
äußerlich das Scheitern angesagt ist. Wer wie Christus zu denken
und zu handeln lernt, für den erweisen sich alle Lebensvollzüge
als sinnerfüllt - bis in die banalsten Einzelheiten hinein. So
kann Thomas Morus beten: "Schenke mir eine gute Verdauung, Herr,
und auch etwas zum Verdauen!...Schenke mir Sinn für Humor, gib
mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig
Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile. Amen."
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