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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Ansichten eines Außenseiters (II):
Weihnachten. Was der Welt zum Frieden dient.

Dezember 2005

1. Die Frage nach Gott, die im Dunkeln liegt.

Es gibt Kirchenleute, die behaupten, man müsse wieder vermehrt über Gott reden. Sonst werde die Welt auf eine bedrohliche Weise immer mehr religiös-gleichgültig und "atheistisch". Wenn Letzteres auch stimmt, ist es dennoch sehr zweifelhaft, ob das Mehrreden über Gott den Trend zum Säkularen aufzuhalten vermag. Man kann im Gegenteil behaupten, dass in der Vergangenheit und Gegenwart sehr viel, vielleicht sogar zu viel über Gott geredet wurde und wird - sehr viel Widersprüchliches, einfach Vermutetes und Liebgewordenes, Gewünschtes und phantasievoll Herbeigeredetes. In Wirklichkeit ist die Frage nach Gott nie entgültig beantwortet worden. Weil sie keine befriedigende Antwort zuließ, ist sie nie zur Ruhe gekommen, ist in der Geschichte der Menschheit immer wieder aufgebrochen.

Aus mancherlei Gründen stoßen sich viele Zeitgenossen heute an dem Wort "Gott". Martin Buber nennt es "das beladenste aller Menschenworte. Keines ist so besudelt, so zerfetzt worden". Viele würden, so meint er, das Wort "Gott" verpönen, "weil sie sich gegen das Unrecht und den Unfug derer auflehnen, die sich gern auf die Ermächtigung durch ‚Gott’ berufen". Zu viele hätten den Namen Gottes gebraucht, um ihn für kommerzielle, militärische, kirchliche bzw. konfessionspolitische Zwecke zu missbrauchen...

Solche und ähnliche Erfahrungen haben zum sog. "Atheismus" beigetragen. Bei näherem Zusehen stellt sich jedoch heraus, dass viele angebliche und erklärte "Atheisten" Gott nicht unbedingt ablehnen, wohl aber Karikaturen von Gott, Gottesbilder und Gottesvorstellungen. Denn in ihnen vermag kein einigermaßen Gebildeter weder Gott zu erahnen noch sich selbst wiederzuerkennen. Weil sich bei aller Ablehnung die Frage nach Gott und "Transzendenz" doch immer wieder stellt, suchen viele nach einem anderen Namen. Sie sprechen nicht von "Gott", sondern von der Gottheit, von überirdischen Wesen, von einer kosmischen Kraft, vom geheimnisvoll wirkenden dynamischen Lebens- und Evolutionsprinzip, vom absoluten Nichts, von Nirvana und Leere, vom Urgrund und Urziel aller Wirklichkeit.

Auch im biblischen Denken wird die Frage nach Gott nicht entscheidend erhellt. Im AT ist es streng verboten, sich ein Bild und eine Vorstellung von Gott zu machen. Wenn Jesus vom "Vater im Himmel" spricht, so nimmt er diesen Namen aus der menschlichen Erfahrungswelt. Dadurch wird er aber auch mehrdeutig und belastet. Denn das Gott-Vater-Verhältnis wird weitgehend von dem eigenen Vater bestimmt, den ein Mensch erlebt hat. Manche haben gar keinen Vater; andere verbinden mit ihrem Vater positive Erinnerungen der Treue, Zuverlässigkeit, der natürlichen Autorität... Andere negative Erfahrungen des Zornes, der Gewaltbereitschaft, der Launenhaftigkeit, der Ungerechtigkeit, der Unberechenbarkeit... Viele wollen von ihrem Vater nichts wissen.

In einer "vaterlosen Gesellschaft" (Mitscherlich) wird auch Gott als "Vater" belanglos, nicht beachtenswert. Je mehr man von ihm spricht, desto schneller wachsen in vielen Ländern der Welt "gottfreie Zonen". Bei großer Wortgewandtheit werden Kirchen und Gottesvertreter sprach- und wirkungslos. Wo uneingestandene und frustrierende Erfahrungen gemacht werden, da wächst bei Religionsvertretern die Versuchung, die stets ernst zu nehmende Frage von Menschen nach Gott mit religiösen Mega-Happenings zu beantworten. Während das Alltägliche des Lebens dabei ausgeblendet wird - was bei Jugendlichen besonders gut ankommt - , tragen sie dazu bei, dass Gott in der Welt "unerkannt spazieren geht" (A. Einstein).

Religiöse Mega-Happenings, die Präsentation des Christentums als ein Erlebnis- und Sternstunden-Christentum machen es unmöglich, dass die Gottesfinsternis überwunden wird. Diese könnte sogar als Chance erkannt werden, wenn man es fertig brächte, den Mund theologisch nicht zu voll zu nehmen und stattdessen zu Paulus zurückzukehren. Dieser spricht von nur "rätselhaften Umrissen", in denen Gott erkannt werden kann: "Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich vollkommen erkennen" (1 Kor 13.12). - Im Evangelium wird von einem "König der Könige" gesprochen, von einem "Herrn der Herren, der allein die Unsterblichkeit besitzt, der in unzugänglichem Licht wohnt, den kein Mensch gesehen hat noch zu sehen vermag" (1 Tim 6.15-16).

2. Menschlich über Gott denken und reden.

Erst durch Weihnachten ist Licht in die Frage nach Gott gekommen. Da ist ein Kind geboren. Gott wir Mensch - sagt der Glaube der Christen. Im Menschsein Gottes wird deutlich gemacht, wer Gott ist und wie er handelt. In der Gestalt eines hilflosen und hilfsbedürftigen Kindes wird den Menschen ein Spiegel vorgehalten, ihre "Gottesbilder" korrigiert. Im allgemeinen stellen sie sich Gott vor in Bildern eigener Ambitionen: groß, gewaltig, mächtig, in Königsgewändern auftretend und in einem Palast wohnend...

Menschengemachte Ambitionen erleben an Weihnachten keine Bestätigung. . Menschen lassen sich im allgemeinen von ehrgeizigen Plänen leiten. Durch Macht- und Obrigkeitsgelüste machen sie sich einen Namen. Der ehrgeizige Wille herrscht, andere zu bevormunden und zu beherrschen. Durch Geld und äußeres Auftreten wollen sie groß und bedeutend erscheinen und Ansehen genießen... So anspornend solche und viele ähnliche Ambitionen für den Einzelnen sein mögen - wenn es viele gibt, die so denken und handeln, dient das Zusammenleben nicht dem Frieden und dem Wohlsein untereinander und miteinander. Menschliche Triebkräfte einer Ellenbogengesellschaft können sich leicht auf ganze Völker übertragen. Kanonendonner und Kriegsgetümmel sind dann nur noch eine Frage der Zeit. Sie feiern blutige, völkermörderische Triumphe...

Es gibt viel Menschengemachtes, welches nicht dem Frieden dient. Die Geschichte der Menschheit ist voll von Grausamkeiten, gegenseitigen Zerwürfnissen und gemeinen Unterwerfungen. Sie können sogar mit dem Anspruch der "Ausbreitung der Wahrheit" auftreten, die "Ausrottung" widergöttlicher Kräfte zum Ziel haben, die Bekehrung von Heiden und Andersgläubigen. Denn letztere weiß man "in Finsternis und Todesschatten", während die anderen im Licht zu wohnen vorgeben. Sie behaupten, die Wahrheit (schwarz auf weiß) zu besitzen und agieren aus der blinden Selbstverpflichtung heraus, den Weizen vom Unkraut trennen zu müssen. -

Weihnachten geht einen konträren Weg: "Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder..."(Mt 18.3). - Dem Kind sind die Machenschaften noch fremd, die offensichtlich erst im Laufe des Erwachsenenwerdens tragend und ausschlaggebend werden. Dem Kind Jesus von Nazaret ist Vieles in der Welt (bewusst) fremd geblieben. Es hat sich mit den Mächtigen der Gesellschaft und der jüdischen Religion nie solidarisiert. Sein Leben fing schlicht und einfach an. Jesus hat nie eine Schule besucht. Im Laufe seiner Entwicklung hat er einfach an den Tätigkeiten seiner Eltern und Nachbarn teilgenommen. Er hat mittun dürfen bei dem, was sie getan haben. Er hat an den Festen und Zeremonien der Gemeinschaft teilgenommen, an den Gottesdiensten in der Synagoge, an der Auslegung der heiligen Schriften... Im Maße des Möglichen wurde schon in jungen Jahren Verantwortung übernommen: im Haus, bei der Berufarbeit des Vaters, in der Öffentlichkeit...

Im klugen Sprachgebrauch von heute müsste man sagen: wer so aufwächst, leidet unter einem erschreckenden Theoriedefizit. Mit den Erwachsenen zusammen hat er einfach Lebenssituationen erlebt und zu bestehen gelernt. So machte er es auch mit seinen Jüngern. Er versammelte sie für kurze Zeit um sich. In seinen Reden und Gleichnissen erzählte und erklärte er ihnen, worum es ihm ging: um das Werden und Wachsen des Reiches Gottes in der Welt - was gleichbedeutend ist mit der Art und Weise, wie Menschen miteinander umzugehen und miteinander zu leben lernen. Durch Taten der Liebe und einer "größeren Gerechtigkeit" sollten sie "Sauerteig" für das Kommende werden, Licht der Welt und "Salz der Erde". Die Botschaft vom "Frieden in der Welt" war keine Luftblase. Sie richtete sich existentiell und folgenschwer an Menschen guten Willens...

Mit solch elementaren Einsichten ausgerüstet, schickte Jesus seine Jünger in Ernstsituationen hinein - in die Dörfer und Städte. Sie nehmen keinen Wanderstab mit, keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld, kein zweites Hemd, keine sicheren Erkenntnisse, kein fundiertes Wissen, keinen Bildungsdünkel...(Lk 9.1ff).- Man könnte die Art und Weise, wie Jesus selbst gelernt hat und andere lehrte, ein handlungsorientiertes Lernen nennen. Das jeweils Gelernte und Erfahrene wird gleich in die Praxis umgesetzt. Sie sollen tun, was auch Gott tut: zu den Menschen reden und sie heilen. Sie sollen "Nägel mit Köpfen" machen, "dübeln statt grübeln". Ohne den Ballast vieler theoretischer Kenntnisse sollen sie durch rechtzeitiges Mittun, durch Handeln, durch das Übernehmen von Verantwortung intensiv selbst lernen und andere daran teilhaben lassen. Sie praktizieren ganzheitliches Lernen, Handlungsorientierung und betreiben eine Erziehung zur Selbstständigkeit.

So gehen sie in die Dörfer und Städte. Der Evangelist Lukas erzählt ausdrücklich und mit großem Interesse, dass die Jünger zu Jesus zurückkehrten und über ihre "Erfolge" berichteten: "sogar die Dämonen gehorchen uns" (Lk 10.17). Zur Pädagogik Jesu und der dazu gehörenden Erfolgskontrolle war auch entscheidend, dass Jesus nie Einzelne aussendet, sondern immer zwei oder drei. Darin klingt an, was für den Fortgang des Reiches Gottes von Bedeutung ist und bleibt: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter euch" (Mt 18.20). Man könnte diesen Satz Jesu auch anders übersetzen: "Wo zwei oder drei im Austausch miteinander sind, in einem Geist der Liebe und gegenseitigen Akzeptanz handeln, da ist Gott selbst gegenwärtig: beobachtend, anregend, helfend, korrigierend". -

3. Weihnachten könnte der sterbenden Kirche neue Impulse geben.

Wenn das kleine theologische Ein-mal-eins, wie Jesus das Reich Gottes verkündete, wirklich ernst genommen würde, könnte Weihnachten der Kirche und den Kirchen zu neuen Impulsen verhelfen. Auch Nicht-Experten würden wieder eine Chance haben. Die Kirchen müssten bereit und fähig werden, sich von ihren kirchenpolitischen Ambitionen und theologischen Korsetts zu befreien. Denn durch die Akademisierung und Juridisierung des Glaubens ist alles sehr kompliziert geworden: zwischen "oben" und "unten", Klerikern und Laien, Berufenen und weniger Auserwählten, Gebildeten und Ungebildeten, Geweihten und einfachen Gläubigen, Katholiken und Protestanten..."Wie wäre es", wurde jüngst in der Katholischen Akademie in Bayern gefragt, "wenn nun die Menschen sich aufmachten und die Sprache ihres entbehrten Glaubens wieder entdeckten, sie neu füllten mit dem Glanz und der Würde ‚edler Einfachheit’"?

Tatsächlich hat auch Jesus in seiner Zeit theologische Schallmauern durchbrochen und juridische Kerkersituationen überwunden - um der "edlen Einfachheit des Reiches Gottes willen". Mit ihm und den frühen Gemeinden fing alles sehr einfach an. Da war eine Person, die durch ihr Denken und Verhalten in konkreten Lebenssituationen vorexerzierte, wie Gott sich den Menschen von Anfang an gedacht hat, und wie Gläubige schon jetzt das Reich Gottes vorwegzunehmen vermögen - wenn auch noch so fragmentarisch und unvollkommen. Die humanen Lebenswerte, die Jesus verkündete und lebte, waren kein bloßer Humanismus oder weltimmanenter Horizontalismus, sondern sie standen in einem großen heilsgeschichtlichen Zusammenhang der Vorhaben Gottes mit der Welt. Sie waren nicht konfessionell gebunden, noch nicht einmal liturgisch-religiös. Bei der Proklamation des Reiches Gottes ging es letztlich um die Heimholung der ganzen Schöpfung in ein neues, von Gott gewolltes Erlösungsgeschehen. Wo es um die Sache Gottes mit der Menschheit ging, da galten nicht mehr herkömmliche Schranken zwischen Juden und Griechen, Sklaven und Freien, Mann und Frau...(Gal 3.28).-

Ob die sterbenden Kirchen wieder den Weg der "edlen Einfachheit" zu gehen fähig werden? Viele Zweifel sind angebracht. Kirchliche Ansprüche sind sehr kompliziert geworden. Dennoch ist die Stunde gekommen zu begreifen: entweder wird die Kirche wieder "jesuanisch" sein, um dadurch ihre Existenzberechtigung zu beweisen, oder sie wird nicht mehr sein. Es gibt heute schon allzu viele, die ihrem Sterben nicht nachtrauern. Die Zeit ist längst angebrochen, in der sogar gläubige Nicht-Experten die Diagnose und den Streit der professionellen Experten in Sachen Theologie und Glaube nur noch mit Amüsement zur Kenntnis nehmen oder mit Desinteresse quittieren. Theologische und konfessionell beladene Deutungsstreitigkeiten entwickeln keine vitalisierenden Kräfte mehr. Weihnachten mit der Bereitschaft der "kleinen Leute" könnte zu neuen Impulsen verhelfen...
 


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