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Religiös und frei - Glauben ohne Kirche?Broschiert - 174 Seiten - Knecht, Frankfurt Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt als die Zeit der Geburtsstunde der Religionswissenschaft. Dieser neuen Wissenschaft ging es damals zunächst um die Neuentdeckung und Erforschung außerchristlicher Religionen (Naturreligionen, Hinduismus, Buddhismus, Islam...). Aber auch um das Ausfindigmachen der religiösen Bewußtseinslage, der religiösen Grundveranlagung des Menschen. Die brisante Frage stellte sich: warum war und ist der Mensch schon immer religiös gewesen, vielleicht sogar "unheilbar religiös"? In dieser Perspektive wurden auch die "Krisen" religiöser Systeme und Traditionen geortet, die zum guten Teil darin bestehen, dass deren Vertreter stets in der Gefahr waren und sind, an den wirklichen Anliegen der Menschen vorbei zu theologisieren. Damit beschworen sie eine Kluft herauf zwischen Religion und Glauben, zwischen "etabliertem Christentum" und religiösem Fragen, Suchen und Ahnen von Menschen einer jeweiligen Zeit. Aus mancherlei Gründen war diese neue Art religiösen Forschens nicht besonders christlich und kirchlich interessiert. Ganz im Gegenteil. Sie nährte im Laufe der Zeit immer mehr die Grundstimmung, dass das Christentum nur eine unter vielen Religionen ist; dass es seine Licht- und Schattenseiten hat; dass von "Absolutheitsansprüchen" keineswegs die Rede sein kann. Zudem habe das Christentum die Menschen nur durch "äußere Machtgewinnung" (M. Scheler) an sich gebunden und daher jahrhundertelang die Chance verpasst, die Menschen positiv-human zu beeinflussen. Wo es um Macht, Gewalt, Kriege, Verletzung der Menschenrechte usw. gehe - da seien die Christen keineswegs "besser" als Heiden und Andersgläubige; da sei das Gebot der Liebe nicht mehr als eine Makulatur, wie ein Lack auf einem Möbel. Solche kritischen Perspektiven schlagen in der heutigen Gesellschaft massiv durch. Die Massenmedien haben sich ihrer angenommen. In ihrer "theologia publica" (E. Biser) vertreten sie einen "Relativismus" eigener Art: während zur gleichen Zeit in Fernsehkanälen Informationen und Positionen über verschiedenste Religionen zu sehen und zu hören sind, werden die Menschen direkt oder indirekt dazu ermutigt, selbst ausfindig zu machen, was für sie gut ist, was ihrem eigenen Lebensentwurf zustatten kommt. Worte wie "Religiös und frei", "Glaube ohne Kirche", religiöse Beliebigkeit, Individualismus, kirchliche Bindungslosigkeit... sind Begriffe für eine Situation geworden, der adäquat zu begegnen es wenige Hoffnungsperspektiven zu geben scheint. Denn die Menschen bleiben "religiös und frei". Sie machen
sich kein schlechtes Gewissen, wenn es um das Verlassen der
Kirchen geht, um ihre äußere oder innere Emigration. Den Kirchen
stellen sich wie nie zuvor brisante Aufgaben: es geht um das
"Zurück" zu den ureigenen Anliegen ihres Gründers und weniger um
den Erhalt hausgemachter Traditionen; es geht um die "Einübung
ins Christentum" (S. Kierkegaard) - das heißt in die Lebenswerte
des Evangeliums und weniger um kirchenrechtliche
Begriffshantiererei und theologisch-kluge Lehren und
Gedankengebäude. Es geht um argumentative und für das Leben
tragfähige "innere Machtgewinnung", was aber nur durch die
Aufarbeitung von Ängsten, Zweifeln, Erfahrungen
unterschiedlichster Art durch möglichst viele gelingen kann. Das
dies "amtliche" und hierarchisch geordnete Kirchenverfassungen
mit ihrer lehrreichen Indoktrinationsarbeit nicht mehr leisten
können, liegt auf der Hand. Den "Hauptamtlichen" ist es
aufgegeben, ihren "sensus clericalis" weitgehend zu vergessen
und den "sensus fidelium" zu erforschen, um so
Solidaritätsgemeinschaften neu erstehen zu lassen. Nur im "Wir
gemeinsam" gegenüber |
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