www.fritz-koester.de
Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Ansichten eines Außenseiters (I):
Vaticanum II vor 40 Jahren.

November 2005

1. Außenseiter als "Ketzer".

Außenseiter werden oft in einer Gesellschaft oder kirchlichen Verfassung als Grenzgänger, Querdenker, Störenfriede oder "Ketzer" abgestempelt. Oft sind sie es auch. Ich selbst bin nicht als "Außenseiter" geboren. Von Kindheit an in einem sehr katholischen Milieu aufgewachsen, war ich immer ein "Insider". Aber das Leben hat mich dazu gezwungen, bisher Erlebtes und Erfahrenes auch immer wieder "von außen", aus der Distanz heraus zu betrachten - sozusagen eine Außenansicht anzunehmen, die mir ursprünglich fremd war und wohl auch immer fremd geblieben wäre. Denn "Insidern" ist es eigen, ihre gewohnten Standpunkte nur ungern zu korrigieren. Letztlich bleibt das Erlernte allein gültig im Sinne von: "Roma locuta, causa finita". Solche Entgültigkeit steckt mehr oder weniger in jedem.

Drei Jahre vor meinem Abitur wechselte ich in ein für damalige Verhältnisse recht "liberales und freidenkerisches Gymnasium". Von einigen Lehrern habe ich gelernt, wie relativ und einseitig unser Denken ist und bleibt. Und wie einseitig es ist, wenn man allzu gerne im Guten erstarrt, unflexibel und unrealistisch dabei wird. Kritische Selbstkontrolle sei deshalb stets nötig. - Während einiger Jahre Theologiestudium wurde ich jedoch ganz wieder "in". Ich lernte als "Insider", zum Leben und Überleben, brav und angepasst zu sein. Das gelang meistens nur kurz und teilweise. Ich exponierte mich immer wieder als kritischer Fragesteller und Hinterfrager, sozusagen aus der Ferne und inneren Distanz - was von anderen vielfach als störend angeprangert, als geradezu unerträglich und dümmlich klassifiziert wurde.

Die zwei Studienjahre in Frankreich und Belgien, danach mein Einsatz in Afrika haben gegenüber deutschem Denken enorme Vorbehalte aufkommen lassen. Diese übertrugen sich schnell auf das "christliche Abendland", auf seine Festlegungen, unverrückbaren Überzeugungen und für mich unbegreiflichen Selbstsicherheiten. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diesen Vorbehalten großen Vorschub geleistet: alles in der Welt ist in Bewegung. Nichts Genaues und Endgültiges weiß man. Nichts ist absolut sicher und unfehlbar. Immer geht es darum, neu anzufangen, ohne das Alte zu verleugnen...

2. Das Zweite Vatikanische Konzil - 40 verlorene und versäumte Jahre danach?

Vor dem Konzil war die "Ära" Pius XII. Von ihr war ich bis in die letzen Fasern meiner Existenz geprägt. So erlebte ich das Zweite Vatikanische Konzil in den Jahren 1962-65 wie ein Erdbeben. Ich war damals Student in Paris, Lyon und Brüssel. In Frankreich, der "ältesten Tochter der Kirche", konnte ich tagtäglich erleben, wie säkularistisch, "unchristlich", kirchenfern und nahezu kirchenfeindlich ein ganzes Volk geworden war.

Dann kamen die Nachrichten aus Rom. Jede Zeitung berichtete darüber. Papst Johannes XXIII. war plötzlich in aller Munde. Sein Bild war überall gegenwärtig. Ich denke noch an manche Schlagzeilen, die sogar in kommunistischen Zeitungen zu lesen waren: "Endlich ein Papst, der die Welt versteht". "Die Kirche fängt an zu begreifen, dass sie bisher an den Realitäten vorbei gelebt hat". "Sie geht auf die Menschen zu". "Sie nimmt die Menschen ernst in ihren Zweifeln, Konflikten, Sehnsüchten und Hoffnungen". "Die Menschen werden nicht mehr einfach als ´Objekte´ behandelt; sie sollen auch in Freiheit mitreden, mitentscheiden und mitgestalten dürfen". "Die Kirche besinnt sich auf ihren eigenen Ursprung". "Sie versucht, Menschen die Quellen zu erschließen" - "Sie geht auf kritische Distanz zu vielen Traditionen und Gewohnheiten, die das Ursprüngliche eher verdeckt als erschlossen haben"...-

Anschließend arbeitete ich sieben Jahre lang in einem der "katholischsten Landstriche Afrikas" (Kamerun). Dort traf ich eine ähnliche Konzils-Situation an. Ich hatte das Glück, mit einem afrikanischen Erzbischof zusammen arbeiten zu können. Dieser war ein begeisterter Anhänger des Konzils. Er berichtete nicht nur selbst über Ereignisse und Entwicklungen in Rom, sondern ließ regelmäßig renommierte Theologen aus Frankreich kommen, die zunächst die "Hauptamtlichen" über die Vorgänge informierten. Mich selbst setzte er als "Multiplikator" und "Informator" für die große Zahl seiner Lehrer, Katecheten und Gemeindeleiter seiner Diözese ein.

Natürlich standen schon bald typisch afrikanische Themen auf der Tagesordnung. Z.B.: Wie können Priester, die bereits als Kinder in eine "Naturehe" eingebunden wurden, zölibatär leben? Warum dürfen sie nicht ehrlich zu der Familie stehen, die sie ohnehin bereits haben?
Warum läßt man sie in aller Heimlichkeit als "Priester 2. Klasse" gelten? Wie ist es mit den afrikanischen Traditionen und Kulturen? Warum weitgehend die römische Liturgie und die scholastisch-abendländische Philosophie, die hinderlich sind für eigene Gedanken und symbolische Ausdrucksweisen? Warum keine eigene Theologie, die das Evangelium mit der eigenen gewachsenen Philosophie und Ethik in Zusammenhang bringt? Heißt "Inkulturation" nicht zugleich "Multikulturation", die auf die Dezentralisierung der Kirche hinausläuft und doch die Grundlagen der biblischen Botschaft nicht verrät?

3. Kirchenpolitisches Erdbeben - kaum zu verkraften.

Fragen über Fragen stellten sich. Es herrschte ein Durcheinander in der Meinungsvielfalt und Experimentierfreundlichkeit. Wo so viele engagiert mitredeten, schien die herkömmliche Ordnung der Kirche in Turbulenzen zu geraten, der "Glaube" erschüttert. Wohin würde die Reise gehen: in Deutschland nach der Würzburger Synode, in Afrika mit seinen multikulturellen Ambitionen, in Lateinamerika mit seiner "Befreiungstheologie", in Asien mit seiner irrationalen Mystik?

Schon während des Konzils meldeten sich lautstark Gegenstimmen. Worauf lief das alles hinaus: auf das Nicht-mehr-wichtig-nehmen großer Teile der dogmatischen Lehre der Kirche? Auf das Infragestellen der kirchenrechtlichen Verfassung, die über die Rolle des Klerus und abgrenzend der Laien unantastbare Auskünfte erteilt? Auf die Neuinterpretation der Sakramente, vor allem auch der Eucharistie als Feier der Gemeinschaft? Auf das "allgemeine Priestertum"? Auf die "Protestantisierung" der römisch-katholischen Kirche? Auf die Begrenzung der Macht- und Einflussfülle des Papstes und der Bischöfe?

Man kann voller Ängste gegenüber solchen Entwicklungen sein. Und unterschiedlichste Reaktionen und Interpretationen in die Welt setzen. Eine Möglichkeit wird meistens gar nicht in Erwägung gezogen: Menschen könnten heute eine Lebenseinstellung gewonnen haben, für die Vieles nicht mehr als wichtig angesehen wird, ohne dass es aufhört, wahr zu sein. - Der Unterschied zwischen "wahr" und "wichtig" könnte ein neuralgischer Punkt heutiger Auseinandersetzungen sein. Das Konzil hat die gewaltige Spannung zwischen Kirche und moderner Kultur zutage gefördert und zugelassen. Die Spannung hält bis heute an. Man kann sogar froh darüber sein, wenn sie anhält. Schlimm ist es, wenn immer weniger die Spannung aushalten. Die bedrohliche Emigration aus der Kirche ist dann wohl kaum noch zu stoppen.

Es geht darum, die Krise nicht weiterhin zu ignorieren; sie durch Kirchentage und Papstfestivals nicht zu übertünchen. Was an kaum zu ertragenden Spannungen zu einem Massenphänomen geworden ist, fand in den Dokumenten des Konzils schon ihren Niederschlag. In ihnen sind Zitate und Passagen zu finden, auf die sich alle berufen können: Konservative und Progressive, Traditionalisten und Fortschrittliche, Fundamentalisten und Reformer... - eine Situation, die dazu geführt hat, dass manche Verantwortliche das Konzil immer wieder in Erinnerung rufen, um es gleichzeitig am liebsten in Vergessenheit geraten zu lassen. Natürlich wird dies nicht ehrlich zugegeben; aber Maßnahmen der "Kirchenpolitik" und Personalentscheidungen laufen seit Jahren eindeutig darauf hinaus. Bei vielen Entscheidungen wird zudem peinlichst versucht zu verhindern, dass man in die Nähe einer anderen biblisch orientierten Konfession abdriftet. Es würde bedeuten, das "katholische Gesicht" (Josef Ratzinger) zu verlieren.

Bei allem Hin und Her, bei Argumenten und Gegenargumenten stelle ich als Beobachter der Szene oft die Frage, ob nicht die Grundausrichtung des Konzils und seines Initiators, Papst Johannes´ XXIII, schon sehr früh auf eine bisher kaum wahrgenommene Weise verlassen worden ist? Das Konzil sollte nach dem Willen des Papstes ein pastorales Konzil werden. Bald stellte sich jedoch heraus, dass Dogmatiker und Kirchenrechtler das Heft in die Hand bekamen. Sie bestimmten des Fortgang des Geschehens und "einigten" sich schließlich auf Schriftstücke, die typisch sind für deren Art des Denkens: klar und eindeutig, aber auch Widersprüche hervorrufend, kontrovers, rechthaberisch auf allen Seiten, bei aller "Dialogbereitschaft" für pastorales Arbeiten kontraproduktiv. Die "Früchte des Konzils" sind deshalb nur spärlich gewachsen. Positionen und Gegenpositionen sind vorherrschend geblieben; der fortgesetzte Niedergang der Kirche immer augenfälliger.

4. Das Ende des Glaubens an unfehlbare Lehrsätze und Autoritäten.

Indem das dogmatische und kirchenrechtliche Denken sehr wissenschaftlich, objektiv und begrifflich eindeutig zu sein vorgeben, hat sich gezeigt, dass es nicht geeignet und fähig war und ist, die Mehrheit des Volkes zu erreichen. Das hat weitgehend zu ihrem "Unglauben" geführt. Die Kluft zwischen "oben" und "unten" ist immer größer geworden; die Entfremdung von kirchlicher Lehre und Indoktrination immer eindeutiger. "Kirche" erscheint wie eine Expertokratie von Fachleuten, die sich in eine Spezialistentheologie eingemauert haben. Alle Katechismus-Versuche, dem Volk die Lehre und Anliegen "der Kirche" nahe zu bringen, können trotz vielfältiger Anstrengungen als gescheitert angesehen werden.

Das Anliegen des Konzils war dagegen von einem pastoralen Anliegen her bestimmt. Pastorales Denken - in der Kirche extrem vernachlässigt - hat eine völlig veränderte Sichtweise und Ausrichtung. Es versucht nicht, kluge Gescheitheit und Wissenschaftlichkeit der wenigen Fachleute in Sachen "Glaube und Kirche" unter die Leute zu bringen, sondern es fragt direkt und unmittelbar nach der Lebenssituation der Menschen selbst: ihren Zweifeln, Hoffnungen, Sehnsüchten und Ängsten. Es fragt nicht nur danach, sondern versucht ihnen vor allem dadurch auf die Spur zu kommen, dass Menschen ermutigt und entschlossen angeleitet werden, selbst zur Sprache zu bringen, was an Fähigkeiten und Grenzen in ihnen steckt. Dabei werden Sprachermächtigung und Gesprächsfähigkeit die Gebote der Stunde. Der Grundgedanke dieser "Theologie" lautet: bevor "Kirche" anfängt, verkündend tätig zu sein, hat Gott selbst längst seine Spuren im Menschen und in der Welt hinterlassen (vgl.Apg 17, 22ff). Wer daran vorbeidoziert, sitzt todsicher auf einem falschen Dampfer...

Das Anliegen kann also nicht zuerst darin bestehen weiterzugeben, was "Experten" über Gott und die Welt zu wissen vorgeben, sondern den Menschen in ihren jeweiligen Lebenslagen den Zugang zu dem "ganz Anderen" zu eröffnen. "Der Zugang... nach oben ist verrannt", hat Goethe bereits verkündet. Der pastorale Ansatz will deshalb säkularisierten Menschen den Zugang neu eröffnen, ohne von vornherein zu "wissen", wie er zu finden ist.. Der Weg ist deshalb nicht "von oben nach unten", sondern "von unten nach oben". Irgendwie müssten sich beide Richtungen adäquat ernst nehmen und zu jenem "Dialog" fähig werden, der nicht aufs Dozieren hinausläuft, sondern auf die Erhellung des Glaubens im Horizont menschlicher Fakten und historischer Ereignisse.

In der unterschiedlichen Ausrichtung des Denkens liegt auch der eigentliche Konflikt vieler Menschen mit der Kirche. Pastorales Denken ist nicht in erster Linie auf (unverständliche) dogmatische Lehren bedacht, nicht auf kirchenrechtliche Vorgaben. Es fragt zunächst - wenn es ernsthaft betrieben wird - nach den Quellen, nach dem Ursprung des Christentums überhaupt, nach der Person Jesu Christi. Damit verändert sich auch das Glaubensverständnis. Der "dogmatische Glaube" tritt immer mehr als sekundär in den Hintergrund; primär wird der Beziehungs-Glaube, der personale Glaube an Jesus Christus und an das, was er heilsam und erlösend für die Welt gesagt und getan hat.

Das, was er gesagt und getan hat, fand immer in einer konkreten Situation statt, hatte immer einen unmittelbaren Anlaß, hatte stets einen Sitz im Leben. Einen solchen Glauben können Menschen nicht nur verstehen; sie vermögen auch eigene Lebenslagen mit denen Jesu in Verbindung zu bringen. So können sie "Mitarbeiter Gottes" werden zum Heil und Segen für viele. "Glaube" muß deshalb mitten im Leben gelernt werden, hat immer etwas mit einer neuen Sichtweise zu tun, mit der Bewältigung des eigenen Lebens. Letztlich geht es um das Gelingen des Lebens als Anfang für eine bessere Welt. Der lebendige Mensch wird dabei glaubwürdig bei Gott und den Menschen. -

5. Wenn das Konzil konsequent weitergegangen wäre...

Man kann sich nach 40 Jahren zu Recht die Frage stellen, was geschehen wäre, wenn das Konzil konsequent nicht nur verbal weitergegangen wäre? Die Synoden in Würzburg, in Medellin und Puebla sowie in Afrika... haben einen Eindruck darüber hinterlassen. Sie haben im Laufe der Zeit aber auch die Tabu-Themen, die "im Namen Gottes" nicht erwünscht sind, deutlich hervortreten lassen. Letztlich hat sich das dogmatische und kirchenrechtliche Denken wieder durchgesetzt - in früheren Zeiten sehr bewährt, heute aber dabei, als weltfremd und historisch-überholt angesehen zu werden.

Was also wäre geschehen? Zunächst wäre die Kirche nicht "protestantischer", sondern biblischer geworden. Damit auch die Protestanten, von denen ja nicht zu leugnen ist, dass sie sich schon zur Zeit Luthers auf theologische Grabenkämpfe mit den Katholiken eingelassen haben und sich mit Fürsten verbündeten. Das "sola scriptura" ist auf weiten Strecken durch trockene und abstrakte Wissenschaftlichkeit abhanden gekommen. - Die Konsequenz hätte es sein können und müssen, dass die kirchlichen Würdenträger und Fachleute aus ihren Studierstuben, aus ihren Palais und von ihrem aufwendigen Lebensstil Abschied nehmen - vor allem aber von ihrem theologischen Elfenbeinturm hinuntersteigen, um "dem Volk aufs Maul zu schauen".

Ein klassisches Beispiel dafür ist das sog. Kirchenvolksbegehren, welches vor 20 Jahren in einigen Ländern heraufbeschworen wurde und viele Christen mobilisierte. Mein Appell an die Bischöfe und Priester damals war, auf die Straße zu gehen und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, auch keine harten Dispute zu scheuen (was in einigen Ländern Afrikas und Lateinamerikas schon lange selbstverständlich war). Es hätte zu einem aufschlussreichen, lehrreichen und klärenden Prozess kommen können. Stattdessen: Abkapselung, Verteufelung, Verurteilung, Ausgrenzung vor allem der "Hauptamtlichen", die den Weg der Auseinandersetzung für richtig hielten. -

Pastorales Denken macht viel Lebenserfahrung notwendig und unabdingbar. Dabei stellen sich die Fragen nach "Zölibat" und "klerikalem Werdegang" ganz anders. Jene, die als "Priesteramtskandidaten" in einem Seminar die herkömmliche Theologie studieren, erweisen sich dadurch nicht schon als geeignet für Menschenkenntnis, -führung und Gemeindeleitung. Notwendig gewordene Zusammenarbeit mit mündigen Laien scheitert nicht an fehlender theologischer Information, sondern an Fähigkeiten, die normalerweise nur im Leben entdeckt, gelernt und ausgebildet werden können.

Für das christliche Gemeindeleben der Zukunft sind lebenstüchtige, bewährte Männer und Frauen nötig. Sie müssen Menschen des Vertrauens sein. In Afrika und Lateinamerika haben solche Leute das Leben der Gemeinden jahrzehntelang geprägt und getragen. Allerdings waren sie oft von dem "Makel" befallen, verheiratet zu sein. Das z.T. erfolgreiche Bemühen von Papst Johannes Paul II., solche Gemeinden wieder mit dem herkömmlichen Priestertypus zu klerikalisieren, hat vielfach nicht zu einem verstärkten Gemeinde- und Christenbewußtsein geführt. Solange die Worte kirchliche Angebote und Versorgung eine vorrangige Rolle behalten - wenn nötig durch Blaulichtpriester - wird sich daran wohl auch nichts ändern. Die "Lösungen" sind für keine Seite befriedigend. Die Symptome einer krankhaften Gesamtlage sind weltweit zu Schlagzeilen geworden: die erschreckende Pädophilie bei vielen Priestern, Alkoholismus, psychische Zusammenbrüche, illegale Eheverhältnisse, Polygamie in Afrika usw....

Die Weihe und Bevollmächtigung bewährter Männer und Frauen ist das Gebot der Stunde. Diese müssen aus den Gemeinden selbst herauswachsen und für sie bestimmt sein. Sie können auch "nebenberuflich" tätig sein. Die Gemeinde selbst muß sie vergüten. - Als ich vor ca. 20 Jahren einem deutschen Bischof das Angebot machte, in diesem Sinne "aktiv" zu werden und in einigen Gemeinden das "Experiment" voranzutreiben, lautete seine Antwort: "Solche Maßnahmen sind nur gesamtkirchlich möglich", d.h. sie müssen in allen Ländern der Welt gleichzeitig und "von oben" genehmigt werden.

Bei solchen Ängsten und Vorbehalten gegenüber neuen Erfahrungen und Schritten wird jede Lebendigkeit zunichte gemacht. Stattdessen müssten sich die Verantwortlichen mal wieder die Theorie und Praxis des Paulus - nicht nur für Sonntagsreden - zu Gemüte führen. Er machte damals den Christen in Korinth deutlich, was der Geist Gottes an verschiedenen Gaben und Fähigkeiten zu wirken vermag. Es ist nicht die Kirche, die den Menschen ihre Gaben und Aufgaben zuweist, sondern der Geist Gottes (1Kor 12.4-31). Wenn kirchliche Strukturen und Maßnahmen diesem Wirken hinderlich sind, dürfen sich Verantwortliche nicht darüber wundern, dass kirchliches Leben immer toter, geistloser und langweiliger wird. Kirchen ohne die Kraft vieler Fähigkeiten werden, längst bevor sie mangels Geld und Gläubigenzahl veräußert werden, zu Museen. Museen sind zwar sehr beliebt. In der Freizeit werden sie von vielen besucht - zum Zeitvertreib, zur geistigen Anregung, zum Kunstgenuß. Mehr aber auch nicht.

In einer Zeit der Beliebigkeit und der Massenangebote läuft die Kirche Gefahr, ein Event- und Erlebnischristentum zu produzieren. Die Anpassung an solchen "Zeitgeist" hat S. Kierkegaard schon angeprangert: "Man hat das Christentum viel zu sehr zu einem Trost umgearbeitet, vergessen, dass es eine Forderung ist" .- Und was heutige Strukturmaßnahmen im Vergleich zu den Impulsen von vor 40 Jahren betrifft, kommen mir immer wieder Verse in den Sinn, die ich als Junge einmal lernen musste: "Die groß geschaut und groß gebaut/ die ruhen in den Särgen/ An ihren Gräbern stehen wir/ wie ein Geschlecht von Zwergen".
 


Letzte SeitenÄnderung: 02.03.2011.
Bitte beachten Sie meine Nutzungsbedingungen.