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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Über Sinn und Unsinn eines arbeitswütigen Lebens.

August 2004

Amüsieren wir uns zu Tode? Durch Fleiß und Arbeitseifer - plündern wir dadurch die Vorräte unserer Erde? Wird das Zusammenleben der paar Milliarden Menschen auf unserem Globus immer konflikt-geladener, immer krisengeschüttelter? Schlendern wir unversehens in den "Kampf der Kulturen und Religionen" hinein? Oder hat dieser Kampf schon längst begonnen? Werden die Menschen auf der einen Hälfte des Globus immer ärmer und rechtloser; die auf der anderen, zivilisierten und wohlhabenden Hälfte immer therapiebedürftiger?

Viele Entwicklungen zwischen den Völkern und Rassen werfen solche besorgniserregenden Fragen auf. Eines scheint sicher: wenn es nicht gelingt, unseren Lebensstil und unsere Lebensweise gesamtgesellschaftlich zu ändern und mit der heruntergekommenen "übrigen Welt" auszusöhnen, wird eine gemeinsame Zukunft immer schwerer vorstellbar.


1. "Arbeit ist des Bürgers Zierde; Segen ist der Mühe Preis".

Welche Schülerin, welcher Schüler würde nicht irgendwann einmal während der Ausbildung mit diesem Satz konfrontiert? Er stammt von Friedrich Schiller, einem der größten deutschen Dichter (1759-1805). Im "Lied von der Glocke" hat er ihn sozusagen als Idealbild des gutbürgerlichen Lebens beschrieben. "Arbeit ist des Bürgers Zierde", schreibt er. Der Mensch wird geradezu von seinem Fleiß, von seiner Arbeitsleistung her definiert. Nur wer fleißig ist, wer arbeitet, wer von sich sagen kann: "Arbeit ist mein ganzes Leben", ist ein vollwertiger Mensch. Auf seinem Leben ruht "Segen".

Von einer "humanen Welt" geprägt und davon träumend, leben Schiller und andere seiner Zeitgenossen in der Vorstellung: je fleißiger der Mensch seiner Arbeit nachgeht; je mehr er verdient; je wohlhabender er sein Leben zu gestalten vermag, desto "humaner" wird er auch. Materieller Wohlstand zieht sozusagen automatisch den "edlen Menschen" nach sich. Er vermag nur noch gut und kulturell hochstehend zu sein. Ein arbeitsreiches Leben wird als die Voraussetzung für ein gelungenes, sinnvolles und friedliches Zusammenleben unter den Menschen erkannt. Es bringt Segen und Glück für alle...

Schiller ist nicht der einzige, der von einer Welt edler Menschen träumt - als Ergebnis eines arbeitsreichen Lebens. Fachleute sagen, die Heiligsprechung der Arbeit als wichtigstes Lebensanliegen, ihre Aufwertung zum höchsten Wert und Maßstab habe bereits mit Martin Luther begonnen, mit der "protestantischen Arbeitsethik" der Reformationszeit im 16. Jahrhundert (so Max Weber). Durch sie sei auch die Religion übermäßig mit einem Katalog von "heiligen Pflichten" und "erhabenen Pflichtübungen" ausgestattet worden...

Das Ideal der Überbewertung der Arbeit und des Schaffens durchzieht seitdem die ganze Neuzeit bis zum heutigen Tag. Der Kapitalismus fordert vom Menschen "Tatgesinnung". Der Engländer John Locke spornt zum Arbeitseifer an als "Quelle des Eigentums". Adam Smith und Karl Marx - wenn auch aus unterschiedlichen Denkrichtungen kommend - nennen die Arbeit die "Quelle der Produktivität und des Wohlstands"; sie wird bei ihnen "Ausdruck der Menschlichkeit des Menschen ". -

Was zu anderen Zeiten als ein "Lebens-Mittel" verstanden wurde, als menschliches Muß und Bedingtheit um des Lebens und Überlebens des Menschen willen, erhält nun einen absoluten Vorrang, wird zum Lebens-Sinn und Lebens-Inhalt überhaupt. Arbeit wird zur "eigentlichen Würde des Menschen" erhöht. Manipulierer und Geschäftstüchtige waren und sind dann immer gleich zur Stelle, die die Menschen zu verplanen wissen. Sie werden nach ihrer "sozialen Brauchbarkeit" beurteilt. Weltweit entwickeln sich Maßstäbe und Kriterien im sozialen Umfeld, die als die einzig richtigen gelten. Sie heißen: Einführung einer rigiden Zeitplanung mit Terminkalender; Erziehung zu Ordnung, Pünktlichkeit, Gehorsam und Schnelligkeit bei der Bewältigung von Aufgaben; kritische Aufmerksamkeit gegenüber möglichen Konkurrenten und deren vornehme, aber sichere Beseitigung... Sichtbare Zeichen des Erfolges und der Qualität eines Menschen werden gelungene Karriere, der Besitz, der Geldbeutel, der wachsende Wohlstand und die dazu gehörenden "Standessymbole": die Größe des Autos, die luxuriösen Wohnverhältnisse, der Swimmingpool, die hervorstechende Kleidung und die äußere Aufmachung in Gesten und weltmännischem Gehabe.

2. Der menschliche Gegenentwurf.

Wer in solchem sozialen Klima aufwächst, kann gar nicht mehr ahnen und wissen, dass es in der Menschheitsgeschichte immer auch eine ganz andere Sichtweise über das Leben gegeben hat und immer noch gibt. Der Dichter Eugen Roth (1895-1976) hat sie in seinem Gedicht über das "Riesenfaultier" humorvoll und einsichtig geschildert. Das Gedicht lautet:

"Das Riesenfaultier, mammutgroß
Und faul natürlich, bodenlos,
Ist ausgestorben, wie man weiß:
Man hat es umgebracht, mit Fleiß!
Ein kleines lebt noch, namens Ai,
In Uru- wie in Paraguay.
Es rührt sich, hängend hoch im Baum,
Mitunter ganze Tage kaum,
Die Früchte wachsen ihm ins Maul,
Doch ist´s zum Fressen noch zu faul.
Um aber nicht vom Ast zu fallen,
Besitzt es große Sichelkrallen.
Noch nie hat es daran gedacht,
Wie weit durch Arbeit wir´s gebracht:
Zum Ende der Gemütlichkeit,
Zu Kriegen - wahrhaft, herrlich weit!
Vielleicht kehrt, als zum einzigen Glück,
Der Mensch zur Faulheit noch zurück!"


Man muß sich diesen Text genau vor Augen führen. Was wird darin gesagt? Die Menschen haben das "Faultier" getötet, jede Art von "Gemütlichkeit". Gemeint ist die Kultur des Miteinanders. Das Zeitalter der Gemütlichkeit wurde abgelöst durch das Zeitalter der Hektik, des Stresses und des Profits.

Bis heute werden die Folgen des Verlustes der "Gemütlichkeit" von Fachleuten als bedrohlich aufgezeigt: im Grunde seien durch Fleiß, übermäßigen Arbeitseifer und Profitgier die Grundbedürfnisse des Menschen nach persönlicher Akzeptanz und Daseinsberechtigung verdrängt und verweigert worden; ebenso der Hunger nach Liebe, gegenseitigem Verständnis, vertraulichem Gespräch, nach Bestätigung im Miteinander, nach Zugehörigkeit und Eigenständigkeit. Wesentliche Faktoren des Menschseins seien abhanden gekommen, könnten sich im Streß der Zeit gar nicht erst entwickeln, weil die Voraussetzungen dazu fehlten: die nötige Ruhe und Besonnenheit, die Entspannung, die Zuwendung, Kontakte und Gespräche, schützende Gemeinschaft, Führung und Orientierung durch elterliche Fürsorge bzw. "exemplarische Menschen", die persönliche Teilnahme ermöglichen und damit persönliches Reifen und Wachsen im Glauben an sich selbst.

Weil das Leben nur noch unter Zeitdruck zu gelingen scheint, haben die Menschen auch keine Zeit mehr, ihre eigenen positiven und negativen Erfahrungen, ihre Verwundungen und Verletzungen, ihre Enttäuschungen und Niederlagen aufzuarbeiten und daraus zu lernen. Sie werden zu Meistern des Verdrängens und Vergessens mit der Folge, dass die Sprechzimmer der Psychologen immer voller werden. Die Therapiebedürftigkeit der Gesellschaft wächst. Die Therapeuten können dem kaum noch nachkommen - ganz abgesehen davon, dass sie selbst Teile dieser Gesellschaft sind. Der französische Philosoph Voltaire (gest.1778) hat zu seiner Zeit bereits die bedrohliche Entwicklung vorausgesagt: "In der einen Hälfte unseres Lebens opfern wir die Gesundheit, um Geld zu erwerben; in der anderen opfern wir Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen". -

3. Wachsender Zweifel am Nutzen aller menschlichen Bemühungen.

Wenn nicht alles täuscht, ist vor allem die Jugend bzw. jüngere Generation gegenwärtig vom wachsenden Zweifel am Nutzen aller menschlichen Bemühungen befallen. Zu offenkundig wird der Verlust wahrer menschlicher Werte als seelisch krank machend erlebt und erfahren. Menschen werden in eine Welt hineingeboren, die voll ist von tagtäglichen Ereignissen, die das Leben als nicht besonders lebenswert erscheinen lassen. Die Massenmedien tragen das ihre dazu bei, dass jeder erfährt, was sich in der Welt abspielt: Lügereien und Betrügereien im politischen und wirtschaftlichen Geschäft, der Hang zu Gewalt und die Lust auf listige Überlegenheit bereits auf den Schulhöfen. Auf Weltebene mehren sich Macht- und Interessenkämpfe in Formen von Stammesrivalitäten, Barbareien, kriegerischen Auseinandersetzungen, Vergewaltigungen und kaum vorstellbaren Bestialitäten an Menschen durch Menschen - quer durch alle Gesellschaftsschichten, Kulturen und Religionen.

Die Saat, die durch profitgieriges Leben gesäht wurde, geht heute weltweit auf: Ausbeutung armer durch reiche Länder, Verelendung der Massen in vielen Ländern der Welt, Zwangsarbeit, Arbeitslager, Schinderei an Frauen und Kindern, neue Sklaverei... Zum Profitdenken gehören - so absurd dies in einer angeblich zivilisierten Welt auch klingen mag - geradezu notgedrungen und zwangsläufig die Instrumentalisierung des Körpers und die Vermarktung der Sexualität; Kinderprostitution und erzwungene Sklavenarbeit, Menschenhandel und Entwürdigung aller derer, bei denen man es sich "leisten" kann, weil sie ohnehin keine Chance und keine "Lobby" haben.

Der weltweit wachsende Hang zu Triebhaftigkeiten und Brutalitäten, wie sie uns in den Massenmedien täglich vor Augen geführt werden, würde uns "zivilisierte Europäer und Amerikaner" vielleicht immer mehr kalt lassen und wenig beeindrucken, wenn wir nicht selbst immer nachhaltiger davon betroffen würden. Ende der 1990-ger Jahre bereiste der amerikanische Sozialforscher Robert Levine mit seinem Team 31 Länder, um das Lebenstempo der jeweiligen Bevölkerung und dessen Folgen genauer zu analysieren. Dabei stellte er fest, dass manche Bevölkerungen wesentlich "geruhsamer" und gelassener zu leben verstehen als andere. Wo mehr Laschheit und Langsamkeit herrscht, gab es in der Regel einen weniger hohen Lebensstandard, weniger Reichtum und materiellen Wohlstand. In den "schnellen" Ländern mit mehr Leistung und wenig "Müßiggang" gab es signifikant höhere Herzinfarkt-, Scheidungs- und Selbstmordraten; eine auffällig größere Unzufriedenheit und Selbstbemitleidungsrate - mit den Folgen größerer Therapiebedürftigkeit und Änfälligkeit für modische Krankheiten.

4. Verantwortlich umgehen lernen mit der Zeit, in der man nichts tut.

Von dem chinesischen Gelehrten Laotse (4.-3.Jh. v. Chr.) stammt der Satz: "Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut". -

Weil der Zweifel am Nutzen des hektischen Lebens wächst, spielen nicht umsonst Sehnsüchte nach einer ruhigeren, meditativen, mystischen Lebensweise eine große Rolle. Weisheitslehrer östlicher Religionen und christliche "Spiritisten" haben Hochkonjunktur. Die Zeit der Gurus ist angebrochen. Dabei ist zu hoffen, dass sich die meisten von ihnen nicht als Scharlatane oder falsche Propheten erweisen. Denn in einer Welt der "Machbarkeit" alles Machbaren und der "Heilbarkeit" alles Kranken ist die Versuchung groß, auch hier Profit zu machen und Ansehen zu erwerben mit Hilfe eines Marktes von großartigen, schillernden, vielseitigen und suggestiven "Angeboten" und Zuwendungen ohne wirklich individuelle Beratung und Ermutigung, Hilfe und Begleitung. Dann werden Illusionen verkauft. Der Mensch erhofft sich durch äußere Mechanismen und Tricks, was innerlich verloren gegangen ist. Er stürzt sich auf möglichst variable und suspekte Angebote, um sich etwas vorzumachen und abzulenken. Das ständige Hinhorchen - mitten im materiellen Wohlstand! - darauf, "wo es einem noch wehtun könnte" - ist hinderlich für die wirkliche Erkenntnis über sich selbst und die Veränderung seiner Lebensweise. Fachleute sprechen davon, dass viele Menschen durch "Frühstörungen" bereits belastet sind. Diese können nicht geheilt werden durch das, was allzu häufig "angeboten" wird: durch Ersatz-Freuden, durch Verdrängung und Überspielung von Umwelt-Faktoren, die das Leben nachhaltig prägen und krank machen.

Weisheitslehrer wie Laotse und andere sprechen deshalb von der unverzichtbaren Verantwortung für die Zeit, in der man nichts tut. Dieses "Nichtstun" ist alles andere als Faulenzen, Langeweile, Passivität und untätige Zerstreuung. Auch hat dieses "Nichtstun" wenig mit aufwendigen Feiern, stressigem Urlaub und lärmigen Wochenenden zu tun. Das "Nichtstun" ist eine Hochform innerer Aktivität und Besinnung auf das, was das Leben an Eindrücken und Erfahrungen hinterlässt. Es erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit für sich selbst und für andere. Weisheitslehrer halten das "Nichtstun" für die "erhabenste Weise menschlichen Daseins" - ausgerichtet auf das Wissen und die Erkenntnis dessen, "was die Welt im Innersten zusammenhält" (Goethe). Es bedeutet die hohe Kunst der inneren Ruhe, des Geschehenlassens, des Schweigens, des heiteren und gelassenen Hinhörens auf das, was sich im eigenen Innern und im persönlichen Umfeld abspielt und bewegt; es ermöglicht dem Menschen die "hochgemute Bejahung und Zustimmung zum eigenen Wesen, zur Welt, zu Gott" - die "innere Übereinstimmung mit dem Sinn der Welt".

Der Franzose Jean de la Bruyere (1645-1696) ist der Überzeugung, daß zur Entfaltung des "wahrhaft menschlichen Lebens" das Nachdenken gehört, das Sprechen, das ruhige und bedachte Lesen eines Buches, das Stillwerden und Stillhalten vor einem Kunstwerk und beim Hinhören auf eine geistige Musik. Die Erfahrung des freien Beschenktwerdens und der inneren Bereicherung als "Wurzel der Kultur und des menschlichen Reifens" meint auch Jesus, wenn er in der Bergpredigt sagt: "Sehet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht, und doch sage ich euch, dass Salomon in all seiner Pracht nicht herrlicher gekleidet war" (Mt 6,28f). - Dieses "herrliche Gekleidetsein" meint auch Marc Aurel (121-180), der Denker auf dem römischen Kaiserthron, wenn er sagt: "Man benötigt nur wenig, um ein glückliches Leben zu führen". -

Der Schriftsteller Peter Paul Althaus (1892-1965) bat einmal einen in Neapel herumlungernden Gepäckträger, ihm seinen Koffer in das nahe gelegene Hotel zu tragen. Dessen abweisende Antwort lautete: " Ich habe heute schon gegessen". - In Brasilien oder Afrika kann es einem Touristen heute noch passieren, dass ein Busfahrer sein vollbesetztes Gefährt fahrplanmäßig stoppt, um erst einmal in Ruhe einkaufen zu gehen, oder gar nicht erst abfährt, solange der Bus nicht voll besetzt ist. - In Mexiko werden Partygäste, wenn sie pünktlich zur vereinbarten Zeit eintreffen, mit der Frage empfangen: "Bist du zum Putzen gekommen?"

Solche Verhaltensweisen werden in unseren Breiten vorschnell als Laschhheit, Unzuverlässigkeit, Faulheit, Langsamkeit... gebrandmarkt. Sie können aber auch sehr viel mit einer gesamtgesellschaftlichen Lebenseinstellung zu tun haben, die sich nicht schnell aus der Ruhe und dem gewohnten Lebensrhythmus werfen läßt. In Israel gilt das Sprichwort: "Gott hat die Zeit geschaffen und der Mensch die Hast". -

Vielleicht braucht unsere Welt - um der eigenen Genesung und um des Überlebens der Menschheit willen - nichts dringlicher als eine neu erwachte Fähigkeit zu einem ruhigeren und besinnlicheren Leben. Dies bleibt die "Wurzel der Kultur". Darin gewinnt der Mensch seine "wahre Gestalt". Es macht ihn an Leib und Seele nicht nur gesunder, sondern führt auch zu neuem Glauben und Hoffen über alles Menschliche hinaus.
 


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