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I. Wie heute Christ sein?
Bayerischer Rundfunk: Januar 1999
Was glauben die Deutschen? Eine seit Jahrzehnten in
regelmäßigen Abständen wiederkehrende Frage! Werbeagenturen,
Massenmedien verschiedenster Prägung und Ausrichtung, die
Kirchenleitungen der großen Konfessionen und andere
interessieren sich brennend dafür. Bei der Suche nach der
Antwort auf diese Frage scheint sich seit Jahren der Himmel
immer mehr zu verdunkeln. Denn die Deutschen wie auch die
Menschen anderer Länder in Europa und Amerika glauben etwas
anderes, als sie aus der Sicht und im Auftrag kirchenamtlicher
Vorgaben eigentlich zu glauben hätten und glauben müßten.
Jedenfalls hat dies zuletzt - nach einer Reihe ähnlicher
Untersuchungen - das religions-soziologische Institut der
evangelisch-theologischen Fakultät in Berlin herausgefunden.
Nach jahrelangen Recherchen und Befragungen in fünf Gebieten der
BRD und der ehemaligen DDR, in unterschiedlichen
soziokulturellen Milieus, in evangelisch und katholisch
geprägten Dörfern des Hunsrücks, bei Jugendlichen und
Gymnasiasten, sogar bei Theologiestudierenden, Pfarrerinnen und
Pfarrern glaubt das Institut eine Gesamttendenz herausgefunden
zu haben, die auf den ersten Blick erschrecken, sogar
schockieren muß: das traditionell Christliche spielt im Leben
moderner Menschen kaum noch eine nennenswerte Rolle; die
dogmatische Lehre der Kirchen, das wenn auch noch so klar und
eindeutig festgelegte Gedankengebäude der Theologie gibt keine
adäquaten Antworten mehr auf Fragen und Nöte heutiger Menschen;
die Kluft zwischen dem herkömmlichen Gottesverständnis und dem
Hoffen und Ahnen der Menschen von heute ist kaum noch zu
überbrücken; es findet auf breiter Front ein Zusammenbruch der
traditionellen Lehrverkündigung statt; die Entdogmatisierung und
Entkirchlichung des Christentums und des religiösen Empfindens
überhaupt sind in vollem Gange.
So oder ähnlich lauten die Auskünfte. Symptomatisch dafür ist
nicht nur der wachsende Autoritätsverlust der Kirchen, sondern
auch die allgemeine Reaktion auf deren Lehrverkündigung, die auf
weiten Strecken als belanglos und für das Leben nicht tauglich
bewertet wird. Konkret schwindet der herkömmliche Glaube an
einen persönlichen Gott; auch die Dreifaltigkeit Gottes (das
Bild von Gott in drei Personen) und seine Allmacht erscheinen
als sehr zweifelhaft; viele sehen keine Schwierigkeit darin,
statt an die Auferstehung der Toten an die buddhistische oder
hinduistische Wiedergeburtenlehre (Reinkarnation) zu glauben;
die Sterblichkeit des Menschen wird nicht mehr mit seiner
Sündhaftigeit in Verbindung gebracht - erst recht nicht mit der
Erbsündenlehre, die praktisch bedeutungslos geworden ist. Der
Name Gottes wird kaum noch mit der Vorstellung vom Jüngsten
Gericht, von der ewigen Belohnung oder Bestrafung im Jenseits in
Zusammenhang gebracht. Im ganzen scheint sich so etwas
anzubahnen wie eine, je nach Lust und Laune, individualisierte
Religiosität - ganz im Sinne einer Single-Gesellschaft, in der
sich jede und jeder einen eigenen Lebensraum gestaltet. Das
Ergebnis dieser Entwicklung scheint eine nach persönlichem
Bedarf zusammengesetzte Patchwork-Religion zu sein, die keine
Menschen mehr zusammenführt, sondern diese zu religiösen Nomaden
macht, die unsere Landschaften und Städte bevölkern.
Was wird dabei aus dem Christentum, dem christlichen Glauben?
Welches müßte die Aufgabe der Kirchen sein, wenn sie überhaupt
noch eine haben? Auf solche Fragen müßten gründliche Antworten
gefunden werden. Eines ist jedenfalls sicher: das Lebensgefühl
der Menschen hat sich entscheidend verändert. Es findet seinen
Ausdruck im Verzicht und Abbau früherer Wertevorstellungen, auch
im Bereich des Religiösen. Wenn viele z.B. nicht mehr an einen
persönlichen Gott glauben können, könnte dies ein Indiz dafür
sein, daß viele nicht an ihre eigene Personwürde und
Einmaligkeit zu glauben imstande sind: in einer Welt der Ziel-
und Sinn-Unsicherheit, der Ort- und Heimatlosigkeit, der
Vermassung und Verplanung in einer überorganisierten
Gesellschaft mit einem Leistungsdenken, bei dem niemand mehr so
recht weiß, ob und wie lange er Akzeptanz und Anerkennung
findet?
Gottesbilder haben immer etwas mit menschlichen Erfahrungen in
Geschichte und Gesellschaft zu tun. Gottesbilder ändern sich,
wie sich menschliche Lebensverhältnisse ändern. Deshalb ist es
auch gefährlich, sich Bilder von Gott zu machen und zu meinen,
sie seien für alle Zeiten gültig und wahr. Wo es immer darum
geht, Gott zu suchen und zu erahnen, stellen sich die Fragen:
Wie kann man heute an Gott glauben, wie heute Christ sein? An
den nächsten Samstagen im Januar wollen wir uns ihnen neu
stellen.
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