Gratis Info-Brief
Sie möchten regelmäßig über neue Beiträge auf meiner Webseite informiert werden?
Dann abonnieren Sie einfach meinen
Info-Brief...
|
|
Ansichten eines Außenseiters (XIII):
Predigten, die ins Leere gehen.
Januar 2012
Als Prediger und Katechet ist eine Grunderfahrung seit einem halben
Jahrhundert bei mir prägend geblieben: Die Leute hören zu; sie nennen das
Gesagte eine "gute Predigt"; bringen es aber nicht fertig, den einen oder
anderen Gedanken zu behalten bzw. mit anderen ins Gespräch zu bringen. Nicht
durch Rückfragen an den Prediger selbst; aber auch nicht untereinander in
der Familie oder am Biertisch... Wenn es gut geht, stehen Christen nach dem
Gottesdienst in Grüppchen beieinander und reden über irgendetwas, z.B. über
das Wetter, über ihre Kopfschmerzen oder den gefürchteten Zahnarzt.
Die Aufforderung der Kirche, dass jeder Christ "seinen Glauben
weiterzugeben habe", erweist sich in der Realität als Sprechblase, solange
nicht in Gemeinschaft über zentrale Fragen des Glaubens gesprochen wird,
solange sie nicht ins Persönliche aufgearbeitet worden sind. Weil dies
weitgehend nicht geschieht, schwindet der Glaube. Die Lehramts-Kirche mit
ihrem theologischen Vor-Wissen ist in hohem Maße Schuld an dieser Misere.
Denn man kann über den vorgefertigten Glauben nicht diskutieren; man kann
keine eigenen Einsichten haben, man darf nichts anderes denken und meinen
als was die Kirche lehrt. So funktioniert das Glaubensgespräch nicht: weder
unter Gleichgesinnten, noch viel weniger mit Moslems und Atheisten.
Neulich habe ich mich in eine große Kirche gesetzt, um die Predigt zu hören.
Sie war gut und ansprechend. Über die Caritas wurde gesprochen. Ungefähr 20
Minuten über Jesus und sein Tun. Er wurde dargestellt als ein Eiferer, der
sich um Arme, Kranke, Zurückgebliebene, Ausgestoßene aus einer "normalen
Gesellschaft" kümmerte, der sich der Schwachen und Bedeutungslosen annahm...
Nichts anderes tue die Caritas. Sie folge exakt dem Beispiel Jesu. Während
der Predigt wurde immer wieder der Wunsch geäußert, dass sich doch mehr
Gläubige aus der Gemeinde bereit erklären mögen, sich am Tun der Caritas zu
beteiligen. Denn das Christsein bestehe wesentlich aus Taten der Liebe und
Anteilnahme. Wie Jesus und die Caritas – so müssten alle wahrhaft Gläubigen
werden. -
Aus den Reihen der Zuhörer – die Kirche was 1/3 oder ¼ besetzt – war kaum
eine Reaktion zu vernehmen. Nach der Predigt ging der Gottesdienst mit
Gebeten und Gesängen "normal" und wie gewohnt weiter. Auch nach dem
Gottesdienst war weit und breit nicht zu sehen, dass ein Gespräch stattfand.
Auch bei mir selbst hat sich keinerlei Motivation im Sinne der Predigt
eingestellt. Warum bei mir nicht? Warum nicht bei den anderen? – außer dass
vielleicht ein paar Almosen mehr im Geldbeutel landeten!
Zwei Vermutungen liegen nahe. Sie können Antworten auf die Frage geben,
warum so viele Worte und Predigten im Niemandsland enden:
Erstens: Mit Jesus als dem "Eiferer" für die Bedürftigen und dem
unantastbaren "Idealisten" können viele nichts anfangen. Meine Erfahrung mit
mir selbst sagte mir: wenn einer eifert – aus welchen Gründen auch immer – ,
soll er es tun. Ich möchte nicht dauernd nervig und unruhig auf alles
schauen, was mich zur Aktivität antreibt. Die Welt retten kann ich nicht.
Ich kann nur meinen täglichen Aufgaben und Verpflichtungen nachkommen. Jeder
Alltag hat seine Plagen. Damit habe ich genug zu tun...
Zweitens: Mit den guten Taten der Caritas konnte ich mich auch nicht leicht
"identifizieren". Es wurde ständig von den Leuten der "Berufscaritas"
gesprochen – es mögen drei oder vier gewesen sein. Kein Wort wurde verloren
über die anwesenden Zuhörer, die auf andere Weise "caritativ" tätig sind,
indem sie die Alten und Kranken in ihren eigenen Familien pflegen; indem sie
sich um Nachbarn kümmern; indem sie verantwortlich für ihre Kinder und
andere da sind... Dabei haben sie sicher ihre eigenen Gedanken, ihre eigene
Sprache. Sie schöpfen daraus ihre eigenen "Gotteserfahrungen", weil sie sich
im Tun identisch wissen mit Christus.
Wo eine "institutionelle Caritas" nur über sich selbst redet und wirbt, die
anderen aber draußen läßt, können sich viele mit ihr nicht identifizieren.
Vielleicht ist dies das Elend unserer "schönen und ansprechenden Predigten":
der Prediger redet nicht über sich selbst, sondern über das, was er
theologisch studiert hat. Er redet über den Ist-Stand der Theologie und der
kirchlichen Lehre, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass die Kirche in früheren
Zeiten schon Anderes gelehrt hat; dass andere Überzeugungen durchaus auch
legitim sind, weil Gottes Tun und Wirken durch keinen Katechismus adäquat
zur Sprache gebracht werden kann.
Der Drang und die Gewohnheit, den Leuten religiöse "Angebote" zu machen, sie
aus dem sicheren Elfenbeinturm einer Lehre stets belehren zu wollen, erweist
sich in der Realität als eine Sackgasse. Sie erweckt den Eindruck, als gäbe
es bei den einen eine unantastbare Gottesgewissheit – bei den anderen aber
nicht. "Gläubige" stehen den weniger Gläubigen gegenüber. In Wirklichkeit
ist jede Lehre über Gott voller Ungewissheit, voller Zweifel. Denn Gott
entzieht sich jeder Lehre und Konfession, die allzu oft darauf bedacht sind,
Gott zu beweisen, für sich zu vereinnahmen und ein Gottesbild nach
Menschenart zu schaffen. Vielleicht wird viel zu viel über den "unbekannten
Gott", den niemand kennt, geredet, statt über den Menschensohn Jesus, der im
Auftrag Gottes "gottgemäß" an den Menschen und in der Welt gewirkt hat, der
uns ein Beispiel gegeben hat, wie die "neue Lebensordnung Gottes" für
möglichst viele lebbar wird.
In der Apostelgeschichte heißt es: "In ihm leben wir, bewegen wir uns und
sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von
seiner Art". – Ein solches Denken erinnert an das Leben der Fische im
Wasser. Auch sie könnten den Ansatz ihrer Lebensbestimmung ähnlich zur
Sprache bringen: Im Wasser leben wir, bewegen wir uns und sind wir. - Der
heilige Paulus formuliert die Bestimmung des Menschen auf ähnliche Weise:
"Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt
verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte,
die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen. Jedem aber
wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt..."
(1Kor 12.4-7).
Hinter solchen Gedanken steht die Aufgabe der Selbstvergewisserung, die
jeder Mensch "leisten" muß, damit er zu seiner persönlichen Offenbarung
findet und anderen zu nützen vermag. Das Elend christlicher Konfessionen
besteht in der Eingrenzung und Gefangennahme Gottes durch "gefundene
Wahrheit" in Dogmen und festen Glaubenssätzen. Diese verhindern das Wirken
Gottes "in allen". Deren Schreiber und Festleger leben mit der oft
ungewollten, aber arroganten Behauptung, dass Gott ihnen (allein)
Offenbarungen geschenkt hat, die es als "frohe Botschaft" anderen zu
verkünden gilt. In Wirklichkeit werden auch sie "nur" von dem einen Geist
bewegt, indem sie "wie alle" Früchte des Geistes hervorzubringen haben. Für
alle gilt im gleichen Maße: "Jeder Baum, der keine guten Früchte
hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. An ihren Früchten also
werdet ihr sie erkennen" (Mt 7.19-20). –
Dass diese "Früchte" nicht ausschließlich aus schönen Worten und anziehenden
Predigten bestehen, wird auch gesagt: "Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr!
Herr! wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines
Vaters im Himmel erfüllt" (Mt 7. 21).
|