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Ansichten eines Außenseiters (XII):
Kinderschänderei. Wie zurechtkommen mit einer Kirche, in der es keinen ohne
Sünde gibt?
März 2010
Ich denke an das Evangelium von der Ehebrecherin, welches am 5.
Fastensonntag in den Kirchen verlesen wird (Joh. 8.1-11). Eine Frau hat
Ehebruch begangen. Nach damaliger Auffassung kam solches bei Männern wohl
nicht so leicht vor – woran zu erkennen ist, dass sich die Männerwelt der
damaligen Zeit die Religion zu ihren Gunsten zurecht gebastelt hatte. Die
Frau gehörte also gesteinigt. Die Pharisäer und Schriftgelehrten,
unantastbare religiöse Autoritäten, betrieben die Vollstreckung der Strafe.
Was sie sagten und anordneten, hatte für das gläubige Volk höchste
Priorität. Sie waren die Päpste und Bischöfe von damals.
Jesus, der die Szene verfolgt, schützt die Ehebrecherin. Damit ist nicht
gesagt, dass er mit dem Ehebruch einverstanden ist. Aber er gibt der Frau
eine Chance zum Neuanfang: "Sündige von jetzt an nicht mehr!" – Im
Evangelium geht es aber nicht nur um die Sünderin. Auch um die höchsten
religiösen Autoritäten. Auf beschämende Weise bestätigt ihnen Jesus in aller
Öffentlichkeit: Steinigt die Frau, wenn ihr ohne Sünde seid. Aber ihr seid
nicht ohne Sünde. Deshalb habt ihr kein Recht, die Menschen zu Rache und
Brutalität anzustacheln!
Die Szene mit der Ehebrecherin und der an den Pranger gestellten höchsten
religiösen Autoritäten hat viel mit der gegenwärtigen katastrophalen Krise
der Kirche zu tun. Was die "Kinderschänderei" in kirchlichen Einrichtungen
betrifft, müssen die "normalen Gläubigen" entweder verzweifeln, oder sich in
Zukunft mit einer Kirche abfinden, in der es niemanden (mehr) gibt, der ohne
Sünde ist.
1. Wie die ältere Generation erzogen wurde ...
Es gibt bis heute noch eine kirchentreue ältere Generation, die in einer
Weise zur Solidarität mit der Kirche erzogen wurde, von der die jüngere
Generation schon seit geraumer Zeit Abschied nimmt. Für die ältere
Generation gab es und gibt es eine unantastbare "unfehlbare Lehre" der
Kirche, verkündet von religiösen Autoritäten ohne Tadel und Makel. Sie
stehen umso näher bei Gott, je violetter, roter oder weißer ihre Gewänder
sind. Deren Titel bekräftigen noch ihren religiösen und moralischen
Anspruch, Gottes Worte und Weisungen authentisch zu vertreten: Heiliger
Vater, Eminenz, Exzellenz, Hochwürdigste Herren ... Wer wagte es bis vor
kurzem, solche Autoritäten in Frage zu stellen?
Die Revolution, die gegenwärtig in der Kirche stattfindet, ist den
Ereignissen von vor 2000 Jahren nicht unähnlich. Gläubige Christen sind
dabei, an den herkömmlichen religiösen Autoritäten zu verzweifeln. Oder sie
müssen eine schwere Aufgabe bewältigen, d.h. sich mit der Tatsache abfinden,
dass es in der Kirche niemanden gibt, der ohne Sünde ist. Die Mächtigen und
Einflussreichen der Kirche werden gegenwärtig – mehr als je zuvor – von den
Thronen ihrer unfehlbaren Urteile und Verordnungen gestoßen. So als ginge
der Lobgesang Mariens in Erfüllung: "Die Mächtigen stößt er vom Thron und
erhöht die Niedrigen" (Lk 1.52).
2. Die größte Sünde "der Guten": die "Verhärtung im Guten".
Werden die gegenwärtigen Ereignisse eine positive Wende nehmen oder geht das
selbstbewusste Getue der hochwürdigsten Herren weiter? Wenn schon der Ruf
nach einer positiven Wende – wie könnte sie aussehen? Früher haben alle
Christen einmal gelernt, dass Gott die Welt und den Menschen erschaffen hat.
Gott schuf den Menschen als Mann und als Frau. Auch deren Sexualität.
Deshalb ist es unverständlich – beinahe eine Verhöhnung Gottes –, dass in
der Kirche ein junger Mann nur Priester werden kann, wenn er im Vorzimmer
seiner Berufung die ihm von Gott gegebene Sexualität ablegt. Von einem
bestimmten Augenblick an muß er nach kirchlicher Vorschrift ein a-sexuelles
Wesen sein!
Es stellt sich die Frage: haben Papst, Kirche und die von ihnen gemachten
"heiligen Traditionen" das Recht, Menschen per Verfügung und Gesetz das zu
nehmen, was Gott ihnen gegeben hat? Es könnte nach Gottes Plan ja sein, dass
gerade die Sexualität und deren Bewältigung unverzichtbar zum Reifwerden der
Persönlichkeit gehören – innerhalb wie außerhalb der Kirche! Dann behält
nicht mehr die Kirchenfrage nach dem Zölibat höchste Priorität, sondern die
Gottesgabe der Sexualität als zu bewältigende Lebensaufgabe für jeden
Menschen. Kirchliche Gesetzgebung muß sich fragen lassen, ob sie nicht schon
seit langem an Gottes Einrichtungen vorbei operiert? Die heutige Krise kann
also wie ein Gottesgericht verstanden werden über diejenigen, die sich allzu
selbstgerecht über Gottes Schöpfungsordnung erheben!
Ebenso gotteslästerlich ist es, wenn eine Frau oder ein im Leben bewährter
"Laie" den Wunsch bzw. die Berufung spürt, sich an der Weitergabe des
Evangeliums zu beteiligen. Die überhaupt an Entscheidungsprozessen in der
Kirche beteiligt sein wollen! Aber es wird ihnen verboten, weil die "heilige
Klerikertradition" sich alle Rechte vorbehält. Päpste und Bischöfe müssen in
Zukunft zugeben, dass sie ziemlich fehlbar sind – was das gläubige Volk
schon längst bemerkt hat. Sie müssen die biblische Wahrheit konsequent zur
Kenntnis nehmen, dass Gott die Niedrigen erhöht. Sie müssen aufhören, sich
Entscheidungen anzumaßen, die dem Evangelium nicht entsprechen.
Wenn die Stunde erkannt würde, könnte die gegenwärtige katastrophale Krise
ein Anlass zur Besinnung und konstruktiven Erneuerung werden. Wenig spricht
im Augenblick dafür, dass die verhängnisvolle "Verhärtung der Guten im
Guten" aufgebrochen wird. Die Vermutung liegt nahe, dass auch Jesus über die
gegenwärtige Situation weinen müsste, wenn er da wäre – wie er es damals vor
der Zerstörung Jerusalems getan hat. "Wenn doch auch du erkannt hättest, was
dir Frieden bringt ... So aber wird kein Stein auf dem anderen gelassen;
denn du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt" (Lk 19.41-44).
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