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Ansichten eines Außenseiters (XI):
Alle Religionen auf dem Weg zu dem Einen Gott?
Mai 2008
Bevor es überhaupt "Religionen" gab, gab es den religiös suchenden,
fragenden und denkenden Menschen. Der Mensch ist also vor jeder Religion.
Wenn zu irgendeinem Zeitpunkt der Geschichte Religionen gegründet wurden,
konnten sie dem religiösen Denken und Empfinden von Menschen förderlich sein
und neue Impulse geben. Das ist den großen Gründerfiguren Buddha, Jesus,
Mohammed… hervorragend gelungen Auf kurz oder lang konnten die Religionen
für den Einzelnen aber auch ein Hindernis werden auf der Suche und auf dem
Weg zu Gott. Vor allem dann, wenn sie sich mit ihren Autoritäten, mit ihrer
Verfassung, mit ihren Lehren und Lehrentwürfen so im Guten wissen, dass
niemand daran rütteln kann. Damit Gott – bei aller Verhärtung von Menschen
im Guten - noch eine Chance bekommt, wendet er sich zuerst immer an
Menschen, nicht an Institutionen. Deshalb können Kirchen sich nur erneuern,
wenn sie für die Menschen da sind und auf sie hören. "Vox Populi" nannte man
das früher. Wenn sie es nicht tun, können sie zu einem Hindernis für den
Glaubenssinn der Gläubigen werden.
Einige Thesen und Gedankenanstöße zu diesem Thema:
1. Religiöse Menschen gab es schon vor jeder Religion.
Wenn heute vielfach die Frage gestellt wird, ob nicht alle Religionen
(gleichberechtigt) auf dem Weg sind zu dem Einen Gott, wird meist nicht
daran gedacht, dass es den religiös fragenden und suchenden Menschen schon
längst vor jeder Religion gibt. Die ersten Menschen – Adam und Eva,
Kain und Abel – gehörten keiner konstituierten Religion an. Dennoch spielte
sich ihr Leben – Paradies, Sündenfall, Brudermord – im religiösen Horizont
ab, da Gott eine große Rolle darin spielt (Gen 1-5). – Mit Noach schließt
Gott einen Bund mit der ganzen Menschheit. Er impliziert alle Menschen und
Lebewesen auf der Erde (Gen 9). –
Paulus hat später darüber nachgedacht, dass die Christen zwar die
Erstgeborenen einer neuen Schöpfung sind; dass aber auch die ganze Schöpfung
auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes ausgerichtet ist – auf den hin, der
am Anfang und Ende der Welt steht (Röm 8.18-30). Aus dieser Sicht heraus
gibt es keinen Menschen, der außerhalb des Heilshandelns Gottes lebt.
Insofern muß man sagen: alle Menschen sind, so oder so, auf dem Weg zu dem
Einen Gott – unabhängig davon, wie sie sich dieser ihrer Lebenslage bewusst
sind, wie sie dazu stehen bzw. danach ihr Leben ausrichten.
2. Religionen entstehen überall da, wo sich Stämme und Völker ihrer
Identität bewußt werden.
Religionen sind überall da entstanden, wo sich ganze Stämme und Völker ihrer
eigenen Identität bewußt wurden bzw. auf der Suche waren nach ihrer eigenen
Identität. So ist es bereits in den Natur- und Stammesreligionen zu
beobachten. Wo Menschen sich in eigener Bluts- und Stammesverwandtschaft
zusammenfanden, stellte sich für sie als Gemeinschaft auch die religiöse
Frage. Die einzelnen Stämme entdeckten ihre eigenen Gottheiten. Sie hatten
etwas mit der Lebenslage und den Naturerfahrungen ihrer Menschen zu tun:
Fluß- und Wettergottheiten wurden verehrt, Fruchtbarkeits- und Siegesgötter,
Kriegs- und Friedensgötter…
Ähnlich war es auch im Alten Testament. Es bezeugt den langen Weg zum
Glauben an den Einen Gott. Wenn seit Abraham von einer Religion gesprochen
wird, dann deshalb, weil Abraham auch der Vater eines neuen Volkes wurde.
Ebenso Vater des Glaubens (Gen 12ff).
Auch Jesus ist in die Reihe der großen Propheten des Alten Testamentes
einzuordnen. Sein Reden und Handeln waren auf die Erneuerung des
israelitischen Volkes konzentriert. Er wollte die zwölf Stämme Israels in
der Liebe untereinander und im Glauben an den Einen Gott zusammenführen.
Erst im Nachhinein entwickelte sich unter den Christen, nachdem sie sich von
der Synagoge getrennt hatten, eine eigene Identität. Man könnte sie auch
"Kirche" nennen. Im gemeinsamen Reden und Sich-Erinnern, bei Gebet und
Brotbrechen sahen die ersten Christen ihre Zukunftsaufgabe darin, das
Evangelium zu verkünden, die Worte und Taten Jesu in der Geschichte
fortzusetzen.
Mohammed (570-632) gab in späterer Zeit den arabischen Völkern eine eigene
Identität. Er glaubte zunächst, dass die Offenbarungen, ihm von Allah
anvertraut, identisch seien mit denen der Juden und Christen - in seinem
Fall aber für die Araber bestimmt. So einte er die arabischen Völker und
Stämme im Namen Allahs, schuf ihnen ein nie gekanntes
Zusammengehörigkeitsgefühl, verbunden mit dem Sendungsauftrag, die ganze
Welt im Gehorsam dem Willen Allahs zu unterwerfen.
3. Nie ließen sich alle Menschen von ihren Religionen "vereinnahmen".
Weil die religiös suchenden und fragenden Menschen zuerst waren und
sind, hat es auch immer Spannungen gegeben zwischen ihnen und den
konstituierten Religionen. Im Alten Testament waren die Propheten
diejenigen, die Fehlentwicklungen in ihrer Religion und in ihren
Gesellschaften an den Pranger stellten. Obwohl zu ihnen gehörend, stellten
sie sich dennoch außerhalb, um zu erkennen, wo Korrekturen dringend
erforderlich waren.
Im Christentum ist sogar verbürgt, dass Gott den "Weisen und Klugen
verborgen hält, was er den Unmündigen offenbart" (Mt11.25; Lk10.21). Dieses
Wort Jesu kann durchaus auf die Großen und Mächtigen in Staat und Kirche
angewandt werden. Wo es wirksam wird, führt es zu Spannungen, vor allem
dann, wenn das äußere Erscheinungsbild der Kirchen und Konfessionen von
Kardinälen und Staatspräsidenten geprägt wird. Das mag bei großen
Veranstaltungen attraktiv und exotisch erscheinen. Auf lange Sicht aber ist
es ein Schlag ins Gesicht der Religion. Spannungen äußern sich bisweilen in
öffentlichen Protesten, können aber auch – was viel gefährlicher ist – zu
Resignation und "Glaube ohne Kirche" führen. Der lautlose Auszug aus den
Kirchen ist Indiz dafür, dass dem Lehramtsglauben und den lautstark
verkündeten religiösen Bekenntnissen jede Kraft und Dynamik verloren
gegangen ist.
Der katholische Erzbischof von Bamberg, Schick, hat das Dilemma jüngst auf
den Punkt gebracht: "Die Kluft zwischen dem, was die offiziellen Vertreter
für normativ gültig halten und dem, was Katholiken faktisch glauben und
leben, wird immer größer". – Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass der
Verlust des Lehramtsglaubens noch lange nicht als "Unglaube"
ausgemacht werden kann. Nur besteht der "andere Glaube" nicht mehr im
Festhalten an ein Lehrsystem, an dogmatische Sätze und Katechismuswissen.
Vielmehr entzündet er sich an glaubwürdigen Personen, an deren Beispiel und
Lebensstil, an deren Worten und Werken…
4. Die Kleinen kommen gegen die Großen nicht an.
Es ist müßig, an die Kleinen zu appellieren, um etwas in Staat und Kirche zu
verändern bzw. zu reformieren. Dazu sind die Großen zu mächtig und
einflussreich. Sie haben sich gewöhnlich ihre Positionen seit Jahrhunderten
gesichert. Diese können nur fallen wie die Mauern von Jericho, also durch
Gottes Eingreifen. "Sicherheiten" im Christentum wurden besonders dadurch
geschaffen, dass sich Philosophen und Geistesmächtige zusammentaten, um die
Wahrheit zu erforschen und sie gegenüber anderen Weltanschauungen
erfolgreich zu behaupten. Wo aber "die Wahrheit" ist, kann es keinen
Widerspruch geben. Zudem ist den Kleinen und Unmündigen das universitäre
Denken "der Großen" fremd geblieben. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als
gehorsam und aufmerksam auf das zu hören, was ihnen "von oben" verkündet
wurde.
Diese Zeit des "philosophischen und dogmatischen Zeitalters" nähert sich
immer mehr ihrem Ende. Die fragenden und suchenden Menschen suchen sich ihre
eigenen Gedankennischen. Sie fragen nicht mehr nach den Wahrheiten, die von
oben verkündet werden. Sie fragen eher nach einem sinnvollen, gottgemäßen
Leben. Für solches Leben sind keine abstrakten Wahrheiten hilfreich, sondern
Eckwerte, die ein sinnvolles und gottgemäßes Leben möglich machen. Die
Praxis der Liebe, Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit… sagt ihnen, welches
ihr "Glaube" ist – ein Glaube, der die Niedrigen erhöht und die Mächtigen
vom Throne stürzt (Lk1.52). Bahnt sich ein Zeitalter an, in dem die Kleinen
die Großen im Trockenen sitzen lassen, indem sie nicht mehr auf sie hören?
Richtschnur wird das Jesus-Wort: "An ihren Früchten (nicht an ihren Worten)
sollt ihr sie erkennen!" (Mt7.16). –
Wie auch immer die Zukunft des Christentums und der Kirchen aussehen wird –
eines steht fest: es gilt, den latenten Konflikt zwischen den "Großen" und
den Lebenserfahrungen der "Kleinen" zu beheben. So wie es aussieht, gelingt
es nicht. Alles sieht vorerst danach aus, als werde es zwei nebeneinander
bestehende Glaubensrichtungen geben: die eine ist von der Amtstheologie
bestimmt; die andere wächst aus den konkreten Lebenserfahrungen der Menschen
(die sich in Sekten und "freien Kirchen" zusammentun). Es bahnt sich eine
unüberbrückbare Kluft an zwischen Kirchen-Ethik und Reich-Gottes-Ethik. Was
einmal zusammen gehörte, ist auseinander gebrochen. Ob die Verantwortlichen
jemals begreifen werden, dass "Kirche" nicht identisch ist mit "Reich
Gottes"; dass die theologische Predigt der Kirchen nicht dasselbe ist wie
die Reich-Gottes-Predigt Jesu? Und doch käme es auf die Letztere
entscheidend an.
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