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Seelsorglicher Aufbruch in der Stadt: Ein Lesebuch nicht nur
für die City-Kirchenarbeit. Nehmt Neuland unter den Pflug (Hos
10.12).
Mein Beitrag: Option für die Armen – auch für das Leben in
der Stadt von heute?
Eine biblische Antwort.
Dialogverlag Presse- und Medien Service GmbH; ISBN-13:
978-3941462014
(auch im Rheinischen Merkur Nr. 34/2008 erschienen. Titel: Ein
Schlag ins Gesicht.)
1. Option für
die Armen?
Eigentlich bin
ich immer ein wenig skeptisch, wenn ich das Wort höre: "Option
für die Armen". Dennoch kann ich dessen Richtigkeit kaum
bestreiten. Aber zunächst hört es sich so an wie: es gibt eine
Polarität zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Gebern und
Empfängern, zwischen Sprachmächtigen und Sprachlosen, zwischen
denen, die sich als hilfsbereit und mildtätig erweisen und
denen, die so oder so Hilfe und Unterstützung erfahren. Eine
biblische Sicht der Verhältnisse ist dies zunächst nicht,
sondern eher eine kirchliche und caritative. Diese kann sich
leicht dem Verdacht aussetzen, dass bestimmte Menschen und
Verbände froh sind über die Tatsache der Armut und des Elends in
der Welt. Denn nur so kann christliche Mildtätigkeit ihre
Berechtigung unter Beweis stellen. -
Die biblische
Antwort ist umgreifender, umfassender. Jesus hat auch
Barmherzigkeit geübt, er hat sich auch für die Armen und
Entrechteten eingesetzt, er hat auch die Hungrigen gespeist und
den Nackten Bekleidung gegeben. Aber für ihn waren die Armen nie
nur "Objekte" und "Empfänger" gütiger Wohltaten. Die
Barmherzigkeit an den Armen hatte das Ziel der Heimholung jedes
Menschen in das universale Heilsgeschehen Gottes mit der Welt.
Weil besonders betroffen von der Unerlöstheit und Sündhaftigkeit
der Welt, sollten gerade die Armen und Entrechteten Subjekte und
aktive Mitgestalter werden am Heilsgeschehen Gottes, welches die
ganze Schöpfung umfasst (vgl. Röm 8.18-30).
Jesus stellt
damit das Denken der damaligen Zeit auf den Kopf. Damals waren
die Frauen und Sklaven/Innen ganz für die "freien Herren" da.
Sie hatten ihnen in allem zu dienen. Jesus macht sich im
Gegensatz dazu zum Diener aller. Und fordert alle zum Dienen
auf, nicht nur die Frauen und Sklavinnen. Er selbst fängt damit
an. "Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu
lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für
viele hinzugeben" (Mk 10.45).
Als Jesus
dreimal sein Leiden ankündigt, muß er gegen das Unverständnis
seiner Jünger kämpfen, gegen ihre Machtträume und ihr
Herrschaftsdenken. Die Brüder Jakobus und Johannes, sicher auch
die anderen, wollen zu seiner Rechten und Linken sitzen… Petrus
wird wegen seiner Protesthaltung sogar "Satan" genannt. Dagegen
verweist Jesus auf die Macht- und Hilflosigkeit eines
Kindes…(vgl. Mk 8.31-10.45).
Wie es den "Herren
der Schöpfung" enorm schwer fällt, sich zu den Verhaltensweisen
Jesu zu bekehren, so auch allen, die zur "aktiven Teilhabe am
Heilsgeschehen Gottes" berufen sind. Sie können auf Abwege
geraten. Sie können in ihrer Lebensbiographie elendig scheitern.
Sie können – wie der verlorene Sohn – schnöde das eigene
Vaterhaus, Heimat und den Wurzelgrund ihres Lebens verlassen, um
irgendwo in einem Schweinestall zu landen. Ähnliche
"Lebensbrüche" hatten ja auch die ersten Menschen bereits
verschuldet: Adam und Eva, Kain und Abel… Man könnte sie
"Unfälle" nennen in einer an sich gut gemachten Schöpfung.
Solche "Unfälle", die dem Schöpfungsauftrag Gottes nicht gerecht
werden, gibt es unzählige bis auf den heutigen Tag. Die Bibel
verschweigt sie nicht: die Sünderin, den dreimaligen Verrat des
Petrus, die zweifelnden Anfragen des Thomas, den Stolz und die
unbekehrbare Arroganz der Schriftgelehrten und Pharisäer… Jesus
hat alles getan, um "Abwegigkeiten" beim Namen zu nennen, damit
Menschen zu dem zurückkehren, wozu sie geschaffen und berufen
sind.
2. Stolpersteine auf dem Weg zur "Würde des Menschen".
Solche
"Rückkehr" ist leichter gesagt als getan. Wer aus irgendwelchen
Gründen auf der Straße gelandet ist; wer in Parks und unter
Brücken seine Tage und Nächte verbringt; wer allzu schnell zur
Flasche greift und in Drogen Selbstvergessenheit sucht, wer
dauernd auf der Flucht ist vor sich selbst, weil er sich selbst
nicht auszuhalten vermag – wie könnte dem "Rückkehr", "Umkehr"
verständlich gemacht werden, zumal er sich oft für ein solches
Leben entschieden oder sich damit abgefunden hat?
"Sozialarbeiter", die um die Armen bemüht sind, müssen sich
davor hüten, in eine Art "Helfersyndrom" zu verfallen, was für
den Bedürftigen eher als eine neue Demütigung und Entwürdigung
verstanden wird im Sinne: Ich bin ja nichts, ich kann ja nichts!
Heute wird zudem immer mehr deutlich, dass die Hilfe für den
einzelnen eine soziale Dimension bekommt. Der einzelne
Bedürftige wird zu einem Appell und Aufruf an die Umwelt, die
Weichen so zu stellen, dass würdiges Leben für alle möglich
wird. Spätestens seit Jesus Christus sind alle Menschen in die
Entscheidung gestellt zwischen gut und bös, zwischen Gott und
den vielen Göttern. Sie heißen in heutiger Zeit: Mobbing um des
eigenen Vorteils willen, Karriere, Geld, Macht, Einfluss und
Überlegenheit um jeden Preis… Das Bemühen um das Wachsen des
Weizens in jedem Menschen ist immer mit der Angst und Besorgnis
verbunden, dass das Unkraut des Bösen den Weizen ersticken
könnte.
Dass der Weizen
des Guten auf vielfältige Weise erstickt wird, zeigt allein die
heute herrschende und alles beherrschende "Ideologie von Geld
und Körper". Sie hat dazu geführt, dass es gegenwärtig weltweit
ca. 400 Multi-Milliardäre gibt, die weit mehr als die Hälfte des
Reichtums der ganzen Erdbevölkerung besitzen. Die ärmsten 20%
der Weltbevölkerung haben in den letzten dreißig Jahren einen
Einkommenseinbruch erlebt. Ihr Anteil am Welteinkommen ging von
2.3% auf 1.4% zurück. In den 6o-ger Jahren verdiente die Gruppe
der Reichsten etwa 30x so viel wie der Durchschnitt der ärmsten
20%. Bis zum Jahr 1996 hat sich der Anteil der
"Besserverdienenden" auf das über 60-fache gesteigert – eine
Tendenz, die bis heute niemand zu stoppen vermag.
Der übertriebene
Reichtum der wenigen und die barbarische Armut der vielen
signalisieren nichts anderes als den immer tiefer werdenden
Graben zwischen reich und arm weltweit. Er zieht sich bis in die
einzelnen Staaten, Städte und Kommunen. Der Innsbrucker
Sozialethiker Herwig Büchele sieht eine Epoche der "Ausgrenzung"
breiter, weniger wohlhabender Bevölkerungsschichten
heraufziehen. Die davon betroffen sind, schätzt er auf bis zu
50% einer jeweiligen Bevölkerung.
"Ausgrenzungsmechanismen" sind aber nicht nur Folge von
materieller Armut. Es geht um zutiefst menschliche Probleme.
Wenn Menschen in einigermaßen normalen Verhältnissen geboren und
aufgewachsen sind, suchen sie nach einer Möglichkeit, ihre
geistig-seelisch-körperlichen Fähigkeiten zu entfalten – ein
Prozess, der in sehr früher Kindheit bereits beginnt. Je mehr
das gelingt, desto größer wird auch der Wunsch, die individuelle
Kompetenz in kulturelle, gesellschaftliche und kirchliche
Prozesse mit einzubringen. Menschen, die lernbereit,
interessiert und leistungsfähig sind, wollen etwas leisten,
durch Anerkennung sich selbst bestätigt finden. Dadurch wird
ihnen menschliche Würde nicht nur verbal zugestanden, sondern
menschliche Würde erfahrbar und glaubwürdig gemacht.
Eine
Gesellschaft, in der der Faktor Geld, materielle Potenz, Macht
und Einfluss die Hauptanliegen sind; in der es nicht mehr darauf
ankommt, dass möglichst viele Menschen die volle Unterstützung
zur Entfaltung aller ihrer Fähigkeiten bekommen, sagt viel aus
über die marode geistige Verfassung ihrer Kultur. Wo der schnöde
Mammon regiert, wird der Werteverlust zu einem Skandal. Der
Mensch wird zum funktionierenden Rädchen in einer
Gesamtmechanik, welches zu jeder Zeit ausgewechselt werden kann.
Darin zeigt sich, dass sich der Glaube an das reine Wachstum als
ein Irrweg erweist. Wo Menschen zerstört werden, da zerstört
eine Gesellschaft sich selbst.
Jeder Arme –
ebenso wie die weltweite Armut – werden lebendige und
hartnäckige Erinnerungen an die Irrwege, die die Menschheit
geht. Jeder geistig oder materiell Arme ist ein Schlag ins
Gesicht einer Gesellschaft, die sich als modern, emanzipiert und
entwickelt bezeichnet. Weltweite Armut kann schneller als
erwartet zu einer "sozialen Bombe" werden, die die ganze
Menschheit gefährdet. Wird es dem Egoismus der Mächtigen und
Einflussreichen gelingen, sie rechtzeitig zu entschärfen? Aber
nicht nur auf sie dürfen sich die vielen anderen verlassen.
Überall da, wo geistige und materielle Armut überwunden wird,
ist dem Frieden in der Welt gedient. Er fängt in jeder Familie
und Kommune an. Wo Menschen ein Stück ihrer Würde erleben,
finden oder wieder finden, geht das Wort Jesu in Erfüllung: "Was
ihr für einen meiner Geringsten getan habt, das habt ihr mir
getan" (Mt 25.40). Da bin ich mitten unter Euch!
3. Die Option
der Armen – leben vom Brot allein? (vgl. Mt 4.4).
In rein
wirtschaftlich orientierten Kreisen herrscht oft der Glaube vor,
dass das materielle Wachstum und die Steigerung des Einkommens
gleichzeitig die Stärkung menschlicher Fähigkeiten und den Sinn
für Werte nach sich ziehen. Deren Motto könnte lauten: je mehr
es dem Menschen materiell und gesellschaftlich gut geht, desto
mehr wachsen ihm menschliche Fähigkeiten und Qualitäten zu.
Leider ist dem nicht so. Materiell und wirtschaftlich gut
gestellte Wohlhabende können geistig sehr unterentwickelt sein.
Oft sind sie es: in ihrem Verhalten egoistisch-brutal, asozial
und engstirnig, fachidiotisch und unbedarft in kulturellen wie
weltanschaulichen Fragen. Umgekehrt können materiell Arme große
menschliche Fähigkeiten und Erfahrungswerte in sich verkörpern.
Als "Schätze im Acker" – wie kann man sie bergen?
Das zeigen auch
Untersuchungen über die Prioritäten der Armen. Neben höherem
Einkommen und Verdienst sind ihnen noch viele andere Dinge
wichtig: eine angemessene Ernährung, Zugang zu sauberem Wasser,
bessere medizinische Versorgung, Schulen für Kinder, bezahlbare
Transportmöglichkeiten, angemessene Wohnungen, gesicherter
Lebensunterhalt, produktive und befriedigende Beschäftigung…
Auch weniger
materielle Aspekte haben einen hohen Stellenwert: Zu ihnen
gehören: Freizügigkeit, freie Rede und Freiheit von
Unterdrückung und Ausgrenzung, Gewaltlosigkeit und Ächtung
jeglicher Ausbeutung. Die Menschen wollen so oder so einen Sinn
für ihr Leben finden. In Gemeinschaft mit Gleichgesinnten wollen
sie Anerkennung erfahren und einen gewissen Einfluss ausüben.
Jeweils aus einer anderen Familie oder Umgebung kommend, sind
ihnen doch wichtig, was sie im früheren Leben erfahren oder
vermisst haben: sozialer Zusammenhalt, das Recht auf die Wahrung
eigener Traditionen und kultureller Werte.
Und die
Religion? Oft ist ihnen nicht bewusst, dass gerade in den
Religionen, speziell in der Predigt Jesu, die Armen und
Entrechteten eine wegweisende Rolle spielen. Vieles im Alten und
Neuen Testament erscheint wie ein Kontrastprogramm zu dem, was
sich in den menschlichen Köpfen und Vorhaben abspielt. Es zielt
in die Mitte dessen, was der Mensch im Plane Gottes zu sein und
zu gestalten hätte, wenn er seine Rolle finden würde. Es gibt
aber auch Antwort auf die Frage, wie Gott zu den Menschen kommt.
"Wenn wir wissen wollen", schreibt Helmut Gollwitzer, "wie Gott
kommt, dann darfst du nicht nach oben schauen, dann musst du
nach unten schauen. Wenn du wirklich wissen willst, dann musst
du dort hinschauen, wo verachtete Winkel sind, wo marginalisiert
wird, wo ausgestoßen wird, zu den schlimmsten untersten Ecken,
da unten ist Gott. Getreten, machtlos, liebend kommt er von ganz
unten her". -
4. Armut als
Folge von verantwortungsloser Besitzgier.
Ein
beispielhafter Text findet sich im Lukasevangelium (16.19-31).
Da ist vom reichen Prasser und vom armen Lazarus die Rede. Der
eine ist ein Weltmensch, der Tag um Tag an nichts anderes denkt
als in Freude und Wohlstand zu leben. Der andere liegt vor der
Tür des Reichen. Sein Körper ist von Geschwüren bedeckt. Er hat
Hunger. Aber niemand gibt ihm von dem, was unter den Tisch des
Reichen gefallen ist…
Das Evangelium
legt die Betonung auf die Tatsache, dass der Reiche ein
gläubiger Jude war. Als es in der "Unterwelt" darauf ankommt,
seine Schmerzen zu lindern oder wenigstens seine Brüder warnen
zu lassen, die offensichtlich in ähnlichem rücksichtslosen Luxus
leben wie er früher, ruft er Abraham um Hilfe an. Die Hilfe wird
ihm nicht gewährt. Denn wer im Leben nicht auf Moses und die
Propheten gehört hat, darf im Tod nicht auf Tröstung hoffen…
Die Tatsache,
dass der Reiche zu Lebzeiten einen großen Anteil an Gutem und
Lazarus an Schlechtem erlebt hat, klingt wie eine rachsüchtige
Umkehr der Verhältnisse. Ein rachsüchtiger Gott also, der den
Reichen bestraft und den Armen belohnt? Sicher nicht. Das
Evangelium will deutlich machen, dass die Verachtung der Armen
einer Verachtung Gottes gleichkommt, auch von Menschen, die sich
als "gläubig" verstehen. Deshalb muß sich der Reiche zu den
Armen bekehren, indem er auf die Propheten hört – jene Propheten
sind gemeint, die schon in früheren Zeiten als große Mahner für
soziale Gerechtigkeit und Gleichheit aller gekämpft hatten (z.B.
Micha, Jesaja im 8. Jh. v. Chr.)
Der Hinweis auf
die Propheten enthält Reflexionen darüber, wie Menschen zur
Umkehr bewegt werden können: nicht dadurch, dass ein von den
Toten Erweckter zu ihnen kommt; nicht durch "Events" und
spektakuläre Ereignisse; nicht durch Wundersucht und
spiritistische Praktiken, sondern nur dadurch, dass Menschen
ihre Verantwortung vor Gott begreifen und um die Vergeltung
Gottes wissen – eine Wahrheit, die in der Bibel immer wieder
eingeschärft wird. Für Christen ist es eine Mahnung, nicht auf
äußere Erscheinungen und Selbsttäuschungen zu setzen, sondern zu
lernen, dass der eigentliche Gottesdienst der Dienst am Menschen
ist und dass sich die Liebe zu Gott in der Liebe zu den Armen
bewährt.
Von einem
anderen "Lebemenschen" ist bei Lukas 12.16-21 die Rede. Ein
reicher Mann baut immer größere Scheunen, damit er seine guten
Ernten unterbringen und speichern kann. Nachdem er viele Vorräte
angehäuft hat, fühlt er sich für die Zukunft in Sicherheit. Er
nimmt sich vor, viele Jahre im Reichtum zu leben, zu essen und
zu trinken, sich seines Lebens zu freuen. Aber es kommt anders
als gedacht. Noch in derselben Nacht wird ihm sein Leben von
Gott zurückgefordert. "Wem wird dann all das gehören, was du
angehäuft hast? So geht es jedem, der nur für sich selbst
Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist". –
Die Quintessenz
solcher Texte lautet: Niemand kann mit all seinen Sorgen sein
Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern! (vgl. Lk
12.25). Auch mit seinen Reichtümern nicht. Deshalb immer wieder
die Aufforderung: Hört auf die Propheten!
In unserer
heutigen Situation ist in den Medien regelmäßig von dem Reichtum
der Manager und Firmenbosse die Rede. Die einen bekommen
Abfindungen in Millionenhöhe; andere verdienen im Jahr mehr als
hundert Millionen; im Handel mit Zinsprodukten werden mehr als
sechs Milliarden Euro im Jahr erzielt. Von Spitzensportlern weiß
man, dass sie Millionen verdienen – vor allem auch durch ihre
Werbung für Sportschuhe und Trikots. Eine Näherin für
Sportartikel dagegen, Mutter von vier Kindern, erhält im Monat
180 Euro – die Überstunden eingerechnet. Es gäbe noch über
zahlreiche andere "Fälle" zu berichten…
Die beschämende
Kluft zwischen den Reichen und Elenden gab es schon zur Zeit
Jesu; sie wird bis ans Ende der Zeiten andauern. Aber auch die
Verantwortung vor Gott wird bleiben. "Die Armen habt ihr immer
bei euch", sagt Jesus (Mk14.7). Das heißt: die Armen bleiben ein
wesentlicher Faktor und Glaubwürdigkeitstest für jeden, der sich
"gläubig" nennt. Vielleicht sind die gierig Reichen am wenigsten
in der Lage, diesen Test zu bestehen. Aber auch von Menschen,
die immer noch wohlhabender sind als andere, ist der Satz Jesu
zu bedenken: "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein
Reicher ins Himmelreich" (Mt19.24).
5.
Hilfsbereite Menschen sind immer unter uns.
So wie es die
Armen immer gibt, so, Gott-sei-Dank, auch immer hilfsbereite
Menschen. Oft erlebt man sie in kleinen und unauffälligen
Handreichungen des Lebens. Gott-sei-Dank gibt es aber auch nicht
nur skrupellose Manager und ausbeuterische Unternehmen. Es gibt
auch Wohlhabende, die im besten Sinne des Wortes verantwortlich
handeln, die Stiftungen ins Leben rufen und caritative
Unternehmungen unterstützen; die als Entwicklungshelfer und
"Ärzte ohne Grenzen" den Ärmsten der Armen zur Seite stehen.
Wenn solche Menschen eines Tages – ganz gleich welcher Religion,
Konfession oder Weltanschauung sie sind – zur "Rechten Gottes"
sitzen, weil sie Hungrige gespeist, Durstigen zu trinken gaben,
Nackte bekleideten und Obdachlose aufgenommen haben (vgl. Mt
25.31-46), dann wird ihnen der Lohn deshalb zuteil, weil
"Gottesdienst" für sie keine Flucht geworden ist vor dem Dienst
am Menschen. Sie haben nicht nur "Herr, Herr" gebetet, sondern
den Willen Gottes getan (Mt7.21). -
Was haben die
Menschen eigentlich davon, wenn sie den Willen Gottes tun?
Welche "Vorteile" ergeben sich aus ihren guten Taten? Zunächst
kann man ihnen nur die Erfahrung wünschen, die viele machen:
dass das Gute, was sie tun, auf sie zurückfällt im Sinne von
"Wer Gutes tut, wird im jetzigen Leben schon Gutes ernten", d.h.
Freude, sinnvoll erlebte Tätigkeit, Dankbarkeit, Wohlwollen und
Freundschaft mit denen, denen gegenüber sie sich "solidarisch"
gezeigt haben, als es darum ging, in einer konkreten Lebenslage
einfach da zu sein.
Es gibt immer
wieder christliche Stimmen, die im ethischen Handeln aus dem
Glauben heraus die Gefahr eines bloßen "Horizontalismus"
erkennen. Ihnen fehlt das Reden über Gott, über das Mysterium
Gottes, über Spiritualität, Gebet und sakramentale Frömmigkeit…
Natürlich hat das Alles seine Berechtigung. Im Evangelium ist
jedoch am wenigsten von solch großen Worten und Anliegen die
Rede. Moses, die Propheten, Jesus… gingen von der Tatsache aus,
dass ins "gute Werk der Schöpfung Gottes" schon sehr früh "Sand
ins Getriebe" gekommen ist: durch den Ungehorsam von Adam und
Eva, durch den Brudermord Kains an Abel…
Seitdem können
wir Christen uns die Welt vorstellen wie eine gigantische
Baustelle, an der es immer etwas zu tun, zu "reparieren", zu
"erlösen" gibt. Dazu ist jeder Mensch so oder so aufgefordert,
jeder an seinem Platz. Es kommt nicht darauf an, welche Rolle
jemand im Leben spielt, ob mit viel oder wenig Einfluss und
Macht. Aber dass jeder seine Rolle findet, in Liebe und
Gerechtigkeit seinen Beitrag leistet – darin besteht die
Verantwortung jedes Einzelnen. Dabei steht nicht jedes Tun
isoliert für sich, sondern in einem heilsgeschichtlichen
Zusammenhang, bis alles seine Vollendung findet im Reiche
Gottes. In der Vater-unser-Bitte "Dein Reich komme" steckt nicht
der Gedanke, dass Gott den Komfort will, sondern die Fülle des
Lebens für alle. |