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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

II. Wie heute Christ sein?

Bayerischer Rundfunk: Januar 1999

Was glauben die Deutschen? Daß sie vielfach nicht mehr an das glauben, was früher kirchenamtlich vorgegeben war, sagten wir letzten Samstag. Dieser Tatbestand ist auch von höchster Brisanz für die Ökumene, die Gemeinschaft der christlichen Kirchen. Ich möchte es am Beispiel der Rechtfertigungsdiskussion deutlich machen.

Im Juli 1998 schilderte der Chefredakteur eines renommierten christlichen Wochenblattes den Stand und den Verlauf der Diskussion in der Ökumenekommission der großen Kirchen. Anlaß dazu war die Tatsache, daß nach zehnjähriger strenger Arbeit evangelische und katholische Theologen ein Papier verfaßt hatten, welche dem Streit seit Martin Luther endlich ein Ende setzen wollte über die Fragen: "Wie finde ich einen gnädigen Gott; durch die Gnade und den Glauben allein oder auch durch Werke, durch kirchliche Ämter und Sakramente?"

Das Papier, genannt "gemeinsame Erklärung zwischen der katholischen Kirche und
dem lutherischen Weltbund über die Rechtfertigungslehre", hatte die größten Chancen, auch von den Kirchenleitungen akzeptiert zu werden. Der Schlußstrich unter die gegenseitigen Lehrverurteilungen seit dem 16. Jahrhundert sollte zudem den Weg zur späteren Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft eröffnen. Aber mitten in dieser anscheinend wiedergefundenen Einheit und Harmonie meldeten sich 160 evangelische Theologen zu Wort, die dem Wortlaut des Dokumentes heftigst widersprachen. Sie warnten vor einem drohenden protestantischen Identitätsvelust bei zuviel Annäherung ans Katholische. Auch Rom schaltete sich ein. Sie forderten mehr begriffliche Klarheit, dogmatische Präzision, ergänzende Bemerkungen und mehr Toleranz gegenüber den verschiedenen konfessionellen Traditionen. Der jahrhundertealte Lehrstreit drohte nicht nur erneut auszubrechen; er war bald wieder in vollem Gange. Kritische Stellungnahmen schienen das Erreichte nicht nur auszuhöhlen; es drohte auch ein neuer "Konfessionalismus", der die ökumenische Gesamt -Atmosphäre verpestete.

In dieser spannungsgeladenen Situation beklagte sich der genannte Chefredakteur darüber, daß die große Öffentlichkeit, das Fernsehen und die Tagespresse von den "aufregenden Entwicklungen" kaum Notiz nahmen. Er beklagte sich darüber, daß das Kirchenvolk von Anfang an aus den Überlegungen ausgeschlossen worden war. Er forderte die Christen und Gemeinden, kirchliche Jugendverbände und Bildungswerke, säkulare Öffentlichkeit und Kirchenpresse auf, leidenschaftlich auf die Straße zu gehen und die betroffenen Professoren und Kirchenleitungen zu beschwören, dem brennenden Thema der Einheit der Christen, das doch alle angehe, mutig nachzugehen. Ein Ruck, eine offensive Bewegung müsse durch das ganze Kirchenvolk gehen. Stattdessen schlafe es ; schaue wie gelähmt zu; schaue sogar weg, als wenn es gar nicht davon berührt wäre...

Bei so viel Verwunderung eines renommierten Chefredakteurs kann man sich eigentlich nur darüber wundern, daß er sich so wundert. Denn wenn die religiöse Entwicklung in der säkularen Welt seit Jahrzehnten nicht täuscht, sieht das Kirchenvolk in der Tat keinen Anlaß, wegen solcher theologischer Erbstreitigkeiten auf die Straße zu gehen. Im Gegenteil. Sein Schweigen ist ein alarmierendes Indiz dafür, daß sich das Christentum seit Jahrhunderten zu einer akademisch-universitären Theologen- und Spezialistenreligion entwickelt hat, an der der Mann auf der Straße keinen ihn innerlich berührenden Anteil hat bzw. haben kann. Freilich konnte man in früheren Jahrhunderten das Kirchenvolk zu Glaubensgehorsam verpflichten. Das äußere Aufsagen von Glaubensbekenntnissen und Glaubenssätzen änderte jedoch nichts daran, daß es innerlich unbeteiligt blieb. Auch religiöse Folklore und Traditionspflege sind noch keine Indizien für wirklichen Glauben und verantwortliche Lebensgestaltung aus dem Glauben. Insofern ist die heute sich ausbreitende Kirchendistanz nichts anderes als ein eklatantes äußeres Zutagetreten der Tatsache, daß die Kirchenleitungen und Kirchen-"eliten" über Jahrhunderte hinweg mit sich selbst beschäftigt waren, d.h. mit ihren Theologien, mit ihrem Amtsverständnis, mit ihren Lehr- und Kultfragen. Dabei sind die Kirchen blind geworden für Lebensereignisse und Lebensfragen, die die Menschen beschäftigen. Vor allem haben sie das Allgemeine stets über das Besondere gestellt; sie haben sich mit allen Menschen und der gesamten Menschheit "urbi et orbi" beschäftigt, dabei aber den Einzelnen in seiner Einmaligkeit und Freiheit nicht besonders ernst genommen. Indem ihnen die Menschen als Masse wie zu betreuende und zu behandelnde "Objekte" gegenüberstanden, haben sie "Lehrämter" geschaffen, aber keine "Lebensämter", die durch Lebensbegleitung und Lebensanteilnahme immer wieder den Zusammenhang hätten aufzeigen müssen zwischen christlicher Glaubens-Substanz und wirklichem Leben.

Das Elend und die Schande des Christentums bestehen heute darin, daß es in fast allen seinen Vollzügen zu einer Religion von "Profis" geworden ist. Konzil und Synoden haben seit 30 Jahren in der katholischen Kirche weltweit deutlich gemacht, daß die einfachen Leute ganz andere Fragen und Probleme haben als die Theologen und Kirchenführer. Aber deren "Volksbegehren" wurden weithin in den Wind geschlagen. Warum? Geht es mehr um Machtansprüche als Wahrheitsansprüche? Oder um ein dogmatisiertes Glaubensverständnis, welches wie ein Zementblock anscheinend unerschütterlich ist und kein anderes Denken zuläßt?

Mein Eindruck ist, daß es heute viele Menschen gibt, die durchaus religiös und christlich sein wollen. Auf der Suche nach Gott und einem tragenden Lebensgrund glauben sie jedoch nicht, dabei kirchenamtliche Hecken und Zäune überspringen zu müssen. Amtlich-kluge Lehren und Weisungen wirken oft wie vereinnahmende Stacheldrähte, die sich um die Seelen legen und hinderlich dabei sind, in Freiheit und eigener Kompetenz eine Beziehung zu Gott zu leben. Die Demontage herkömmlich kirchlicher Gottesbilder kann sich dabei durchaus als Befreiungsschlag erweisen. Dem Christentum muß es auf Gedeih und Verderb gelingen, eine Religion freier Menschen zu werden. Die gegenwärtige Krise kann eine wirkliche Chance sein, die Botschaft Jesu wieder neu verstehen und buchstabieren zu lernen.


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
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