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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Ansichten eines Außenseiters (XI):
Alle Religionen auf dem Weg zu dem Einen Gott?

Mai 2008

Bevor es überhaupt "Religionen" gab, gab es den religiös suchenden, fragenden und denkenden Menschen. Der Mensch ist also vor jeder Religion. Wenn zu irgendeinem Zeitpunkt der Geschichte Religionen gegründet wurden, konnten sie dem religiösen Denken und Empfinden von Menschen förderlich sein und neue Impulse geben. Das ist den großen Gründerfiguren Buddha, Jesus, Mohammed… hervorragend gelungen Auf kurz oder lang konnten die Religionen für den Einzelnen aber auch ein Hindernis werden auf der Suche und auf dem Weg zu Gott. Vor allem dann, wenn sie sich mit ihren Autoritäten, mit ihrer Verfassung, mit ihren Lehren und Lehrentwürfen so im Guten wissen, dass niemand daran rütteln kann. Damit Gott – bei aller Verhärtung von Menschen im Guten - noch eine Chance bekommt, wendet er sich zuerst immer an Menschen, nicht an Institutionen. Deshalb können Kirchen sich nur erneuern, wenn sie für die Menschen da sind und auf sie hören. "Vox Populi" nannte man das früher. Wenn sie es nicht tun, können sie zu einem Hindernis für den Glaubenssinn der Gläubigen werden.

Einige Thesen und Gedankenanstöße zu diesem Thema:

1. Religiöse Menschen gab es schon vor jeder Religion.


Wenn heute vielfach die Frage gestellt wird, ob nicht alle Religionen (gleichberechtigt) auf dem Weg sind zu dem Einen Gott, wird meist nicht daran gedacht, dass es den religiös fragenden und suchenden Menschen schon längst vor jeder Religion gibt. Die ersten Menschen – Adam und Eva, Kain und Abel – gehörten keiner konstituierten Religion an. Dennoch spielte sich ihr Leben – Paradies, Sündenfall, Brudermord – im religiösen Horizont ab, da Gott eine große Rolle darin spielt (Gen 1-5). – Mit Noach schließt Gott einen Bund mit der ganzen Menschheit. Er impliziert alle Menschen und Lebewesen auf der Erde (Gen 9). –

Paulus hat später darüber nachgedacht, dass die Christen zwar die Erstgeborenen einer neuen Schöpfung sind; dass aber auch die ganze Schöpfung auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes ausgerichtet ist – auf den hin, der am Anfang und Ende der Welt steht (Röm 8.18-30). Aus dieser Sicht heraus gibt es keinen Menschen, der außerhalb des Heilshandelns Gottes lebt. Insofern muß man sagen: alle Menschen sind, so oder so, auf dem Weg zu dem Einen Gott – unabhängig davon, wie sie sich dieser ihrer Lebenslage bewusst sind, wie sie dazu stehen bzw. danach ihr Leben ausrichten.

2. Religionen entstehen überall da, wo sich Stämme und Völker ihrer Identität bewußt werden.

Religionen sind überall da entstanden, wo sich ganze Stämme und Völker ihrer eigenen Identität bewußt wurden bzw. auf der Suche waren nach ihrer eigenen Identität. So ist es bereits in den Natur- und Stammesreligionen zu beobachten. Wo Menschen sich in eigener Bluts- und Stammesverwandtschaft zusammenfanden, stellte sich für sie als Gemeinschaft auch die religiöse Frage. Die einzelnen Stämme entdeckten ihre eigenen Gottheiten. Sie hatten etwas mit der Lebenslage und den Naturerfahrungen ihrer Menschen zu tun: Fluß- und Wettergottheiten wurden verehrt, Fruchtbarkeits- und Siegesgötter, Kriegs- und Friedensgötter…

Ähnlich war es auch im Alten Testament. Es bezeugt den langen Weg zum Glauben an den Einen Gott. Wenn seit Abraham von einer Religion gesprochen wird, dann deshalb, weil Abraham auch der Vater eines neuen Volkes wurde. Ebenso Vater des Glaubens (Gen 12ff).

Auch Jesus ist in die Reihe der großen Propheten des Alten Testamentes einzuordnen. Sein Reden und Handeln waren auf die Erneuerung des israelitischen Volkes konzentriert. Er wollte die zwölf Stämme Israels in der Liebe untereinander und im Glauben an den Einen Gott zusammenführen. Erst im Nachhinein entwickelte sich unter den Christen, nachdem sie sich von der Synagoge getrennt hatten, eine eigene Identität. Man könnte sie auch "Kirche" nennen. Im gemeinsamen Reden und Sich-Erinnern, bei Gebet und Brotbrechen sahen die ersten Christen ihre Zukunftsaufgabe darin, das Evangelium zu verkünden, die Worte und Taten Jesu in der Geschichte fortzusetzen.

Mohammed (570-632) gab in späterer Zeit den arabischen Völkern eine eigene Identität. Er glaubte zunächst, dass die Offenbarungen, ihm von Allah anvertraut, identisch seien mit denen der Juden und Christen - in seinem Fall aber für die Araber bestimmt. So einte er die arabischen Völker und Stämme im Namen Allahs, schuf ihnen ein nie gekanntes Zusammengehörigkeitsgefühl, verbunden mit dem Sendungsauftrag, die ganze Welt im Gehorsam dem Willen Allahs zu unterwerfen.

3. Nie ließen sich alle Menschen von ihren Religionen "vereinnahmen".

Weil die religiös suchenden und fragenden Menschen zuerst waren und sind, hat es auch immer Spannungen gegeben zwischen ihnen und den konstituierten Religionen. Im Alten Testament waren die Propheten diejenigen, die Fehlentwicklungen in ihrer Religion und in ihren Gesellschaften an den Pranger stellten. Obwohl zu ihnen gehörend, stellten sie sich dennoch außerhalb, um zu erkennen, wo Korrekturen dringend erforderlich waren.

Im Christentum ist sogar verbürgt, dass Gott den "Weisen und Klugen verborgen hält, was er den Unmündigen offenbart" (Mt11.25; Lk10.21). Dieses Wort Jesu kann durchaus auf die Großen und Mächtigen in Staat und Kirche angewandt werden. Wo es wirksam wird, führt es zu Spannungen, vor allem dann, wenn das äußere Erscheinungsbild der Kirchen und Konfessionen von Kardinälen und Staatspräsidenten geprägt wird. Das mag bei großen Veranstaltungen attraktiv und exotisch erscheinen. Auf lange Sicht aber ist es ein Schlag ins Gesicht der Religion. Spannungen äußern sich bisweilen in öffentlichen Protesten, können aber auch – was viel gefährlicher ist – zu Resignation und "Glaube ohne Kirche" führen. Der lautlose Auszug aus den Kirchen ist Indiz dafür, dass dem Lehramtsglauben und den lautstark verkündeten religiösen Bekenntnissen jede Kraft und Dynamik verloren gegangen ist.

Der katholische Erzbischof von Bamberg, Schick, hat das Dilemma jüngst auf den Punkt gebracht: "Die Kluft zwischen dem, was die offiziellen Vertreter für normativ gültig halten und dem, was Katholiken faktisch glauben und leben, wird immer größer". – Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass der Verlust des Lehramtsglaubens noch lange nicht als "Unglaube"
ausgemacht werden kann. Nur besteht der "andere Glaube" nicht mehr im Festhalten an ein Lehrsystem, an dogmatische Sätze und Katechismuswissen. Vielmehr entzündet er sich an glaubwürdigen Personen, an deren Beispiel und Lebensstil, an deren Worten und Werken…

4. Die Kleinen kommen gegen die Großen nicht an.

Es ist müßig, an die Kleinen zu appellieren, um etwas in Staat und Kirche zu verändern bzw. zu reformieren. Dazu sind die Großen zu mächtig und einflussreich. Sie haben sich gewöhnlich ihre Positionen seit Jahrhunderten gesichert. Diese können nur fallen wie die Mauern von Jericho, also durch Gottes Eingreifen. "Sicherheiten" im Christentum wurden besonders dadurch geschaffen, dass sich Philosophen und Geistesmächtige zusammentaten, um die Wahrheit zu erforschen und sie gegenüber anderen Weltanschauungen erfolgreich zu behaupten. Wo aber "die Wahrheit" ist, kann es keinen Widerspruch geben. Zudem ist den Kleinen und Unmündigen das universitäre Denken "der Großen" fremd geblieben. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als gehorsam und aufmerksam auf das zu hören, was ihnen "von oben" verkündet wurde.

Diese Zeit des "philosophischen und dogmatischen Zeitalters" nähert sich immer mehr ihrem Ende. Die fragenden und suchenden Menschen suchen sich ihre eigenen Gedankennischen. Sie fragen nicht mehr nach den Wahrheiten, die von oben verkündet werden. Sie fragen eher nach einem sinnvollen, gottgemäßen Leben. Für solches Leben sind keine abstrakten Wahrheiten hilfreich, sondern Eckwerte, die ein sinnvolles und gottgemäßes Leben möglich machen. Die Praxis der Liebe, Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit… sagt ihnen, welches ihr "Glaube" ist – ein Glaube, der die Niedrigen erhöht und die Mächtigen vom Throne stürzt (Lk1.52). Bahnt sich ein Zeitalter an, in dem die Kleinen die Großen im Trockenen sitzen lassen, indem sie nicht mehr auf sie hören? Richtschnur wird das Jesus-Wort: "An ihren Früchten (nicht an ihren Worten) sollt ihr sie erkennen!" (Mt7.16). –

Wie auch immer die Zukunft des Christentums und der Kirchen aussehen wird – eines steht fest: es gilt, den latenten Konflikt zwischen den "Großen" und den Lebenserfahrungen der "Kleinen" zu beheben. So wie es aussieht, gelingt es nicht. Alles sieht vorerst danach aus, als werde es zwei nebeneinander bestehende Glaubensrichtungen geben: die eine ist von der Amtstheologie bestimmt; die andere wächst aus den konkreten Lebenserfahrungen der Menschen (die sich in Sekten und "freien Kirchen" zusammentun). Es bahnt sich eine unüberbrückbare Kluft an zwischen Kirchen-Ethik und Reich-Gottes-Ethik. Was einmal zusammen gehörte, ist auseinander gebrochen. Ob die Verantwortlichen jemals begreifen werden, dass "Kirche" nicht identisch ist mit "Reich Gottes"; dass die theologische Predigt der Kirchen nicht dasselbe ist wie die Reich-Gottes-Predigt Jesu? Und doch käme es auf die Letztere entscheidend an.

 


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