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Ansichten eines Außenseiters (VI):
Der Glanz des Papstes und das Elend der Kirchen.
September 2006
Bayern lebte im Monat September und viele Wochen davor wie in
einem Ausnahmezustand. Schließlich hatte sich der Papst angekündigt: der
berühmteste Sohn seiner bayerischen Heimat. Überall war das Bild des Papstes
zu sehen: in den Medien, auf Litfasssäulen, auf Bierdeckeln und
Bierflaschen, auf T-Shirts, in Schaukästen und auf den üppig florierenden
Devotionalienmärkten.... Religion scheint, durch die medial wirksamen
Auftritte der Päpste seit ca. 30 Jahren, immer mehr zu einem
Gesellschaftstrend zu werden. Die Zeit, in der Religion als
Privatsache galt, scheint vorbei. Medien und Publikum spielen dabei eine
maßgebliche Rolle. Im Sog erfolgreicher Happenings verändern sich beide. Sie
gewöhnen sich an die großen religiösen Effekte und verlangen immer größere.
Während die einen über das neue Ansehen der Religion triumphieren, macht es
anderen Angst. Denn alles ist hektisch, oberflächlich, kurios, triumphal...
Geht es wirklich um "Religion"? Oder geht es einfach nur darum, bei
Massenereignissen dabei zu sein? Erlebt Religion eine wirkliche Renaissance?
Oder folgt sie einfach dem Drang zur Popularität, folgt sie den Mächtigen
des Marktes?
1. Ein feudales System produziert seinen Glanz und seine Bewunderer.
Josef Ratzinger hat vor seiner Wahl zum Papst in "Dominus Jesus" die
Aufsehen erregende Auffassung vertreten, eigentlich könnte sich nur die
Kirche Roms "Kirche" nennen – alle anderen nicht oder nur im abgeleiteten
Sinne. Er begründete seine Auffassung mit der "Apostelnachfolge" durch die
Päpste und Bischöfe; durch die ununterbrochene Tradition des Lebens und der
Lehre...
Die anderen Kirchen haben daraufhin einen Sturm des Protestes entfaltet.
Natürlich nennen sie sich "Kirche" und wollen es sein. Bei solchem Streit
stellen sich die Fragen: Wer darf sich mit Recht so nennen? Was ist "Kirche"
im ursprünglichen Sinne? Kann sich im ursprünglichen Sinne die Kirche Roms
berechtigter "Kirche" nennen als die anderen? Sind andere vielleicht sogar
mehr "Kirche" als die von Rom?
Solche und ähnliche Fragen stehen im Raum, zumal sich nahezu alle Kirchen
auf ihren biblischen Ursprung besinnen. In jener Zeit war "Kirche" zunächst
nichts anderes als die Versammlung von Christen, die sich gemeinsam darauf
besannen, welches ihre Aufgabe und Rolle in der Welt sein müsse. Jesus war
gestorben und auferstanden. Er hatte keine schriftlichen Dokumente
hinterlassen. Die ursprüngliche Auffassung von der "Naherwartung", d.h. von
der baldigen Wiederkunft Christi noch zu Lebzeiten der ersten Christen,
schwand dahin. So mussten sich die Anhänger Jesu auf eine neue Zeit
einrichten. In ihren Versammlungen taten sie es auf dreifache Weise:
Erstens erinnerten sie sich gemeinsam an das Leben, die Worte und
Taten Jesu, die mehr oder weniger alle mit einer neuen Lebensführung in
Liebe und Gerechtigkeit zu tun hatten. Sie glaubten zweitens an ihren
Auftrag der Fortsetzung der Worte und Taten Jesu – zum Heil und Frieden in
der Welt und zum Wohl der Menschheit. Sie waren sich drittens darüber
einig, dass Jesus mit seinem Geist und Segen immer bei ihnen bleiben würde –
bis zum Ende der Welt. Im gemeinsamen Mahl feierten sie diese Anwesenheit
Gottes in ihrem Leben und Wirken, so wie Jesus mit seinen Jüngern das
Abendmahl gefeiert hatte.
Von "Kirche" war eigentlich nur, wenn überhaupt, nur indirekt die Rede. Die
Versammlung war nicht Selbstzweck, sondern Hilfe und Mittel für alle, die
ihrem Auftrag gerecht werden wollten. Das änderte sich entscheidend, als im
3. und 4. Jahrhundert die römischen Kaiser die Option der Christen als
zukunftsträchtig für ihre eigenen politischen Ambitionen ansahen. Die Kirche
selbst wurde dabei immer mächtiger und einflussreicher. Im Maße ihre
Mitgliederzahl zunahm, musste sie sich neu organisieren und strukturieren.
Sie tat es nach dem Vorbild der römischen Herrschaftssysteme. Diese
waren monarchisch, fürstlich und obrigkeitlich gegenüber dem gehorsamen und
untertänigen Volk. Im Laufe des Mittelalters entwickelte sich die Kirche
immer mehr zu einer päpstlichen Monarchie, mit Fürstbischöfen als mittlere
Instanzen gegenüber dem Volk. Auch die Liturgie gestaltete sich nach dem
Vorbild höfischer Zeremonien, was in der Renaissancezeit einen Höhepunkt
erreichte und bis heute in Pontifikalämtern und päpstlichem Palastgepränge
anhält.
Auf vielen Wegen und Umwegen ist die Kirche Roms also so etwas wie ein
übernational organisiertes Staatsgebilde geworden. Allerdings mit
religiösem Anstrich – sich immer wieder auf den Mann aus Nazaret
berufend. Allerdings ist von diesem Mann, auf den es ankommt, bei den
Feierlichkeiten eines feudalen Systems z.B. gegenwärtig in Bayern sehr wenig
zu spüren. Seltsam genug, wie dieses mittelalterliche System heute die
Massen wieder anzieht. Wegen wachsenden Misstrauens gegenüber den
Demokratien? In exotischer Erinnerung an frühere Jahrhunderte? Oder was
suchen die Menschen? Ereignisse, Personen, Anknüpfungspunkte, an denen sie
sich orientieren können, an denen sie ihre Illusionen von einer "heilen
Welt" und einem baldigen Erlöser festmachen können?...
Wenn die festliche Stimmung auch schon am nächsten Tag wie im Wind verflogen
ist - es bleibt die stolze Erinnerung, dabei gewesen zu sein. Ein tieferes
Verständnis für Glaube und Kirche wird bei solchen Happenings jedenfalls
nicht geweckt. Selbst wenn es erreicht würde: was wäre das für ein
Verständnis? Welches Glaubens- und Kirchenverständnis wäre dann vertieft
worden: das von Jesus von Nazaret? Kaum zu glauben!
2. "Die im Dunkeln sieht man nicht".
Im Blick auf die sozialen Verhältnisse seiner Zeit hat Bert Brecht
die Sätze formuliert: "Die einen sind im Dunkeln und die anderen im Licht.
Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht". –
Solche Sätze könnten auch in der Bibel stehen, in jenem Buch, welches von
den ersten Zeugen der Offenbarung Jesu geschrieben wurde. Das Revolutionäre
dieses Buches besteht darin, dass es die aufsuchen wollte, die im Dunkeln
sind, die man normal nicht sieht. Der Apostel Jakobus beschreibt z.B.
die Wichtigkeit und Wertlosigkeit von Gottesdiensten: wenn jemand das Wort
Gottes hört, aber nicht danach handelt. "Ein reiner und makelloser Dienst
vor Gott ... besteht darin: für die Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in
Not sind" (Jak 1.27).
In der Gerichtrede Jesu ((Mt 25.31-46) sind nicht diejenigen die ersten, die
dies meinen und für sich beanspruchen, sondern diejenigen, die Hungrige
speisen, die Fremde und Obdachlose beherbergen, die Nackte bekleiden, Kranke
besuchen und Gefangene in ihrer Unfreiheit nicht allein lassen... Darin
besteht der "wahre Gottesdienst": "Was ihr einem meiner geringsten Brüder
getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 24.40).
Das AT und Nt sind voll von der Weisung, dass das wohlgefälligste Verhalten
vor Gott der Dienst am Menschen ist. Die es begreifen und tun, stehen im
krassen Gegensatz zu den Anmaßungen von Menschen, die meinen, Gott mit
schönen Worten und aufwändigen Gesten betören zu können. "Wenn ihr betet,
macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die
Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen
werden... Sie haben ihren Lohn bereits erhalten" (Mt 6.5).- Im übrigen:
"Hütet euch vor den falschen Propheten" (Mt 7.15), den Pharisäern und
Schriftgelehrten, die sich auf den Stuhl des Moses gesetzt haben. "Tut und
befolgt, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun;
denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen... Bei jedem
Festmahl möchten sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze
haben, auf den Straßen und Plätzen lassen sie sich gern grüßen und von den
Leuten Rabbi (Meister) nennen" (Mt 23.2-12).-
Das Evangelium ist allergisch gegenüber denjenigen, "die sich selbst
erhöhen" und wie "blinde Führer" agieren, um die Menschen für "ihren (menschengemachten?)
Glauben" (Mt 23.15) zu gewinnen. Das Schlimme besteht darin, dass sie bei
aller Selbsterhöhung die Kleinen und die Bedeutungslosen so erniedrigen,
dass sie im Spektrum ihrer Religion keine entscheidende Rolle spielen. In
Wirklichkeit gibt die Botschaft Jesu gerade den Kleinen, den Schwachen, den
Unmündigen... eine Chance – allerdings nicht im Blick auf die unterdessen
menschengemachte "Kirche", sondern im Blick auf das "Reich Gottes". In Form
von kleinen Schritten und Taten wird darin jeder Mensch wichtig. Die ewige
Frage also, welche christliche Kirche sich am meisten evangeliumsgemäß
und am ehesten "Kirche" nennen darf, läßt sich nur so beantworten:
Diejenige, die Voraussetzungen und Strukturen schafft, dass gerade die
Kinder, die Mühseligen und Beladenen (Mt 11.28) zum Zuge kommen. Sie
verstehen am meisten vom Leben und vom "unerlösten Dasein". Deshalb vermögen
sie am besten auf den hinzuweisen, der erlöst...
3. Was "retten" für die Zeit danach?
Bisweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass schon bald – nach
einer Zeit triumphaler kirchlicher Festlichkeiten – eine Zeit großer
Ernüchterung eintreten wird. Dann wird der Niedergang, den man allzu
lange zu vertuschen und zu ignorieren imstande war, nicht mehr zu leugnen
sein. Es scheint eine Zeit anzubrechen, die die der biblischen Epoche nicht
ganz unähnlich ist. Man wartete damals auf die baldige Wiederkunft des
Herrn. Deshalb brauchte man sich auch nicht um "weltliche Angelegenheiten"
zu kümmern. Man konnte leicht Haus und Hof verlassen; denn die "Parusie"
stand unmittelbar bevor. Als diese dann ausblieb, mussten sich die Christen
viel zentraler mit faktischen Verhältnissen beschäftigen, die sie
vorher nur "nebenbei" als wichtig angesehen hatten: Werke zu tun, die dem
Sämann gleichen; Sauerteig zu werden und Licht der Welt – als Vorbereitung
auf das, was einmal kommen sollte: das Leben in Fülle; die vollendete und
erlöste Welt. –
Wenn sich eines Tages herausstellt, dass päpstliche Festivals nicht jene
hervorragenden Früchte zeitigen, die man sich erhoffte; wenn eines Tages der
kirchliche Niedergang nicht mehr zu leugnen ist, dann stellt sich die Frage,
die Vergil bereits beim Untergang des römischen Reiches gestellt hat:
was sollen wir mitnehmen aus den Gräueln der Verwüstung? Wenn man dem
Propheten Micha Recht geben will, werden diejenigen so fragen, die zur
"Sammlung der zerstreuten Herde" gehören; die am "Ende der Tage" für den
"Berg des Herrn" bestimmt sind. Denn an jenem Tage – Spruch des Herrn –
"mache ich die Hinkenden zum (heiligen) Rest und die Schwachen zu einem
mächtigen Volk" (Micha 4.1-7).
In der Ausgabe vom 9. September 2006 schrieb die Rheinzeitung über
den Papst in Bayern: "Sein großes Thema bleibt die Gottesferne der Moderne,
die wachsende Gleichgültigkeit den Kirchen gegenüber. Dem hat Benedikt XVI.
außer seiner Unerschütterlichkeit im Glauben bislang wenig entgegenzusetzen
vermocht....". –
Es wäre heilsam, ginge der Papst beim Propheten Micha in die Schule. Zwar
ist die Zeit der Erfüllung der "Verheißungen für Zion" noch nicht gekommen.
Aber der Papst steht in dessen Vorbereitung und Pflicht. Ihm ist es
aufgegeben, das Leben vor dem Ende "christlich" zu bewältigen und das
"Elend der Kirchen" zu überwinden. Das dürfte – im Gegensatz zur
päpstlichen Grundeinstellung – nur durch die Überwindung einer
Theologie gelingen, die von abstrakten Begriffen wie "Wahrheit",
"Realität", "Objektivität" ... bestimmt wird. Diese hat allzu konsequent die
Vielfalt der Glaubenswege vernichtet. Ihre normativ verbindliche Denkweise
hat – durch das Ignorieren des Konkreten und jeweils Besonderen – die
Vielfalt des Lebens zerstört. Durch objektivierende "Theologisierung" der
Lebenswege und "Verkirchlichung" von Glaubenseinstellungen hat sie sich bei
vielen Menschen überflüssig gemacht. Sie hat die Gottvergessenheit
der Moderne durch Menschenvergessenheit selbst produziert.
Durch "Festivals" wird dieser Mangel kaum aus der Welt zu schaffen sein. Bei
allen kirchlichen Festlichkeiten ist es also höchste Zeit, danach zu fragen,
was es zu "retten" gilt für die Zeit danach. Vielleicht doch das, was der
Prophet Micha sagt? Sonst könnte sich das "Elend der Kirchen" schon bald als
tödlich erweisen.
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